Thomas L. Friedman:
Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts

ISBN: 3518418378
Erscheinungsjahr: 2006
Suhrkamp
Und die Erde ist doch eine Scheibe!
 

        


 
homas L. Friedman, Kolumnist der New York Times, hat sich schon früh mit dem Thema der Globalisierung auseinander gesetzt. Als einer der Ersten erkannte er, dass das, was man Globalisierung nennt, viele Phänomene der heutigen Zeit erklären kann. Mitte der neunziger Jahre begann er, das Zusammenspiel aus Technologie, Finanzmärkten und Welthandel zu beleuchten. 1999 veröffentlichte er mit The Lexus and the Olive Tree das wohl erste Globalisierungsbuch, das einer breiten Masse zugänglich wurde. Dieses Buch trug stark dazu bei, einen intellektuellen Rahmen für die Globalisierungsdebatte zu schaffen.

Nach 9⁄11 beschäftigte sich Friedman dann stärker mit Terrorismus als mit Globalisierung. Kolumnen zu diesem Thema brachten ihm auch seinen dritten Pulitzer Preis ein. Erst als er erkannte, dass die Globalisierung eine neue Dimension erreicht habe, widmete er sich diesem Thema wieder: Verschiedene technologische und politische Kräfte entstehen und nähern sich einander an, sodass ein globales, internetbasiertes Spielfeld entsteht, das die unterschiedlichsten Kollaborationsformen ermöglicht, ohne dass Standort oder Distanz eine Rolle spielen würden – und bald werden auch Sprachbarrieren unbedeutend werden.

Globalisierung ist beileibe kein neues Phänomen. Um die Entwicklung nachzuzeichnen, blickt Thomas Friedman weit in die Vergangenheit zurück. Die erste Phase – von Friedman als »Globalisierung 1.0« bezeichnet – nimmt ihren Anfang im Jahr 1492. Das war die Zeit als Christoph Kolumbus sich aufmachte, zu beweisen, dass die Welt rund sei. Spanien, England, Holland und Frankreich waren die treibenden Kräfte der Globalisierung, denn sie sorgten durch die Kolonialisierung dafür, dass die Welt von groß zu mittelgroß schrumpfte. Hauptantrieb in der nächsten Phase (»Globalisierung 2.0«) waren ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts multinationale Unternehmen, die es für uns selbstverständlich werden ließen, Produkte aus aller Welt im heimischen Supermarkt kaufen zu können. Die Welt wurde klein. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts setzt nun die Phase »Globalisierung 3.0« ein, die durch Individuen und kleine Gruppen angetrieben wird. Eintrittsbarrieren fallen und Individuen können von jedem Ort auf der Welt am globalen Wirtschaftsleben teilnehmen. Diese Phase der Globalisieurng ist Thema in Thomas L. Friedmans Buch Die Welt ist flach, worin er erklärt, wie aus einem Globus wieder eine Scheibe werden konnte.

Am besten beschreibt wohl Bill Gates das Phänomen der flachen Welt, wenn er die Frage stellt, wer man wohl vor zwanzig Jahren lieber gewesen wäre: ein mittelmäßiger US-Student aus Poughkeepsie oder ein Genie aus Shanghai. Damals hätte diese Abwägung mit größter Wahrscheinlichkeit ergeben: Mittelmäßigkeit in Poughkeepsie hat bessere Zukunftsaussichten als Genialität in Shanghai. Heute hingegen sieht dies anders aus: Man würde vorziehen, der kluge Chinese zu sein, da es in einer flachen Welt möglich ist, Talente in alle Welt zu exportieren. Dies gelingt vor allem durch die Digitalisierung von Kommunikation und Arbeitsprozessen. Internet und E-Mail lösen die Arbeitsteilung aus einem regionalen oder nationalen Kontext heraus: Arbeitsteilung erfolgt ab sofort weltweit, weil die Welt vernetzt ist und die nahtlose Zusammenarbeit von Menschen erlaubt, die über den gesamten Erdball verstreut sein können.

Obwohl Friedman nicht nur die Technik als Antriebskraft dafür sieht, dass die Welt flach wurde und dies so schnell vonstatten ging, sondern auch weitere »Flachmacher« identifiziert, angefangen beim Fall der Berliner Mauer über Outsourcing und Open-Sourcing bis zur Schaffung globaler Wertschöpfungsketten, kommt im Buch politischen Faktoren doch recht wenig Gewicht zu. Ist nicht auch die veränderte Politik von Staaten, ihre größere Marktfreundlichkeit oder Deregulierung verantwortlich für eine Dynamik des privaten Sektors sowie erhöhte Innovation und somit wesentlich maßgeblich für die Verflachung der Welt? In vielen Fällen kommt dem technologischen Fortschritt doch eher die Rolle des Steigbügelhalters als die des Reiters zu.

Ist die Welt aber wirklich flach? Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang auf den amerikanischen Soziologen Richard Florida zu verweisen, der zu einem völlig anderen Ergebnis kommt. Wenn Friedman ausführt, dass in einer flachen Welt Innovation für jeden möglich ist, ohne auswandern zu müssen, dann setzt Florida dem entgegen, dass Standorte immer noch ihre Bedeutung haben. Und er belegt dies mit einer Reihe von Indikatoren, die die Welt alles andere als flach aussehen lassen, vielmehr »spiky« sei die Welt: jede Menge spitzenförmige Erhebungen tun sich da auf, sieht man nur genau genug hin. Wie konnte Friedman diese Spitzen übersehen? Florida wählt beispielsweise die Bevölkerungskonzentration in urbanen Regionen, Lichtemissionen oder Patentanmeldungen als Hinweis darauf, dass sich wirtschaftliche Aktivität auf relativ wenige Regionen konzentriert. Als Spitzen erheben sich diese Zentren ökonomischer Aktivität aus der Landkarte. Viele Menschen sammeln sich dort, häufen Kreativität an und ziehen dadurch immer mehr Menschen an, was die Bedeutung dieser Zentren weiter steigert. Die restliche Welt hingegen sei abgeschlagen in Tälern der Nicht-Innovation.

Wahrscheinlich haben sowohl Friedman als auch Florida Recht. Wir können heute sowohl Clusterbildung als auch globale Netzwerke beobachten. Beide Entwürfe muten wie Schnappschüsse der Gegenwart an, leider versäumten es beide Autoren, eine dynamische Betrachtung anzustellen. Wenn Friedman sagt, die Welt sei flach, kann er dies tun, ohne Floridas zweifellos gewichtige Argumente zu berücksichtigen? Und wenn die Welt heute flach ist, wird sie dies ewig bleiben? Flacher als flach geht nicht. Betrachtet man beispielsweise Indien, muss man abseits der aufstrebenden Wirtschaftsregionen auch sehen, dass es sich insgesamt immer noch um ein bitterarmes Entwicklungsland handelt. Es ist zu bezweifeln, ob wirklich jeder Inder die Möglichkeiten hat, am globalen Wettbewerb teilzunehmen.

Überhaupt fehlt dem Buch jeglicher Bezug zu den Problemen der Entwicklungsländer. Wenn Friedman darüber schreibt, dass Milliarden von Menschen der Zugang zu den globalen Märkten ermöglicht wird, erwähnt er mit keinem Wort die Unmengen von Menschen – und es sind auch Milliarden! –, die in Armut leben, mit Seuchen kämpfen oder politischen Konflikten und Kriegen ausgesetzt sind. Aber nicht umsonst eilt Friedman der Ruf voraus, »Cheerleader der Globalisierung« zu sein. Während also seine Thesen für die entwickelten Industriestaaten bestimmt gültig sind, da in der Tat das Internet Information für jedermann verfügbar gemacht hat, stimmt dies nicht – abgesehen von einer kleinen Minderheit – für Entwicklungsländer. Die Kommunikationsrevolution ist beileibe noch nicht in allen Teilen der Welt angekommen.

Trotz dieser vielleicht an Stellen etwas oberflächlichen Sicht auf die Dinge bietet Friedman ein interessantes und umfassendes Erklärungsmuster für die Globalisierung wie sie heute stattfindet. Den Leser erwarten interessante Denkanstöße, sofern er sich mit Friedmans doch recht eigenwilligem Stil arrangieren kann: Man begleitet den Autor auf Reisen, trifft seine Frau und seine Kinder, erfährt allerhand über seine Freunde und wohnt seinen Interviews bei. Wer ein trockenes Fachbuch erwartet, mag dies irritierend finden, jedoch muss man zugestehen, dass diese Erzählweise definitiv funktioniert, um auch komplizierteste Ideen zugänglich zu machen.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/buch/0706b/0706b.htm