Stefan Münker:
Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0

ISBN: 351826026X
Erscheinungsjahr: 2009
Suhrkamp Verlag
Medium der Massen
        


 
lle Medien sind sozial, denn Medien vermitteln. Ist es dann eine Tautologie, von Sozialen Medien zu sprechen? Die Sozialen Medien im Web 2.0 gehen über das Vermitteln hinaus, sie entstehen im gemeinsamen Gebrauch. Daher, so der Medienwissenschaftler Stefan Münker in seinem Essay Emergenz digitaler Öffentlichkeiten, wäre es durchaus gerechtfertigt, von Sozialen Medien zu sprechen. Denn neu ist, dass mit dem Web 2.0 zum ersten Mal »eine massenhafte Nutzung gemeinschaftlich geteilter, interaktiver Medien nicht nur möglich, sondern wirklich« wird.

Münker erläutert in seinem Essay die Logik des Web 2.0 und zeigt anhand von Beispielen auf, welche Konsequenzen die Entstehung seiner Sozialen Medien für unser Verständnis von Öffentlichkeit hat. Es wird schnell klar – und Münker bekennt sich am Beginn des Buches auch dazu –, dass der Autor Internetfan ist. In seinem Essay werden daher auch die Effekte der digitalen Vernetzung auf unsere Kultur und Gesellschaft in ein durchweg positives Licht gestellt. Dass der Autor seine positive Grundhaltung offenbart, ehrt ihn, was dann aber sogleich einen Schatten auf den Text wirft, ist seine nachgeschobene Erklärung: Die positive Haltung wird darauf zurückgeführt, dass man aus dem Internet nicht aussteigen, es aber mitgestalten kann. Das Internet gut finden, bloß weil man es nicht verhindern kann?

Web 2.0 – was heißt das eigentlich? »Internetauftritte so zu gestalten, daß ihre Erscheinungsweise in einem wesentlichen Sinn durch die Partizipation ihrer Nutzer (mit-)bestimmt wird«. Dabei kann das Ausmaß der Partizipation erheblich divergieren: vom bloßen Kommentieren (z.B. Produktbewertungen bei Amazon) bis zur vollständigen Erstellung der Inhalte (z.B. die Online-Enzyklopädie Wikipedia). Münker macht einen Punkt des entscheidenden Wandels des Internets aus: herkömmlich war das Internet – einer Litfaßsäule vergleichbar – ein Medium der Verlautbarung von Informationen. Vor allem durch technische Weiterentwicklungen wurde das Internet beschreibbar: es wandelte sich »von einem Medium der Vernetzung von Informationen zu einem Medium der spontanen Interaktion mit vernetzten Informationen«. Dies war die Geburtsstunde der Sozialen Medien. Der entscheidende Unterschied zu anderen Medien liegt also darin, dass wir Soziale Netzwerke nur nutzen können, weil andere dies auch tun.

Münker sieht in den elektronischen Massenmedien die neuen Leitmedien der heutigen Zeit. Die Indizien für diesen Trend sind nicht zu übersehen: Besonders das amerikanische Zeitungswesen steckt in einer tiefen Krise und speziell bei jüngeren Menschen hat das Internet bereits das Fernsehen als meistgenutztes Medium abgelöst. Münker zufolge passieren Niedergang des einen Mediums und Aufstieg eines anderen nicht nur selbstverschuldet. »Medien müssen in die Welt passen, der sie entstammen, um sie prägen zu können.« Wenn also ein Medium seiner spezifischen gesellschaftlichen Umgebung besser entspricht als ein anderes, wird es sich auch durchsetzen. So weit so gut. Münker lässt solche Befunde aber einfach unbewertet stehen. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn Zeitungen und Fernsehen verdrängt werden durch ein Internet, in dem jeder nach Lust und Laune losplappern kann?

Zwar ist es durchaus wohltuend, wenn der Medienwissenschaftler Stefan Münker zunächst am Boden der Tatsachen bleibt, das Web 2.0 ohne allzu überschwängliche Heilserwartungen beurteilt, im Internet selbst kein Medium, sondern lediglich eine Plattform zur »Erzeugung von Medien« sieht, aber an der einen oder anderen Stelle wünscht man sich als Leser dann doch einen kritischeren Blick. Besonders wenn Münker beschreibt, wie die »Weisheit der vielen« im Web 2.0 über das »Wissen der Eliten« triumphiert, kommt das Loblied auf die Möglichkeiten des Internets zu einseitig daher. Es mag ja stimmen, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia der Encyclopedia Britannica hinsichtlich der Richtigkeit der Eintragungen in nichts nachsteht. Aber dass die große Zahl allein noch lange keine gute Qualität nach sich ziehen muss – auch dafür lassen sich im Web 2.0 ausreichend Beispiele finden. Auch macht es sich der Autor etwas zu einfach, wenn er es dabei bewenden lässt, dass Wissen »immer schon ein Resultat kollaborativer Prozesse der Informationssammlung und -verarbeitung« war.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/buch/0911a/0911a.htm