Lernen und Arbeiten – the medium is the message
Beim Arbeiten und in den Beziehungen zwischen Organisationsmitgliedern entsteht professionelle Kompetenz. Unternehmen können daher als Kompetenznetzwerke aus Erfahrungen und Wissen von Teams und Einzelnen betrachtet werden. Es gilt also eine Lernkultur aufzubauen und nachhaltig zu verankern, um sicherzustellen, dass sich Kollegen gegenseitig unterstützen und ihr Wissen jeweils passgenau zur Verfügung stellen.

Bernd Schmid und Thorsten Veith

        


 
n der Debatte um Wissensmanagement, Qualitätsentwicklung und die demographische Entwicklung sowie einen adäquaten Umgang mit den Problemen sind viele Konzepte beschrieben und praktiziert worden. Oft geht es dabei darum, einen Know-how-Verlust ausscheidender Kollegen aus der Organisation zu reduzieren. Kollegiale Beratungs- und Arbeitsgruppen oder Tandems gehören dazu.

Die Konzepte kollegialer Beratung sind nicht neu. Schon vor über dreißig Jahren haben sie dem gemeinsamen Erfahrungsaustausch in Kindergärten und Beratungsstellen gedient. Die Praxisbeispiele existieren also. Dennoch zeigt heute die Erfahrung, dass gerade Unternehmen sich dieser Konzepte besinnen und auf die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen in der eigenen Organisation bauen wollen.1

Die verstreute Praxis muss zu einem Programm, zu einer Lerninfrastruktur in der Organisation werden, wenn man sich nicht auf eine Weitergabe und ein Vermitteln von Fachwissen beschränken, sondern auch den Transfer und die Entwicklung einer kollegialen und konstruktiven Gesprächs- und Beratungskultur nutzen will. Im Dialog, auch zwischen den Generationen, im Unternehmen wird Unternehmens(lern)kultur und Organisationswissen, vor allem »implizites Erfahrungswissen«, erhalten und weitergeben.

Wissen managen
Individuen müssen in verschiedensten Arbeits-, Bildungs- und Lernkontexten – Beruf, Schule, Universität, Aus- und Weiterbildung u.a. – sich Wissen gegenseitig zugänglich machen. Es liegt der Gedanke zugrunde, dass der Einzelne Wissen nicht bei sich alleine ansammeln kann, sondern darauf angewiesen ist, im Austausch mit anderen auf gegenseitige Wissensbestände zugreifen zu können und Wissen im sozialen Kontext zu generieren. Dies ergibt sich umso mehr aus einer zunehmenden Informationsflut, die durch die Verbreitung elektronischer Medien weiter ansteigt und den Einzelnen mit der Verarbeitung überfordern kann.

Es bedarf einer Lernkultur, die das gemeinsame Generieren von Wissen aus ihren Erfahrungen heraus ohne zu starken Konkurrenzdruck und Ellenbogenmentalität, im Grunde schon in der Schule, möglich machen kann. Wichtig hierbei ist die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen.2 Wissensmanagement in Arbeitsplatznahen Lernsystemen hebt auf einen besseren Zugang zu impliziten Wissen (tacit knowledge), zu verborgenen Verknüpfungen und Zusammenhängen von Wissensbeständen ab. Denn implizites Wissen beruht auf Erfahrungen, Milieukenntnis und ist getragen von Intuition und dadurch schwer vermittelbar.

Implizites Wissen ist jedoch auch verbunden mit Wirklichkeitskonstruktionen und eigenen Beobachtungsperspektiven der Wissensträger. Bei der Vermittlung und Weitergabe von implizitem Wissen muss versucht werden, dies offen zu legen. Für die Gestaltung der Übergänge zwischen explizitem und implizitem Wissen müssen Formen der Interaktion und Organisation geschaffen werden, um individuelles und organisationales Wissen zu artikulieren, zugänglich zu machen und für Individuen und Organisationen nutzbar machen zu können.3

Arbeitsplatznahe Lernsysteme
Wir sprechen dann von Arbeitsplatznahem Lernsystem (ALS) als Programm, wenn es mehr ist als die Durchführung kollegialer Beratung zur Weitergabe und Vermittlung von Wissen an einzelnen Stellen der Organisation und ohne gemeinsamen Geist.4 Oftmals entstehen diese Formen kollegialer Beratung auf Eigeninitiative der Mitarbeiter und in informellem Rahmen. So »lobenswert« diese Initiativen aus Organisationssicht sind, so sehr verdeutlichen sie den Bedarf an Vernetzung.

Aktuelle Anfragen zeigen uns, wie sich Organisationen, Unternehmen wie Schulen und Hochschulen, als Kompetenznetzwerke verstehen (wollen). Im Rahmen von Führungskräfteentwicklung wird beispielsweise neben Führungsseminaren und Führungskräftecoaching systematisch eine Plattform kollegialen Lernens unter Führungskräften aufgebaut. Wie die Erfahrung zeigt, kommt es auf bestimmte Schritte in der Einführung an, damit der Benefit für alle als Arbeitskultur zum Tragen kommt, wenn externe Moderatoren und Berater nicht mehr im System sind. Diese Schritte umfassen: Einführen in kollegiale Lerndesigns und didaktische Settings sowie Einstieg in systemische Lernkultur; Vorstellen und Nutzen von Vorgehensweisen und Tools für gemeinsames Lernen; Stabilisieren der Lernkultur und Prozessbegleitung sowie Sichern der Nachhaltigkeit in Arbeitsprozessen und der Organisation.

Es entsteht dann durch die Art und Weise des Umgangs untereinander sowie inhaltlichen Fragestellungen und Zielvorstellungen eine neue Lernkultur aus dem miteinander sowie voneinander Lernen selbst. Vielfach trägt sie Elemente einer verbesserten Zusammenarbeits-, Kommunikations- und Konfrontationskultur, welche über die Bearbeitung von Fachfragen hinaus entstehen.5 Die Lernform findet entweder im Arbeitsvollzug oder im Arbeitsumfeld statt und benötigt neben Autorisierung durch Schlüsselfiguren in der Organisation auch Ressourcen verschiedenster Art (externe Moderation und Einführung, Zeit, Freistellung, Räume u.a.).

Eine solche, in diesem Text schon beschriebene Lernkultur aufzubauen und zu pflegen bietet die Chance, neben inhaltlich-fachlichen Kompetenzen weitere Kompetenzen wie Steuerungskompetenz und insbesondere Lernkompetenz bei den Mitarbeitern arbeitsplatznah zu fördern, welche für verschiedene Rollen und Funktionen in gegenwärtigen Veränderungen erforderlich sind.6

Wie kann man Arbeitsplatznahe Lernsysteme beschreiben? Konzeptionell wird zwischen systemqualifizierenden und personenqualifizierenden Maßnahmen unterschieden.7 Unter Systemqualifikation werden Maßnahmen gefasst, die das System (Organisation, Abteilung, Team) optimieren und Aspekte der Aufbau- und Ablauforganisation, aber auch Fragen der Führungs- und Teamkultur verändern können. Personenqualifikation meint die Weiterentwicklung von Kompetenzen, die in den professionellen und organisatorischen Rollen relevant sind (in den Bereichen Führung, Kommunikation oder Konflikt).

Arbeitsplatznahe Lernsysteme verstehen wir als systemintelligente Personenqualifikation, weil ein Lernen auf individuell-professioneller Ebene positive Effekte und Veränderungsimpulse und damit systemqualifizierende Effekte8 für vernetzte Bereiche der Organisation haben kann.

Wenn die institutionsrelevanten Beziehungen betrachtet werden bzw. wenn die reflektierten Strukturen auf Organisationen und deren Dynamiken ausgeweitet werden, kann auch die Qualität von Beziehungen und Beziehungsgestaltung verbessert werden, denn dann ist kollegiales Lernen, wie auch angeleitete Supervision, häufig Beziehungsdiagnose.

Kollegiales Lernen verstehen wir als Ort und Form für Qualität. Das Lernen bezieht sich auf das professionelle Handeln und beleuchtet daher den Kontext der beruflichen Tätigkeit mit. Es ist somit im Sinne einer Ressourcen- und Problemlöseorientierung immer bezogen auf eine Verbesserung der Arbeit und ein Lösen der dort auftretenden Probleme durch das Beschreiten von Wegen der (Selbst-) Reflexion und der Kooperation. In reflexivem und erfahrungsorientiertem sowie sozialem Lernen wird versucht, das Ziel der erweiterten Handlungskompetenz zu erreichen.9

Für die Einführung von Arbeitsplatznahen Lernsystemen in Organisationen⁄Netzwerken gibt es folgende Erfolgsfaktoren:
:: Autorisierung und Promotion der Initiative durch Schlüsselfiguren der Organisation
:: Von der Außenregie zur Eigenregie: das Multiplikatorenmodell
:: Einführen und Experimentieren mit Prototypen: Verwirklichen von »Kostproben« zur adäquaten Anpassung im Laufe eines Prozesses
:: Lernatmosphäre und Lernklima: Wertschätzung, Würdigung, Kompetenz- und Ressourcenorientierung
:: Repertoire an Lernarrangements, Lern- und Arbeitsdesigns: Protagonisten können nach einer Einführung kompetent selbstorganisiert weiterführen, weiterlernen und –arbeiten
:: Haltungen und Wertorientierung: Offenheit, Vertrauen, Wertschöpfungsorientierung
:: Partizipative und kooperative Lernbereitschaft: Erfahrungs- und Problemlöseorientierung, Bereitschaft zum Perspektivenwechsel und zur Selbst- und Prozessreflexion
:: Stabilität bezüglich der orientierenden Lern- und Arbeitskultur, nicht bezüglich der Zusammensetzung der Protagonisten
:: Ressourcen in der Organisation (externe Moderation und Einführung, Zeit, Freistellung im Arbeitsvollzug oder im Arbeitsumfeld, Räume)  

 

1 vgl. Veith, Thorsten (2008): Arbeitsplatznahe Lernsysteme. In: Lernende Organisation, Nr. 45, Sept.⁄Okt.
2 vgl. Nonaka, Ikujiro⁄Takeuchi, Hirotaka (1997): Die Organisation des Wissens: Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt.
3 vgl. Lakoni, S.⁄Schwämmle, U.⁄Thiel, M. (2001): Zwischen Chatroom und Kantine. Wie »Communities of Practice« zu Innovation und Veränderung beitragen. In: Profile 02-2001, Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog, S. 74-84.
4 vgl. Schmid, Bernd (2008): In Zukunft gehören Lernen und Arbeiten zusammen. In: Lernende Organisation, Nr. 45, Sept.⁄Okt.
5 vgl. Veith, Thorsten (2008): Arbeitsplatznahe Lernsysteme. In: Lernende Organisation, Nr. 45, Sept.⁄Okt.
6 vgl. Franz, H.-W.⁄Kopp, R. (2003): Kollegiale Fallberatung – State of the art und organisationale Praxis. Bergisch Gladbach.
7 vgl. Schmid, Bernd⁄Fauser, P. (1994): Systemlösungen im Bereich Humanressourcen. Studienschrift Nr. 012, Institut für systemische Beratung. Wiesloch.
8 vgl. ebenda
9 vgl. Veith, Thorsten (2008): Mit kollegialer Beratung zu höherer Selbstverantwortung. In: Lernende Organisation, Nr. 44, Juli⁄Aug.

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/1002a/1002a.htm