Mass Customization: Maßgeschneidert vom Fließband
Immer mehr Unternehmen orientieren sich an den Prinzipien der kundenindividuellen Massenfertigung. Ziel der Mass Customization ist es, Kunden individuell zu bedienen und damit die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, ohne die Vorteile der Massenfertigung aufzugeben. Dazu ist neben einer klaren Strategie auch eine konsequente Ausrichtung der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich.

 

        


 
ie können Ihr Auto in jeder beliebigen Farbe haben, solange diese schwarz ist.« Ein derartig offenkundiges Ignorieren von Kundenwünschen wie es sich Henry Ford anlässlich der Einführung der Fließbandfertigung leistete, ist heute kaum vorstellbar. Ford jedoch schaffte es trotzdem, Millionen des legendären Models T – in schwarz – zu verkaufen. Nach der Umstellung auf Fließbandfertigung konnte Ford seine Tin Lizzie derart günstig auf den Markt bringen, dass praktisch jede Konkurrenz ausgestochen war.

Eine solch beherrschende Stellung ist in den heutigen Märkten selten, Kunden besitzen die Macht und spielen diese nach Belieben aus. Sowohl in Investitions- als auch in Konsumgütermärkten nimmt seit Jahren die Individualisierung der Nachfrage zu: Konsumenten wünschen persönliche Differenzierung und Unternehmen fordern von ihren Lieferanten individuelle Ausführungen, um Fremdleistungen nahtlos weiterverarbeiten zu können.

Sich als Anbieter nicht nach den Kundenwünschen zu richten, kommt einem K.O. gleich. Nie war die Wechselbereitschaft der Kunden größer. Um die Nase vorne zu behalten, müssen Hersteller ihren Kunden jeden Wunsch von den Augen ablesen, sehen sich jedoch gleichzeitig steigendem Kostendruck gegenüber, da dabei die Vorteile der Massenproduktion schwinden. Ehemalige Massenmärkte teilen sich mit den Individualisierungstendenzen in immer kleinere Marktsegmente, die mit individuellen Angeboten bedient werden müssen. So entsteht ein Zwang zum Angebot zusätzlicher Varianten.

Eierlegende Wollmilchsau?
Dieses Dilemma schien mit dem Aufkommen der Idee des Mass Customization aus der Welt geräumt: die neue Geschäftsphilosophie erreicht das scheinbar Unmögliche, nämlich die Vorteile der Einzelanfertigung mit den günstigen Kosten der Massenfertigung zu kombinieren. In der Praxis kann Mass Customization unterschiedliche Ausprägungen annehmen, je nachdem, auf welche Weise der Kunde in den Designprozess einbezogen wird. Denkbar ist, dass der Kunde aus einer vorgegebenen Palette von Optionen auswählt, sein Produkt durch Wahl von Attributen konfiguriert oder aber indem er eigenständig seine Anforderungen an das Produkt bestimmt. Dabei sind die Produkteigenschaften, über die Kunden mitbestimmen können sollen, vielfältig. Produktvariationen sind denkbar hinsichtlich Ausmaß, Funktionalität, Qualitätsgrad, Farbe, Verpackung, aber auch die Servicekomponente bleibt nicht unberücksichtigt: Garantieoptionen, Zahlungsmodalitäten oder mit den Produktvarianten verbundenes Training bietet ebenfalls Wahlmöglichkeiten, die ein jeweils maßgeschneidertes Produkt entstehen lassen.

Auf den ersten Blick bietet Mass Customization sowohl für Kunden als auch für Produzenten nichts als Vorteile: Kunden müssen keine Kompromisse eingehen, wenn es um ihre Sonderwünsche geht, ohne übermäßig hohe Preise dafür zu zahlen und Produzenten gelingt es, die Nachfrage besser planen zu können, Premiumpreise zu setzen, ohne hohe Zusatzkosten zu haben sowie ihren Cash Flow zu optimieren, da die Produktion in der Regel erst beginnt, sobald die Bezahlung eingetroffen ist.

Angesichts solch hochfliegender Versprechungen wurden von Beginn an übertrieben hohe Erwartungen an dieses Konzept gestellt und Kritik blieb zwangsläufig in der Folge nicht aus. Sowohl Überschwang als auch Kritik wurden durch eine allzu optimistische Sichtweise genährt, die von Mass Customization erwartet, dass Produzenten in Massen jene Produkte liefern, welche Konsumenten zuvor im Detail nach ihren speziellen Wünschen gestaltet haben. Mag dies in manchen Branchen möglich sein, stößt eine solche Auffassung von Mass Customization in den meisten Sektoren schnell an Grenzen.

Für die Befürworter verkörpert Mass Customization einen Wettbewerbsvorteil par excellence und sie sehen radikale Veränderungen der Art und Weise, wie wir Produkte gestalten, produzieren und ausliefern, heraufziehen, gar einen Paradigmenwechsel meinen sie zu erkennen. Kritiker hingegen haben das neue Konzept seit jeher als naiv gebrandmarkt und sehen Unternehmen am Rande des Desasters. Wie immer jedoch ist die Realität um einiges komplexer und vielseitiger.

Zurück auf den Boden der Tatsachen
Naturgemäß können Kunden nur in sehr begrenztem Maße in den Produktionsprozess involviert werden, sollen die Vorteile der Massenproduktion realisiert werden und Produzenten die Kontrolle über den Produktionsprozess beibehalten. Demnach ist das zu verwirklichende Maß an Mass Customization eine strategische Entscheidung, die wesentlich davon geprägt sein muss, welche Motive hinter dem Wunsch des Kunden nach individueller Anpassung stecken. Unterschiedliche Beweggründe sind für unterschiedliche Arten von Anpassungen verantwortlich.

Ein wesentliches Erfolgskriterium bei der Umsetzung von Mass Customization wird für Produzenten in der Beantwortung der Frage bestehen, ob Schlüsselattribute identifiziert werden können, die für Kunden bei der Produktanpassung eine besonders wichtige Rolle spielen und ob Hersteller Variationsmöglichkeiten dieser Attribute effizient und profitabel anbieten können. Dazu ist ein sehr ausgeprägtes Kundenverständnis notwendig, worüber man in der Praxis aber nur in den wenigsten Fällen verfügt.

Auch gibt es noch wenig gesicherte Erkenntnisse darüber, wie Auswahlmöglichkeiten vom Kunden aufgenommen werden und ob die Möglichkeit der Produktkonfiguration als Spaß oder Last empfunden wird. Oft haben Kunden keine klare Vorstellung davon, welche Lösung ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Daher können die Wahlmöglichkeiten auch zu Unsicherheit, Verwirrung oder Ratlosigkeit während des Designprozesses führen.

Auch sollte nicht vergessen werden, dass das Angebot von Anpassungsmöglichkeiten ein nicht zu unterschätzendes Maß an Interaktion zwischen Kunden und Produzent voraussetzt. Diese Interaktion verursacht nicht nur zusätzliche Transaktionskosten, sondern muss auch in passender Weise gehandhabt werden. Da ein Mass Customizer nicht mehr bloß Produkte anbietet, sondern vielmehr Problemlösungen, besteht auch erhöhter Beratungsbedarf. Wie der Konfigurationsprozess vom Kunden erlebt wird, hat große Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit. Die Kommunikations- und Marketingstrategie des Unternehmens muss diese zusätzlichen Anforderungen berücksichtigen.

Aus dieser Beschreibung der Herausforderungen bei der Umsetzung deutet sich schon an, dass es nicht eine einzige Lösung gibt, Mass Customization in Unternehmen einzuführen, sondern dass eine Bandbreite von Herangehensweisen und Ausgestaltungsmöglichkeiten existiert. In keinem dieser Fälle darf allerdings ausbleiben, Bereiche wie Produktdesign, Beschaffung, Kundenkontakt, Lagermanagement, Supply Chain und Qualitätssicherung auf den Prüfstand zu stellen und sie für Mass Customization fit zu machen.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/wissen/0703a/0703a.htm