Kundenkommunikation – ein Reizwort?
Das Marketing weckt Bedürfnisse, die vorher gar nicht da waren: In der Regel kennt der Kunde das vorhandene Angebot nicht und der Produzent weiß nicht, was der Kunde wünscht. Also glaubt man der Marktforschung oder man produziert überhaupt auf Grund von Vermutungen. Muss das so sein? Ist eine Welt vorstellbar, in der bloß erzeugt wird, was tatsächlich gewünscht wird? Die Qualität der Kundenkommunikation würde sich drastisch ändern: sie würde Menschenkommunikation werden und über den reinen Handelsaspekt hinausgehen.

Arno Pillwein

        


 
undenkommunikation – wenn ich dies großartige Wort als Laie schon höre oder als Kunde erfahre, dass mein Berater in »Kundenkommunikation« geschult ist, macht mich das höchst misstrauisch: Werde ich jetzt über den Tisch gezogen? Wissen dieser Berater oder die Verkäuferin besser Bescheid über meine heimlichen Schwächen als ich selbst? Werde ich im Beratungsgespräch ausreichend wach sein können, um meine Kaufentscheidung im Nachhinein nicht bereuen zu müssen? Leider kenne ich das als Kunde nur zu gut. Ich sitze, schneller als ich denken kann, in einem Vertrag, aus dem ich gar nicht oder nur kaum mehr herauskomme...

Anders geht es mir als Verkäufer: Natürlich will ich – theoretisch – nur das Beste für den Kunden, doch insgeheim werde ich doch von einem enormen Erfolgszwang getrieben, sei es, weil dieser mir von meiner Firma oder meinen Vorgesetzten vorgegeben ist, sei es als Selbstständiger, dass ich dem eigenen Erfolg verpflichtet bin. Hier kann es soweit kommen, dass ich mit meinem Produkt derart intim verbunden bin, dass ich geradezu wie gelähmt außerstande bin, für mich selbst zu werben. Ich fühle mich, als müsste ich mich prostituieren. Das merkt man mir unweigerlich an und vernichtet jeden Erfolg. Oder ich bin von meinem Erfolgszwang so dominiert, dass ich den Kunden unbedingt gewinnen muss und dadurch unangenehm aufdringlich werde.

Was will der Kunde?
Am schönsten für beide Seiten ist: Der Kunde kommt zum Verkäufer und wünscht genau das, was dieser zu bieten hat. Nur leider, so funktioniert's nur selten! In der Regel weiß der Kunde gar nicht, was es gibt (und was er will, wie manche Verkaufsstrategen meinen). Auch weiß der Erzeuger in der Regel nicht, was der Kunde wünscht und braucht. Es wird auf Vermutung oder auf Grund von Marktforschung produziert, die Produkte müssen also auf jeden Fall erst über die Werbung bekannt gemacht werden. Es werden demnach Bedürfnisse geweckt, die vorher gar nicht da waren! Da sind wir wieder beim »Über-den-Tisch-Ziehen«.

Aber, stellen wir uns einmal vor, wie es wäre, wenn tatsächlich nur nach Bedarf produziert würde: Wären wir nicht in unserer gesamten Gesellschaftsentwicklung ganz woanders? Gehört nicht doch dieses Bedürfnis-Erzeugen als notwendiger Antrieb zu einer weiter treibenden Entwicklung dazu? Sicher: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Es wäre vielleicht alles schlichter, ruhiger und besinnlicher, aber auch eintöniger, langweiliger und längst nicht so farbenfroh und vielseitig.

Wir sehen: Die Rolle des Verkäufers wie auch die des Kunden können in unserer sich überschlagenden Zeit recht unangenehm werden. Wir wollen diese Rollen nicht und werden doch ständig durch das Goldene Kalb des Wirtschaftswachstums und durch den Erwerbszwang in diese Rollen gepresst. Eigentlich wollen wir Mensch sein, oder besser noch: Mensch werden, in Ruhe uns entwickeln können. Diese Rollen bedrängen uns (als Kunde) oder machen uns aufdringlich (als Verkäufer). Wir werden diese Rollen nicht abschaffen können.

Aber wie können wir sie gestalten, dass sie erträglich werden und ihren Zwangscharakter verlieren? Dass wir uns als Kunde wie auch als Verkäufer wohl fühlen und dieses Spiel auch als Spiel, was es schlussendlich ist, spielen lernen? Gibt es einen Ausweg?

Die Frage ist, wie wir uns selbst verstehen. Eine Frage des Selbstverständnisses also, der eigenen inneren Perspektive. Wenn wir uns nur aus unseren Rollen heraus definieren, verkrampfen wir uns. Wir müssen uns wieder auf unser allgemeines Menschsein besinnen. Aber was heißt eigentlich Menschsein? Hier können uns heute Vorstellungen aus den religiösen Traditionen ebenso wie die aus der neueren Physik unterstützen.

Da sind wir an einem sehr spannenden Moment in der Entwicklungsgeschichte. Beginnen wir mit der Quantenphysik: Sie zeigt – und das mittlerweile seit über 80 Jahren – dass die Materie keineswegs so fest, definier- und prognostizierbar ist, wie sie uns vordergründig erscheint. Die Atome enthalten hauptsächlich leeren Raum. Die Welt ist Schein, Maya, wie in den östlichen Philosophien seit jeher gesagt wird. »Das Verhalten der Atome ist grundsätzlich nicht vorhersagbar, und damit auch die gesamte Entwicklung. Es kommt einzig und allein auf die Beziehungen(!) an«, so Prof. Hans-Peter Dürr, Atom- und Astrophysiker, Träger des alternativen Nobelpreises im Rahmen des 2005 erklärten Potsdamer Manifestes. Oder Dr. Vandana Shiva, die indische Quantenphysikerin, Umweltaktivistin und ebenfalls Trägerin des alternativen Nobelpreises: »...was wir dem Netz des Lebens antun, tun wir uns selbst an«.

An dieser Stelle treffen physikalische und religiöse Sichtweisen zusammen; das ist der eigentliche, geradezu aufregende Quantensprung der heutigen Zeit! Vandana Shiva's Aussage erinnert an »Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Matthäus 25.40). Oder an das östliche »Tat Twam Asi« – das (alles) bist du!

Auf Augenhöhe mit dem Kunden
Was heißt das nun für mich als Verkäufer? Es heißt nichts anderes als dies, dass im Grunde mein Kunde ich selbst bin, dass ich letztlich mir selbst etwas verkaufe! Und dass ich, wenn ich meinen Kunden übertrumpfen oder hereinlegen will, letztlich nur mich selbst hereinlege! Schließlich auch meine Konkurrenz: Will, muss, soll ich sie wirklich mit den oft so brutalen, wenn auch üblichen Mitteln der Marktwirtschaft aus dem Feld zu schlagen versuchen?

Versuchen Sie doch einmal Folgendes: Sehen Sie Ihre Kundenkommunikation als ein Spiel an, das sie mit sich selbst spielen! Sagen sie, mit Tucholsky, innerlich während eines Verkaufsgespräches zum Kunden: »Ich bin du, nur anders«. Einfach nur so, probieren Sie es einmal aus!

Sie werden sehen, dass allein schon damit sich ganz neue Dimensionen der Einfühlung, der Empathie entwickeln, die Sie in die Lage versetzen, mit dem Kunden auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren. Sie werden sich viel besser auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden einstellen können.

Lassen Sie die Kundenkommunikation zur Menschenkommunikation werden! Auch wenn dies anfangs recht ungewohnt sein mag und zugegebenermaßen ein gewisses Training erfordert: Sie werden sehen, dass Sie damit eine erstaunliche Entspannung im Verkaufsgespräch erreichen.

Ihnen werden Worte einfallen, die unmittelbar aus der Sicht des Kunden inspiriert sind. So sollte sich der Erfolg wie von selbst einstellen. Daneben nehmen sich all die üblichen Verkaufstricks wie ein erzwungener Krampf aus. Doch keine Angst: Sie brauchen deshalb nicht gleich alles Gelernte wie z. B. die Wahl und Wirkung von Worten über den Haufen zu werfen!

Auf dem Hintergrund der hier geschilderten inneren Haltung aber wird eine völlig neue Atmosphäre und ganz andere Qualität in Ihre Kundenkommunikation kommen, nämlich eine, die über den reinen Handelsaspekt hinaus geht, die der allgemein menschlichen Dimension wieder das ihr gebührende Maß gewährt. So paradox dies vorerst dem Verstand erscheinen mag: Es wird genau jene Dimension hinzu kommen, die letztlich auch der Wirklichkeit entspricht.

So macht es beiden Seiten Spaß!  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0810a/0810a.htm