Japanische Verhältnisse in Deutschland?
Immer öfter ist von der Wirtschaftsmisere Japans die Rede, wenn Deutschlands Ökonomie besprochen wird. Tatsächlich weist die Entwicklung der beiden Volkswirtschaften Parallelen auf - droht Deutschland aber tatsächlich ein Wirtschaftsabschwung in japanischen Ausmaßen?

 

        


 
in trauriger Rekord jagt den anderen in Deutschland: Die Bundesrepublik ist mitten in der längsten wirtschaftlichen Schwächephase der Nachkriegszeit. Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung gingen 2002 die Konsumausgaben zurück. Auch die Arbeitslosigkeit steigt auf Rekordhöhen. Die Stimmung ist am Boden. Und angesichts einer kontinuierlich sinkenden Inflationsrate diskutieren Volkswirte in letzter Zeit vermehrt die Gefahr einer Deflation in Deutschland.

Die Parallelen sind unübersehbar...
In Japan sind sinkende Preise seit Jahren Realität. Auch im einstigen Wirtschaftswunderland Asiens näherte sich die Wirtschaftskrise schleichend und wer die Gefahr der Deflation ins Spiel brachte, erntete höchstens Spott. Sollte die Geschichte Japans uns also Lehre sein?

Tatsächlich zeigt der Beginn der Wirtschaftskrise Japans bekannte Züge: Auch dort platzte eine Aktienblase, was zu einer Vertrauenskrise führte und die Wirtschaft nach unten riss. Wachstumseinbußen brachten die Produzentenpreise und Löhne unter Druck, was wiederum sinkende Konsumentenpreise zur Folge hatte. Das Land schlitterte in eine Deflation. Verschlimmert wurde die Situation noch durch eine Aufwertung des Yen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Mitleidenschaft zog.

Wenn auch in Deutschland noch nicht von einem generellen Sinken der Preise die Rede sein kann, so macht doch die Preissteigerungsrate keine großen Sprünge mehr. Und die ersten Unternehmen beginnen auch schon, dem Absatzrückgang mit Preissenkungen und Rabatten zu begegnen – und wirken damit gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv.

Auch die jüngste Aufwertung des Euro verschafft in der momentanen Situation der Wirtschaft keine Linderung – ganz im Gegenteil.

Sowohl Japan als auch Deutschland hatten vor der Krise wirtschaftliche Führungsfunktionen inne. Beide Staaten wurden als Wirtschaftsmotoren gesehen und von anderen Staaten kopiert. Wieso rutscht ein Vorzeigestaat in eine so tiefe Krise? Kann Deutschland von Japan lernen und das Schlimmste noch verhindern?

Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit
Japans Führungsfunktion fußte auf den Glanzleistungen einiger weniger Branchen, währenddessen Deutschland seit jeher eine große Bandbreite an Branchen mit Wettbewerbsvorteilen aufzuweisen hat. Dieser Unterschied ist historisch bedingt, die Konsequenzen reichen aber bis in die Gegenwart hinein. Nach dem zweiten Weltkrieg förderte die japanische Regierung bewusst einige Schlüsselindustrien, die zum Aufbau des zerstörten Landes beitragen sollten, wie etwa die Chemische Industrie, die Landwirtschaft oder die Stahlindustrie. Der staatliche Einfluss wurde aber nach dem Erstarken der japanischen Wirtschaft aufrecht erhalten und so entstanden in Japan wettbewerbsfreie, staatlich geschützte Räume.

Diejenigen Branchen, denen Japan die Wirtschaftsführerrolle zu verdanken hatte, sind eben nicht diese staatlich geförderten Branchen, sondern jene, die sich selbst überlassen wurden. Nur Wettbewerb schafft Höchstleistungen. In diesen Industrien entstanden jene revolutionären Managementpraktiken, die dazu beitrugen, Japans Wirtschaft groß zu machen. Schlagworte wie Just-In-Time-Produktion, Total Quality Management oder Lean Production seien hier genannt.

Japanische Unternehmen waren Weltmeister in der effizienten Fertigung, jedoch verabsäumten sie es, sich um ihre strategische Ausrichtung zu kümmern. Erfolgreiche Praktiken wurden von jedermann kopiert, denn: Was für den Konkurrenten funktioniert, kann auch für das eigene Unternehmen nicht falsch sein. Und so entstanden zwar effizient arbeitende Unternehmen, die sich aber durch nichts von den Wettbewerbern unterschieden. Ohne ein strategisches Differenzierungsmerkmal aber wurden die japanischen Produkte austauschbar.

Die erfolgreichen Effizienzsteigerungstechniken machten ihren Weg auch nach Deutschland. Deutsche Unternehmen sind insgesamt wettbewerbsfähiger als ihre japanischen Konkurrenten. Die deutsche Wirtschaft ist um einiges offener: Deutschland weist höhere ausländische Direktinvestitionen auf und erwirtschaftet Exportüberschüsse, während Japans Exporte stetig zurückgehen. Deutsche Unternehmen sind es daher gewohnt, im internationalen Wettbewerb zu stehen.

Die japanische Wirtschaft steht sich hier mit ihrer Einstellung gegenüber dem Wettbewerb allerdings auch selbst im Wege. Bei den nach Gleichheit strebenden Japanern herrscht die Meinung: »Wenn schon Krise, dann soll die Last gleichmäßig verteilt werden.« Und so wird vom Staat interveniert: den Schwächeren auf die Beine geholfen und die Stärkeren ihrem Schicksal überlassen. Solche Staatseingriffe fördern nicht eben den Wettbewerb und wenn auch Deutschland nicht frei von Staatsinterventionismus ist – man denke nur an Bundeskanzler Schröders Rettungsaktion für den Holzmann-Konzern – so sind die Eingriffe von staatlicher Seite doch wesentlich geringer. Diese japanische Politik des Unterstützens schwacher Wirtschaftszweige verursacht extrem hohe Kosten, die im Laufe der Zeit übergroß wurden und die gesamte Wirtschaft nach unten zogen.

Noch mehr Parallelen...
Auch das japanische System des keiretsu – die Kooperation zwischen Firmen mit gegenseitiger Kapitalbeteiligung - fördert die Entstehung wettbewerbsfreier Räume. Freilich ist dies ein Phänomen, das auch Deutschland mit seiner Deutschland AG kennt. Die vielfältigen Kapitalverflechtungen zwischen Unternehmen machen es in wirtschaftlich kritischen Zeiten schwierig, nicht-produktive Firmen einfach abzustoßen.

Dem einer Deflation vorangehenden Nachfragerückgang ist möglichst mit Kapazitätsanpassungen entgegenzutreten. Für beide Länder ist dies aufgrund eines inflexiblen Arbeitsmarktes nicht einfach, wenn auch die Schwierigkeit in Japan zusätzlich eine soziale Komponente hat: die Beschäftigung auf Lebenszeit geht auf die in der japanischen Gesellschaft fest verwurzelten Werte der Loyalität und des Sorgens für den Einzelnen zurück.

Die Folgen einer Deflation sind umso verheerender, desto mehr Schulden die Volkswirtschaft hat, da mit fallenden Preisen die reale Schuldenlast steigt. In Deutschland haben sich Unternehmen und Haushalte in den vergangenen Jahren schwer verschuldet. Die Schulden des privaten Sektors machten 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Japans Schuldenlast Anfang der 1990er Jahre stieg bis auf fast 250 Prozent des Bruttoinlandprodukts an.

Damit die Wirtschaft in deflationären Zeiten wieder auf die Beine kommt, ist ein funktionierendes Banken- und Kreditwesen Voraussetzung. Gerade dieses aber stürzte in Japan in eine tiefe Krise, als die Mischung aus hoher Schuldenlast und Deflation die Banken mit einer Unzahl fauler Kredite zurückließ, was sie dazu zwang, viele Kredite abzuschreiben und die Kreditvergabe stark einzuschränken.

Auch Deutschlands Banken sind schlecht gewappnet für die Krise. Der New-Economy-Boom hat auch den deutschen Banken viele schlechte Kredite verschafft, da jeder am Kuchen mitnaschen wollte und so viel zu viele Kredite an Firmen vergeben wurden, deren Geschäftsmodell sich im nachhinein doch als weniger gewinnbringend herausgestellt hat. Zudem ist die Profitabilität deutscher Bankinstitute mangelhaft und die Kapitalausstattung zu gering – Voraussetzungen, die bei einem weiteren Schwung fauler Kredite für einige Institute existenzbedrohend sein können.

Betrachtet man bei all den volkswirtschaftlichen Parallelen zwischen den beiden Ländern einen weiteren gemeinsamen Aspekt, wird man sich ernsthaft fragen müssen, ob allein die höhere Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ausreicht, um japanische Verhältnisse von Deutschland abzuwehren und eine Deflation an sich vorüberziehen zu lassen: Auch Deutschland fehlt eine entschlossene politische Führung, die den längst fälligen Wandel herbeiführt. Stillstand und Reformunfähigkeit zeichnen das Land aus.

Die sinkende Inflationsrate ist lediglich das Symptom, die wahren Probleme Deutschlands liegen in den hohen Lohnkosten verursacht durch ein teures Sozialversicherungssystem, hohen Steuern, übermäßiger Bürokratie und inflexiblen Arbeitsmärkten. Hier wird offensichtlich, dass mit Fiskal- und Geldpolitik allein kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Strukturreformen braucht das Land – und dies schnell, denn sobald Deflation Realität ist, bleiben die Waffen der Wirtschaftspolitik weitgehend wirkungslos. Die Wirtschaft anzukurbeln, indem Steuern gekürzt oder Staatsausgaben erhöht werden, zeigt nämlich dann keinerlei Wirkung, wenn Konsumenten und Unternehmen ihre Ausgaben auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, da Anschaffungen aufgrund der sinkenden Preise immer billiger werden.

Und weil die Konsumenten erkennen, dass ihr Geld bei sinkendem Preisniveau im Zeitablauf – auch ohne Verzinsung – im Wert steigt, könnten nur negative Zinsen den notwendigen Anreiz für Konsum schaffen. Dies freilich steht außer Macht der Geldpolitik. Hinzu kommt, dass der Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente in Deutschland ohnehin stark eingeschränkt ist: Geldpolitik wird von der Europäischen Zentralbank gemacht und der Stabilitätspakt presst auch die Fiskalpolitik in ein enges Korsett.

Schon seit Jahren steckt Japan in der Krise und schafft es nicht, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Japan ist ein Musterland dafür, die längst notwendigen Strukturreformen auf die lange Bank zu schieben und sich allein mit fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen aus dem Schlamassel befreien zu wollen – allerdings erfolglos.
Dies sollte Deutschland eine Warnung sein. Die Anzeichen sind deutlich. Die Zeit drängt.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0304a/0304a.htm