Der Irrtum von der Hochlohntheorie:
Das Richtige tun – Produktivität statt Stellenabbau steigern
Von Stellenabbau wird oft in einer Weise gesprochen, die den Verdacht nahelegt, es geht um den Kampf zwischen Shareholdern und Mitarbeitern. Tatsächlich geht es um ein Missverhältnis zwischen der Höhe des Lohns und den erzielbaren finanziellen Werten, die durch jene erzeugt werden, welche den Lohn erhalten. Unter dem Stichwort Produktivität kann man diesen Zusammenhang näher untersuchen. Stellenabbau ist eine notwendige Korrektur, wenn Produktivität verlorengegangen ist.

Gerhard Zapke-Schauer

        


 
uszug aus der Finanzpresse im Juni 2006:

Automobilindustrie
12. Juni 2006
Am Hauptsitz des Cabriolet-Herstellers Karmann in Osnabrück muss noch in diesem Jahr jeder fünfte Mitarbeiter gehen.

17. Juni 2006
Spekulationen um größeren Stellenabbau bei VW. Die Rede ist von insgesamt 30.000 Arbeitsplätzen.

21. Juni 2006
Karmann verlagert die Produktion nach Polen. Nun werde, so die Berichterstattung, der Betriebsrat einem Sozialplan für 1.250 von der Entlassung bedrohte Mitarbeiter zustimmen, wenn das Unternehmen eine Garantie für den Verdeckbaustandort Osnabrück gebe.

Pharmaindustrie
12. Juni 2006
Schering fürchtet radikalen Arbeitsplatzabbau. Bei den Beschäftigten wächst angesichts des wieder aufgeflammten Bieterwettkampfes die Angst vor noch stärkerem Stellenabbau oder gar einer Zerschlagung des Traditionsunternehmens.

14. Juni 2006
Bayer gewinnt den Kampf um Schering. Bayer-Chef Werner Wenning beziffert die Synergien mit 700 Millionen Euro.

Banken und Versicherungen
13. Juni 2006
Der Commerzbank droht Rechtsstreit mit der Belegschaft. Trotz klarer Ergebnisverbesserungen im vergangenen Jahr hatte das Frankfurter Kreditinstitut zuletzt angekündigt, die Kosten senken zu wollen und deshalb rund 900 Stellen in der Verwaltung zu streichen.

22. Juni 2006
Verdi plant Warnstreiks bei Allianz. Angesichts eines Rekordgewinns des Konzerns von 4,5 Milliarden Euro hätten die Beschäftigten kein Verständnis dafür, dass 7.500 Mitarbeiter entlassen und ein Dutzend Standorte geschlossen werden sollen. Wüstenrot will jede vierte Stelle streichen. Deutschlands drittgrößte Bausparkasse Wüstenrot will in den kommenden zweieinhalb Jahren bis zu 1.000 Arbeitsplätze streichen. Dabei schließt das Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr aus.

Baugewerbe
13. Juni 2006
Pfleiderer liebäugelt mit Stellenabbau. Der Holzverarbeiter Pfleiderer will zur Steigerung seiner Ertragskraft gegebenenfalls die Produktion kürzen, auch der Abbau von Arbeitsplätzen ist kein Tabu mehr.

Telekommunikation
24. Juni 2006
Siemens-Chef schließt weiteren Stellenabbau nicht aus. Für Klaus Kleinfeld ist auch nach der Auflösung der Telekommunikationssparte ein weiterer Stellenabbau im Konzern denkbar. »Das ist in einem Unternehmen, das so vielschichtig aufgestellt ist wie Siemens, nicht möglich«, sagte Kleinfeld der Welt am Sonntag.

Die vielen mittelständischen Unternehmen, die nicht im Fokus der Wirtschaftspresse stehen und die als Zulieferer der großen Unternehmen oder aus anderen Gründen ebenfalls Arbeitsplätze abbauen oder gar Betriebsschließungen hinnehmen müssen, seien hier nachdrücklich in Erinnerung gerufen.

Hohe Löhne vernichten Arbeitsplätze
Walter Block, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Loyola Universität in New Orleans und am Ludwig von Mises Institut für österreichische Nationalökonomie, sagt: »Schließlich wird Spekulanten vorgeworfen, dass sie Arbeitsplätze vernichteten und Firmenvermögen ausplünderten. Sie würden sich auf angeschlagene Unternehmen stürzen, feindliche Übernahmen planen, Unternehmensteile abstoßen und Mitarbeiter entlassen.
Auch hier liegen die Kritiker falsch. Arbeitslosigkeit entsteht nämlich dadurch, dass Löhne künstlich aufgeblasen werden und folglich nicht mehr der eigentlichen Produktivität entsprechen. Wenn ein Mindestlohngesetz oder eine Gewerkschaft darauf besteht, dass ein Mitarbeiter einen Stundenlohn von zehn Dollar erhält, seine Produktivität aber nur sieben Dollar beträgt, dann wird er seinen Arbeitsplatz über kurz oder lang verlieren. Das hat nicht das Geringste mit Spekulation zu tun. Natürlich zerlegen solche ›Firmenplünderer‹ Unternehmen in ihre Einzelbestandteile. Einen Gewinn erzielen sie aber nur dann, wenn diese Ressourcen andernorts mehr wert sind.
Wenn also Arbeitsplätze in einer Firma verloren gehen, entstehen in einer anderen neue. Dort werden die Ressourcen produktiver eingesetzt, was wiederum zu höheren Löhnen führt. Ein schlechter Ruf wird den Spekulanten dennoch anhaften bleiben. Wenn es aber darum geht, Marktineffizienzen zu bereinigen, sind sie stets zur Stelle. Und sollen sich Wirtschaft und Gesellschaft weiterentwickeln, geht dies nicht ohne sie.«

Es geht um Produktivität
Der wirtschaftende Mensch ist gut beraten, sich ähnlich biologischer Systeme zu verhalten. Dort gilt der Grundsatz, die zu erreichenden Ergebnisse mit möglichst geringem Ressourceneinsatz zu erreichen.

Kann zum Beispiel die Brutpflege nicht ausreichend intelligent sichergestellt werden, werden Millionen Eier den laichenden Fischen angeboten. Kann der einzelne Vogel jedoch seine Nachkommen bestens versorgen, finden sich im Nest nur wenige Eier. Die Aufnahme von Nährstoffen in der Pflanze wird durch das physikalische Prinzip der Kapillarwirkung dünner Transportgefäße statt mit einer aufwendigen Pumpe im Wurzelbereich ermöglicht. Die Energieeinsparung ist wohl jedem einleuchtend.

Mitarbeiter stellen im Unternehmen einerseits den intelligenten Pool der Unternehmensleistung dar und sind zugleich andererseits ein erheblicher Kostenfaktor. Es gilt, die geeignete Balance zwischen dem Einbringen dieser Intelligenz und der Bezahlung dieser Intelligenz im gesamten Unternehmen herzustellen. Aufwendungen dürfen niemals höher sein, als es das zu erzielende Ergebnis rechtfertigt, sonst stirbt das System. Dies ist in der Biologie nicht anders als in betriebs- und volkswirtschaftlichen Systemen.

Bei der Jahrestagung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) am 23. Juni 2006 in Berlin nannte Angela Merkel die Bundesrepublik Deutschland einen Sanierungsfall. Deutschland verstößt zum fünften Mal hintereinander gegen den europäischen Stabilitätspakt. Vielleicht ist Deutschland ein Sanierungsfall, die 30 im DAX vertretenen Unternehmen sind es nicht. Sie konnten ihre Gewinne in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppeln.

Weshalb? Weil sie zunehmend auf Produktivität achten, also auf das Verhältnis zwischen »Wie viel bezahle ich für Arbeit?« und »Was erhalte ich durch Arbeit?«. Stellen wir uns die Frage, ob all diese Maßnahmen bereits ausreichen.

Schlechtes operatives Management verdirbt Produktivität
Wer sich mit dem Begriff »Leadership« auseinandersetzt, der wird sehr schnell mit Begriffen wie Strategie, Vision und Mitarbeitermotivation konfrontiert. Manche vermuten sogar, die Visionäre seien Ursache für großartige Unternehmensergebnisse und damit auch beste Marktkapitalisierungen. Aber Visionäre bleiben auf dem Weg zu ihren Visionen sehr schnell stecken, wenn sie nicht die großartigen Umsetzer an ihrer Seite hätten. Manchmal trifft man beides in Personalunion an, den Visionär und den operativen Umsetzer. Meist sind diese Eigenschaften unterschiedlich stark auf verschiedene Personen verteilt und es gilt in der Besetzung von Führungsetagen auf einen geeigneten Mix und auf beste Interaktion zwischen diesen Personen zu achten. Wo in Ihrem Unternehmen die Fehler in diesem Punkt liegen, können Sie selbst sicherlich ganz gut beurteilen.

Umsetzung zeigt sich in der Fähigkeit, die Abläufe an der Basis zu konzipieren und zu ermöglichen. Dazu ist harte Arbeit und eine sehr große Menge an Zeitinvestition in Kommunikation über die einzelnen Managementlevel notwendig. Schlechte Umsetzer haben wenig Zeit für ihre Mitarbeiter. Da hilft es nichts, wenn man zwar strategisch richtig liegt, die vielen kleinen Realitäten, die in der Kombination das strategische Ziel erreichen lassen, aber nicht hergestellt werden, und deren Fehlen lässt dann auch das gewünschte Endergebnis fehlen.

Wird auf die vielen Details der täglichen Arbeit von Mitarbeitern kein Augenmerk gelegt (weil man mit der großen Ausrichtung beschäftigt ist), dann finden Unternehmensabläufe statt, die zwar Ressourcen verbrauchen, jedoch keine Leistungen oder Produkte erstellen, die Kunden für deren Nutzen benötigen. In der Folge befinden sich Aufwendungen und Ergebnis in einem falschen Verhältnis. Da zu diesen Aufwendungen auch Löhne gehören, sind diese Löhne nicht mehr produktiv.

So ist es auch erklärlich, dass einzelne Unternehmensbereiche in großen Unternehmen rentabel sind, während andere notleidend sind, und trotzdem in beiden Bereichen die gleich hohen Löhne bezahlt werden. Walter Blocks Statement oben zum Arbeitsplatzverlust bei zu hohen Löhnen können wir dementsprechend übertragen: Wenn ein Management einem Mitarbeiter einen Stundenlohn von zehn Dollar bezahlt, jedoch diesen Mitarbeiter Produkte und Dienstleitungen herstellen lässt, die nur sieben Dollar am Markt erzielen, dann wird er seinen Arbeitsplatz über kurz oder lang verlieren.

Ebenso gilt, wenn in einem Unternehmen und einem bestimmten Markt eine Profitlage von 11 Prozent möglich ist (weil das Verhältnis von Aufwendungen und Ertrag dies so errechnen lässt), dann muss es auch im Unternehmen, in dem Sie tätig sind, möglich sein, dieses Verhältnis von Aufwendungen und Erträgen herzustellen. Sonst sind Sie in der Justierung der Tätigkeiten für die Aufwendungen und den Attraktivitäten für Ihre Kunden ungünstiger positioniert.

Wer sich entschieden hat, in einem sehr großen Unternehmen zu arbeiten, der sieht sich nun hohen Kosten durch die weltweite Verwaltung und Steuerung des Konzerns gegenüber und finanziert dies auch durch seine »kleine Abteilung« per Umlage. Um mit der Profitabilität des Mittelstandes mithalten zu können, müssen also diese Konzernkosten dadurch »eingeholt« werden, dass man die Vorteile des Konzerns für Kunden durch entsprechende Produkte und Leistungen tatsächlich sichtbar und erlebbar macht. Fehlt diese Befähigung, bauen Konzerne Arbeitsplätze ab.

Die Angabe von Gewinnen in absoluten Milliardenbeträgen und damit der Versuch zu zeigen, dass Arbeitsplätze trotz Gewinne ungerechtfertigter Weise abgebaut werden, ist unsachlich. Die Siemens AG erzielt einen Jahresgewinn in 2005 nach Steuern von 2,248 Milliarden Euro und beschäftigt 461.000 Mitarbeiter. Pro Mitarbeiter also 4 876 Euro pro Jahr.

Kein Mittelständler, der 15 Mitarbeiter beschäftigt, würde sich mit einem Jahresergebnis von 73 140 Euro zufriedengeben. Es wäre ihm zu riskant und die Zerbrechlichkeit seines Unternehmens würde ihm und seinen Mitarbeitern schlaflose Nächte bereiten. Er hätte sich längst um die Produktivität dieser Mitarbeiter, also das Verhältnis von »Was tun diese?« zu »Was erreichen wir damit bei unseren Kunden?«, gekümmert.

Unternehmensleiter, die für höhere Gewinne sorgen, bangen daher um Produktivität und damit um Arbeitsplätze. Dieser Zusammenhang wird oftmals als Paradoxie verstanden und führt in der Finanzpresse vielfach zu Fehlinterpretationen.

Siemens gründet gemeinsam mit Nokia ein neues Unternehmen, um Strukturen, Produkte und die Zusammenarbeit von 60.000 Mitarbeitern so entwickeln zu können, dass das Verhältnis von »Was tun wir?« zu »Welcher Nutzen entsteht damit für unsere Kunden?« neu gestaltet werden kann. Kein Privatmann, der sich mit 50 Prozent in eine Unternehmung einkauft, wird sich dem Argument gegenübersehen, er hätte etwas »von sich weggegeben«, sondern hört das Argument, er habe sich »finanziell eingebracht und engagiert«. Es ist eindeutig: Mit 50 Prozent gehört ihm das Unternehmen zur Hälfte und er wird auch anteilig an dessen Ergebnis partizipieren. Dass Siemens diese Neugestaltung in vielen Bereichen fortlaufend beherrscht, jedoch dies bei COM innerhalb der Siemens AG nicht mehr möglich war, zeigt die Größe der Differenz im Ablaufgeschehen bei COM zum Ablaufgeschehen in anderen Siemens-Bereichen.

Natürlich hat man als Gesellschafter weniger operativen Einfluss, als dies Manager haben. Peter Löscher hat sich wenige Wochen nach Amtsantritt bei Siemens aus dem Gesellschaftergremium Nokia-Siemens-Networks zurückgezogen und dies anderen Siemens Führungskräften übertragen. Wer Angst vor solchen Unternehmensneugestaltungen hat, der hat auch Angst vor neuen Abläufen innerhalb seines Unternehmens.

Genau diese Angst verhindert die notwendige Flexibilität im Gestalten von Arbeitsabläufen und damit im fortwährenden Gestalten der Produktivität. Produktivität ist eine Leistung des operativen Managements und befindet sich damit in den Händen Ihres mittleren Managements.

Was wir daraus lernen
Die operative Möglichkeit des mittleren Managements kann durch oberste Leitungsorgane erheblich beeinträchtigt werden. Vor allem, wenn ganz oben die »Fachleute« sitzen, welche eine geringere Fach- und Sachkompetenz auf den darunter liegenden Ebenen vermuten, entstehen solche Behinderungen, die sich im schlimmsten Fall durch organisatorische Strukturen zeigen, welche die operative Gewalt bis auf die Ebenen von Bereichsleitern verlagern.

Solche Rollenverständnisse vernichten über kurz oder lang Arbeitsplätze, da viel Lohn für Tausende von Mitarbeitern ausgegeben wird, die zwar alle arbeiten, jedoch keine Produktivität erzielen können. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen »Etwas richtig machen« und »Das Richtige tun«.

So wie handwerklich perfekte Chirurgen ein Bein bestens abtrennen können, jedoch leider das gesunde mit dem kranken verwechseln, so arbeiten in operativ schlecht geführten Unternehmen Mitarbeiter, in dem sie sich auf die korrekte »Abtrennungsart des Beins« konzentrieren, statt das »richtige Bein« abzutrennen. Verwechseln Sie diesen Gedanken bitte nicht mit dem Fehler, den eine falsche Strategie hervorruft. Es ist tatsächlich ein operativer Managementfehler.

Kundennähe wird nicht durch Vorstände erstellt. Kundennähe ist eine Aufgabe der regionalen Einheiten, also der Damen und Herren im Vertrieb vor Ort. Nur der Führungsprozess, der diese Damen und Herren anhält, den tatsächlichen (potentiellen) Kundennutzen zu ermitteln, der weiterhin dafür sorgt, dass dieses Wissen in den Herrschaftsbereich von R&D und Produktion einfließt, der überhaupt dafür sorgt, dass im Unternehmen in dem Prozess »beim Kunden beginnend, in das Unternehmen eintretend, im Unternehmen verarbeitend, an den Kunden liefernd und wieder beim Kunden endend« gedacht wird, der wird in dieser Aufgabe Erfolg haben.

Versäumt man diesen Koordinationsprozess, lässt man es als Dirigent zu, dass Violine, Harfe, Oboe und Pauke zwar exzellent gespielt werden, jedoch kein gemeinsames Konzert aufführen. Diese Art von Musik schafft teure Investitionen in Probenräume, Musikinstrumente und Musikerausbildung, führt jedoch zu leeren Konzertsälen und damit zu einem schlechten Verhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen. Am Ende werden Sie Ihre Musiker entlassen, weil diese zu teuer geworden sind.

Wer hohe Löhne fordert, ist besser beraten, eine hohe Produktivität zu fordern. Dies gelingt nur in engem Zusammenspiel aller Managementebenen und den Personen, um deren Löhne es geht, den Mitarbeitern an der Basis. Erfolgreiches Wirtschaften ist mehr als nur der Traum von Visionären. Es gelingt ausschließlich durch beste Methodik im Management.  

 

Dieser Text ist ein Auszug aus: Zapke-Schauer, Gerhard: Platzhirsche, Besserwisser und Visionäre. 25 Irrtümer im Management und wie man sie vermeidet, 2008

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