Unternehmen von morgen: Nach dem Netzwerk kommt der Schwarm
Gehört das Unternehmen, wie wir es kennen, der Vergangenheit an? Immer stärker bestimmt die »Unternehmung« und nicht mehr das Unternehmen die Leistungserstellung und bringt Menschen zur Arbeit zusammen. Das gemeinsame Vorhaben drängt die Organisation in den Hintergrund. Sollte dieser Trend andauern und sich durchsetzen, wird dies vieles über den Haufen werfen, was das Verständnis von Unternehmen heute ausmacht: von der Mitarbeiterführung bis zur Produktinnovation muss alles auf den Prüfstand.

        


 
olange es die Betriebswirtschaft als Disziplin gibt, haben Unternehmen eine Palette unterschiedlicher Organisationsmodelle implementiert, um ein Maximum an Effizienz und Wachstum zu erreichen: Zentralisierung, Dezentralisierung, Matrix- oder Netzwerkorganisation – die Modeströmungen kamen und gingen. Während auch in naher Zukunft keines dieser Modelle völlig verschwinden wird, scheint es aber doch nicht mehr zielführend zu sein, laufend Änderungen an einer im Grunde doch unveränderten Organisation durchzuführen. Die veränderte Wettbewerbsumgebung ruft nach drastischeren Maßnahmen.

Die Herausforderung der Zukunft wird vielmehr darin bestehen, Managementmodelle zu finden, die ein komplexes Netzwerk orchestrieren können, das aus laufend wechselnden Mitgliedern innerhalb und außerhalb der Grenzen, die herkömmlich das »Unternehmen« bildeten, bestehen. Die Unternehmung tritt in den Vordergrund und verdrängt das Unternehmen. Dies erfordert mehr als die »Geschäftsprozessoptimierung«, wie wir sie kennen: der Stoff, aus dem die Unternehmenswelt gemacht ist, muss völlig neu gedacht werden. Was Unternehmen sind, wie sie aufgebaut sind, wie sie geführt werden, wie sie wachsen – all dies muss gründlich hinterfragt werden.

Neudefinition des »Unternehmens«
Eine neue Generation von Arbeitenden treibt die Aufweichung fester Strukturen wesentlich voran: die Idee, lebenslang für den gleichen Arbeitgeber zu arbeiten, ist längst tot. An den Gedanken, immer wieder den Job zu wechseln, haben sich die modernen Arbeitsnomaden längst gewöhnt. Nicht mehr identifiziert man sich primär mit der Firma, für die man arbeitet, sondern die Rolle, die man einnimmt, ist identitätsstiftendes Merkmal. Somit wird der weite Kreis der Kollegen, die man im Laufe seiner Tätigkeiten trifft, das Netzwerk von Gleichgesinnten, die Fachwissen, Einstellungen und Erfahrungen teilen, wichtiger als das organisatorische Gebilde, in dessen Rahmen all dies stattfindet. Man ist eben heute nicht mehr Angestellter der Firma XYZ, sondern versteht sich als Designer, Programmierer oder Biologe.

Eine flexible und mobile Mitarbeiterschaft ist jedoch nur ein Grund für die Umwälzungen. Dass das »Unternehmen« neu definiert wird, hängt auch mit der Verbreitung von Netzwerktechnologien, einer neuen – kollaborativen – Herangehensweise an Innovation sowie neuen Geschäftsmodellen, wie etwa Outsourcing von Geschäftsprozessen oder Peer-to-Peer-Konzepte, zusammen.

In den neunziger Jahren ging man diese neuen Herausforderungen an, indem zwischen Kernaufgaben sowie solchen, die nicht das innerste Wesen des Unternehmens betrafen, unterschieden wurde. Das Ziel bestand darin, im Unternehmen zu behalten, was zu den Kernaufgaben gehörte und alle anderen Tätigkeiten von kostengünstigeren Anbietern erledigen zu lassen. Ein zunehmend intensiver, globaler und unvorhersehbarer Wettbewerb verlangt nach Schlagkraft auf der ganzen Linie. Es war nie wichtiger als heute, dass Unternehmen ein Verständnis davon haben, wo ihre wahren Differenzierungsmerkmale liegen, was die Stärken und was die Schwächen sind. Die ganze Energie muss auf die Quellen wahrer Differenzierung gerichtet werden. Wer versucht, viele verschiedene Bereiche zu beherrschen, wird letztendlich Wettbewerbsvorteile verschenken, indem Fokus und Investitionen wahllos verstreut werden.

Diese Sichtweise wird jedoch den heute herrschenden Wettbewerbsbedingungen nicht mehr gerecht. Bei diesem Ansatz beginnen die Schwierigkeiten schon dort, wo es um die Entscheidung geht, welche Aufgaben und Funktionen intern zu vollziehen sind und was ausgelagert oder komplett abgestoßen werden soll. Um nicht der Gefahr zu erliegen, zu viele Ressourcen in Funktionen zu investieren, die keinen echten Wert mehr und keine Differenzierung vom Wettbewerb liefern, ist diese Entscheidung ganz wesentlich. Sie ist aber umso schwieriger, als sich über die Zeit hinweg auch ändern kann, was als wertvoll in Bezug auf den Wettbewerb einzustufen ist.

Daher wird es heute nicht mehr ausreichen, eine Entscheidung zu treffen zwischen Kernaufgaben und auszulagernden Nicht-Kernaufgaben, denn im Endeffekt resultiert wieder eine starre Unternehmensform. Die innovativsten Firmen werden heute jene sein, die ihre Partnerschaften ständig an die Erfordernisse des Marktes anpassen. Was konstant bleibt im Leben dieser Unternehmen sind also weniger bestimmte Aktivitäten, als vielmehr Zweck und Vision, welche auch maßgeblich für die Ausrichtung dieser ständigen Anpassungsaktivitäten sind. Wer weiß, warum er tut, was er tut, wird flexibler in der Anpassung des »wer«, »wo«, »wie« und sogar des »was« sein.

Schwarmprinzip
Statische und fest gefügte Unternehmen gehören der Vergangenheit an, vielmehr werden »Unternehmungen« als Ansammlung hoch spezialisierter Einheiten entstehen, die sich in ihren Interessen gegenseitig ergänzen und sich jeweils ausweiten, zusammenarbeiten und verändern, um sich der Marktdynamik bestmöglich anzupassen – oder diese gar antizipieren.

Es scheint paradox, jedoch werden sich diese überaus flexiblen Gebilde im Zeitverlauf als stabiler herausstellen als herkömmliche Organisationsformen. In unserer Zeit ständigen und schnellen Wandels, in der sich zunehmend plötzliche Störungen mehren, die alles Bewährte über den Haufen werfen, sind solch selbstorganisierende Einheiten um vieles anpassungsfähiger. Die Natur kann hier als Vorbild fungieren: Der Prozess der Trennung, der gemeinsamen Ausrichtung und des nachfolgenden Zusammenschlusses, wie er bei Vogel-, Insekten- oder Fischschwärmen zu beobachten ist, beruht auf dem Prinzip der Selbstorganisation, um schnell auf Bedrohungen reagieren oder komplexe Optimierungsprobleme, wie etwa das Auffinden des kürzesten Weges zur Futterquelle, lösen zu können. Dabei agiert die Gruppe ohne zentrales Kommando, ohne zentrale Intelligenz, die einzelnen Mitglieder benötigen wenig Aufsicht und Kontrolle. Dennoch sind diese Kollektive hoch organisiert. Die Koordination der Aktivitäten basiert auf ständiger Interaktion zwischen den Individuen. Durch kollektive Intelligenz bildet sich ein Ganzes, das sich gut an die unterschiedlichsten Bedingungen anpassen kann und sehr robust gegenüber dem Ausfall einzelner Individuen ist. Die Besonderheit des Schwarms ist die Fähigkeit, sich sehr schnell zu formieren und ohne vorherige Planung flexibel und koordiniert zu handeln.

Für das Unternehmen der Zukunft kann diese Idee entsprechend adaptiert werden, um flexibler und dynamischer auf die sich schnell verändernde Umwelt zu reagieren. Das Ziel ist die Schaffung einer Infrastruktur zur Unterstützung von selbstorganisierten und schnellen Bildung entscheidungs- und handlungsfähiger Teams. Diese finden sich zur Erfüllung einer Aufgabe zusammen und lösen sich danach wieder auf. Ebenso eigenverantwortlich wie die Bildung und Auflösung der Teams erfolgt auch die Auswahl der Hilfsmittel, die sie je nach der konkreten Situation zur Erfüllung ihrer Ziele brauchen. Wesentliches Kennzeichen einer derart gebildeten »Schwärmenden Organisation« ist der Wegfall der zentralen Lenkung. Gestärkt hingegen wird die direkte Kommunikation zwischen den Individuen. Die einzelnen Akteure erhalten mehr Freiheit, statt an exakten Anweisungen richten sie ihr Tun an Aufgaben aus.

Diese neue Form der »Unternehmung« bringt neue Herausforderungen für die diversen Unternehmensfunktionen mit sich. Durch die vielfältigen Auslagerungen und Partnerschaften im Zuge der »Teambildungen« können immer weiniger Aspekte der Leistungserbringung direkt kontrolliert werden. Dadurch wird es immer schwieriger werden, die den Kunden gegebenen Markenversprechen auch tatsächlich einzulösen. Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass alle Geschäftspartner, die ihren Teil zur Produktion beisteuern, die Marke verstehen – und auch willens sind, sie hochzuhalten und zu schützen? Neue Verfahren werden nötig sein, um die Integrität und Kompetenz der zukünftigen Partner zuverlässig und schnell zu beurteilen.

Auch eine neue Herangehensweise an Innovation wird notwendig sein. Die Veränderungen in der Unternehmensumwelt legen nahe, Innovation nicht länger als alleinige Aufgabe einer einzigen Abteilung zu betrachten. Vielmehr muss Innovation bei jedem Schritt der Leistungserstellung mitgedacht werden. Forschung und Entwicklung darf nicht länger als Abteilung, sondern muss als Kultur verstanden werden. In der flexiblen Organisation geht es immer um den Abbau von fest gefügten Strukturen und Prozessen und die Förderung von unabhängigem Denken und Kreativität.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0704a/0704a.htm