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Was Europa essen wird: Vom Biotech-Labor auf den Teller?
Die wachsende Nachfrage nach gesunden, hochwertigen Lebensmitteln sowie riesige Fortschritte in der Biotechnologie verändern Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie. Kommt es zu einer Revolution auf Europas Tellern?

        


 
ie Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Nahrung hat seit jeher das menschliche Handeln bestimmt. In der heutigen Überflussgesellschaft ist diese Abhängigkeit nicht mehr offensichtlich, Essmotive sind zunehmend von anderen Notwendigkeiten und Entfaltungsbedürfnissen geprägt.

Die Mobilität, Schnelligkeit und Flexibilität sowie die fortschreitende Alterung unserer modernen Gesellschaft ziehen in Europa veränderte Ernährungsweisen nach sich. Oft muss Nahrung nebenbei konsumierbar, klein und transportabel sein. Die Zubereitung soll einfach sein und schnell vonstatten gehen. Dabei muss Essen optisch ansprechend und herzeigbar sein. Lebensmittel werden zu einem Lifestyle-Produkt, das den Konsumenten in bestimmte Stimmungen versetzen soll. Zudem muss für die wachsende Weltbevölkerung eine immer größere Menge von Nahrungsmitteln produziert und an den richtigen Orten bereitgestellt werden. Aus diesen Entwicklungen entspringen völlig neue Aufgaben für Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie.

Die wissensgestützte Bio-Wirtschaft soll's richten
Auch die Europäische Kommission will auf diese Herausforderungen reagieren und eine neue Balance zwischen Wirtschaft und Umwelt finden. Deshalb hat sie sich die Verwirklichung einer Bio-Wirtschaft auf die Fahnen geschrieben, die sich auf die immensen Fortschritte in der Biotechnologie stützen soll. Landwirte, Lebensmittelproduzenten und alle sonstigen Wirtschaftssektoren, die biologische Ressourcen (Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen) erzeugen, bewirtschaften oder anderweitig nutzen, sollen ihre Anstrengungen darauf richten, nachhaltige und wettbewerbsfähige Produkte herzustellen.

Die Fortschritte auf dem Sektor der Biotechnologie sollen die Landwirtschaft in einen stärker wissensbasierten Industriezweig verwandeln und so die Nachhaltigkeit und Profitabilität dieser Branche stärken, weil Landwirte weniger abhängig werden von ökologischen und klimatischen Schwankungen.

Zur Verwirklichung dieser Vision im Nahrungsmittelbereich hat die Europäische Kommission die Technologieplattform »Food for Life« gegründet, die aus Beteiligten des privaten und öffentlichen Sektors besteht und die Erforschung und Entwicklung von Herstellungsverfahren und neuer Produkte im Lebensmittelbereich vorantreiben soll. Das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm enthält einen eigenen thematischen Bereich »Lebensmittel, Landwirtschaft und Biotechnologie«, um der EU eine aktive Rolle im weltweiten Wettbewerb um biotechnologisch hergestellte Nahrungsmittel zu verschaffen. Während zurzeit Biotech-Firmen in den USA 650 Millionen Euro pro Jahr in Forschung und Entwicklung investieren, geben ihre europäischen Pendants nur 400 Millionen Euro aus.

Die Ausrufung einer wissensgestützten Bio-Wirtschaft stützt sich auf große Fortschritte im Bereich der Biotechnologie, deren Erkenntnisse den Grundbaustein der neuen Bio-Wirtschaft darstellen. Biotechnologie spielt eine große Rolle in Industriesektoren, die biologische Prozesse nutzen. Dies ist vor allem auch in der Nahrungsmittelindustrie der Fall und macht den Weg frei für völlig neue Anwendungen in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Das neue Wissen ermöglicht Strategien, Ernteerträge trotz zunehmend instabiler Umwelt konstant zu halten.

Wird der Bauernhof der Zukunft zum biotechnologisch aufgerüsteten Betrieb, der über riesige Erzeugungsanlagen statt ausgedehnter Felder verfügt? Biotechnologisch hergestellte Milch, Fleisch, Obst und Gemüse liegen schon heute in Europas Supermarktregalen – wie aber sehen die Nahrungsmittel der Zukunft aus?

Vom Labor auf den Teller?
Durch die Fortschritte in der Humangenomforschung ist ein kausales Verständnis der Wirkung von Lebensmittelbestandteilen auf molekularer Ebene möglich geworden. Dieses Wissen eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die Herstellung von Lebensmitteln.

So werden zukünftig »maßgeschneiderte« Nahrungsmittel erzeugt werden können, die immer spezifischer mit bestimmten Inhaltsstoffen angereichert sind. Zum Einsatz kommen solche Nahrungsmittel beispielsweise zur Prävention von Krankheiten und Reduzierung von Gesundheitsrisiken. Werden Esswaren denkbar, die Bakterien enthalten, die Vitamine und Arzneimittel direkt im Verdauungssystem erzeugen? Oder Essen mit spezifischen Antikörpern, die ungesunde Inhaltsstoffe wieder aus dem Organismus entfernen?

Auch Lebensmittel mit erweiterten Funktionen, sog. »functional food«, werden denkbar, die sich besser unserer Lebensführung anpassen und eine gesündere Ernährungsweise bringen. Nahrungsmittel sind dann beispielsweise länger haltbar oder Obst und Gemüse werden mit einer extra Portion von speziellen Nährstoffen ausgestattet. Die Pflanzengenomanalyse hat etwa schon genetisch veränderten Dinkel mit einem erhöhten Proteingehalt hervorgebracht.

Es gibt noch viele andere erfolgreiche Projekte in europäischen Labors, die transgene Pflanzen mit bestimmten biochemischen Eigenschaften erzeugen sollen: zum Beispiel die Produktion von Fruktan in Zuckerrüben, Kartoffeln mit hohen Werten der für den Menschen essentiellen Aminosäure Lysin und Pflanzen, die Antikörper produzieren.

Ebenso dienen die Forschungen auf dem Gebiet der Pflanzengenomik dazu, Ernteerträge zu steigern, indem die natürliche Widerstandskraft bei Pflanzen oder Tieren erhöht wird, wodurch die Notwendigkeit chemischer Pestizide und Düngemittel verringert wird. Auch können durch diese neuen Technologien Ernte, Aufbewahrung und Verarbeitung des Getreides verbessert werden, um so die enormen Verluste während dieser Produktionsschritte zu minimieren. Außerdem ermöglichen diese Forschungen, die Vielfalt der angebauten Pflanzen zu erweitern, was uns einen Zugang zu bisher völlig unbekannten Arten von Nahrungsmitteln – und damit zu einer neuen Geschmacks- und Ernährungswelt – eröffnen wird.

Balance zwischen Chancen und Risiken
Die wissensgestützte Bio-Wirtschaft könnte also zu einer Revolution auf Europas Tellern führen. Wie alle neuen Technologien ist jedoch auch die Biotechnologie neben den immensen Chancen mit nicht zu vernachlässigenden Risiken und ethischen Problemen verbunden.

Falls Bauern gezielt nur genetisch gleichförmige Pflanzen bevorzugen werden, droht die genetische Vielfalt zurückzugehen. Auch die Freisetzung von Geninformationen birgt große Gefahren. Bei der Herbizidresistenz könne es beispielsweise geschehen, dass Wildpflanzen diese Resistenz übernehmen und damit die Unkrautkontrolle durch Unkrautvernichtungsmittel erschwert wird. Auch bei der biotechnologischen Schädlingsbekämpfung muss verhindert werden, dass die Schädlinge selbst nicht resistent werden. Zur erfolgreichen Anwendung der Biotechnologie ist daher umfangreiches Wissen und eine funktionierende Infrastruktur notwendig.

Da jedoch die Entwicklungen auf dem Gebiet der biotechnologischen Herstellung von Nahrungsmitteln nicht aufzuhalten sind, sollte die EU sich bemühen, den Weg in die Zukunft aktiv mitzugestalten und sich um eine öffentliche Debatte bemühen, die eine Balance findet zwischen Vorteilen und Gefahren der Lebensmittelproduktion von übermorgen.