Ungeplant in Schwierigkeiten – Von der Kunst des Zusammenarbeitens
Es ist ein altes Geheimnis guter Führung: wer seine Mitarbeiter nicht zur Zusammenarbeit bringt, der scheitert auch dann, wenn jeder Mitarbeiter für sich hoch kompetent und engagiert ist. Führungskräfte sind angehalten, das Zusammenwirken möglichst gut zu planen. Dabei tauchen immer wieder neu die Fragen auf: »Was gilt es in welcher Granularität zu planen?« und »Wie wird aus einem Plan ein tatsächliches Tun?«

Gerhard Zapke-Schauer

        


 
nter Granularität verstehen wir die »Feinkörnigkeit« des Plans. Welcher Grad der Einzelschritte sollte im Plan berücksichtigt werden? Reicht es bereits viele Einzelaktivitäten in groben Gruppen abzubilden oder muss jeder Handgriff im Plan verzeichnet sein?

Die Antwort kann nicht pauschal gegeben werden, denn sie hängt vom Erfahrungshintergrund der Mitarbeiter ab. Dieser Erfahrungswert hat nur zum Teil mit Berufserfahrung zu tun und ist vielmehr mit der Erfahrung bezüglich einer speziellen Aufgabenstellung verbunden.

Selbst herausragende Profis greifen immer dann zu einem extrem detaillierten Plan, wenn die aktuelle Aufgabe neu oder besonders herausfordernd ist. Das Anziehen einer Schraube zur Befestigung eines Rades an einem Fahrzeug wird in einer Kfz-Werkstatt weniger detailliert geplant als beim Boxenstopp eines Formel 1-Rennens.

Viele wissenschaftliche Versuche führten zu exzellenten Ergebnissen, weil die einzelnen Versuchsschritte peinlichst genau dokumentiert wurden und diese Aufzeichnungen, nach dem zufälligen Gelingen des Versuches, als Grundlage für einen hohen Detaillierungsgrad eines Plans sorgten, der nun für die Wiederholbarkeit der Versuchsschritte eingesetzt wird.

Die Wiederholbarkeit, also eine Bedingung für gute wissenschaftliche Arbeit, wird durch den hohen Detaillierungsgrad auch für jene Wissenschaftler möglich, die den Versuch selbst nicht erfunden hatten. Wissenschaftliche Erkenntnisse würden sich nicht durchsetzen, wenn die Wiederholbarkeit nicht gegeben wäre. Daher kommt es darauf an, der Person, die etwas wiederholen soll, Pläne mit feiner Granularität zu übergeben.

Wer als Führungskraft Interesse daran hat, dass Mitarbeiter voneinander lernen (best practice sharing), der benötigt zum Wissenstransfer fein granulierte Handlungsabläufe. Hat man die auszuführenden Aktionen mehrmals erfolgreich wiederholt, also weitestgehend auswendig gelernt, verzichtet man auf die Granularität und kann ganze Handlungsabschnitte unter Gruppenbegriffen zusammenfassen. Allerdings gilt es zu bedenken, diese Gruppenbegriffe versteht nur der, der auch die Handlungsabläufe in der feinsten Granularität kennt.

Berufsausbildung
In der Regel erlernt man während seiner Berufsausbildung die einzelnen notwendigen Handlungsschritte in ausgeprägter Granularität durch die Ausbilder und Meister. Treffen im Unternehmen die Absolventen anschließend auf erfahrene Praktiker, erwarten diese Praktiker bereits ein umfassendes Verständnis für das, was sie selbst nur noch in Gruppenbegriffen kommunizieren.

Oftmals entwickeln Unternehmen spezielle Handlungspläne für die Erstellung von Produkten und Dienstleistungen, die an Meisterschulen und Universitäten nicht gelehrt werden. In diesem Fall ist eine innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung dafür verantwortlich, dass über den Weg feiner Granularität jenes Handlungswissen aufgebaut wird, welches im späteren Alltag durch gruppierte Begriffe schnell und einfach besprochen und abgerufen wird.

Zwei meinen nicht das Gleiche
Es ist leicht erkennbar, welche große Gefahr darin besteht, wenn zwei Experten den gleichen Gruppenbegriff verwenden, aber inhaltlich – eben auf der Ebene feiner Granularität – etwas Unterschiedliches meinen. Bei technischen Begriffen, wie Schleifen, Bohren, Betonieren, Vermessen, tritt dieser Inhaltsirrtum seltener auf als bei Begriffen der Betriebswirtschaft. Was versteht man z.B. unter »eine Zielgruppe definieren« oder »das Portfolio bereinigen«. Was meint man, wenn man anordnet: »Bringen Sie das Projekt in Ordnung und machen Sie es wieder profitabel.«

Welcher Grad der Granularität ist nun erforderlich, dass der Beauftragte genau das tut, was den Auftrag erfolgreich macht? Viele Führungskräfte vermeiden solche Fragestellungen mit dem Einwand, der Beauftragte wird das schon irgendwie können, denn immerhin habe er genügend Berufserfahrung. Versucht man dagegen die nun notwendigen Vorgehensweisen in einen konkreten Plan zu gießen, damit man sich über die einzelnen Arbeitsschritte verständigen kann, fehlen einem buchstäblich die Worte.

Ohne Plan lässt es sich zwar leben...
Kommt man denn nun tatsächlich nicht ohne detaillierte Planungen aus? Engen eventuell derart fein ziselierte Pläne den Freiraum und Handlungsspielraum der Akteure zu stark ein?

Aristoteles hat bereits vor etwa 2.500 Jahren deutlich darauf verwiesen, wann wir Abläufe genau kennen müssen und wann nicht. In seinen Abhandlungen über Teleologie erklärt er, dass alles Natürliche sein Ziel (griech.: telos) in sich trägt. Eine Rose leuchtet also nicht in ihren schönen Farben, um mich zu erfreuen, sondern um etwas für ihre eigene Existenz zu erreichen. Ein Hase hoppelt nicht über die Wiese, damit ihn endlich der Fuchs entdeckt, weil Hasen – im Kontext der Nahrungskette – dazu da wären, dass Füchse sie fressen, sondern eben weil es zum Leben des Hasen gehört, über die Wiese zu hoppeln. Ein eindrucksvolles Beispiel findet sich in zwei Bäumen, die wir vielleicht in unserem Garten stehen haben. Beide sind natürlich. Also tragen sie ihr Ziel (telos) in sich selbst. Sägen wir einen der beiden Bäume ab, weil wir aus dem Stamm eine Tischplatte fertigen und diese nun neben dem anderen Baum in den Garten stellen, so haben wir dem Holz des Baums ein neues Ziel verpasst; nämlich für uns ein Tisch zu sein. Dieses neue teleologische Konzept ist nun nicht mehr natürlich, sondern trägt ein künstliches Ziel in sich; mit der Folge, dass wir nun Fürsorge für dieses neue Konzept übernehmen müssen. Verlassen wir Baum und Tisch im Garten unseres Ferienhauses für ein Jahr, so entdecken wir bei Rückkehr Folgendes: Der Baum, ausgestattet mit seinem natürlichen Ziel des Selbstseins ist munter weitergewachsen, während unser Tisch verrottet und eventuell unbrauchbar geworden ist. Niemand sorgte für ihn und führte ihn immer wieder aufs Neue an sein telos, nämlich Tisch zu sein, heran.

Jeder von uns weiß, dass in einem Baum Prozesse ablaufen. Biochemische Prozesse der Photosynthese, physikalische Prozesse der Kapillarkräfte, um Flüssigkeiten aus den Wurzeln in die Baumkrone zu transportieren usw. Man muss diese Prozesse nicht kennen, damit sie ablaufen, denn natürliche Systeme sorgen für sich selbst, unabhängig davon, ob wir diese Prozesse beobachten oder gar in feiner Granularität untersucht haben. Als Biologe mag uns dies sehr interessieren, aber selbst dann, wenn es keine interessierten Biologen gäbe, würden die pflanzlichen Prozesse ablaufen.

Die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Systemen bringt uns allerdings zu dem Punkt, welche Prozesse tatsächlich ablaufen. In natürlichen Systemen, laufen alle notwendigen Prozesse ohne unser Zutun und ohne unsere Kenntnisse ab. In künstlichen Systemen geschieht dies eben nicht. Da Unternehmen nicht auf der grünen Wiese wachsen oder sich per Samenflug und Bestäubung fortpflanzen, sondern als menschliche Erfindung auftreten, sind sie leider nur künstlich. Das bedeutet, alle notwendigen Prozessabläufe müssen vom Erfinder ausgedacht und zum Leben erweckt werden.

Während man tatsächlich im Alltag die umgebende Natur erleben kann und planlos Blumen, Wälder, Tiere und Sonneneinstrahlung genießen kann, ja sogar weitestgehend Landwirtschaft betreiben kann, geht dies in betriebswirtschaftlichen und technischen Systemen nicht mehr.

Wer ein Auto herstellen will, der braucht einen millimetergenauen Plan, welche Einzelteile er zusammenfügen will und er braucht einen genauen Plan, wie einzelne Arbeitsschritte aufeinander folgen und zusammenwirken sollen.

Wer Kundennutzen durch ein Rechenzentrum, durch eine Catering-Dienstleistung, durch Flüge von A nach B, durch Diagnosegeräte für die Medizin oder als Heimwerkermarkt herstellen will, der befindet sich nicht innerhalb eines natürlichen Systems, sondern in einem künstlichen und benötigt daher Pläne.

Zum Beispiel Kundennutzen
Bereits die scheinbar so selbstverständliche Aufforderung, Kundennutzen zu erstellen, kann daran scheitern, dass man nicht exakt weiß, worin sich der Kundennutzen zeigt. Eventuell ist bereits der Arbeitsprozess, wie ermittelt und definiert man Kundennutzen, unbekannt. In der allgemeinen Definition zeigt sich Kundennutzen darin, dass Kunden durch den Kauf und die Verwendung von Produkten und Leistungen etwas erreichen (was sie erreichen wollen), was ohne diese Produkte und Services nicht möglich wäre.

Beobachten Sie Ihre Arbeitsprozesse der Kollegen von Sales, Account-Management, Service-Management, mit welchen Arbeitsschritten sie diese Informationen beim Kunden ermitteln. Ist das Vorgehen geplant, an weitere Kollegen kommunizierbar, wiederholbar und erfolgsgeprüft (proven outcome)? Die Aussage, viele Wege führen nach Rom, ist noch keine Aussage darüber, ob der gerade gewählte Weg erfolgreich ist. Erst die Wiederholbarkeit und damit die Wiederholung des Erfolges machen Kaufleute ähnlich erfolgreich wie Naturwissenschaftler.

Umsetzungsstärke?
Meist sind wir Menschen einfallsreich genug, dass wir Ideen für erfolgreiche Handlungspläne entwickeln können. Es gelingt in der Technik, in der Physik, in der Chemie, in den Applikationen der Medizin, der Pharmazie, der Telekommunikation und der IT. Die Mühe, die Menschen dort aufwenden, um einzelne Arbeitsschritte darstellbar, erklärbar, übertragbar und wiederholbar zu machen, ist auch im Umfeld der Unternehmensführung notwendig.

Die Vorgehenspläne zur Koordination von Mitarbeitern sind meist zu grob und daher zu wenig durchdacht. Man geht davon aus, weil man es mit Menschen zu tun hätte, würden diese sich schon richtig verhalten, wenn man ihnen nur ausreichend ins Gewissen rede. Tatsächlich gelingt es auch einigen, aus Zielformulierungen höchst wirksame Handlungspläne zur Zielerreichung zu entwickeln und selbst umzusetzen. Wie aber steht es um den Transfer dieser Kenntnisse? Oder was passiert, wenn zwei exzellente Umsetzer zwei alternative Handlungspläne entwickelt haben?

So lange die einzelnen Arbeitsschritte nicht fein säuberlich visualisiert werden, kann man sich darüber nicht austauschen und damit auch nicht übertragen.

Von der Erfahrung zum Transfer
Die unterschiedlichen individuellen Begabungen von Mitarbeitern werden immer einige hervorbringen, die über Versuch und Irrtum hervorragende Handlungspläne entwickeln. Meist weil sie sehr intensiv über Details nachgedacht haben und diese Details isoliert untersucht haben.

Dieses Wissen sollte nun in Befähigung der übrigen Kollegen verwandelt werden. Und genau dazu braucht es Pläne mit feiner Granularität. Wer Kinder mit Schulschwierigkeiten kennt, der weiß, dass nicht globale Appelle an wichtige Lebenskonzepte helfen, sondern detaillierte Lern- und Pausenpläne. Hilft dies immer noch nicht, benötigt man fein granulierte Darstellungen, wie man eigentlich lernt.

Immer dann, wenn die Details in echtes Können verwandelt wurden, welches durch Üben der Details geschieht, klappt man die feine Granularität wieder zu und kommuniziert mittels grober Begriffe.

Wer sich gerne mehr Profit wünscht, der sei darauf verwiesen, dass Profit eine Folge der voraus laufenden Professionalität ist. Das Ziel liegt also in dem Erkennen, worin sich Professionalität zeigt. Dies ist, nach weltweiter Übereinkunft, die Kenntnis über »gewusst wie«. Ein »gewusst wie« zeigt sich in der Befähigung, die notwendigen Handlungsschritte nicht nur ausführen zu können, sondern sie sehr genau beschreiben zu können. Nur so können andere das nachmachen, was einzelne intuitiv vormachen.

Wer annimmt, es ginge auch ohne Detailplanung, der irrt über den Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Systemen. Beide benötigen exzellente Abläufe (Prozesse). Natürliche Systeme haben diese Abläufe von sich aus, künstliche Systeme sind teilweise »Ablauf-leer«, haben teilweise falsche Abläufe und haben teilweise richtige Abläufe. Hier gilt es Ordnung zu schaffen.

Sinnlose Prozesslandschaften
Doch Vorsicht, nicht jede ausgetüftelte Prozesslandschaft ist zugleich ein guter Vorgehensplan. Zum Plan gehören sowohl ein konkretes Vorgehen als auch die Erklärung, was dabei herauskommt. Jede einzelne Aktivität des Plans muss für sich diese Erklärung enthalten. Fehlt dieses »Wozu mache ich es«, fehlt den Abläufen ihr »telos«. Damit verkümmern die Abläufe zu einem bloßen Tun, welches auch sinnlos sein kann. Handlungen sind erst dann Handlungen, wenn das Tun ein Beabsichtigtes ist, um etwas Angestrebtes erreichen zu können. Mit der scheinbar harmlosen Frage: »Wozu machen wir das?« finden Sie schnell Antworten und Orientierung.

Der Vorwurf, man sei zu stark an Prozessen ausgerichtet, entsteht meistens weil das Wozu nicht sichtbar wird. Umgekehrt entsteht der Vorwurf, man hätte gute Visionen und Ziele, jedoch keine Umsetzungsqualität, wenn das konkrete Vorgehen nicht ausreichend granular visualisiert wird. Man schlittert dann ungeplant in Schwierigkeiten.  

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0901b/0901b.htm