Issue Management: Wenn Unternehmen ins Gerede kommen
Wenn die Gerüchteküche brodelt, ist es für Unternehmen höchste Zeit einzugreifen, bevor Themen in der Öffentlichkeit ihre eigene Eigendynamik gewinnen. Weil der globale, digitalisierte Informationsfluss zunehmend unübersichtlich wird, spielt die Früherkennung und Bewältigung von Risiken für Unternehmen eine immer größere Rolle. Ein strategisches Vorgehen ist dabei unverzichtbar, denn in der Krise wird jedes Wort zum Drahtseilakt.

 

        


 
rent Spar« wird der Ölkonzern Shell so schnell nicht vergessen. Im April 1995 sollte die ausgediente Ölplattform »Brent Spar« still und leise in der Nordsee versenkt werden. Hunderte andere Bohrinseln sollten folgen. Dann aber machte Greenpeace dem Ölkonzern einen Strich durch die Rechnung: Aktivisten ketteten sich an dem Stahlungetüm fest, europaweit entfesselte diese Aktion eine bisher ungekannte Solidarität. Politiker verurteilten die Entsorgung im Meer, Medien brachten riesige Schlagzeilen und schon bald boykottierten Autofahrer Shell-Tankstellen. Nach 52 Tagen des Protests gab sich Shell geschlagen und versprach, die pensionierte Ölplattform an Land zu verschrotten.
Viele der Maßnahmen Shells sind Musterbeispiele dafür, wie man im Krisenfall nicht reagieren sollte. Der Ölkonzern wurde damals vom Erfolg der Greenpeace-Kampagne überrascht und verlor vollkommen die Kontrolle über die Situation. »Brent Spar« ist seitdem Synonym für den Alptraum eines jeden Unternehmens.

Die Öffentlichkeit wirft ein zunehmend kritisches Auge auf Unternehmen und diese kommen dabei schnell ins Gerede, wenn sich der Eindruck unverantwortlichen Handelns aufdrängt. Da Unternehmen negative Schlagzeilen scheuen wie der Teufel das Weihwasser, müssen sich Führungskräfte mit diesen Gefahren auseinander setzen und diese aufspüren bevor sie sich noch zu handfesten Problemen ausgewachsen haben.

Denn was über lange Zeit hinweg in teuren Kampagnen an Reputation aufgebaut wurde, kann im Nu zerstört werden – selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass an den Vorwürfen nicht viel dran war. Um Imageschäden abzuwehren, betreiben Unternehmen immer häufiger ein so genanntes Issue Management, welches einem Frühwarnsystem gleicht: Themen in der Öffentlichkeit, die das Unternehmen betreffen, sollen frühzeitig aufgespürt werden, damit in geeigneter Weise darauf reagiert werden kann.

Die Handlungsfreiheit nicht aufgeben
Je größer die öffentliche Aufmerksamkeit wird, desto mehr sind dem Unternehmen in seiner Handlungsmacht die Hände gebunden. Daher spielt es für den erfolgreichen Umgang mit einem krisenträchtigen Issue eine besondere Rolle, dieses frühzeitig zu identifizieren. Ist das Issue nur latent vorhanden, ist die Entdeckung freilich nicht einfach. Sobald aber bereits die Medien darüber berichten, ist das Unternehmen in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt. Medien spielen überhaupt für das Issue Management eine herausragende Rolle. Oftmals entwickelt sich eine Eigendynamik, die Organisation gerät in die Defensive und kann den Schaden nur noch begrenzen.

Themen (»Issues«) werden für ein Unternehmen immer dann relevant, wenn Erwartungen und Wahrnehmung der Öffentlichkeit von den Aktionen des Unternehmens abweichen. Issue Management hat nun die Aufgabe, diese Lücke zu schließen. Eine Vielzahl von Strategien ist denkbar: Produkte oder Prozesse können abgeändert oder bestimmte Bereiche der Unternehmenspolitik angepasst werden, sodass sie den Erwartungen des Marktes entsprechen. Immer aber wird die richtige Kommunikationsstrategie eine entscheidende Rolle spielen, wenn auch – wie dies oft verkürzt dargestellt wird – Kommunikation bei weitem nicht das einzige Werkzeug des Issue Managements ist. Die erfolgreiche Bewältigung von Issues wird nur dann funktionieren, wenn Aktionen strategisch über alle Unternehmensbereiche hinweg abgestimmt sind. Wer die Aufgabe allein seiner Kommunikationsabteilung überlässt, wird nur wenig Erfolg haben, Krisen zu umschiffen oder zu meistern, insofern man sich schon mitten im Sturm befindet.

Ablauf des Issue Managements
Issue Management erfolgt idealerweise in fünf aufeinander folgenden Phasen:

:: Identifikation: Damit ein Unternehmen frühzeitig strategisch auf ein Issue reagieren kann, sollte es sich planmäßig auf die Suche nach konfliktträchtigen Themen machen. Dies ist leichter gesagt als getan: Die Warnsignale einer Krise sind am Anfang meistens schwach und daher nur schwer zu orten. Zudem sind in einem dynamischen Unternehmensumfeld die Vorlaufzeiten dieser Signale eher kurz. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, wonach eigentlich gesucht wird. Ein Katalog aller potentiellen Konfliktthemen lässt sich nur schwerlich anlegen. Auch aus diesem Grund muss Issue Management eine Querschnittaufgabe sein. Nicht nur eine einzige Abteilung sollte sich darum kümmern, sondern ein möglichst dichtes Netz von Mitarbeitern verschiedener Ebenen und Funktionen muss an dem Monitoring des Umfelds beteiligt sein.

:: Potenzialanalyse: Die solcherart gesammelten Daten werden gefiltert und bewertet. Es geht bei diesem Schritt darum, sich ein Bild davon zu verschaffen, wie dringlich die Lage ist, was die voraussichtliche Wirkung sein könnte, in welcher Weise die Issues beeinflussbar sind, welche Mittel zum Einsatz kommen und welches Ergebnis diese herbeiführen könnten. Nach einer ersten Analyse der potentiellen Krisenthemen lassen sich Aussagen über ihre weitere Entwicklung machen. Eine Detailanalyse erfolgt dann für jene Issues, die als besonders relevant eingestuft werden. In diesem Schritt werden Einflussfaktoren untersucht und ermittelt, welche Anspruchsgruppen mit welcher Grundhaltung zu berücksichtigen sind. Nach dieser Analyse lassen sich Folgeabschätzungen ableiten, zudem empfiehlt sich die Erstellung von »worst & best case« Szenarios.

:: Ableitung der Handlungsstrategie: Sind die Fakten des Issues bekannt, kann eine Strategie zur Prävention erarbeitet werden. Hierbei geht es darum, aufeinander abgestimmte Aktionen zu definieren, die die Gefahr neutralisieren sollen. Die Interessen der Anspruchsgruppen müssen an die eigenen Interessen angeglichen werden, der Öffentlichkeit muss gezielt Information zugespielt werden, um die eigene Position zu stärken und gegenläufige Argumente zu entkräften. Eine Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten ist denkbar: Das Unternehmen könnte es den anderen Akteuren überlassen, das Thema voranzutreiben und beschränkt sich selbst auf Reaktionen oder es passt sich der bestehenden Dynamik an und wirkt nur bei Bedarf aktiv ein oder aber das Unternehmen übernimmt die Führung und greift dynamisch ein.

:: Umsetzung der Strategie: Die erarbeitete Strategie muss letztlich in geeignete Aktionen und in eine aktive Kommunikation umgesetzt werden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die Handlungshoheit zu wahren. Wesentlich dabei ist, alle Unternehmensressourcen so zu bündeln, dass das gesamte Unternehmen mit einer Stimme spricht. Als Schnittstelle und Koordinator eines integrierten Issue Management Prozesses ist daher der Kommunikationsbereich des Unternehmens wie geschaffen.

:: Evaluation: Zu guter Letzt sorgt noch eine systematische Erfolgskontrolle für die nötigen Lerneffekte, um Hinweise für künftige, ähnlich gelagerte Issues zu gewinnen.

Zweifellos ist Issue Management mit hohen zusätzlichen Arbeits- und Kostenbelastungen verbunden. Und im Idealfall sollten diese Aufwendungen niemals notwendig werden, da man am besten erst gar nicht mit Krisen zu tun bekommt. Einer solchen Belastung, eine Reserve für den Notfall vorzuhalten, sind besonders kleine und mittlere Unternehmen oft nicht gewachsen. Dass Issue Management dennoch nicht purer Luxus ist, zeigt sich darin, dass es durchaus kostengünstiger ist, frühzeitig in ein positives Image zu investieren als ein angekratztes Image wieder herstellen zu müssen.  

 

URL: http://www.perspektive-blau.de/wissen/0708a/0708a.htm