Kundenloyalität: Ein kostbarer Schatz
Die Wechselbereitschaft der Kunden ist so hoch wie nie. Das neue Phänomen heißt: der flüchtende Kunde. Die Frage ist nun: Was müssen Unternehmer tun, um heute und morgen und auch noch übermorgen die freiwillige Treue profitabler Kunden zu erhalten – denn binden lassen sie sich nicht mehr. Bei der Suche nach Antworten kommen Erkenntnisse aus der Hirnforschung sehr zu Hilfe.

Anne M. Schüller

        


 
ie Kundentreue gewonnen, verstärkt, ausgebaut und schließlich gesichert werden kann? Loyalitätspotenzial wäre schon da, doch sind es meist die guten Gründe, die uns fehlen. Weil die Produkte so austauschbar sind. Oder weil sie uns emotional nicht berühren. Oder weil wir keinen Sinn darin sehen, sie zu besitzen. Oder weil wir uns mit ihnen nicht schmücken können. Produkte, denen wir die Treue schwören, müssen unsere Bedürfnisse nach funktionalen, emotionalen und sozialen Bedürfnissen stillen können.

Und Anbieter brauchen nicht nur eine hervorragende Produkt- und Beziehungsqualität, sondern auch ein erstklassiges Image. Reputationsmanagement ist angesagt. Bestleister und angesagte Marken lassen auch uns erstrahlen. Wenn wir nicht selbst ganz oben stehen können, dann wenigstens im Schatten eines Helden.

Problemlösungen schaffen Loyalität
Wer glaubhaft und nachvollziehbar die Nummer eins ist, wer einen Expertenstatus und ein exzellentes Image besitzt, wird Loyalität erhalten. Wer einzigartig oder unersetzlich, knapp oder hipp ist, dem ist man treu. Bei Austauschbarkeit hingegen entscheidet immer der Preis. Denn dann ist der Preis das einzige Differenzierungsmerkmal. Unternehmen, deren Angebote einzigartig und unkopierbar sind, werden über Preise höchstens am Rande verhandeln müssen. Wer einen Nachfrage-Sog erzeugt, braucht nicht länger mit (Preis-)Druck verkaufen. Die Ware liegt da und lockt. Und die Leute sind ganz begierig darauf. Sie sind geradezu süchtig danach.

Wie so etwas entsteht? Indem Sie keine Produkte verkaufen, sondern Problemlösungen und gute Gefühle. Heute sind Kundenversteher gefragt. Was Menschen in Wirklichkeit kaufen: sichtbaren Erfolg im Business, ein Vertrauensverhältnis ohne Enttäuschungsgefahr, Sorglosigkeit, Lebensqualität und Seelenfrieden. Zeit, Ruhe und Freiraum, so heißt der neue Luxus. Wer sich solche Dinge kaufen kann und will, der schaut nicht aufs Preisschild. Wie man das hinbekommt? Nur wer versteht, wie das menschliche Hirn funktioniert, wird es schaffen.

Loyalität gefällt unserem Hirn
Unser Hirn steht auf Loyalität. Es hat nämlich das Bestreben, Unsicherheit in Sicherheit und Fremdartiges in Vertrautes zu verwandeln. Kompliziertes und Komplexes muss leicht decodierbar sein. Was wiedererkannt und als ungefährlich eingestuft wird, erhält den Vorzug. Deshalb kaufen wir Bekanntes und immer wieder Gleiches gern.

Routinen entlasten und machen unserem Oberstübchen die Arbeit leicht. Es favorisiert anstrengungslose Informationsverarbeitung. Denn es verbraucht circa zwanzig Prozent der vom Körper produzierten Energie für sich allein. Deswegen fällt es immer dann, wenn es nicht hochaktiv sein muss, in den Energiespar-Modus. Die meisten Dinge, die wir tagtäglich tun, werden vollautomatisch getan. Wir müssen nicht darüber nachdenken, wie wir atmen oder eine Treppe besteigen, das macht unser »Autopilot«.

Weniger als ein Prozent all dessen, was draußen passiert, rückt ins cerebrale Scheinwerferlicht. Weit über 99 Prozent aller Reize, die ständig auf uns einprasseln, werden verarbeitet, ohne dass wir uns dessen auch nur ansatzweise bewusst sind. Die Prozesse, die dafür im Hirn benötigt werden, sind gebahnt. So wie ein Weg, der routinemäßig begangen wird.

Jedes Hirn ist anders gebaut
Nun sind die Menschen alle verschieden, denn jedes Hirn ist anders »verdrahtet«. Die Variety Seekers sehen in allem Neuen eine Verheißung. Andere sehen darin nicht Chance, sondern Gefahr. Auch geschlechterspezifische Aspekte sind zu beachten. Das »weibliche« Östrogen verstärkt zum Beispiel die Sozialmodule Fürsorge und Bindung. Ferner verändert sich im Laufe des Lebens die Struktur des Gehirns. So nehmen im Alter die Ausschüttung des Dominanz-Hormons Testosteron sowie die des aktivierenden Neurotransmitters Dopamin ab, wohingegen die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol steigt. All dies begünstigt Loyalität.

Ganz allgemein gilt: Wenn ein Angebot ein besseres Gefühl verspricht, wenn die Erfahrung eine positive ist oder das Ereignis den Kick des Besonderen verspricht, sind wir zum Umschalten bereit. Das geht im Gehirn mit einem komplexen Umbau der »Verdrahtungen« einher. Und das kann etwas dauern. So ist es kein Wunder, dass wir bei manchen Entscheidungen eine Nacht drüber schlafen wollen. Am nächsten Morgen ist dann alles klar.

Danach, Sie ahnen es schon, muss für schnelle Wiederholungen gesorgt werden, damit aus Neuem Routinen entstehen. Im Sport und in der Schule nennt man das Üben. Durch ständiges Üben entsteht Perfektion. Durch regelmäßige Kontakte und ständige Wiederkäufe entsteht Loyalität. Bei Wiederholungen verstärken sich die Nervenverbindungen, und Handlungen rutschen in den »Autopiloten«. Sie werden fortan vollautomatisch getan. Wer also Loyalität will, muss gut getaktete Begegnungen und kleine Zwischendurch-Käufe in seine Kundenbetreuung einbeziehen. Wobei zwischen zu viel und zu wenig eine echte Gratwanderung liegt.

Oxytocin: Botenstoff für Loyalität?
Das aktivierende Dopamin ist gut fürs »sich verlieben« und »Ja-sagen«, das ist bekannt. Nun bräuchten wir noch etwas, das für das Auslösen einer lang anhaltenden Verbundenheit sorgt. Verbundenheit entsteht durch Zuneigung (im wahrsten Sinne des Wortes) und durch gemeinsames Handeln mit positivem Ausgang. Damit geht auch ein Gefühl einher, das wir Vertrauen nennen. Begleitet werden diese Prozesse durch einen körpereigenen Botenstoff namens Oxytocin.

Das auch gerne Kuschelhormon genannte Oxytocin erhöht unser Glücks- und Genusspotenzial. Es ist neurochemischer Balsam für unsere Seele. Es wirkt entspannend und gesundheitsfördernd. Es wird immer dann verstärkt hergestellt, wenn es zu einer Begegnung kommt, die feste Bindungen einleiten soll. Es fokussiert auf positive soziale Informationen und erhöht die Bereitschaft, Vertrauen zu schenken. Es kann sogar beschädigtes Vertrauen wieder heilen.

Oxytocin verstärkt das Wir-Gefühl und macht uns großzügig. Es hemmt den Aggressionstrieb und lässt Stress nur so dahinschmelzen. Es fördert die Offenheit, zwischenmenschliche Kontakte zuzulassen und macht uns friedliebend. Und es macht uns emphatisch. So hilft der Botenstoff, den Blick für die Gemütslage anderer zu schärfen, indem deren Gesichtsausdruck und Stimmlage interpretiert werden.

Oxytocin sorgt für Verbundenheit
Früher galt Oxytocin als Schwangerschaftshormon, das die Wehen einleitet und für eine enge Mutter-Kind-Bindung sorgt. Heute wissen wir: Oxytocin kann sehr viel mehr. Es fungiert als Vermittler und verbindet Sozialkontakte mit einem guten Gefühl. Unter seinem Einfluss wird das Angstzentrum herunter gefahren. Vor allem aber sorgt es dafür, dass lohnendes Verhalten wiederholenswert erscheint.

»Ohne Oxytocin könnten soziale Spezies nicht überleben«, betont der Psychologe Markus Heinrichs, der an der Züricher Universität zu diesem Thema forschte und jetzt an der Universität Freiburg lehrt. Im Rahmen einer Studie kam zutage, dass Paare unter der Gabe von Oxytocin weniger stritten und der für Stressreaktionen zuständige Cortisol-Spiegel niedriger war. Oxytocin kann als Nasenspray verabreicht werden, funktioniert, so Heinrichs, aber nicht, wenn es im Raum zerstäubt wird.

Ob Oxytocin auch die Treue beim Menschen fördert? Zumindest bei Präriewühlmäusen wurde diese These bestätigt. Sie haben, im Gegensatz zu ihren treulosen Vettern aus dem Gebirge, den Bergwühlmäusen, eine hohe Anzahl an Rezeptoren, an denen Oxytocin andocken kann. Wurde ihnen dieses injiziert, so entwickelten sie ein hohes Bindeverhalten.

»Bewusst oder unbewusst tendieren wir dazu, unser Verhalten so zu organisieren, dass es in uns zu einer Ausschüttung dieser Substanz kommen möge«, so der Neurobiologe Joachim Bauer, und weiter: »Personen, die durch ihre Zuwendung, durch ihre Anerkennung oder Liebe unsere Oxytocin-Produktion stimuliert haben, werden zusammen mit der Erinnerung an die mit ihnen erlebten guten Gefühle in den Emotionszentren unseres Gehirns abgespeichert.«

Deshalb freuen wir uns, wenn wir gute Freunde und angenehme Kunden sehen – und diese freuen sich auf uns. Deshalb gehen wir für favorisierte Anbieter und unsere Lieblingsmarken durchs Feuer. Und den ungeliebten laufen wir davon.

Loyalität ist Zugehörigkeit
Als wertvolles und geachtetes Mitglied einer Gruppe zu gelten: Das gibt uns Sicherheit und Geborgenheit. Unsere Hirne sind vor allem dafür gemacht, das Zusammenleben in einer Gruppe zu meistern. Und Loyalität ist ein sichtbarer Ausdruck dafür. »Die grundsätzliche Aufgabe des Gehirns besteht darin, nicht nur das Überleben des einzelnen Menschen zu sichern, sondern auch das der Gruppe, zu der er gehört«, sagt Christian E. Elger in seinem Buch Neuroleadership.

In diesem Satz sind praktisch schon alle Zutaten beisammen, die es braucht, um Loyalität zu erzeugen: Zugehörigkeit erleben, füreinander einstehen, gemeinsam erfolgreich sein. Alle dauerhaft funktionierenden Zusammenschlüsse – und somit auch Unternehmen – tragen immer Loyalität in sich. Wir sind lieber eingebettet in eine achtbare Gemeinschaft, als ständig »auf der Flucht«.

So ist es die vielleicht größte Herausforderung im Loyalitätsmanagement, zu verstehen, wie Gemeinschaften funktionieren. Denn dann verstehen wir auch Loyalität. Wer Mitglied einer Gruppe ist, unterwirft sich den geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln wie auch den sozialen Normen, die für diese Gruppe gelten. Solche Regeln klingen in etwa so: »Hilf denen deiner Gruppe! Sei stolz auf sie! Sprich gut über sie! Sei loyal!«

Loyalität ist Zusammenhalt
Wer loyal ist, steht für eine Sache ein. Der Psychologe Gerd Gigerenzer fasst dies wie folgt zusammen: »Identifiziere dich mit einer symbolischen Gruppe, kooperiere und verteidige ihre Mitglieder.« Nach außen grenzt man sich gegenüber anderen Kohorten ab, was schnell auch mal zu Feindseligkeiten führen kann. Bei Fußballspielen sind solche Prozesse gut zu beobachten. Aber nicht nur dort. Auch Unternehmen pflegen Feindbilder.

Und sie kennen eine ganze Reihe von Zeichen der Zugehörigkeit. Sie haben sich – in Form von Leitbildern – offizielle Spielregeln gegeben. Und jeder Neue kann glücklich sein, wenn er möglichst schnell in die unausgesprochenen Spielregeln eingeweiht wird, die noch viel wichtiger sind. Mögen außerhalb der Gruppe Feindbilder Sinn machen, innerhalb einer Organisation sind sie lebensgefährlich. Und wenn der Kunde zum Feindbild wird, dann ist das tödlich. Gemeinschaften, in denen es Austausch, Integration und Vermischung gibt, prosperieren.

Das »Wir« gewinnt
Unternehmen sollten also ihren Kunden in realen und auch virtuellen Communities eine Heimat geben. Gerade in schwierigen Zeiten rücken die Menschen enger zusammen und suchen Beistand bei anderen. Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen entstehen. Die Solidarität wächst. Im Business stärkt man sich durch Zusammenschlüsse: Netzwerke, Einkaufsorganisationen, Marketing-Kooperationen und Franchise-Systeme boomen. Konsumenten bilden Interessen-Gruppierungen und setzen die Anbieter so unter Verhandlungsdruck. Online-gesteuerte Verbraucherboykotte sind inzwischen ein Massenphänomen.

»Gemeinschaftswerte stehen wieder hoch im Kurs und nehmen entscheidenden Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und Lebensstile«, meint der Kelkheimer Zukunftsforscher Eike Wenzel. »Nach Jahren der Abgrenzung von anderen und des kompromisslosen Strebens nach individueller Selbstverwirklichung wächst heute das Bedürfnis nach Gemeinschaft«, sagt Kerstin Ullrich in der GIM Studie Delphi 2017. Weitere Unterstützung bekommt diese These durch Eric Greenberg's Kultbuch Generation We. Und nicht nur Barack Obama (»Yes, we can!«) hat das verstanden.

Auch in der Werbung zeichnet sich die Tendenz zu einem neuen Wir-Gefühl ab, wie eine kürzlich durchgeführte Untersuchung des Hamburger Trendbüros in Zusammenarbeit mit Slogans.de ergab. Neben einer gestiegenen Nutzung des Wortes »gemeinsam« zählte das englische Wort »we« 2009 erstmals zu den Top 15 der meistverwendeten Begriffe in Werbeslogans. Dies drücke, so die Initiatoren, auch eine Forderung nach mehr Partizipation und Kooperation aus. Dem »Wir« gehört die Zukunft. Und in jedem »Wir« steckt eine Menge Loyalität.  

 

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