Medien der Zukunft: Schöne neue Marketingwelt?
Eine kommunikative Revolution bahnt sich an. Unser Verständnis und Erleben von Kommunikation verändert sich. Das Internet gibt immer stärker den Ton an und eröffnet völlig neue Möglichkeitsräume für Unternehmen. Vor allem das Marketing von morgen muss den Wandel im Kommunikationsverhalten der Kunden verstehen lernen.

        


 
nsere kommunikative Umwelt ändert sich rasant. Das Internet spielt dabei seit längerem eine herausragende Rolle, indem es eine Vielzahl neuer Möglichkeiten schafft und so eine Reihe von Innovationen hervorruft und zu neuen Geschäftsmodellen inspiriert. Aber Weblogs, Podcasting oder Peer-to-Peer-Netzwerke und dergleichen mehr verändern nicht nur die virtuelle Welt, sondern sorgen auch für Umwälzungen in unserem »analogen« Leben. Es vollzieht sich ein grundsätzlicher Wandel, der auch unseren Lebens- und Konsumstil beeinflusst.

Das Internet entwickelt sich mehr und mehr zu einem Leitmedium und sorgt für eine Umverteilung der Medienzeit. Das klassische Fernsehen ist am absteigenden Ast und bekommt Konkurrenz vor allem von Videoportalen wie etwa youtube.com, die dem individualisierten Unterhaltungsbedarf der Rezipienten – und der Hobbyfilmer – entgegenkommen. Das Radio wetteifert mit dem personalisierten Programm der Podcasts um die Gunst der Hörer. Und das Internet wird von immer mehr Nutzern als Nachschlagewerk und Hilfe bei Kaufentscheidungen genutzt.

Generell kann beobachtet werden, dass eine Verschiebung der Mediennutzungsgewohnheit vom lean-back zum lean-forward stattfindet. Das klassische Mediennutzungsverhalten ist durch passive Konsumption gekennzeichnet. Davon unterscheidet sich die Mediennutzung des Internets durch einen tendenziell interaktiven Nutzungsmodus. In Zukunft wird der Mediennutzer in die Lage versetzt, Teil des Mediengeschehens zu werden, indem er die Erstellung von Inhalten steuert oder selbst Inhalte produziert.

Während in der TV-Welt seit jeher eine strikte Trennung zwischen Konsument und Produzent besteht, ist der Unterschied zwischen Konsumieren und Produzieren im Internet von Beginn an weniger scharf. Nicht die Limitierungen des Mediums waren der Grund für den Unterschied zwischen Konsum und Produktion, sondern das Engagement der Nutzer. Der derzeitige Wandel des Internets hin zu mehr Interaktivität ist zum großen Teil auf die gestiegene Bandbreite, gesunkene Kosten, die multimediafähige Ausstattung vieler PCs und die Verfügbarkeit strukturierter Angebote für Inhalte-Produzenten zurückzuführen.

Die veränderten Kommunikationsverhältnisse stellen neue Anforderungen an das Marketing und die Kundenansprache. Nicht nur die Existenz neuer Informations- und Kommunikationstools muss berücksichtigt werden, sondern ebenso die dadurch ausgelösten soziokulturellen Verwerfungen. Aus Anbietersicht ist zu verzeichnen, dass die zeitliche und örtliche Erreichbarkeit der Konsumenten weiter zunimmt. Aus Nutzersicht haben die Veränderungen in der Medienwelt den Effekt, dass Medienkonsumenten immer stärker Möglichkeiten zur Beeinflussung, Kontrolle und Mitwirkung nutzen.

Ein zukünftiger Wettbewerbsfaktor wird daher der Aufbau tiefgehender Kundenkenntnisse sein. Funktionierte die klassische werbliche Kommunikation immer über das Modell der Generalisierung, so werden im Zukunftsmarketing die Kundenkontakte individueller, Werbende treffen vermehrt auf Informierte und Multiplikatoren. So ist das neue Marketing in der neuen Kommunikationswelt nicht länger an einen repräsentativen Ausschnitt von Öffentlichkeit gerichtet, sondern setzt auf Nähe und Vertrautheit, ist zielgenau und sitauationsgerecht.

Das Marketing muss sich also wandeln, um von der neuen Kommunikationswelt zu profitieren. Galt das Internet noch vor nicht allzu langer Zeit als Geldverbrennungsmaschine, ist das Internet-Geschäft mittlerweile nicht mehr wegzudenken und wird die Verkaufs- und Kommunikationspolitik ganz wesentlich beeinflussen. Im Folgenden seien wichtige neue Marketingansätze skizziert, die auf der neuen (online-)Kommunikation aufbauen.

Word-of-Mouth-Marketing: Mundpropaganda
Es ist der Traum eines jeden Marketing-Chefs, dass sich die potentiellen Kunden über Produkte austauschen oder sie gar empfehlen. Die meisten von uns wissen aus eigener Erfahrung, dass es oft Empfehlungen aus dem Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis sind, die uns zum Kauf eines bestimmten Produkts verleiten. Mundpropaganda ist deswegen eine so effiziente Werbemethode, da Empfehlungen von Freunden, Bekannten und Kollegen mehr Vertrauen genießen als jede andere Form der Werbung. In einer Welt, in der das Marketing zunehmend über die Wirkungslosigkeit der eingesetzten Mittel klagt, da die ständigen Steigerungen in den Claims, mit denen sich Unternehmen aus dem Einheitsbrei der Werbung herausheben möchten, bei den Konsumenten zunehmend auf Unglaubwürdigkeit, Desinteresse und Gleichgültigkeit stoßen, treffen persönliche Empfehlungen auf äußerst fruchtbaren Boden.

Durch die Verbreitung des Internets nimmt die Mundpropaganda völlig neue Ausmaße an, da im Nu weltweite Informationsströme entstehen und Empfehlungen mit einem Mausklick weitergereicht werden und sich in rasendem Tempo zu gigantischen Ausmaßen vervielfältigen. Das Weblog mit seinen Zitier- und Verlinkungsmechanismen spielt hier zweifellos eine herausragende Rolle. Die dadurch im Internet entstehenden Gemeinschaften zeichnen sich oftmals durch gemeinsame Interessen und Ansichten ihrer Mitglieder aus. Damit ist eine wichtige Voraussetzung erfüllt, Informationen, die Inhalt der Mundpropaganda werden sollen, erfolgreich zu verteilen: der »Wirt«, der den »Virus« übertragen soll, wird sich in einer derart homogenen Gruppe leichter finden lassen, um andere zu »infizieren«. Ein Hobbygärtner tauscht sich eben lieber mit Gleichgesinnten über sein Lieblingsthema aus als mit nicht an der Materie Interessierten. In einem solchen Pool an Gleichgesinnten wird sich immer schneller jemand finden, der Neuigkeiten weiterleitet als innerhalb einer heterogenen Gruppe.

Search-Marketing: Keyword statt Claims
Mehr und mehr wird die Bannerwerbung vom Suchmaschinen-Marketing verdrängt. Und damit setzen sich Werber direkt in die Pole Position: Es gibt kaum eine Möglichkeit, näher an den Kaufakt heranzukommen. Wer sich einer Suchmaschine bedient, hat sich gewöhnlich schon entschlossen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Nicht erst der Bedarf muss geweckt werden, sondern es geht vielmehr darum, schon den Kaufakt vorzubereiten. Wer also mit dem richtigen Suchwort in der Suchmaschine gefunden wird, der muss nicht länger Geld ausgeben für Streuverluste und unspezifische Kontakte etwa im Fernsehen.

Cyber-Marketing: Virtuelle Produkte und Dienstleistungen
Völlig neue Herausforderungen und Chancen für das Marketing eröffnen die virtuellen Parallelwelten der Anhänger von Video- und Online-Spielen. Da hier eine Unmenge von Benutzern einen Großteil ihrer Freizeit verbringen, ist klar, dass sich hierdurch neue Geschäftsmodelle und ein reger Handel entwickeln werden. Nicht nur, dass virtuelle Charaktere, Waffen oder Grundstücke gegen reales Geld gehandelt werden, auch steht mit In-Game-Advertising ein völlig neues Werbemedium bereit. Da die digitale Welt real aussehen soll, führt kaum ein Weg an Werbung, Product Placement und sonstiger Markenkommunikation vorbei. Wer kann sich schon ein Formel-1-Rennspiel ohne Werbung an der Streckenbegrenzung vorstellen? Besonders ansprechend erscheint diese Werbeform dadurch, dass die Nutzerprofile bekannt sind und somit Inhalte individuell und personalisiert erst bei Übertragung festgelegt werden können. Es ergeben sich geringe Streuverluste, vielfältige Analysemöglichkeiten und eine genaue Abrechnung. Zudem ist mit Zapping nicht zu rechnen.

Ermöglichungs-Marketing: Unternehmen als Vernetzungs-Dienstleister
Dass das Internet immer mehr eine Kultur des Teilens und der Teilhabe verkörpert, demonstriert besonders eindrucksvoll die freie Enzyklopädie Wikipedia, die deutlich macht, dass dezentral von Nutzern generierte Inhalte durchaus eine ernst zu nehmende Konkurrenz für Angebote kommerzieller Medienunternehmen sein können. Die Grenze zwischen Nutzer und Anbieter verwischt, da Wissen von jedermann beigesteuert werden kann. Ebenso wie beim Versteigerungsportal eBay im Nu aus Käufern Verkäufer werden können.

Geschäftsmodelle werden immer weniger die Peer-to-Peer-Vernetzung ignorieren können. Unternehmen agieren verstärkt als Intermediäre, die auf P2P-Marktplätzen Vermittlungskompetenz anbieten. Zunehmende Medienkompetenz der Nutzer sowie eine steigende Internetpenetration bewirken, dass die Nutzer immer weniger vorgefertigte Botschaften »verabreicht« bekommen möchten, sondern als aktive Marktteilnehmer die Potentiale des digitalen Raums ausschöpfen wollen.

Geo-Marketing: Relokalisierung und Erdung
Mit der zunehmenden Virtualisierung von Beziehungen ist gleichzeitig in vielen Fällen eine »Erdung« festzustellen. Plötzlich finden sich in der unbegrenzten Cyberwelt Nachrichten zu Regionen oder gar einzelnen Stadtteilen. Oftmals dienen Empfehlungsplattformen dazu, die online- und die offline-Welt zu überbrücken, wenn etwa Restaurantbesucher die gastronomischen Angebote der Stadt in Blogs bewerten. Es gilt, den Internetsurfer und –shopper zurück in die Fußgängerzone zu lotsen. In digitalen Landkarten lässt sich bequem nach Restaurants, Supermärkten oder Buchläden suchen.

Die Verbindung von Web-Informationen und Geodaten eröffnet völlig neue Spielräume für das E-Marketing. Werden etwa Kundenpotentialdaten oder Umsatzzahlen mit Postleitzahlenbereichen oder Gemeinden verknüpft, ergeben sich neuartige Entscheidungshilfen für das Customer Relationship Marketing.

Weblog-Marketing: Authentisch kommunizieren
Bei kaum einem anderen Marketinginstrument ist die Gratwanderung zwischen Erfolg und Misserfolg größer als bei Weblogs. Einerseits können sie als hervorragendes Kundenbindungsmittel dienen, wenn sie authentischen und direkten Kundennutzen schaffen. Auf der anderen Seite können sich Blogs schnell zur existentiellen Krise auswachsen, wenn gewisse grundsätzliche Regeln nicht eingehalten werden. Eine Vielzahl von Unternehmen haben schon am eigenen Leib die kommunikative Macht von Weblogs erfahren: vom Klingeltonversender Jamba, wo ruchbar wurde, dass Mitarbeiter viel Gutes über ihr eigenes Unternehmen zu berichten wussten, um einem Imageschaden entgegenzuwirken, bis zum Computerhersteller Dell, dem ein in einem Weblog veröffentlichter Beschwerdebrief und eine nachfolgende Lawine an Kommentaren unzufriedener Kunden zu schaffen machten.

Agenturen durchforsten bereits den Bereich konsumentengenerierten Contents, um Rückschlüsse auf das Kundenverhalten ziehen zu können. Meinungen über Marken, Produkte und Dienstleistungen, die sich über digitale Mundpropaganda verbreiten, sollen frühestmöglich erkannt werden.

Marketing mit Hilfe von Weblogs verpflichtet den Werbetreibenden zu Offenheit und Ehrlichkeit, insbesondere da Marketing in Zukunft auf Augenhöhe mit dem mündigen Konsumenten stattfindet: auf jeden Marketing-Blog kann in Sekundenschnelle ein Gegen-Blog der Konsumentenseite folgen und sich wie ein Lauffeuer ausbreiten.

Diese Beispiele machen deutlich, dass die sich momentan vollziehende Zäsur in der Mediennutzung nicht nur kurzfristige Lösungsansätze fordert. Es handelt sich nicht nur um einen isolierten Trend, der sich lediglich innerhalb der Medien bemerkbar macht, sondern auch unsere Konsumlandschaft wird ebenso betroffen sein. Unsere Kommunikationskultur ändert sich radikal und bringt völlig neuartige Phänomene wie den Rollenwechsel (vom Käufer zum Verkäufer, vom Konsumenten zum Produzenten), die Verbreitung verschiedenster Communities, Meinungsverbreitung via Weblogs oder die breite digitale Vernetzung mit sich. All diese neuen Erscheinungen wollen in passende Konzepte für die Kundenkommunikation und den Produktverkauf überführt werden.

Dabei kommt Dialogen zwischen Zielgruppe und Unternehmen eine immer größere Bedeutung zu. Vorgefertigte Verkaufsformeln haben ausgedient, stattdessen bewahrheitet sich der Slogan aus dem Cluetrain-Manifest des Jahres 1999: »Märkte sind Gespräche« heißt es dort.  

:: Dieser Artikel basiert auf der Studie: Haderlein, Andreas: Marketing 2.0. Von der Masse zur Community, 2006 herausgegeben von Zukunftsinstitut GmbH

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0611c/0611c.htm