Joseph E. Stiglitz:
Die Chancen der Globalisierung

ISBN: 3886808416
Erscheinungsjahr: 2006
Siedler
Konstruktive Globalisierungskritik
        


 
oseph Stiglitz hat scheinbar eine 180-Grad-Kehrtwende vollführt. In seinem 2002 vorgelegten Buch Die Schatten der Globalisierung hat er noch vor den Gefahren einer ungezügelten Entwicklung des Welthandels gewarnt und dabei die Weltbank und andere globale Institutionen aufs heftigste kritisiert. Sein Nachfolgebuch Die Chancen der Globalisierung handelt von einer Erfolgsgeschichte und zeigt, wie die Chancen für positive Veränderungen, die in der Globalisierung liegen, genutzt werden können.

Dennoch: Der Wandel vom Globalisierungskritiker zum Globalisierungsverfechter ist nur ein vordergründiger. Die Bilanz des bisherigen Globalisierungsprozesses, die Stiglitz in seinem Fortsetzungsband zieht, ist durchaus eine kritische: Auch wenn der weltweite Wohlstand insgesamt durch die Globalisierung zunimmt und Staaten wie China und Indien von der internationalen Wirtschaftsvernetzung profitieren mögen, hat sich das Gefälle zwischen Arm und Reich vergrößert: die Reichen sind in der Regel reicher und die Armen ärmer geworden. Stiglitz zufolge fließt Geld aufgrund der strukturellen Ungerechtigkeit der Welthandels- und Weltfinanzordnung unvermeidlich von unten nach oben, von Arm zu Reich.

Der Prozess der weltweiten wirtschaftlichen Vernetzung sei unaufhaltsam, daher sucht Joseph Stiglitz keine Alternative zur Globalisierung, sondern andere Wege der Globalisierung. Globalisierung ist für Stiglitz, seines Zeichens Nobelpreisträger für Ökonomie, ehemaliger Chef-Volkswirt der Weltbank und Berater der Clinton-Regierung, kein Schicksal, sondern das Ergebnis politischer Steuerung und der Durchsetzung ökonomischer Theorien. Demzufolge wäre es heute um die Welt besser bestellt, wären die Weichen anders gestellt worden. Die Globalisierung soll demokratisiert werden, meint Stiglitz. Einen globalen Gesellschaftsvertrag braucht es.

Sehr ambitioniert klingt diese Idee, und doch bleibt im Buch der Blickwinkel leider größtenteils auf das Ökonomische beschränkt. Die einzelnen Kapitel des Buches befassen sich sodann mit der ganzen Palette ökonomischer Globalisierungsthemen: Entwicklungspolitik, Welthandelsordnung, Patentschutz und geistiges Eigentum, multinationale Konzerne, Weltwährungsordnung. Einer Analyse des momentanen Zustandes – um den es Stiglitz zufolge gar nicht gut steht – folgen jeweils Reformvorschläge, durch die die weltwirtschaftlichen Probleme besser in den Griff zu bekommen seien. So ist Die Chancen der Globalisierung vor allem ein Plädoyer für eine gerechtere Wirtschaftsordnung.

Die derzeitige globale Marktwirtschaft komme allenfalls wenigen zugute, so Stiglitz. Kritisch beleuchtet er die amerikanischen und europäischen Agrarsubventionen, die Schutzzölle, die ungleiche Medikamentenversorgung und den Umgang mit dem Kyoto-Protokoll. Als Lösung schlägt Stiglitz etwa vor, dass die wohlhabenden Länder ihre Märkte für die ärmeren Länder öffnen sollten, ohne von ihnen im Gegenzug das Gleiche zu verlangen. Grenzüberschreitende Kapitalströme und Waffenverkäufe an Entwicklungsländer sollen besteuert werden, um öffentliche Infrastrukturen zu finanzieren. Die Stimmrechtsverteilung in Weltbank und Internationalem Währungsfonds soll reformiert werden, das Vetorecht der USA gehöre eingeschränkt. Auch schwebt dem Autor die die Einführung des »Weltdollars« als internationale, nicht an die Politik eines einzelnen Staates gebundene Leitwährung vor.

Angenehm hebt sich Die Chancen der Globalisierung von der Antiglobalisierungsdebatte ab, da es nicht alternativlos gegen die Globalisierung argumentiert, wie dies leider allzu oft sonst üblich ist. Stiglitz' Kritik an der Globalisierung wird stets genährt von einem Glauben an die Globalisierung und ihr Potential. Dabei übersieht Stiglitz nicht die Gründe vieler Menschen für die Unzufriedenheit mit der Globalisierung. Er ist jedoch der Auffassung, dass die negativen Auswirkungen der Globalisierung nicht unvermeidlich sind.

Für Stiglitz ist die vorrangige Frage, wie wir mit der Globalisierung umgehen, wie wir sie besser funktionieren lassen. Sein Buch ist daher als Versuch zu sehen, konkrete Maßnahmen aufzuzeigen, was getan werden kann, um Globalisierung besser funktionieren zu lassen als bisher. Denn, so ist Stiglitz überzeugt, die Bürger der Industrie- und Entwicklungsländer haben ein gemeinsames Interesse daran, die Globalisierung zu einer Erfolgsgeschichte für alle zu machen.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/buch/0801a/0801a.htm