Stadtmarketing: Management von Lebensqualität
Städte sind heute zahlreichen Veränderungen ausgesetzt, die die Entwicklung kommunaler Marketingkonzepte notwendig machen. Denn nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Stadtentwicklung ist ein steigender Konkurrenzkampf festzustellen. Bürger stellen immer höhere Anforderungen an ihre Kommunen: Längst reicht es nicht mehr, die Hauptaufgaben zu erfüllen, zusätzlich entscheiden Atmosphäre, Kultur- und Freizeitangebote, Image, Immobilienmarkt und ähnliche »weiche« Faktoren über die Attraktion einer Region.

Bernhard Krätzig

        


 
er Niedergang vieler Innenstädte in Ost und West nimmt dramatische Züge an. Oft wurden Konsummöglichkeiten auf die grüne Wiese gebaut während die Innenstädte sich selbst überlassen wurden. Innen-Städte müssen in ihrer Funktion neu gedacht werden. Integratives Stadtmarketing kann einen Beitrag dazu leisten, den Niedergang zu stoppen.

Die Stadt als »Marke«
Was ist der Grund für Konsumenten, einer Marke treu zu bleiben ? Was sind die Gründe, einer Stadt treu zu bleiben?

Es ist das Image, über das ein assoziiertes Lebensgefühl transportiert wird. Im Konkurrenzkampf der Städte wird das Lebensgefühl, die spezifische Lebensqualität als Inhalt der »Stadtmarke« zunehmend ausschlaggebend. Authentizität und städtische Qualitäten sind letztlich positive Empfindungen; das originäre Muster innerhalb der Vielfalt dieser Empfindungen generiert das spezielle Lebensgefühl in einer Innen-Stadt – Attraktivität wird so zum Ausdruck städtischer Lebensqualität.

Die sinnliche Wahrnehmung als Grundlage von Lebensqualität
Die Veränderungen durch Demografie, strukturelle Marktveränderungen und Verschuldungsprobleme trifft das Leben in den Kommunen hart. Integratives Stadtmarketing kann einen erheblichen Beitrag dazu leisten, auf die sich verändernden Randbedingungen zu reagieren und die Folgen zu meistern. Es geht dabei darum, jeweils den Blick auf ein vielfältiges, sich in permanenter Wechselwirkung befindliches Beziehungsnetz von unterschiedlichen rationalen (Zahlen und Fakten) und nicht-rationalen (Werten, Empfindungen) Parametern zu werfen. Die unterschiedlichsten Empfindungen spielen dort genauso eine wichtige Rolle wie die Zahlen und Fakten, eher eine zunehmend wichtigere. Die Identifikation mit der Stadt hängt also nicht allein an z.B. der Möglichkeit eines Arbeitsplatzes, sondern ebenso an der Intensität der positiv-sinnlichen Wahrnehmung, die sich u. a. in Bildern, die in den Köpfen entstehen (Brain-scripts), einprägsamen Zeichen (Landmarks) und Erlebnismagneten (Core Attractions) festmacht.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass Qualitätskategorien an sich nicht messbar sind, wenn man sie nicht auf »das Funktionieren« beschränken will. Sie sind deswegen nicht messbar, weil sie der sinnlichen Wahrnehmung unterliegen. Ich emp-finde eine Innen-Stadt als attraktiv oder auch nicht, noch so viele Statistiken über das Warenangebot, die Anzahl der Parkplätze oder Größe der Verkaufsflächen können das nicht in das jeweilige Gegenteil umändern.

Schaffung von Identität
Effektives Stadtmarketing muss daher integrativ aufgefasst werden. Dabei kommt es darauf an, dass auch die Politik vor Ort adäquat reagiert und das Stadtmarketing konstruktiv begleitet. Politik, Verwaltung und Bürgerschaft ziehen unter dem Dach des Leitbildes an einem Strang. Identität ist Grundvoraussetzung für gemeinschaftliches Handeln; das Leitbild ist die verbindende Klammer. Es transportiert Identifikations- und Sinn-Angebote für den Einzelnen. Gemeinschaft wird so zu einer Sinn-vollen Struktur von Individuen.

Diese Identifikationsmöglichkeiten mit der Stadt generieren Eigeninitiative und Eigenverantwortung, die Voraussetzungen für bürgerschaftliches Engagement und ein weiterer Schritt auf dem Weg in die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Es kommt darauf an, dass der Bewohner und Besucher als Mensch und nicht nur als potentieller Konsument Angebote, sinn-lich erlebbare Andockpunkte präsentiert bekommt.

Diese Andockpunkte können bekannte Dinge aus dem Alltag sein, die in neue Sinnzusammenhänge gebracht werden, um sie neu in der Erinnerung zu verankern. Der Kreativität sind dort kaum Grenzen gesetzt. Sie können in der Architektur, in der Innenarchitektur, innerhalb von Events oder ganz einfach in städtebaulichen Strukturen eingebaut werden. Diese Sinn-Angebote sprechen die Besucher und Bewohner an, in der Vielfalt spricht die Stadt die Besucher und Bewohner an: Erlebnis-Kommunikation.

Die Faszination der Gegenwart: Kommunikation
Kommunikation findet dauernd statt, die visuelle Abtastung durch die Augen im Stadtraum, das Durchschreiten, das Flanieren – also die sinnliche Wahrnehmung ist nichts anderes als nichtverbale Kommunikation. Wie komme ich in die Stadt, was sehe ich, was höre ich, wie stellen sich mir die Menschen dar, Authentizität; wie stehen diese Dinge in welchem Verhältnis zum Warenangebot, zur Erreichbarkeit, zu der Zahl von Parkplätzen etc. Je stimmiger, homogener und harmonischer dieses Beziehungsnetz ist, desto höher ist die empfundene Qualität der Stadt.

Über Jahre entwickelte städtebauliche Defizite, Kommunikationsschwächen, Erlebnislücken sollten durch kreatives Marketing in Stärken umgewandelt werden. Neue Formen der Werbung wie z.B. »Viral- und Guerillamarketing« können auf Stadtstrukturen übertragen werden und dazu beitragen, im Rahmen des Leitbildes eine einzigartige Kommunikationskultur, die es so nur in dieser Stadt gibt, aufzubauen.

Kann man Städte wirklich verkaufen? Bei einem Verkauf ändern sich die Besitzverhältnisse. Eine Stadt ist entsprechend nur in den seltensten Fällen »verkaufbar«; gemeint ist etwas anderes. Das Ziel eines professionellen Stadtmarketings muss sein, ein Lebensgefühl zu identifizieren, zu kommunizieren und als Katalysator zu nutzen, die Stadtqualität den Bewohnern und Besuchern zu »verleihen«. Es ist quasi der emotionale Mehrwert, das Stadt-produkt, welches dem Besucher zuteil wird.

Konkurrenz um Lebensqualität
Das zu transportierende Lebensgefühl kann nicht auf die rein ökonomischen Sachverhalte beschränkt bleiben. Es muss jeden Besucher und Bewohner erreichen. Dazu sind ihm visuelle und emotional ansprechende Angebote zu machen. Auch derjenige, der nur in der Stadt flaniert und nicht konsumiert kann und sollte zu einem Stadt-Botschafter werden. Die Gewinnung möglichst vieler Botschafter ist ein Ziel professionellen Stadtmarketings.

Es ist Zeit, sich auch in wirtschaftlichen Fragen wieder mehr den menschlichen Bedürfnissen zu widmen, wenn man den Niedergang vieler Innenstädte stoppen will. Die ungeliebten »soft skills«, die so schwer erfassbar sind und gerne als schwammig und nicht zureichend definierbar abgetan werden, diesen Sinn-Kategorien ist vermehrt Beachtung zu schenken. Sie sind zu lange vernachlässigt worden zugunsten von Quantitätskategorien und der Reduktion von komplexen Bezugssystemen wie Innen-Städten auf ihre mechanistische Funktion; der Zustand vieler Städte spricht darüber Bände.

Ökonomie und Qualität jenseits der Funktion wieder gleichzeitig zu denken, Qualität und Quantität wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen, ist das Ziel auf dem Weg zur Wiederbelebung von Innen-Städten. Qualität ist dabei alles, was dem Besucher und Bewohner nachhaltig als positiv sinnliche Wahrnehmung ins Bewusstsein gelangt.

Die wirtschaftlichen Veränderungen im Rahmen der Globalisierung führen zu einer zunehmenden Regionalisierung, während die Nationalstaaten an Wichtigkeit verlieren. Die Organe des Organismus Region, die Städte, bekommen im Gegenzug ein höheres Maß an Wichtigkeit für das Funktionieren des Gesamtsystems.

Sollte dieser Trend anhalten, und momentan spricht noch sehr viel dafür, wird sich die Konkurrenz der Städte untereinander weiter verschärfen. »Konkurrenz belebt das Geschäft«, dieser alte Kaufmannsspruch, übertragen auf Klein- und Mittelstädte, kann dazu beitragen, dass der schwierige Strukturwandel für die Kommunen mit professionellem Stadtmarketing zu einer Erhöhung der Lebensqualität ganzer Regionen führt.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/artikel/1011a/1011a.htm