Lernen in Organisationen: Mehr Lebensqualität bei der Arbeit
Pfade des Handelns inmitten der ständig steigenden Komplexität zu finden, ist wichtiger denn je. Immer öfter laufen wir dabei in eine Reihe von Dilemmata: Was für das einzelne Unternehmen effektiv ist, ergibt gesamtwirtschaftlich oft Unsinn; nationale Vernunft steht gegen globale Anforderungen. Der wirtschaftliche Wohlstand täuscht über die fehlende Freiheit in der Wahl der Lebensgestaltung hinweg. Daher muss Unternehmensführung mehr Verantwortung für die Kraft der Mitarbeiter übernehmen.

Bernd Schmid

        


 
ir sind ein Teil der Evolution. Daher sind wir einem ihrer Gesetze unterworfen: Eine Spezies, die nicht lernt, stirbt aus. Insofern ist das Thema »Lernen in Organisationen« vor einem Mangel an Aktualität geschützt. Welche Spezies ist jeweils gemeint? Das müssten wir für unsere Überlegungen hier in vielfältiger Weise spezifizieren. In der großen Perspektive könnte es den Menschen in seinem Umgang mit den Lebensgrundlagen meinen; in der kleinen Perspektive zum Beispiel die Spezies der Bildungsfachfrauen und -männer in Unternehmen.

Mehr denn je hat Lernen etwas damit zu tun, komplexe Zusammenhänge als Orientierung in Bewertungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen: solche Zusammenhänge sind oft nicht unmittelbar zu erkennen und sie motivieren nicht durch unmittelbar spürbare Konsequenzen. Hier tut Einsicht und Verstehen, Lernen und Bildung not. Inmitten dieser Komplexität müssen wir unsere Vorstellungen bilden und Pfade professionellen und privaten Handelns suchen. Es scheint, als habe die Komplexität explosiv zugenommen, und sie verursacht Stress. Auch mitten im Wohlstand wirken viele Menschen gehetzt und freudlos.

In der Effektivitätsfalle
Aus verschiedenen Perspektiven heraus stellen sich die zu lösenden Fragen als Dilemmata dar. Einerseits hört und liest man, dass wir Westeuropäer – und besonders auch die Deutschen – die zweite industrielle Revolution, den Aufbruch ins Informationszeitalter, verschlafen. Wirtschaftlicher und sozialer Abstieg stünde uns daher bevor. Andererseits macht mich der Gedanke an eine wilde Aufholjagd in Richtung technologischem Fortschritt auch nicht unbedingt froh. Welche Bevölkerungsschichten können sich denn an dieser Jagd mit welcher Lebensqualität beteiligen? Und wenn sie gelingt, laufen wir da nicht in eine Effektivitätsfalle?

Eine solche Effektivitätsfalle wurde mir kürzlich von einem Bauern der Schwäbischen Alb vor Augen geführt. Obwohl er in den letzten zwei Jahrzehnten, genauso wie viele seiner Kollegen, enorm rationalisiert und die Effektivität gesteigert hat, wird der Stress größer und die wirtschaftliche Bedrängnis auch. Was für jeden einzelnen konkurrenzbereiten Bauern unbedingt notwendig erscheint und daher Sinn macht, ergibt doch für alle zusammen Unsinn. Die gesteigerten Produktmengen müssen zu immer geringeren Preisen abgegeben werden. Der ruinöse Kreislauf verschärft sich. Eine Pflege der Landschaft, die Erhaltung regionaler und durch die Betroffenen steuerbarer Wirtschaftskreisläufe erscheint immer schwerer.

Im industriellen Bereich scheint Ähnliches zu geschehen. Überall werden Menschen entlassen als ein Hauptmittel der Kosteneinsparung. Doch was für das einzelne Unternehmen unter Kostengesichtspunkten notwendig scheint, zeichnet sich schon jetzt unter volkswirtschaftlichen wie unter politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten als Milchmädchenrechnung ab. Ganz zu schweigen von den Folgen für die Lebensqualität und die Würde der betroffenen Menschen.

Globale versus nationale Vernunft
Einerseits können bestimmte Probleme nur noch global gelöst werden, andererseits gibt es in diesem Sinne wohl auch eine Globalitätsfalle. Regionale oder nationale Vernunft, etwa im Bereich der Ökologie oder im Bereich der Erhaltung von Arbeitsplätzen, kann bei Marktgesetzen allein offenbar nicht walten. Die Koordination der Umsicht und der Vernunft scheint angesichts der Konkurrenz zu schwierig zu sein. Zumindest gibt es gegenwärtig keine tragenden Ideen auf den globalen Märkten, aufgrund deren Steuerung geleistet werden könnte.

So fällt es schwer, Arbeitsplätze, die in Konkurrenz mit anderen Ländern unrentabel scheinen, zu erhalten, obwohl die nationale oder regionale Vernunft dies gebieten müsste. So fällt es schwer, eine landschaftspflegende Landwirtschaft zu erhalten oder auszubauen, weil sie gemessen an industrieller Importkonkurrenz unrentabel ist.
Wohin es führt, wenn auf zentrale Steuerbarkeit und große Dimensionen ausgerichtete wirtschaftliche Organisationen zusammenbrechen, können wir im Osten, insbesondere in Russland, beobachten. Die Folgeschäden an der Fähigkeit, sich zu regenerieren, sind größer als erwartet.

Ich fürchte, dass wir beim Umgang mit dem Osten und dem Süden im Grunde noch immer nur kolonialistischen Wirtschaftskonzepten folgen. Ich kann keine neuen Konzepte erkennen, nach denen in West und Ost, in Nord und Süd erfolgreich und in Verantwortung gegenüber den nicht-erneuerbaren Ressourcen und Lebensgrundlagen gewirtschaftet werden könnte. Es ist sehr fraglich, ob man das Gelingen einer Kopie des West-Systems, wenn wir denn wüßten wie, überhaupt wünschen sollten.

Lebensqualität bei der Arbeit
Ohne Zweifel – und zum Glück – leben wir in Ländern des wirtschaftlichen Wohlstands, was Geld, die Verfügung über Ressourcen und die Möglichkeit zum Konsum betrifft. Gleichzeitig sehen manche Autoren die Bundesrepublik als Entwicklungsland, was die Lebensqualität bei der Arbeit und die Gestaltungsfreiheit bezüglich Arbeit und sonstiger Lebenswelt vieler Menschen betrifft. Den einen werden Arbeitsplätze wegrationalisiert, die anderen schuften sich auf den verbleibenden Arbeitsplätzen ab. Die einen versuchen, Hausbau und Kleinkinderzeit und überhitztes Job-Hopping unter einen Hut zu bekommen, die anderen sehen sich verfrüht beim alten Eisen.

Es gibt einige, die sagen, dass wir mit sinnlosem Konsum und anderen Scheinbefriedigungen abgespeist werden, während wir die Chance, Freiheit in der Wahl der Lebensgestaltung zu erwerben, verspielen. Als Sinnbild hierfür dient die auch in Slums reichlich vorhandene Unterhaltungselektronik. Dabei könnte Wohlstand doch meinen: Ein Stand, in dem uns und unseren Familien wohl ist und der zum Wohl anderer beiträgt, in dem Arbeit kompetent, maßvoll und familienfreundlich gestaltet werden kann.

Dieser Art von Wohlstand näherzukommen, ist sicher nur möglich, wenn wir den Ressourcenverbrauch vermindern – einerseits durch Verzicht auf Unnötiges, andererseits durch verbesserte Professionalität und Ökonomie bei Beachtung von Lebensqualität.

Es gab Ökonomen, die im erfolgreichen Herstellen und Vertreiben von Produkten allein noch keine Rechtfertigung für unternehmerische Tätigkeit sahen. Sie sahen die Produkte der Unternehmen als die Menge der darin verbrauchten Ressourcen. Dieser Verbrauch ist erst im Angesicht der durch die Produkte hervorgebrachten Lebensqualität gerechtfertigt. Der Verbrauch von Ressourcen vielfältiger Art hat noch längst nicht Eingang in unsere Kostenrechnungen gefunden, auch nicht in unsere persönlichen. Dabei denke ich nicht nur an Frischwasser und Erdöl, sondern auch an seelische Kraft von Vätern und Müttern oder von Lebenspartnern, die dem Leben der Familie und der sonstigen Gesellschaft nicht zur Verfügung steht, weil sie im Unternehmen im Höchstmaß verbraucht werden.

Ein hier gegenwirkendes ethisches Prinzip sollte in die Leitsätze jeder Führungskultur aufgenommen werden. Jeder verpflichtet sich, mit der eigenen Kraft und der der anderen verantwortlich umzugehen. Dies würde sich zum Beispiel darin zeigen, dass das Engagement jüngerer Mitarbeiter in spontan ausgerufenen, aber nicht kompetent angelegten Projekten nicht gedankenlos verbraucht und die Fähigkeit zur Begeisterung missbraucht würde.  

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0903c/0903c.htm