Die Finanzkrise als Ausrede der Automobilindustrie
Mit ihren Rufen nach Staatshilfe schiebt die Automobilindustrie die Finanzkrise nur vor und hilft damit der Politik ihre Versäumnisse zu kaschieren. Wenn die deutschen Autobauer nun ins Schleudern geraten, dann sind die Ursachen vielfältig. Die Finanzkrise macht die Krise zwar akut, aber die wahren Gründe der Probleme sind hausgemacht: Jahrelang wurde versäumt, sich für die Anforderungen der Zukunft fit zu machen.

 

        


 
n der Diskussion um staatliche Garantien für die Automobilindustrie wird allzu gerne auf die vielleicht hunderttausende von Arbeitsplätzen hingewiesen, die gerade in Deutschland am Wohlergehen der Industrieriesen hängen. Vor diesem Hintergrund scheint eine staatliche Intervention imperativ. Dabei ist es beruhigend, dass Kritiker zumindest beginnen auf die schwierige Definition der Unterstützungsberechtigung und damit auf die Gefahr der unkontrollierbaren Ausweitung von Staatseingriffen in die Wirtschaft hinzuweisen. Wer sich vor Augen hält, dass die Landesbanken unter den ersten waren, die das Rettungspaket der Regierung in Anspruch genommen haben, kann nicht ernsthaft daran glauben, dass staatliche Führung den kleinen Sparer vor den Auswirkungen der so genannten Managergier zu schützen vermag. Denn wo erst gar kein Gewinn ist, wird weder für den einen noch für den anderen etwas zu holen sein.

Die Finanzkrise ist ohnehin nicht allein verantwortlich dafür, dass Teile der Automobil- und Zulieferindustrie mit dem Bettelstab in Berlin unterwegs sind. Sie kaschiert lediglich die Versäumnisse von Management und Politik, sich auf verändernde Märkte und den längst sichtbaren Paradigmenwechsel beim Automobil einzustellen.

Versäumnisse der Vergangenheit
Deutschland hat sich lange Zeit an den überkommenen Kohlebergbau geklammert und tut dies ebenso inbrünstig mit Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie. Diese alte Verbundenheit hat dazu geführt, dass der deutschen Wirtschaft der Schritt ins Informationszeitalter nur ungenügend gelungen ist. Auf Basis gestriger Strukturen wird stattdessen von Vollbeschäftigung und Lohnsteigerungen geträumt; das derzeitige Aufbäumen der IG-Metall belegt den Realitätsverlust.

Dass Produktionsstätten ins Ausland verlegt werden, wird beschimpft, während übersehen wird, dass die Lohnkosten längst nicht mehr der einzige Grund für Produktionsverlagerungen sind. Zum einen finden Unternehmen in Deutschland nicht mehr genügend qualifizierte Kräfte und zum anderen haben sich auch die Märkte verlagert. Der westeuropäische Automobilabsatz stagniert seit Jahren, und nicht erst seit der Finanzkrise, während Osteuropa und Asien bis vor wenigen Wochen Wachstumsmärkte waren.

Damit nicht genug. Zur Sättigung des Marktes gesellt sich nicht nur die finanzkrisenbedingte Verunsicherung. Im Schwitzkasten ineinander verkeilt haben Politik und Automobilindustrie es vermieden, einen klaren gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Die Industrie führt nun die Verunsicherung der Verbraucher beim Automobilkauf auf fehlende politische Richtungsweisung in Sachen Steuer und Umweltschutz zurück. Zuvor warnte die Industrie gerne vor den negativen Auswirkungen neuer Umweltauflagen auf den Fahrspaß der Deutschen und die Politik hat sich von der Industrie vorführen lassen. Alte Arbeitsplätze um jeden Preis zu erhalten war zur Blockade gegen notwendige Veränderung geworden. Dass Ölpreis und letzten Endes -knappheit zwangsläufig zu sparsameren oder gar alternativen Antriebskonzepten führen würden, wurde offensichtlich nicht ernst genommen.

Inzwischen weiß auch der Verbraucher, dass etwas geschehen muss. Ist also die Verunsicherung nicht eher auf eigene Versäumnisse zurückzuführen? Wer weiß heute schon, ob er nicht morgen ein zukunftsfähigeres Fahrzeug kaufen kann. Und dabei geht es nicht nur um die Spritkosten, sondern besonders um den Gebrauchtwagenwert. Sollen Verbraucher ernsthaft Fahrzeuge kaufen, von denen sie nicht einschätzen können, welchen Wert diese in zwei bis vier Jahren haben?

Dem Wandel ins Auge blicken
Die Dinosaurier der Automobilindustrie und ihre Jünger in der Politik haben es selbst versäumt, sich zu modernisieren und auf die Zukunft auszurichten. Die Industrie befindet sich im Wandel. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Wir sollten also nicht an Opel festhalten, sondern eine ganze Industrie und ein Land zwingen, dem Unvermeidlichen ins Auge zu sehen. Mehr kann und soll der Staat nicht tun. Das verhindert nicht, dass in den kommenden Jahren auch der Arbeitnehmer zu den Verlierern gehören wird. Aber es kann dazu beitragen, dass Deutschland der Standort der Automobilindustrie im 21. Jahrhundert wird. Davon werden alle profitieren.

Der Wechsel in die industrielle und ökologische Moderne muss jetzt stattfinden. Zukunftsfähige Fahrzeuge werden die Verbraucher kaufen. Bis vor wenigen Jahren haben Neuwagenkäufer im Schnitt alle zwei bis drei Jahre ihren Gebrauchten gegen einen Neuen getauscht. Seit geraumer Zeit hat sich dieser Turnus auf vier bis fünf Jahre verlängert. Wer sich also vorstellt, für wie viele Verbraucher der Wechsel überfällig ist, der sieht, wie blendend es der Automobilindustrie in den kommenden Jahren gehen kann. Märkte verändern sich. Der Wechsel muss kommen. Was wir aber brauchen, sind mutige First Mover und keine rückwärtsgewandte Liebesbeziehung, die dazu führt, dass unter dem Ächzen von Opel ein ganzes Land angsterfüllt stöhnt.

Es bleibt die Frage, wie die Industrie die mit dieser Entwicklung einhergehende Entwertung der Gebrauchten verkraften kann. Zyniker könnten dazu sogar meinen, die weltweite Rezession ist ein Segen. Denn wer, wenn nicht die aufstrebenden Industrienationen, soll dem Westen seine alten Gebrauchten abnehmen? Denen ging es aber kurzzeitig so gut, dass auch ihre neue Mittelschicht lieber Neuwagen kaufte. Jetzt, da auch diese Nationen vom Abwärtstrend erfasst sind, werden unsere Gebrauchten wieder interessanter.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0811b/0811b.htm