Ethik in der Wirtschaftskrise
Fehlende Ethik und Moral seien für das Entstehen der aktuellen Wirtschaftskrise verantwortlich, so heißt es allerorten. Doch kaum jemand benennt die ethischen Grundsätze, die den Markt leiten und beherrschen könnten. Stattdessen werden Sündenböcke erkoren, denen die alleinige Verantwortung aufgeladen wird. So entsteht Angst. Und Angst erzeugt Reaktionsmuster, die nicht geeignet sind, den Weg aus der Krise zu führen.

Ulf D. Posé

        


 
er Ethikverband der deutschen Wirtschaft warnt vor falschem und unverantwortlichem Gebrauch ethischer und moralischer Wertungen. Um zu erklären, was sie nicht verstanden haben – nämlich das Entstehen der Wirtschaftskrise – verwenden Moralisten ein Wort, das sie noch weniger verstanden haben, nämlich das Wort »Ethik«. Verantwortungslos ist aber nicht derjenige, der sich kritisch gegenüber dem herrschenden Gebrauch von Ethik verhält, sondern derjenige, der Wörter in Umlauf setzt, die er selbst nicht verstanden hat. Ethik aber ist zu wertvoll, um sie in den Händen von Moralisten zu belassen.

Die derzeitigen moralisch-ethischen Vorschläge aus Politik und Wirtschaft missbrauchen Ethik zur Durchsetzung nicht-ethischer Interessen. Die ethisch-moralischen Vorschläge aus Politik und Wirtschaft mögen von guter ethischer Absicht begleitet sein, die politischen Entscheidungen entbehren jedoch der notwendigen ethischen Kompetenz.

Ethiken, die ausschließlich angsterzeugend oder drohend sich gebärden, sind zur Bewältigung einer Krise ungeeignet. Es macht keinen Sinn, von ethischen Grundsätzen zu reden, diese einzuklagen, ohne diese Grundsätze auch zu benennen.

Unsere Ethiken haben aus drei Gründen versagt:
1. Sie gehen von der falschen, aber für viele ideologisch wichtigen Voraussetzung aus, dass es einen absoluten Gegensatz zwischen Markt und Moral gebe.
2. Sie verschleiern, dass sie selbst Interessen vertreten und Machtmittel sind.
3. Sie diskreditieren pauschal eine Bevölkerungsgruppe ohne die ethischen (nicht die juristischen oder ökonomischen!) Standards zu nennen, die tatsächlich verletzt wurden.

Offensichtlich haben diejenigen, die derzeit so stark moralisieren, Angst eigene Interessen und Machtansprüche zuzugeben. In moralisierenden Ethiken finden wir auch keinen Hinweis darauf, dass sie Machtmittel sind. Dadurch werden sie zu höchst sublimen Machtmitteln, denn sie bedienen sich unbemerkt moralischer Ängste.

Die starke Benutzung des Wortes Ethik verschleiert, dass Ethik nicht nur Nutzen stiften, sondern auch Schaden anrichten kann. Die von der Wirtschaftskrise erzeugte Angst schafft derzeit Sündenböcke, denen aufgeladen wird, was sie nicht allein zu verantworten hatten. Nicht weniger als Banker und Manager tragen Politiker die Verantwortung für das verlorene Gemeinwohl. Auch die Spekulanten haben sich im Rahmen der Gesetze an die gesellschaftlich anerkannte Logik der Gewinnmaximierung gehalten.

Welche Moral kann den Markt beherrschen?
Der Ethikverband der deutschen Wirtschaft und das Philosophische Kolleg vermissen deutlich, dass all diejenigen, die derzeit mehr Moral fordern, uns auch mitteilen, wie eine Moral auszusehen hat, die den Markt tatsächlich verantwortungsvoll begleiten und beherrschen könnte. Letztlich sind Ethiken wie alle anderen Ansprüche der Menschen von Interessen getrieben.

Die aus der Angst vor einer gesellschaftsverändernden Wirtschaftskrise geborenen Reaktionsmuster erzeugen entweder Desorientierung (es wird gehandelt ohne passenden Erfolg) oder Nulloptionen (es wird verharrt). Typische Beispiele für Desorientierung sind Bestrebungen, unbescholtenen Bürgern, die mehr als 500 000 Euro verdienen, die Steuerfahndung auf den Hals zu hetzen, in die Vertragsfreiheit zwischen Unternehmen und Versicherungen dirigistisch eingreifen zu wollen, französische Verhältnisse zu wünschen, in denen »Bossnapping« betrieben wird, und Banken erlaubt, Kreditlinien unverantwortlich zu kündigen.

Angst erzeugt archaische Reaktionsmuster, die sich im »sich-verstecken«, »angreifen« oder »vor den Problemen davon laufen« artikulieren. Alle drei Reaktionsmuster sind ethisch ungeeignet, Krisen zu überwinden.

Derzeit verstecken wir uns (»die Stimmung ist besser als die Lage«), greifen an (ethisch-moralische Stigmatisierung von Schuldigen), laufen davon (Abwrackprämie).

Daraus folgt:
1. Die meisten Ethiken zielen nicht auf den Nutzen der Handlungen von Menschen, sondern nur auf deren Gesinnung.
2. Die unkritische Verwendung von ethisch-moralischen Urteilen enthält eine wertende Voraussetzung, nämlich als Ethik per se gut zu sein.
3. Unsere Ethiken erzeugen und bewahren auf breiter Linie Illusionen über die Natur des Menschen.

Was ist zu tun?
Statt Angst vor Managern, Unternehmern, vor der Globalisierung, dem Klimakollaps, vor Technologien und Innovationen, vor reichen oder armen Menschen, vor Ausländern oder Minderheiten und vielem mehr zu verbreiten, sollten wir lernen, unsere Interessen, die sich hinter moralisierender Terminologie verbergen klar zum Ausdruck zu bringen.

Wir sollten es nicht zulassen, dass durch Ethik überhaupt Angst vor Interessen erzeugt wird.

Um mit Ethik einen Nutzen für das Allgemeinwohl zu erreichen, müssen wir wissen, was überhaupt durch Ethik zu erreichen ist.

Eine klare Ausrichtung von Ethik auf die zu erwartenden Folgen unseres Handelns kann dem Missbrauch von Ethik und Moral vorbeugen.

Was daher zu tun ist:
1. Eine Handlungsethik im Unterschied zur Gesinnungs- und Ergebnisethik.
2. Eine Ethik, die dem Nutzen folgt.
3. Die Führungskräfteauswahl darf nicht nur nach fachlicher, sondern muss auch nach charakterlicher Eignung vorgenommen werden.
4. Unternehmen benötigen einen für Ethik zuständigen Vorstand, der in ethisch-moralischen Fragen auch Kompetenz aufweist.
5. Der Aufsichtsrat muss von den gegebenen Möglichkeiten des Rechts bei der Haftung von Managern auch Gebrauch machen.
6. Die in Unternehmen zugrunde gelegten ethischen Kriterien sollten auf dem Prinzip der Einsicht beruhen, nicht auf Angsterzeugung.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/0904c/0904c.htm