Werte im 21. Jahrhundert: Werte-Monitoring als Erfolgsfaktor der Zukunft
Werte sind aus dem Leben der Menschen nicht wegzudenken. Sie sind allgegenwärtig, aber dennoch nicht sichtbar. Weitestgehend werden sie intuitiv angewendet und bilden das unbewusste Fundament unserer Lebens- und Konsumentscheidungen. Da es gerade in unserem Zeitalter der Umbrüche und Ungewissheiten auf den Märkten und in der Gesellschaft zu grundlegenden Veränderungen kommt, wird es für Unternehmen immer wichtiger, sich mit Werten und Wertewandelprozessen zu beschäftigen.

 

        


 
erte sind unmittelbar mit dem Denken, Fühlen und Handeln der Menschen verknüpft. Wertewandelprozesse prägen Einstellungen, Wünsche und Urteile. Als Entscheidungsgrundlage für Konsum und Lebensstile sind sie daher nicht zu unterschätzen. Aus diesem Grund ist es gerade auch für Unternehmen ratsam, sich mit Werten und Wertewandelprozessen zu beschäftigen. Denn mit Blick auf das Werteverständnis der Menschen kann viel über das Verhalten und die Bedürfnisse auf den weltweiten Märkten gelernt werden.

:: Werte haben im Leben der Menschen eine existenzielle Bedeutung, sie sind allgegenwärtig, aber dennoch nicht sichtbar. Werte werden weitestgehend intuitiv angewendet und sind ein mehr oder weniger unbewusstes, aber enorm wichtiges Fundament für Lebens- und Konsumentscheidungen.

:: Werte unterliegen einem stetigen Wandel durch Trends und andere gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Am Wandel der Werte lässt sich deshalb auch viel über den Wandel von Lebensstilen und Konsumbedürfnissen ablesen. Werte haben eine »hohe normative Orientierungsfunktion«1; sie unterscheiden gut von böse, wahr von unwahr, wichtig von unwichtig.

:: Werte sind nicht bedeutungsgleich mit Moral, sie dürfen nicht als konservative Theorieelemente für Tugendwächter und Kulturbewahrer verstanden werden. Werte begreifen wir nicht nur als ideelle Konzepte oder repressive Verhaltensvorschriften, die das Individuum gängeln. Werte sind in der Kultur des 21. Jahrhunderts eine relativ komplizierte Software, die von den Menschen täglich im Lebensvollzug angewendet und abgerufen wird.

Eine in 25 Ländern unter mehr als 31 000 Menschen durchgeführte Umfrage von GfK Roper Consulting ergab, dass die folgenden zehn Werte- und Wunschsphären für Konsumbedürfnisse und Marktentwicklungen höchste Relevanz haben:

1. Soziale Beziehungen:
Für 91 Prozent der global Befragten ist die Geborgenheit im Kreise der Familie ein zentraler Wert in ihrem Leben. 87 Prozent der Weltbevölkerung wünschen sich langfristige und stabile Freundschaften im Leben.
Über das gesellschaftliche Miteinander definieren viele Menschen im globalen Dorf ihr Wohlbefinden und ihre Lebenslust. Soziale Beziehungen wurden bis vor Kurzem vor allem über das Familienleben definiert. Doch es zeigt sich, dass Beziehungen immer mehr als Netzwerke und aufkündbare, zeitlich begrenzte »Kontakte« aufgefasst werden. Was nichts Negatives bedeuten muss. So gewinnt Freundschaft immer mehr an Bedeutung und ersetzt mitunter sogar die familiäre Verbindlichkeit.

2. Glück, Liebe, Intimität:
78 Prozent der global Befragten bewerten das Gefühl tief emotionaler, mithin spiritueller Intimität »extrem wichtig«.
Die trennscharfe Gliederung in die Sphäre des öffentlichen und die Sphäre des Intimen ist eine Errungenschaft der modernen Welt. Wo Intimität umgekehrt überhaupt keinen Schutz vor öffentlichem Zugriff genießt, herrschen Diktatur und Überwachung. Intimität wird von den Menschen überall auf dem Globus ganz intensiv mit dem Gelingen von Liebe sowie mit dem schönen und schillernden Wort Glück assoziiert – eine Sehnsucht, die ganz oben auf der globalen Wunschagenda rangiert.

3. Pflichtbewusstsein:
Zwischen 2006 und 2008 hat sich die weltweite Beachtung des Themas Pflichtbewusstsein nicht verändert, mit 67 Prozent (mindestens »sehr wichtig«) wurde die Bedeutung im Zeitraum von drei Jahren gleich hoch bewertet.
Gerade wir Deutschen haben ein gespaltenes Verhältnis zu Sekundärtugenden wie Pflicht, Ordnung etc. Trotzdem identifizieren sich viele Menschen mit dem Gedanken, einen positiven Beitrag für das große Ganze leisten zu können – etwas, das nicht nur mit ihrem persönlichen Lebensentwurf zu tun hat. Gerade Menschen in den ehemaligen Schwellenländern stimmen diesen Werten zu, die wir in den westlichen Ländern unter Spießigkeitsverdacht stellen.

4. Natursehnsucht:
Für 68 Prozent der weltweit befragten Menschen ist es wichtig, im Einklang mit der Natur zu leben. Dazu gehört auch ein gestiegenes Umweltbewusstsein, was für 77 Prozent ein wichtiges Bedürfnis ist.
Natur ist in den globalen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts Krisenthema und Sehnsuchts-Topos zugleich. Gegenwärtig, bedingt natürlich in erster Linie durch Ressourcenknappheit und Klimawandel, wird Natur unter den Bedingungen ihrer Bewahrung wahrgenommen. Im Einklang mit der Natur zu leben ist eine wichtige Vision für die Menschen überall auf der Welt.

5. Arbeit⁄Karriere:
82 Prozent der Weltbevölkerung sehen in ihrem Lebensentwurf vor, »hart zu arbeiten«. Aber für 78 Prozent der weltweit Befragten muss der Job gleichzeitig auch eine erfüllende und Sinn stiftende Funktion haben.
Für die Global Workforce ist Arbeit nicht mehr Auspowern und Frondienst. Arbeit ist in der globalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts vor allem Gegenstand von Selbstverwirklichung. Mehr als drei Viertel der Befragten verknüpfen ihre Arbeit (oder ihre Vorstellung von einer idealen Arbeitssituation) mit Begriffen wie Selbstverwirklichung und Kreativität. Der Begriff Arbeit mutiert zunehmend von der bloßen Notwendigkeit hin zum bevorzugten Reservoir für Sinnstiftung und inneres Wachstum.

6. Tradition:
Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Weltbevölkerung empfinden es mindestens als »wichtig«, altbewährten Gewohnheiten einen entscheidenden Platz in ihrem Leben einzuräumen.
Traditionelle Werte sind wieder ganz oben im Bewusstsein der Menschen. Lange Zeit vergessen und als Fortschrittshindernis abgestempelt, sind es gegenwärtig oftmals gerade Werte wie Moral, Disziplin, Ehrlichkeit und Familie, die, (post-)modern interpretiert, Sinn und Orientierung vermitteln. Für viele Ökonomien und Gesellschaften sind sie gar die Treiber für mehr Wachstum und Wohlstand. Gleichzeitig verdeutlicht das moderne Traditionsbewusstsein das rationalere Verhältnis zu Werten im 21. Jahrhundert.

7. Genuss:
Genuss und Lebensgenuss werden von 85 Prozent der Menschen als extrem wichtige Lebensbereiche angesehen.
Ein genussvolles Leben zu leben wird von immer mehr Menschen als legitimes Bedürfnis, mehr noch: als zentrales Moment eines gelingenden Lebens angesehen. Genuss – das ist jedoch das Bemerkenswerte – wird weltweit nicht mehr direkt mit Hedonismus und Spaßgesellschaft verknüpft. Genuss wird von der Mehrzahl der Befragten stark über individuelles Wohlfühlen und ein gelungenes Selbstmanagement hergeleitet.

8. Moral:
Für 67 Prozent der weltweit befragten Konsumenten gehören soziale Verantwortung und das Verlangen, etwas für das Gemeinwohl zu tun, zu den mindestens »wichtigen« Wünschen im Leben – für fast ein Fünftel (19 Prozent) ist dieses Anliegen sogar »besonders wichtig«.
Spätestens seit den 68ern schien die Moral als anachronistischer Wert entlarvt. Tatsächlich haben wir in den vergangenen Jahren über kaum ein Thema so intensiv geredet wie über die »neue Business-Moral«, ethischen Konsum und Corporate Social Responsibility. Moral ist wieder schwer im Kommen, seit sich auch der Konsum über Aufrichtigkeit, Ethik-Codes, Authentizität und Verantwortung definiert.

9. Selfness⁄Gesundheit:
83 Prozent der weltweit Befragten bemühen sich, körperlich und geistig fit zu bleiben.
Gesundheit ist ein Schlüsselmarkt der nächsten zehn bis zwanzig Jahre und eine Wertesphäre, die in den vergangenen Jahren einen interessanten Bedeutungswandel vollzogen hat. Mit dem Begriff Selfness ist der Trend auf den Gesundheitsmärkten von morgen angezeigt, denn dort stehen das aktive Eigenmanagement der Gesundheit und die Erlangung von Selbstkompetenz im Vordergrund – und auch das nicht nur in der westlichen Welt, sondern auf allen Kontinenten.

10. Sicherheit:
Waren es im Jahr 2006 noch 34 Prozent der Weltbevölkerung, für die materieller Besitz im Leben mindestens »sehr wichtig« war, so sind es heute bereits 41 Prozent.
Das Bedürfnis nach Sicherheit und materieller Absicherung funktioniert entkoppelt von den konkreten Lebenssituationen der Menschen. Sowohl die Bürger der westlichen Wohlstandsökonomien als auch die Menschen in den Schwellenländern zählen Sicherheit zu ihren Grundbedürfnissen. In der Wohlstandswelt ist der Grund dafür die gefühlte Unsicherheit in einer unübersichtlichen Welt, bei Letzteren sind es konkrete Bedrohungen. Familiensehnsucht und das Streben nach stabilen Beziehungen sollen helfen, (gefühlte oder reale) Unsicherheit abzubauen.

Wie geht’s der Welt?
Der Wertewandel funktioniert mit hoher Beschleunigung: Materielle Sicherheit ist der aktuelle Wertetrend, unabhängig vom Wohlstandsniveau: Ressourcenknappheit, Inflationsängste und der Finanzkollaps führen dazu, dass materieller Besitz für 41 Prozent der Weltbevölkerung ein mindestens »sehr wichtiges« Bedürfnis ist. Im Jahre 2006 traf das nur auf 34 Prozent zu.

Aber auch immaterielle Werte haben starke Relevanz. Authentisch leben steht ganz weit oben – und prägt weltweit entscheidend den Alltag und die Lebensentwürfe der Menschen: Im Einklang mit den eigenen Vorstellungen zu leben, gehört in Ländern wie Frankreich, Indonesien, Großbritannien, Brasilien, der Türkei und Italien sogar zu den Top-5-Sehnsüchten der Konsumenten. Das zeigt sich nicht mehr nur einfach darin, dass Moral wieder schwer im Kommen ist. Auch für das neue Gesundheitsbewusstsein und die Natursehnsucht hat Authentizität längst seine Berechtigung.

Werte und Wünsche unterliegen regionalen Besonderheiten: Tigerstaaten entdecken »europäische« Werte wie Pflicht und Moral: Die erwachenden globalen Mittelschichten identifizieren sich immer stärker mit klassischen Werten: In China und Indien ist Pflichtbewusstsein mittlerweile ein Top-Wert. Aber auch in Spanien und den USA hat Pflicht seine negative Bedeutung verloren mit prägendem Einfluss auf Lebensstile, Märkte und Konsumbedürfnisse.

Klimawandel – ein Ohnmachtsthema? Angstkampagnen zum Klimawandel haben bislang dazu geführt, dass das epochale Thema in der Regel mit Fatalismus zur Kenntnis genommen wird. Allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden: Für 44 Prozent der deutschen Konsumenten ist es möglich, durch entsprechendes Konsumverhalten die Erderwärmung aus eigener Kraft abzuwenden. In den USA glauben 29 Prozent der Befragten daran, in Russland sind es nur 5 Prozent.  

1 Udo di Fabio: Die Kultur der Freiheit, 2005, S. 65

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zukunftsinstitut GmbH – Internationale Gesellschaft für Zukunfts- und Trendberatung.
Dieser Text erschien erstmals im Zukunftsletter, Januar 2009.

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0902b/0902b.htm