Christian Rickens:
Die neuen Spießer. Von der fatalen Sehnsucht nach einer überholten Gesellschaft

ISBN: 355007896X
Erscheinungsjahr: 2006
Ullstein
Gartenzwerge auf dem Vormarsch?
 

        


 
ine neue Spießigkeit färbt neuerdings die gesellschaftlichen Diskurse. Gegen das immer lauter werdende Gerede über Werteverfall, die demographische Krise, den Niedergang von Familie, Glaube und Vaterland erhebt der Publizist Christian Rickens Widerspruch. Nichts als neue Spießigkeit erkennt der Redakteur des manager magazins in den Parolen der so genannten neuen Bürgerlichen. In den Feuilletons, Talkshows und politischen Debatten seien mittlerweile in schöner Regelmäßigkeit Meinungsmacher unterwegs, die den Untergang des Abendlandes wittern. Der Zeitgeist wäre konservativ, erzählen uns Schirrmacher, Nolte, di Fabio & Co., und nur eine Rückkehr zu bürgerlichen Werten und Tugenden könne den Niedergang Deutschlands aufhalten.

In seinem Buch Die neuen Spießer. Von der fatalen Sehnsucht nach einer überholten Gesellschaft hinterfragt Christian Rickens die Ideen und Positionen der neubürgerlichen Deutschland-Retter und argumentiert gegen ihre Vorurteile, Mythen und Denkfehler. Sehr schlüssig gelingt es ihm, die Warnungen der »neuen Spießer« als Moralapostelei aus der Perspektive von Gartenzwergen zu entlarven. Um nichts anderes als den untauglichen Versuch, die heutigen Probleme mit Mitteln von vorgestern zu lösen, handle es sich bei dem Phänomen des neuen Spießertums.

Rickens warnt vor dem klassisch konservativen Denkmuster, den stetigen Wandel mit Niedergang gleichzusetzen. Der angebliche Werteverfall sei bloß ein Wertewandel und gehe in die richtige Richtung. Auch den Versuch, die Missstände nicht im politischen System zu suchen, sondern in den Menschen selbst, erkennt der Autor als typisch konservative Tendenz.

Die neue Bürgerlichkeit wird von Rickens auf den Seziertisch gelegt und beharrlich, plakativ, zum Teil jedoch auch tendenziös bearbeitet. An mancher Stelle macht es sich Rickens etwas zu leicht, wenn er auf Basis alter Hüte und unreflektierter Plattitüden argumentiert. So ergeht auch von Rickens der Ruf nach Wirtschaftswachstum als Allheilmittel: Wenn die Wirtschaft nur erst wieder zulege, dann werde man schon fertig mit der Arbeitslosigkeit. Von einem, der sich zum Ziel gesetzt hat, gegen die gebetsmühlenhaft vorgebrachten Floskeln der neuen Bürgerlichen vorzugehen, erwartet man freilich anderes als die ewig gleichen – bisher wirkungslos gebliebenen – Rezepte.

Zudem ist es ein Einfaches, beliebige Thesen zu widerlegen, entfernt man sich nicht vom sicheren Boden des Konjunktivs. Da liest man beispielsweise: »Wenn es Deutschland gelänge, seine langfristige Wachstumsrate auf 2 Prozent zu steigern, wenn es gelänge, die Arbeitslosigkeit auf 5 Prozent zu halbieren, dann...« Ja, wenn...! Leider verkommt durch diese Oberflächlichkeit die durchaus berechtigt vorgebrachte Kritik an den Argumenten der neuen Bürgerlichen zu schlichter Besserwisserei.

Dennoch: Es ist zweifellos Christian Rickens' großes Verdienst, als einer unter wenigen der neuen Angstmache und Schwarz-Weiß-Malerei der neuen Bürgerlichen entgegenzutreten. Hat sich bisher kaum Widerspruch geregt gegen Aussagen wie die »Unterschicht des 21. Jahrhunderts« verschwende ihr Geld im »klassenspezifischen Konsumdreieck aus Tabak, Alkohol und Lottospiel« (Historiker Paul Nolte) oder »Disziplinlosigkeit ist eines der Hauptmerkmale der neuen Unterschichtkultur« (Stern-Reporter Walter Wüllenweber), so macht Christian Rickens mit humorvoll vorgebrachten Argumenten solche Äußerungen als Stammtischgerede verächtlich.

Christian Rickens streitet nicht ab, dass es große gesellschaftliche Probleme in Deutschland gibt, einen flächendeckenden Werteverfall sieht er jedoch nicht. Dass die »neuen Spießer« auf dem Vormarsch sind, ist aus Rickens' Sicht auch nicht überraschend: Denn die, die heute die Werte von gestern als Problemlösung propagieren, haben selbst seinerzeit zur Entstehung eben dieser Probleme beigetragen. Der Bevölkerungsforscher Herwig Birg etwa war als Wissenschaftler daran beteiligt, ein Gesetz zur geregelten Zuwanderung zu verhindern.

Was an Christian Rickens Buch irritiert, ist weniger der Inhalt, als die Aufbereitung: der flotte, persönliche Stil wird einem Sachbuch nicht gerecht, liegt aber ganz im Trend der Zeit, Debatten oberflächlich zu führen, schließlich wird der Kampf um die Aufmerksamkeit auch auf dem Buchmarkt ausgefochten. So liegt das Buch ganz im Trend der Fachliteraturproduktion ohne Tiefgang. In diesem Sinne handelt es sich bei Rickens' Polemik um amüsante Lektüre, einen wohltuenden Kontrapunkt zur scheinbaren Meinungsführerschaft der neuen Bürgerlichkeit, ins Bücherregal stellen möchte man Die neuen Spießer jedoch nicht.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/buch/0704a/0704a.htm