Innovation heißt immer auch mentale Innovation
Innovation ist die Quelle nachhaltigen profitablen Wachstums. Denn in reifen Märkten werden Basisprodukte und Kostenstrukturen immer vergleichbarer. Wachstum ist daher nur über bewusste Differenzierung oder über intelligente Innovationspolitik möglich. Und das geht nur mit innovationsfähigen Mitarbeitern.

Andreas Lukas

        


 
ie Grundlage einer Innovationsdynamik ist die Innovationsfähigkeit der Organisation, also die Fähigkeit, schlecht befriedigte oder unbefriedigte Bedürfnisse zu erkennen und neue Kombinationsmöglichkeiten von Know-how, Leistungen und Ressourcen zu entwickeln. Das Problem dabei ist, dass es nur wenigen Unternehmen gelingt, solche Fähigkeiten kontinuierlich zu bündeln und auszubauen.

»Die Vernachlässigung von Innovation und Misstrauen gegenüber Neuerungen und Veränderungen«, so Prof. Dr. Horst Wildemann, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der TU München, »haben erheblich zur Schwächung Westeuropas im Wettbewerb beigetragen.« Deshalb zeichne sich das innovative Unternehmen dadurch aus, dass es seine Leistungen, Produkte und internen Prozesse mindestens ebenso schnell weiterentwickelt, wie sich die Markt- und Wettbewerbsanforderungen verändern. »Es läuft diesen Veränderungen nicht notgedrungen hinterher, sondern gehört zu den ersten, die diese unternehmerisch zu ihrem Vorteil nutzen, um erweiterte oder neue profitable Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen.«

Je schwieriger die Zeiten aber sind, desto mehr erliegen viele der Versuchung zu kürzen und sich in einen Kostenwettbewerb zu begeben. Viele der Kostensenkungsprogramme der letzten Jahre erweisen sich denn auch als Herumdoktern an Symptomen, ohne dass dadurch kreatives oder innovatives Potenzial freigesetzt oder Kompetenzen entwickelt werden. Der internationale Wettbewerb findet hingegen nicht nur als Kostenwettbewerb statt, sondern immer spürbarer als Innovationswettbewerb. Vielfach resultieren denn auch Kostenvorsprünge aus Innovationen bei Verfahren und Geschäftsprozessen und nicht aus reinen Kostensenkungen.

Wer sich aber allzu sehr auf Kosten fixiert, der wird feststellen müssen, dass viele seiner Kompetenz- und Hoffnungsträger im Personalabbau, seine Potenziale, seine Erfahrungsvielfalt, seine Kundenbeziehungen und Kundenzufriedenheit in Demotivation oder im Rückzug ins Private verloren gehen. Der einzige wirkliche Weg nach vorne ist daher eine radikale Erneuerung und ein Umbau der Strukturen durch innovative Ansätze. Viele Unternehmen haben dies bereits erfahren und neue Wege eingeschlagen.

Soziales Kapital bilden
Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama geht davon aus, dass in Zukunft für jede Gesellschaft das soziale Kapital immer wichtiger wird. Dabei versteht er unter sozialem Kapital außer Wissen und Können die Fähigkeit zur Kooperation. Diese Fähigkeit ist nicht nur für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von zentraler Bedeutung, sondern auch für jeden Aspekt des sozialen Lebens. Je mehr diese Fähigkeit vorhanden ist, um so eher kann sich eine Gesellschaft weiterentwickeln.

Was für die Gesellschaft gilt, das gilt auch für Unternehmen und Organisationen. Die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Führung und Mitarbeiter, das soziale Kapital jedes Unternehmens, wird in Zukunft viel stärker über den Erfolg entscheiden. Es wird nicht mehr ausreichen, neue Ideen zu haben oder Innovationen im herkömmlichen Sinne zu generieren, diese neuen Ideen müssen durch die Synergien von Führung und Mitarbeiter ergänzt und zum Erfolg geführt werden.

Die meisten Unternehmen aber haben Innovation nicht als immanenten Bestandteil in die Unternehmensziele integriert. Innovation ist immer noch die Domäne weniger und wird nicht als Aufgabe für jeden Mitarbeiter betrachtet. Die meisten Unternehmen haben nicht einmal ausreichende Kenntnisse über den im Unternehmen vorhandenen Ideenreichtum. Um Innovation wirklich zu einem Kompetenzfaktor zu machen, darf es nicht bei ein paar kleinen Anpassungen hier und da bleiben. Die wesentlichsten Prinzipien im Unternehmen müssen völlig neu überdacht werden. Deshalb muss, so der Strategieberater Gary Hamel, Innovation auch in den Mittelpunkt des Unternehmenszwecks rücken.

Innovation wird in Zukunft vor allem auch eine soziale Innovation sein müssen. Wir müssen Mitarbeiter systematisch in neuen Denkweisen schulen. Die meisten angewandten Messsysteme, wie etwa der Wert einer neuen Idee oder Verbesserung, die Änderung von eingefahrenen Strukturen oder ein ökonomischer Mehrwert, verleiten uns meist dazu, einfach nur über stufenweise Schritte und Veränderungen nachzudenken. Viele der gegenwärtigen Reformansätze in Politik und Gesellschaft sind ein gutes Beispiel dafür.

Die Fragen, die sich der Führung stellen, lauten: Beherrschen wir das Management der soft facts? Wie gehen wir mit Ideen um? Wie gehen wir mit Mitarbeitern, deren Kompetenz und Know how um? Wie können wir die meistens vernachlässigte Organisationsproduktivität erhöhen?

Was unternehmerisches Handeln wirklich bedeutet
Was hat also die jüngste Vergangenheit an Erkenntnissen für das Management unserer Unternehmen gebracht?

Eine alte Tatsache rückt in diesem Zusammenhang wieder stärker ins Bewusstsein: Unternehmerisches Handeln bedeutet in erster Linie Aufbau und nicht Abbau, das heißt Aufbau und Pflege von Kreativitäts-, Innovations-, Kompetenz- und Wissenspotenzialen. Und diese sind nur mit Menschen, mit Mitarbeitern zu realisieren.

Eine zweite Erkenntnis betrifft die Neuorientierung und Veränderung selbst. Bisher haben wir Produktivität fast immer nur in der Produktion und Kostenstruktur verbessert. Und dort haben wir viele gewaltige Fortschritte erzielt. Kaum jemand richtet seine Aufmerksamkeit aber auf die Produktivität von Organisation und Organisationsstrukturen – für viele gleicht diese Produktivität noch einer weißen Landkarte. Doch zeigt die Organisationsproduktivität in eine neue zukunftsorientierte Richtung, denn sie hat mit Zusammenarbeit und Zusammenwirken zu tun. Es wird deshalb auch sehr schnell deutlich, warum die Organisationsproduktivität von festgefahrenen, verkrusteten Strukturen gering ist.

Die Organisationsproduktivität verbessern bedeutet also eine Innovation, deren Aufmerksamkeit sich auf die Mitarbeiter, auf die Mitwirkenden und deren Können richtet, deren Zusammenarbeit verbessert und produktiver gestaltet. Dazu taugen aber die traditionellen Managementmethoden meistens nicht. Denn Zusammenwirken produktiver zu gestalten bedeutet, soft facts zu optimieren, auf Menschen einzugehen und sie zusammenzubringen.

Der Vorstand eines Unternehmens aus dem Maschinenbau sagte mir einmal zum Thema leistungsstarke Einheiten: »Wenn ich ein ungelöstes Problem habe, bringe ich Mitarbeiter zusammen und schildere ihnen die Situation. Es ist dann immer wieder faszinierend, wie schnell und effizient sich diese an eine Lösung heranmachen, ohne dass man ihnen dies als Ziel vorgibt.« Dieses Beispiel zeigt, welches Potenzial und welche Kreativität Mitarbeiter entfalten können, wenn man sie lässt. Die Leute, die jeden Tag etwas tun, wissen am besten, was sie verbessern könnten und was warum schief läuft. Die Führung ist dafür verantwortlich, dazu die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen.

Das einzige Mittel, über das wir wirklich verfügen, ist Kreativität: Menschen, die selbstständig denken, Ideen entwickeln und kreativ in Produkte umsetzen. Dies ist die Basis für jede Innovation.

Fast alle neueren Managementansätze haben aber stillschweigend vorausgesetzt, dass Mitarbeiter (Menschen) ihr Verhalten quasi automatisch verändern. Sie haben den Veränderungsprozess in seiner Problematik und Komplexität unterschätzt. Denn die meisten von uns klammern sich an das Gewohnte und setzen auf bewährte Rezepte. Wandel beunruhigt und verunsichert zunächst.

Wer will Veränderungen wirklich? Die aktuellen Diskussionen um die Reformansätze – mehr als Ansätze sind bei genauerem Hinsehen oft nicht zu erkennen – zeigen drastisch, wie wenig veränderungsbereit wir in der Wirtschaft und vor allem in der Gesellschaft sind. Mittlerweile können wir uns aber dem Zwang zum Umdenken, dem Zwang zu Veränderung und Wandel nicht mehr entziehen. Denn die Entwicklungen zeigen uns deutlich, dass wir nicht mehr wie bisher weiterwirtschaften können, vor allem im gesellschaftlichen Bereich. Die weltweite Entwicklung wird diesen Prozess noch beschleunigen, weil der Globalisierungswettbewerb für uns alle direkt vor der eigenen Haustür stattfindet.

Mentale Barrieren überwinden
Die meisten aber sind für Veränderungen schlecht vorbereitet, ja weigern sich, diese Erkenntnisse ernst zu nehmen oder für sich selbst zu thematisieren. Vor allem mentale Barrieren sind verantwortlich für viele der gegenwärtigen Problemlagen.

Eine solche mentale Barriere resultiert aus dem immer noch unbeirrten Glauben an die Machbarkeit. Heute gilt aber, dass Organisationen, Unternehmen, Mitarbeiter, Partner und Märkte verstanden werden müssen. Sie sind nicht im Sinne der Machbarkeit beherrschbar. Ein Sich-Zurücknehmen als Beobachter, Impulsgeber, Dirigent und Initiator – gerade im Management – ließe viele Probleme erst gar nicht entstehen.

Der in Deutschland geborene amerikanische Soziologe Amitai Etzioni hat dies auf den Punkt gebracht: »Erkennt man einmal die beschränkten Fähigkeiten des Menschen zu wissen und die Schlüsselrolle des Affekts und der Werte an und akzeptiert sie in letzter Konsequenz, verändert sich die Sichtweise der Welt entscheidend, besonders die des Entscheidungsprozesses. Statt sich hyperaktiv darauf zu konzentrieren, Ziele zu definieren, die ›effizientesten Mittel‹ einzusetzen und zu implementieren – was voraussetzen würde, dass wir gottähnliche Kreaturen sind und die Welt (inklusive) unserer Mitmenschen formbar ist – wird man bescheiden. Meistens fehlt uns das Wissen, um gute Entscheidungen treffen zu können. Daher müssen wir vorsichtig vorgehen, jederzeit bereit, den Kurs zu ändern, jederzeit gewillt zu experimentieren; kurz, in Bescheidenheit.«

Deshalb schwächen hastige und pauschale Kostensenkungsmaßnahmen nicht selten die Leistungsfähigkeit einer Organisation, da mit den Mitarbeitern auch ein enormes Know-how das Unternehmen verlässt. Sie schaden auf mittlere Sicht oft mehr als sie nützen. Denn in vielen Unternehmen führten diese Maßnahmen zu einem »Aderlass« an Kompetenz- und Know-how-Trägern. Wachstum als Innovation aber speist sich gerade aus dem Ideenpool kompetenter und leistungsstarker Mitarbeiter.

Nur wenn diese nicht mehr ausreichend in einem Unternehmen vorhanden sind, entsteht plötzlich ein echtes Innovationsproblem. Welches Evangelium wird denn wohl gelten, wenn alles »lean« gemacht wurde – neben Produktion, Personal, Organisation und Kosten auch lean profits, lean innovation, lean competence, lean creativity, lean brain, lean performance, lean wealth und lean capacity? Welche Heilslehre wird gelten, wenn immer noch nach economies of scale gesucht wird, obwohl die meist nicht wahrgenommenen diseconomies of scale die ersteren längst in den Schatten gestellt haben?

Hier könnte die Geschichte von den zehn kleinen Negerlein erzählt werden, und beim Gang durch die »leanen« (leeren) Unternehmen kommt die Frage hoch: Was kommt eigentlich nach »lean«? Was kommt nach einem unreflektiert übernommenen und einseitig propagierten »lean«? Dass wir die Bewegungen des Pendels der Veränderung nicht aufhalten können, liegt in der Natur der Sache. Dies würde Stillstand bedeuten. Dass wir aber die Richtung der Veränderung beeinflussen können, liegt in unserer Hand. Wir müssen es nur wollen und tun.  

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0702a/0702a.htm