Weshalb beeinflusst Identität den Unternehmenserfolg?
Unternehmenserfolg hängt wesentlich davon ab, inwieweit Mitarbeiter sich in den Unternehmenskontext einordnen. Dabei hilft langjährige Tradition, aber auch ein Bild von der Zukunft ist unerlässlich. So wird Unternehmensidentität geschaffen. Und Erfolg stellt sich dort ein, wo persönliche Identität und Unternehmensidentität in Einklang stehen.

Gerhard Zapke-Schauer

        


 
ersonale Identität wird als ein Vorgang beschrieben, der das Gefühl einer inneren Einheit über eine gewisse Zeitstrecke vermittelt. Lässt sich diese Einheit nicht durchgängig über die gesamte eigene Lebenszeit aufbauen, dann sprechen wir von Identitätskrisen. Verstärkt sich eine solche Identitätskrise durch Neupositionierung hinsichtlich der Werte, die man für erstrebenswert hält, dann kann es zur »Midlife-Crisis« kommen.

Das, was für den privaten Lebensbereich zu gelten scheint, tritt ebenso am Arbeitsplatz auf. Im Folgenden wird die Wichtigkeit und Wertigkeit der personalen Identität eines Mitarbeiters in einer Unternehmung untersucht.

Zum Begriff und seinen Folgen
Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der personalen Identität zieht sich bereits lange durch die Philosophie. Kant meinte: »Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen..., woraus dann folgt, dass eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist.«1

Heute werden im Wesentlichen drei Ansätze zum Thema der personalen Identität diskutiert:

1. Nach dem Körperkriterium besteht die Identität einer Person zu zwei Zeitpunkten in der Kontinuität des Körpers während dieses Zeitraumes.

2. Nach dem psychischen Kriterium lässt sich die Kontinuität zwischen den psychischen Zuständen zu verschiedenen Zeitpunkten auf die Erinnerung an vergangene Erlebnisse zurückführen. Ein Problem dieser Position ist, dass wir uns an unser Babysein nicht erinnern können und damit keine personale Identität zwischen Baby und dem späteren Menschen besteht. Zusätzlich sind einige Klimmzüge nötig, damit wir im Schlaf nicht unsere personale Identität verlieren.

3. Nach den nichtreduktiven Ansätzen ist die personale Identität ein nicht reduzierbares Faktum, ein ontologisches Faktum (ein Ich, eine Seele), das weder auf die Kontinuität eines Körpers noch auf psychische Zustände zurückführbar ist.

Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart2 beschreibt in der Einführung zu ihren Seminaren für Führungskräfte: »Meine personale Führungsidentität hat sich in meiner familiären und beruflichen Biographie entwickelt und ist von unterschiedlichen persönlichen und institutionellen Leitbildern geprägt worden. Ich bringe sie in meine Institutionen und Organisationen ein. Ob in kirchlichen und sozialen Einrichtungen oder in Wirtschaftsunternehmen – sie wandelt sich oft kaum merklich, solange das geltende Selbstverständnis nicht in Frage gestellt wird.

Wie wird meine Führungsidentität von einer Wirtschaft und Gesellschaft beeinflusst, die ihre Strukturen immer rasanter verändert oder auflöst, die auf Flexibilität bis zur Beliebigkeit, auf Kurzfristigkeit und Elastizität bis zur Unkenntlichkeit angelegt zu sein scheint? Geraten die flexibilisierten Arbeits- und Lebensbeziehungen nicht in Konflikt mit dem menschlichen Charakter, mit der persönlichen und sozialen Identität, die auf Langfristigkeit, Verlässlichkeit und Entwicklung angewiesen sind?«

Identität am Arbeitsplatz
Ganz offensichtlich liegt in der Identität ein wesentlicher Teil des Verhaltens von Mitarbeitern am Arbeitsplatz. Es kommt darauf an, dass der Einzelne sich selbst in den Unternehmens- oder Abteilungskontext einordnen kann und einordnen will. Viel zu häufig wird dabei übersehen, dass Unternehmen selbst eine Identität besitzen, die nach den gleichen Kriterien der Bildung einer personalen Identität entsteht. Also, Durchgängigkeit über eine gewisse Zeitstrecke.

Wer häufig umorganisiert, dabei zugleich neue Namen an Abteilungen oder Unterorganisationen vergibt, der ändert die zeitliche Durchgängigkeit. Unternehmensteile können dann nicht mehr mit der gesamten Laufzeit eines Unternehmens verbunden werden. So kann z.B. ein Unternehmen wie Siemens 150 Jahre alt sein, die Abteilung, in der ich tätig bin ist jedoch durch mehrere Restrukturierungen gegangen und hat mehrmals die Bezeichnung gewechselt. Obwohl ich nach wie vor bei Siemens tätig bin, kann ich die Identität meiner aktuellen Abteilung nur schwer erkennen. Ähnlich einem Kleinkind, das über geringere Identitätsempfindungen verfügt als ein Erwachsener mit gereifter Seniorität.

Häufig kann man dem Problem der fehlenden Identität damit begegnen, dass man ein klares Bild von der Zukunft zeichnet. Fehlt Zukunft und Vergangenheit, ist also die tatsächliche und virtuelle zukünftige Zeitstrecke zu kurz, dann ist auch die Identität klein. In Werbeaussagen versuchen Unternehmen auf eine langjährige Tradition hinzuweisen, um damit eine Identität zu signalisieren.

Identitäten sind also offenbar zu etwas nützlich. Eben, zu dem vorher Beschriebnen. Sie helfen, Zuordnungen zu schaffen und ermöglichen Positionierungen. Entweder finde ich die Identität eines anderen (oder einer Unternehmung) gut und für mich passend, dann vermute ich eine Förderung meiner eigenen Identität durch Teilnahme an der Identität des anderen. Diese Teilnahme geschieht durch Dialog unter Freunden oder durch Mitarbeit in einer Unternehmung.

Es ist wohl leicht einsehbar, fehlt einer Unternehmung ihre Identität, kann ich diesen Zuordnungsprozess nicht vornehmen. Daher ist meine klare Entscheidung, »an dieser Sache mitzumachen« schwieriger, als wenn mir eine klare Unternehmensidentität präsentiert wird.

Da Identitäten nicht nur von der zeitlichen Kontinuität aus der Vergangenheit gebildet werden, sondern auch durch die Hypothese einer entsprechenden Zukunftsstrecke, ist wohl jedem die Tragweite attraktiver Unternehmensziele einleuchtend. Wird z.B. die Zukunft des eigenen Unternehmens von einem notwendigen joint-venture abhängig gemacht und ist dabei der joint-venture Partner noch unbekannt, schrumpft die Identität auf ein unerträglich kleines Maß zusammen. Sind nun zusätzlich in der Vergangenheit gescheiterte joint-venture Versuche erkennbar, treten mannigfaltige Interpretationen über die Unternehmensidentität auf. Natürlich auch die wichtigste, nämlich die, dass das eigene Unternehmen über so wenig Identität und Griffigkeit verfügen muss, dass es anderen nicht gelungen ist, sich als Partner zu positionieren und das joint-venture einzugehen.

Auch schrumpfende Marktanteile beeinflussen die Identitätsbildung, weil auch in diesem Fall davon ausgegangen wird, dass Kunden nicht positiv entscheiden konnten, sich mit dem Unternehmen und seinen Produkten und Leistungen zu verbinden. Wie also soll sich der Einzelne an seinem Arbeitsplatz harmonisch integrieren und Ownership übernehmen, wenn er Zweifel an der Identität seines Unternehmens hat?

Der Nebeneffekt im Key Account Management
Bevor wir dies genauer untersuchen, soll noch ein äußerst brisanter Nebenaspekt beleuchtet werden. Häufig greifen Mitarbeiter, die für das Customer Relationship verantwortlich sind, zu einer ungewollten, wirksamen und zugleich gefährlichen Identitätsbildung. Sie verbinden sich mit den Kunden »gegen« das eigene Unternehmen.

Der Versuch, ihr eigenes Berufsideal mit dem Unternehmen, dem sie angehören zu verbinden, scheiterte - was immer auch der Grund dafür ist - und unter Wahrung der eigenen Identität tritt man immer mehr als »Freund der Kunden« auf, verbindet seine eigene Identität mit diesen und bewegt sich allmählich, aber immer stärker in das Identitätsfeld der Kunden.

Die Wirkung lässt sich hervorragend steigern, wenn man nun gemeinsam mit dem Kunden »gegen« das eigene Unternehmen auftritt und jeden Erfolg in der Durchsetzung des Kundenwunsches als persönlichen Sieg, damit Bestätigung der eigenen Identität, erkennen kann. Zugleich wandern eigene Identität und Identität des Unternehmens auseinander, man fühlt sich als Fremdkörper und wird als solcher behandelt, obwohl die eigene Visitenkarte das Logo der Unternehmung trägt, mit dem man seine Schwierigkeiten austrägt. Umgekehrt fühlt man sich mit den Kunden, deren Logo man ja gerade nicht auf der eigenen Visitenkarte trägt, in mentaler enger Verwandtschaft.

Konstellationen dieser Art werden oft mit dem Begriff Key Account Management belegt. Nun kann wohl jeder Leser sofort erkennen, die Identität des Key Account Managers darf nicht mit der Identität des Kundenunternehmens übereinstimmen, sondern muss mit der des eigenen Unternehmens übereinstimmen.

Die Folge dieser Forderung ist übrigens nicht Kundenferne, sondern Kundennähe und lässt sich auf der operativen Ebene ganz exakt nachweisen. Kommt es allerdings zu den genannten Störungen, weil die Unternehmensidentität unzureichend ausgebildet ist, dann sehen wir uns häufig mit Identitätskrisen der Key Account Manager konfrontiert. Da die Stelleninhaber häufig »gestandene« Damen und Herren sind, klagen sie nicht über Identitätskrisen oder Inkompatibilitäten, sondern machen sich zum Anwalt der Kunden und attackieren unternehmenseigene »Produktionseinheiten«.

Lassen Sie uns nach diesem kleinen Exkurs zu dem Phänomen der Identität im generellen Kontext zurückkehren.

Identität und Interaktion
Krappmann3 geht davon aus, dass sich Identität nur in Interaktionen entwickeln kann, und auch nur durch Interaktionen Bestand hat. Identität verlangt nämlich nicht nur ein Bewusstsein seiner selbst, seines Andersseins, sondern auch eine Anerkennung des Individuums und seiner »Einzigartigkeit« durch die Anderen. Um diese zu erreichen, ist es notwendig, zumindest in Teilen auf die Erwartungen der Anderen in einer Interaktionsbeziehung einzugehen.

Krappmann benennt daher zwei Eckpunkte der Identitätskonzeption:

:: Bewahrung einer persönlichen (konsistenten) einzigartigen Identität,

:: gleichzeitige Notwendigkeit, auf die unterschiedlichen, z.T. widersprüchlichen Erwartungen der Interaktionspartner einzugehen.

Für das Individuum ist es notwendig, zwischen Extremen eine Balance zu halten, will es weiterhin soziale Beziehungen aufrechterhalten. Ein Beharren auf einer der beiden Extrempositionen macht die Aufnahme und Aufrechterhaltung von Interaktionsbeziehungen unmöglich: Der, der sich bedingungslos seiner Einzigartigkeit widmet und alle Erwartungen seiner potentiellen Interaktionspartner ignoriert, wird keine soziale Beziehung aufbauen können, da er sich mit den anderen nicht auf gemeinsame Definitionen der Situation einigen kann und nicht bereit ist, seine Identität in den Erwartungs- und Verständnishorizont der Anderen zu übersetzen. Er mag interessant erscheinen und beobachtet werden, eine soziale Beziehung mit ihm werden die wenigsten eingehen wollen.

Ähnlich geht es – wenn auch aus anderen Gründen – dem, der sein »Anderssein« zugunsten einer vollkommenen übernahme der Erwartungen der Anderen aufgibt. Hier wäre zwar eine Verständigung problemlos möglich, doch erscheint er den Anderen, sobald die vollständige Rollen- bzw. Erwartungsübernahme ihnen deutlich geworden ist, nicht mehr interessant, da er vollkommen berechenbar geworden ist, ferner würde das Individuum angesichts widersprüchlicher Erwartungshaltungen in seinem Bemühen, diesen allen gerecht zu werden, »zerrissen« werden.

Ist uns tatsächlich klar, wie wichtig die Identitätsfindung am Arbeitsplatz ist? Können wir verstehen, weshalb so viele im »Silo-Denken« verschwinden oder im Kontinuum des Streits mit Kollegen verweilen? Können wir erkennen, dass mit ansteigender Hierarchie weniger die »Anpassung«, mehr jedoch die »Einzigartigkeit der eigenen Identität« gewählt wird, wenn sich eigene Identität und Identität der Unternehmung in einem Missmatch befinden?

Schlussfolgerungen zur Methodik im Führungsprozess
Aus allen meinen Ausführungen kann man mühelos die notwendige Arbeitsmethodik erkennen, die das Identitätsproblem in eine Identitätschance verwandelt: Man prüft und verbessert die Unternehmensidentität. Sie muss mindestens folgende Grundelemente attraktiv treffen:

1. Das Businessmodell zeigt hohe Orientierung am Kundennutzen.
2. Kunden haben durch die Bindung an unser Unternehmen nachvollziehbare Vorteile.
3. Die Begründung und der Anspruch zu eigener Profitabilität ergibt Vorteile für die Kunden.
4. Wir können erklären, worin unser »Anderssein« zum Wettbewerber liegt.
5. Die Erbringung unserer Leistungen und Produkte ist mehr »positive Einmischung« in die Situationen unserer Kunden als »passive Auftragserfüllung«.
6. Unsere Zukunft hängt von unserer Befähigung, innovative Produkte und Leistungen für die Zukunft der Geschäfte unserer Kunden zu erstellen, ab.
7. Das Gelingen unserer Unternehmung ist von Ownership und Delegation abhängig. Nur die Prozesse, die unsere Mitarbeiter durchführen, schaffen die Realitäten unserer aktuellen Unternehmenswelt. Führungskräfte, die das Design dieser Prozesse weder fördern noch delegieren, halten unfreiwillig am status quo fest und hindern uns an der kontinuierlichen Weiterentwicklung unserer Unternehmensidentität.
8. Die Unternehmensidentität stellt sich als übernahmefähiger Wert für die einzelnen Mitarbeiter dar und fördert die Bereitschaft, »dabei sein zu wollen«.

Sind diese Grundelemente erst einmal geschaffen, dann ermöglicht man den ungeheuer spannenden und attraktiven Akt des freiwilligen Zusammenschlusses von Mitarbeitern zu einer gemeinsamen Idee. Führungskräfte sollten also weniger an der Psyche der Mitarbeiter »engineeren«, sondern mehr an der Unternehmensidentität. Diese muss als eine eigenständige Idee, mit langem zeitlichen Kontinuum erkannt werden und nicht als Summe aller Identitäten der Mitarbeiter.

Wer nach Verlustjahren einen Neuanfang initiieren möchte, der muss aufpassen, dass er nicht die Vergangenheit »verdrängt«, da Identität aus dem zeitlichen Kontinuum des Vergangenen und des Zukünftigen besteht. Wer umgekehrt nur auf den Erfolgen der Vergangenheit aufbaut und die Strecke der Zukunft nicht ausreichend ins Bewusstsein ruft, wundert sich, weshalb die bisherigen Erfolge nicht als Motivator ausreichen.

Identität kann man nicht herbeireden, man muss sie begründen. Ihr Kontinuum ist keine zeitliche Aneinanderreihung von Ereignissen, sondern deren kontextuale Konsistenz. Wer diese Zusammenhänge verstanden hat und mit ihnen geeignet umgeht, der erfreut sich hoher Produktivität, guter Ownership, adäquatem sense of urgency und Loyalität aus Einsicht statt aus Gehorsam.  

 

Wer sich für den allgemeinen theoretischen Hintergrund der Identität, ihrer Entstehung und Stabilisierung interessiert, der sei auf das Buch von Michael Quante: Personale Identität4 verwiesen.

Es empfiehlt sich zudem, die aktuelle philosophische Diskussion zur personalen Identität aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive zu sehen. Georg Northoff5, Oberarzt der Uniklinik Magdeburg, hat dazu wertvolle Anregungen gegeben.

1 Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten
2 Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Im Schellenkönig 61, 70184 Stuttgart
3 Krappmann, Lothar: Soziologische Dimensionen der Identität, 1969
4 Quante, Michael: Personale Identität, Stuttgart 1999
5 Northoff, Georg: Personale Identität und operative Eingriffe in das Gehirn. Neurophilosophische, empirische und ethische Untersuchungen, 2001
 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0305a/0305a.htm