Tobin Tax: Sand im Getriebe der Finanzmärkte
Als Mittel im Kampf gegen die Globalisierung erlebt die Idee eine Renaissance. Eine Steuer als Allheilmittel? James Tobin, der Schöpfer der Idee, wollte doch nur etwas »Sand ins Getriebe der Finanzmärkte streuen«...

 

        


 
lobalisierungsgegner gehen auf die Straße. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Demonstranten wettern gegen den Freihandel, machen sich stark für eine stärkere Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Die Globalisierung mit ihrem internationalen Kapitalfluss sei schuld an der Ausbeutung der Entwicklungsländer. Und überhaupt produziere die Globalisierung mehr Verlierer als Gewinner. Die Orte der Weltwirtschaftsgipfel werden zu Bühnen für die Globalisierungsgegner. Und da ihr Standpunkt auf Akzeptanz, ja sogar Sympathie in der Bevölkerung stößt, da die Parolen eine in westlichen Ländern vorhandene Stimmung des Unbehagens ausdrücken, werden ihre Forderungen zum Politikum.

»Will man verhindern, dass die Welt sich im 21. Jahrhundert endgültig in einen Dschungel verwandelt, in welchem die Räuber den Ton angeben, wird die Entwaffnung der Finanzmächte zur ersten Bürgerpflicht«, schreibt die französische Gruppe Attac in ihrem inoffiziellen Gründungsmanifest. Attac, angeblich weltweit mehr als 50.000 Mitglieder zählend, hat sich dem Kampf für »soziale und ökologische Gerechtigkeit im Globalisierungsprozess« verschrieben. So hat sich denn Attac auf die Fahne geschrieben, die internationalen Kapitalmärkte zu bändigen.

Spekulative Kapitalströme als Ursache für Finanzkrisen?
Vor diesem Hintergrund wird neuerdings wieder verstärkt die Idee einer Devisenumsatzsteuer als Allheilmittel gegen Finanz- und Währungskrisen in die Diskussion eingebracht. Das Virus, das bekämpft werden soll, heißt spekulative Kapitalströme. Denn diese, so wird allgemein angenommen, seien verantwortlich für den Ausbruch der Finanzkrisen.

Viele Investoren legen ihr Geld sehr kurzfristig in Währungen an, um minimale Unterschiede in der Bewertung in Gewinne zu verwandeln. Wird dieses Geld dann wieder zurückgezogen, bleibt den Ländern nichts anderes übrig, als die Zinsen drastisch anzuheben, um die Währung weiterhin attraktiv zu belassen. Wie die Krisen in Mexiko, Südostasien und Russland während der 90er Jahre gezeigt haben, sind hohe Zinsen für die nationale Wirtschaft ein Desaster.

Arbitragegeschäfte und ihre Auswirkungen
Die weltweiten Devisenumsätze stiegen in gigantischem Ausmaß: als Folge der Auflösung des Währungssystems von Bretton Woods, das ein System von fixen Währungskursen vorsah, erhöhten sie sich von 70 Milliarden US Dollar in 1970 auf heute 1,5 Billionen US Dollar, börsentäglich wohlgemerkt. Auch das Aufkommen der ersten elektronischen Geldtransaktionen mit Computern ließ die Zahl der Transaktionen enorm steigen.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gibt an, dass von diesen 1,5 Billionen US Dollar mehr als 80 Prozent Anlagen mit einer Laufzeit von sieben Tagen oder kürzer sind. Bei einem solch kurzen Anlagezeitraum ist offensichtlich, dass diese 80 Prozent, von denen hier die Rede ist, nichts mit realwirtschaftlichen Aktivitäten, also mit Handelsgeschäften oder Investitionen zu tun haben, sondern Gelder sind, die zu sogenannten Arbitragezwecken verwendet werden, d.h. minimale Kursschwankungen werden für kurzfristige Geschäfte ausgenutzt.

Zur Illustration: ein Anleger schickt sein Geld beispielsweise von Wien nach Hongkong, weil dort, sagen wir, zwei Hundertstelprozent mehr zu bekommen sind. Nach sechs Tagen holt der Anleger das Geld wieder zurück und freut sich über ein einträgliches Geschäft. Dies wäre eine jener Transaktionen, die also 80 Prozent aller Kapitalbewegungen ausmachen.

Die beschriebene Situation resultiert in einer Liquidität, die über das benötigte Maß zur Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens von Handel, Realinvestitionen und internationalen Kreditbeziehungen weit hinausgeht. Dies führt zu zwei Problemen: Zum einen erhöht sie die Volatilität der Wechselkurse und zum anderen ist sie schon allein wegen der Masse und des Tempos der bewegten Gelder per se ein Stabilitätsrisiko.

Natürlich kann man entgegenhalten, dass nicht sämtliche kurzfristige Finanzströme jeglicher realwirtschaftlicher Grundlage entbehren, wie etwa Hedging-Aktivitäten zur Absicherung von Handelsgeschäften und Investitionen gegen Wechselkursschwankungen. Selbst solche Transaktionen herausgerechnet, bleibt dennoch eine hohe, spekulationsbedingte Überliquidität, die ein Risiko für die Stabilität des internationalen Finanzsystems darstellt.

»Sand ins Getriebe der Finanzmärkte streuen«
Zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems und damit der Vermeidung von Finanzkrisen müssen daher die für diese Überliquidität verantwortlichen kurzfristigen Kapitalbewegungen ohne realwirtschaftliche Grundlage zurückgedrängt werden. Genau dies ist der Ausgangspunkt einer Devisenumsatzsteuer, wie sie der Ökonomie-Nobelpreisträger James Tobin erstmals 1972 vorschlug.

Tobins Idee war es, die kurzfristigen, für Wechselkursschwankungen verantwortlichen Finanzmarkttransaktionen durch die Auferlegung einer Steuer unrentabel zu machen, wobei die Steuer so gering sein sollte, dass sie Handelsgeschäfte, langfristige Kredite und Realinvestitionen nicht abschreckt. Tobins Vorschlag hatte einen Aufschlag zwischen 0,1 Prozent und 1 Prozent auf die Umwechslung von einer Währung in die andere zum Inhalt, um »etwas Sand ins Getriebe der Finanzmärkte zu streuen«.

Der dieser Idee innewohnende Gedanke war, dass schon geringe Steuersätze das Kaufen und Verkaufen einer Währung innerhalb eines Tages, einer Woche oder eines Monats zu teuer werden lassen und dadurch verhindern. Bei langfristigen Transaktionen würde allerdings eine Steuer von so geringer Höhe kaum ins Gewicht fallen, sodass diese Art von Aktivitäten nicht gestört würde. Spekulative, destabilisierende Transaktionen sollen durch Erhebung der Tobin Tax zurückgedrängt werden, ohne realwirtschaftlich veranlasste Aktivitäten zu beeinträchtigen. Man spricht hier von Filterfunktion der Tobin Tax: »Gute« Finanzströme sollen den Filter ungehindert passieren können, »schlechte« Finanzströme bleiben im Filter hängen.

Bekämpfung der Symptome oder Heilung?
Kann ein solch einfaches Rezept tatsächlich die Lösung für ein so komplexes Problem wie die Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte sein? Und kommt dieses Allheilmittel gänzlich ohne Nebenwirkungen aus? Des Weiteren liegt die Vermutung nahe, dass die Tobin Tax lediglich die Symptome des kranken Patienten - der globalen Finanzmärkte - bekämpft, die Ursache der Krankheit jedoch unangetastet lässt.

Die Ursachen von Währungs- und Finanzkrisen sind in falscher Wirtschaftspolitik zu suchen, die Finanzmärkte bilden diese Zustände in ihren Preisen lediglich ab. Finanzmärkte reagieren schneller und volatiler, weil Preise schneller sind als Mengen. Das heißt aber nicht, dass die Ursachen für Krisen in den Finanzmärkten zu suchen sind. Spekulative Finanzströme sind also nur Symptome für Ungleichgewichte. Somit bedeutet eine Ausschaltung dieser Transaktionen nur die Beseitigung der Symptome; kann man davon aber eine Gesundung erwarten?

Voraussetzungen der Tobin Tax
Als wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der vorgeschlagenen Maßnahme nannte Tobin, dass die Steuer weltweit mit einem einheitlichen Steuersatz erhoben werden müsste. Denn nur durch die Verhinderung von Steueroasen kann der Kreativität, die Marktteilnehmer entwickeln, wenn es um Steuerumgehung geht, entgegengewirkt werden. Doch hier beginnt schon das Problem der praktischen Umsetzung. Sind die Länder zu einem solch konzertierten Vorgehen bereit?

Des Weiteren tritt die Schwierigkeit auf, zwischen »schlechter« Spekulation und »gutem« Außenhandel unterscheiden zu müssen. Da alle Formen des Devisenhandels getroffen werden, verteuert sich auch der internationale Handel und die Umsätze auf den Devisenmärkten sinken, was eher zu steigender Volatilität führt - genau das Gegenteil des angestrebten Ziels. Ist die von James Tobin vorgeschlagene Steuer überhaupt imstande, das definierte Ziel zu erreichen?

Die eine und die andere Tobin Tax
Zurück zu den Globalisierungsgegnern: James Tobin ist nicht glücklich, auf welche Weise seine Idee durch die Globalisierungsgegner eine Renaissance erleben darf. James Tobin ist Ökonom und als solcher sieht er sich als Anhänger des Freihandels, befürwortet den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die Welthandelsorganisation.

Den Globalisierungsgegnern aber ist der Freihandel ein Dorn im Auge, sie sehen IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation als Feind der Entwicklungsländer. Zudem meint Tobin, dass die zum Symbol der Globalisierungskritiker gewordene Tobin-Tax nicht mehr viel gemein hat mit seinem Vorschlag. Es ginge den Befürwortern heute hauptsächlich um die Einnahmen aus der Steuer, mit denen die Entwicklungshilfe vorangetrieben werden solle. Und so kreist die Diskussion heute auch stark um die Aufteilung der Steuereinnahmen. Für Tobin war jedoch das Eintreiben von Geld allenfalls Nebenprodukt seiner Idee, es ging lediglich um die Bremsung des Devisenhandels zur Stabilisierung von Wechselkursen. Es mag Mr. Tobin zur Beruhigung gereichen, dass der Kuchen erst aufgeteilt werden kann, sobald er gebacken ist. Und ob dies jemals geschieht, ist höchst fraglich.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/wissen/0302a/0302a.htm