Schneller als der Kunde
Die Innovationskraft eines Unternehmens wird immer mehr zum entscheidenden Element im Wettbewerb. Me-too-Strategien haben ausgedient. Unternehmen müssen mit radikalen Neuheiten auf den Markt, da der Kunde von heute nicht bloß zufrieden gestellt, sondern verblüfft werden will. Wie das gelingt? Indem man seinen Kunden immer einen Schritt voraus ist.

Edgar K. Geffroy

        


 
eutschland als Exportweltmeister wird in Kürze durch China als Exportweltmeister abgelöst. Eine neue Ära des globalen Wettbewerbs beginnt. Unternehmen jeder Größenordnung – und damit meine ich ausdrücklich auch die kleineren und mittleren Unternehmen – brauchen neue kreative Ideen und Geschäftsmodelle, die erst die Branchenregeln brechen und dann neue Standards setzen. Nach den Effizienzsteigerungsmaßnahmen und der Kundenfokussierung stehen Unternehmen nun vor einem Prozess, der oft einer Neugründung näherkommt als einem Finetuning. Sie müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine Innovationsstrategie stärken, bei der oft kein Stein auf dem anderen bleibt. Nur wie?

Wenn Innovation ein zentraler Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit ist, was machen die erfolgreichen Innovatoren anders? Exnovation statt Innovation. Die wichtigsten Impulsgeber für die Wirtschaft, die Produkte und die Dienstleistungen unserer Zukunft sind nicht die eigene Marktforschung und das Benchmarking, sondern kommen daher, näher an Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner heranzurücken. Marktforschungsanalysen bewegen sich stets auf dem Boden von bereits Bekanntem, sie stellen dem Kunden Fragen, die er aus seiner Vergangenheit oder Gegenwart heraus beantworten muss. Auch Zukunftsfragen sind oft falsch formuliert oder führen zu falschen Interpretationen, weil von altbewährten Denkschemata ausgegangen wird. So lehnte beispielsweise IBM die Weiterentwicklung von Trockenkopierverfahren ab, weil die Marktforschung davon abgeraten hatte. Xerox verdiente damit Millionen.

Wann macht Marktforschung Sinn?
Nehmen wir das Beispiel BMW: Das Münchner Unternehmen ermittelt mit modernsten Methoden, wie zufrieden seine Kunden sind: Regelmäßig erstellt BMW einen Kundenzufriedenheitsindex.
In diesem Fall ist der Einsatz der Marktforschung sogar sehr gut – denn ihre Ergebnisse werden ja nicht verwechselt mit der Erforschung von Kundenwünschen. Sondern sie dienen einzig und allein der Bestandsaufnahme, der Ermittlung des Status Quo. In einem solchen Fall – und nur in einem solchen – reicht die Rückwärtsperspektive aus.

Wann macht Marktforschung wenig Sinn?
Was macht Marktforschung in der Regel? Sie geht auf die Leute zu und konfrontiert sie mit vorgegebenen Dingen. Genau das ist das Problem: Die Fragen, die Ideen sind schon vorgegeben. Hotelgäste zum Beispiel erhalten immer wieder Fragebögen, auf denen sie alles Mögliche ankreuzen sollen: Ob ihnen das Essen geschmeckt hat, wie sie den Service fanden, ob das Bad in Ordnung war und ob die Klimaanlage angenehm eingestellt war. Drei Seiten lang sollen sie derlei ankreuzen.

Glaubt einer wirklich, dass die Zufriedenheit mit der Klimaanlage darüber entscheidet, ob der Gast wiederkommt? Das sagt Ihnen der Fragebogen der Marktforschung also nicht. Ebenso wenig erfahren Sie über die wirklichen Bedürfnisse Ihrer Gäste. Aber um genau diese Bedürfnisse geht es, wenn ein Angebot erfolgreich sein soll. Und nicht um Meinungen!

Immer rührt die Marktforschung im Trial-and-Error-Verfahren mit allen möglichen und unmöglichen Fragen in einem großen Brei herum, und Sie können nur hoffen, dass vielleicht irgendeine dieser Fragen den Kern der Kundenbedürfnisse berührt. Die meisten tun es nicht.

Mal ehrlich. Warum floppen denn so viele Produkte? Weil die Marktforscher die Menschen nach einem Raster befragt haben, das sich Manager ausgedacht haben, statt ihnen einfach einmal zuzuhören. Ein starres System, das einfach nicht von den Kunden ausgeht, sondern von den Vorstellungen der Manager und Marktforscher. Folge: Die Menschen reagieren bloß. So, wie sie es kennen. Wie der Pawlowsche Hund. Dann wird das Produkt auf den Markt gebracht, und dieselben Personen sagen: »Ja, ganz nett. Aber unser Sohn hat da jetzt aus den USA was mitgebracht – das ist mal wirklich was Neues.«

Besser wäre also: Setzen Sie einfach auf eigene Beobachtung. Ja, sehen Sie genau hin, was die Menschen machen. Der Automobilkonzern Volkswagen hat es vorgemacht. Er hat Familien beobachtet. Genau: beobachtet. Nicht befragt. Die Kundenforscher von VW sind in die Familien reingegangen und haben beobachtet, was die Menschen den ganzen Tag machen. Unter anderem haben sie festgestellt, dass das Frühstück nicht immer zu Hause am Familientisch beendet wird, sondern sich im Auto fortsetzt. Und deshalb hat VW nach dieser Beobachtung Cupholder in seine Fahrzeuge eingebaut, die ein gemütliches Frühstücksende auf der Fahrt möglich machen. Andere Automobilhersteller übrigens auch.
Kommt man auf so etwas durch Marktforschung? Nur die Nähe zum Kunden und zu seinem Leben bringt hervor, was der Kunde wirklich in seinem Alltag braucht. Und auch was nicht. Das Zauberwort heißt Exnovation.

Exnovation: Der konsequente Blick nach außen
Wenn bislang von Innovation die Rede ist, dann ist gemeint, dass die Neuerung, die Entwicklung von innen heraus kommt. Da sehen wir dann meistens einen Tüftler, ein Team von Entwicklern, oder irgendeinen genialen Erfinder, die möglicherweise jahrzehntelang über ihren Ideen brüten. Oft kommen dabei neue Techniken heraus, manchmal sind sie brauchbar, nicht selten aber gehen sie völlig an den Bedürfnissen des Marktes vorbei. Wir kommen mit dieser Art der Produktentwicklung heutzutage keinen Schritt mehr weiter.

Wenn Sie Ihre Kunden begeistern wollen, dann verlassen Sie den Gedanken der Innovation und wenden Sie Ihren Blick nach außen: Betreiben Sie Exnovation!

Lösen Sie sich also vom Status Quo, heften Sie Ihren Blick nicht länger an die Schuhsohlen der Konkurrenz, sondern schauen Sie aus dem Fenster. Gehen Sie hinaus und beobachten Sie, was da draußen vor sich geht. Suchen Sie nach Ihrer Einzigartigkeit; entwickeln Sie Ihre besondere Fähigkeit, Ihre Kunden nicht nur zufriedenzustellen, sondern sogar zu verblüffen.

Intelligentes Monitoring: Wo und wer sind denn meine Kunden?
Erfolgreiche Unternehmen verstehen es, ihre Kunden dort aufzusuchen und zu beobachten, wo sie leben. Sie kennen bestimmt das Stichwort Monitoring. Bloß dürfen Sie jetzt nicht den Fehler machen, und wieder irgendwelche standardisierten Ankreuz-Bögen an Ihre Kunden verteilen. Was Sie brauchen, ist intelligentes Monitoring.

Dieter Brandes, der ehemalige Geschäftsführer von Aldi-Nord, hat es vorgemacht. Als Aldi seine Filialen in der Türkei plante, hat er nicht den gleichen Fehler gemacht wie andere Unternehmen und im Trial-and-Error-Verfahren Produkte angeboten und gewartet, ob sie gekauft werden. Aldi hat es anders gemacht: Sie haben sich vor Ort in der Türkei die Einkaufszettel und die Inhalte der prall gefüllten Einkauftaschen der Ehefrauen der zukünftigen Angestellten in den Filialen angeschaut, um herauszufinden, was die Leute tatsächlich kaufen. Anschließend hat Aldi die Waren in den Filialen zusammen mit diesen Kunden aufgebaut, um die Sachen so zu präsentieren, wie die Kunden sie haben wollten und nicht, wie irgendeine Marktforschung es sich millionenschwer zusammenanalysiert hätte. Und deshalb konnte Aldi, als es in der Türkei seine Filialen eröffnet hat, ein Sortiment präsentieren, das die Kunden begeisterte. Sie fanden genau das, was sie sich wünschten zu einem »verblüffend« niedrigen Preis.

Damit hat Dieter Brandes etwas sehr wichtiges getan: Er hat sich mit genau den Leuten beschäftigt, die seine Ware brauchen können und kaufen wollen. Diese Kunden müssen Sie eben finden. Und manchmal haben Sie ganz andere Kunden, als sie denken! Oder Sie könnten noch ganz andere Zielgruppen erschließen, als die, die Sie bisher im Blick hatten. Analysieren Sie also genau. Fragen Sie sich: Welche Kunden habe ich schon? Und fragen Sie sich unbedingt auch: Welche Kunden hätte ich gerne außerdem?

Ich sehe es radikal. Wir müssen unseren Blick konsequent nach außen richten, wenn wir zur Spitze gehören wollen. Eben Exnovation statt Innovation betreiben. Es gibt Chancen für alle, die neue Wege gehen und kreative Strategien entwickeln, mit dem Ziel den Kunden zu verblüffen. Denn am meisten Geld können Sie mit Produkten und Dienstleistungen verdienen, die der Kunde braucht, aber von denen er noch nicht weiß, dass es sie gibt. Oder hätten Sie dem iPod von Apple anfangs diesen gigantischen Erfolg zugetraut?
Ihr Edgar K. Geffroy  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0711c/0711c.htm