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Schlaraffenland Deutschland?
Ein Grundeinkommen soll unsere bisherigen Sozialsysteme ersetzen. Menschen arbeiten in Zukunft freiwillig und nicht mehr primär, um ihre Existenz zu sichern. Zustände wie im Märchen?

        


 
a ist zum Beispiel Erny Hildebrand. Die gelernte Redakteurin hatte die Nase voll von ihrer Arbeit in einer PR-Agentur. Schreiben über Informationstechnologien, Telekommunikation und Maschinenbau erschien ihr nach 15 Jahren öde. Ihr Traum: Mit kreativem Schreiben im therapeutischen Bereich zu arbeiten. Notwendig dazu war eine Ausbildung als Heilpraktikerin für Psychotherapie. Diese absolvierte sie nebenberuflich mit einer 20-Stunden-Stelle und tatkräftiger Unterstützung ihres Partners. Heute ist sie mit ihrer Praxis Freiraum eine gefragte Adresse in Düsseldorf. »Ich hatte Glück, wäre mein Partner nicht gewesen, hätte ich es mir mit zwei Kindern einfach nicht leisten können.« Erny Hildebrand ist überzeugte Anhängerin eines Grundeinkommens. »Mit einem Grundeinkommen werden Träume wahr«, ist sie überzeugt.

Mit diesen Gedanken steht sie nicht allein. Erste »Gedankenspiele« zum Thema Grundeinkommen finden wir schon in Thomas More's Utopia im 16. Jahrhundert. Konkret wird es dann im 19. Jahrhundert bei den utopischen Sozialisten. Während Karl Marx an seinem kommunistischen Manifest schreibt, argumentiert Charles Fourier in La Fausse Industries: Der Mensch habe das Recht zu jagen, zu fischen und Ackerbau zu betreiben – sich zu nähren und zu kleiden. In einer industriellen Gesellschaft bedeute dies, dass die Gesellschaft ihm zumindest Obdach und genug zu essen schulde. Diesen Gedanken nahm auch der britische Visionär John Stuart Mill auf.

Dass der Gedanke wieder in Vergessenheit geriet, hat sicher auch mit der noch unterentwickelten industriellen Produktivität zu tun. Heute stehen wir an einem ganz anderen Punkt. Götz W. Werner, Gründer der dm-Drogeriekette und derzeit wohl prominentester Verfechter der Idee, beschreibt es in einem Aufsatz für die GLS Gemeinschaftsbank eG so: »Wovon frühere Generationen in unserem Land nur träumen konnten ist Wirklichkeit geworden: Nie zuvor war eine so gute Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für die breite Bevölkerung möglich. Wir produzieren insgesamt – wenn auch nicht alle ausreichend daran teilhaben – mehr als wir verbrauchen können; wir leben also in vergleichsweise paradiesischen Zuständen.«

Vision
Selbst die eifrigsten Verfechter des Grundeinkommens vermuten, dass die Umstellung der sozialen Systeme und entsprechend der Steuerpolitik rund 20 Jahre dauern würde. Trotzdem lohnt ein Blick in die Zukunft. Wie sähe eine solche Gesellschaft aus?

Jutta Muster hat Innenarchitektur studiert und in diesem Beruf vier Jahre gearbeitet. Ihr Mann Ralf arbeitet als IT-Ingenieur. Sie erwarten ihr erstes Kind und planen die Elternzeit. Beide wollen drei Monate unbezahlten Urlaub nehmen, um die ersten Wochen gemeinsam genießen und bewältigen zu können. Danach bleibt Jutta noch drei Monate zu Hause. Den Platz in einer guten Kinderkrippe haben sie sicher. Beide wollen noch mehr Kinder und ihre Arbeitszeit auf 20 Stunden die Woche beschränken, bis die Kinder in die weiterführenden Ganztagsschulen kommen. Arbeit und Zeit für die Familie ist beiden gleich wichtig. Mit dem Grundeinkommen von 500 Euro für jede Bundesbürgerin und jeden Bundesbürger können sie sich diese flexible Lebensgestaltung gut leisten.

Edith ist 46 Jahre alt und lebt allein. Ihr steht ein Grundeinkommen von 750 Euro zu. Sie ist in ihrem Beruf als gelernte Schneiderin unzufrieden und möchte gern noch mal etwas anderes lernen. So reduziert sie ihre Arbeit auf 15 Stunden die Woche und studiert an der Online-Universität Textil-Design. Das Studium dauert drei Jahre – in der Zeit ist Edith durch das Grundeinkommen plus Gehalt gut abgesichert.

Rainer (28) arbeitet als Lehrer. Der Beruf macht ihm viel Spaß. Er ist ehrenamtlich im Fußballverein und bei einer Umweltorganisation tätig. Um all seine Interessen unter einen Hut zu bekommen, arbeitet er 30 Stunden in der Woche. Sein Lebenspartner Mario geht voll in seinem Beruf als Richter auf. Er arbeitet 40 Stunden in der Woche und verzichtet auf das Grundeinkommen, das bis zu einer Grenze von 2.000 Euro Nettoeinkommen gezahlt wird.

Allein an diesen Beispielen merken wir, wie sehr sich Gesellschaft verändern würde. Die Menschen nehmen ihr Leben in die Hand und können in unterschiedlichen Situationen ohne Existenzangst Veränderungen herbeiführen. In unserer komplexen Gesellschaft, die von stetigen Veränderungen geprägt ist, ist dies ein paradiesischer Zustand.

Natürlich ist diese Beschreibung nur eine Version des Grundeinkommens. Es gibt noch viele andere. Sie reichen vom »Geld für bürgerschaftliches Engagement« – also Bürgergeld nur gegen entsprechende ehrenamtliche Leistungen, über Grundeinkommen nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen – also als Ersatz für Arbeitslosengeld und ALG II bis hin zu einer deutlichen Absicherung von rund 1.500 Euro pro Person (Kinder etwas weniger).

Nicht zu finanzieren?
Gegen dieses »Schlaraffenland« (VDI-Nachrichten vom 12.5.06) gibt es natürlich eine Reihe von Gegenargumenten. Das wichtigste ist wohl die Frage der Finanzierbarkeit – die allerdings noch keiner so richtig beantworten kann. Nehmen wir mal an, alle 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erhalten ohne Ansicht der Person 500 Euro Grundeinkommen – Kinder wie Erwachsene. Dies wäre ein jährlicher Betrag von 480 Milliarden Euro und eine vierköpfige Familie hätte mit 2.000 Euro eine gute Basis.

Der Bundeshaushalt der Bundesrepublik beträgt 2006 rund 260 Milliarden Euro. Davon gehen allein 40 Milliarden als Zuschüsse zum Arbeitslosengeld II. Also keine Chance? Das wäre zu kurz gedacht. Denn in die Berechnung müssten auch die Einsparungen einbezogen werden – die Stellen bei Arbeits- und Sozialämtern würden bundesweit enorm reduziert. Kindergeld und Elterngeld würden ersatzlos wegfallen. Die Beiträge der Kommunen zum ALG II fielen weg etc. Götz Werner sagte im Interview mit spiegel-online am 30.11.2005: »Ein Großteil der Summe bezahlt die Gesellschaft ohnehin schon für Sozialleistungen und Subventionen – rund 720 Milliarden Euro, die dann wegfallen würden. Nehmen Sie allein den Grundfreibetrag, den jeder in seiner Einkommensteuererklärung geltend machen kann.« Wenn wir von diesen 720 Milliarden ausgehen, könnten alle BundesbürgerInnen jetzt gleich 750 Euro im Monat erhalten.
Es finden sich im Internet beim Netzwerk Grundeinkommen verschiedene Beispielrechnungen, die eine entsprechend veränderte Steuerpolitik einbeziehen und nachweisen, dass ein Grundeinkommen zu finanzieren ist. Zudem hätten wir einen recht flexiblen Arbeitsmarkt, in dem Arbeitslosigkeit wirklich nur noch gewollt ist. Und alle könnten sich Sabbatjahre, Zeit für die Kinder und für Ehrenämter gönnen.

Alle legen sich auf die faule Haut?
Das zweite immer genannte Argument ist, dass dann keiner mehr arbeiten will. Sind wir denn wirklich so angeödet von unserer Arbeit? Sind wir wirklich einfach nur faul? Diese Unterstellungen greifen nicht, wenn wir uns genau umschauen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger in diesem Land arbeiten gern. Arbeit bedeutet soziale Kontakte, Anerkennung und Bestätigung der eigenen Fähigkeiten – wenn es gut läuft. Allerdings gibt es natürlich Betriebe, die diese Arbeitsatmosphäre für ihre MitarbeiterInnen nicht schaffen – diese kommen dann wohl in Not – nicht wegen des Grundeinkommens, sondern weil sich die Menschen ihre Arbeitgeber dann aussuchen können. Und hoffentlich dann zu den Besten gehen.

Gleichzeitig möchten jedoch auch viele weniger arbeiten. Das rührt von der ständig wachsenden Arbeitsintensität. Die Menschen sind heute nach acht Stunden Arbeit ebenso erschöpft wie früher nach zwölf Stunden. Die Intensität der Arbeit hat in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Computer, Internet, E-mail – alles soll heute schnell und sofort gehen. Gleichzeitig erledigen immer weniger Menschen das gleiche Arbeitsvolumen. Allein der öffentliche Dienst hat in den letzten 15 Jahren (von 1992 bis 2003) fast 1,5 Millionen Arbeitsplätze eingespart. Und zwischen 2002 und 2005 noch einmal 250.000. Dabei verringerten sich die zu erledigenden Aufgaben bei weitem nicht im gleichen Umfang.

Deshalb ist die Sehnsucht nach mehr Ruhe und freier Zeit bei uns sehr ausgeprägt. In Umfragen sagen allerdings fast alle Menschen, dass sie nicht aufhören wollen zu arbeiten. Und wenn auf Grund eines Grundeinkommens viele Menschen weniger arbeiten? Dann haben die acht Millionen (real gerechnete, nicht statistische) Arbeitslosen doch wieder reelle Chancen im Arbeitsmarkt. Und junge Menschen müssten nicht erst drei Jahre lang Praktika absolvieren, bevor sie für ihre Arbeit ordentlich bezahlt werden.

Wer erledigt dann die unattraktiven Arbeiten?
Es gibt in der Tat Arbeiten in unserem Land, die nicht besonders attraktiv sind. Bei solchen Tätigkeiten gibt es immer vier Möglichkeiten: sie zu automatisieren, die Arbeit gut zu bezahlen, sie liegen zu lassen oder sie selbst zu machen. Hier wäre Fantasie und Kreativität gefragt. Allerdings ist ja das Grundeinkommen zumindest in den ersten Jahren »nur« eine Abdeckung der grundlegendsten Bedürfnisse wie Essen, Obdach und Kleidung. Alles weiter müssten sich die Menschen hinzu verdienen – wer also gern konsumiert, der arbeitet auch entsprechend.

Wir bauen um...
Die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland steht am Scheideweg. Hans-Peter Martin und Harald Schumann (beide Spiegel-Redakteure) beschrieben 1996 in ihrem Buch Die Globalisierungsfalle folgenden Vorgang: 1995 lud Michail Gorbatschow 500 führende Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler zu einem »Brain Trust« in das noble Fairmont-Hotel in San Francisco. Sie sollten sich hinter verschlossenen Türen Gedanken über das 21. Jahrhundert machen. Die Einschätzung war verheerend: Nur rund 20 Prozent aller Arbeitskräfte werden in der Zukunft benötigt. Der Rest von 80 Prozent der Menschen müsse mit »tittytainment« bei Laune gehalten werden: Mit einer überladenen Medien- und Spielgesellschaft, dazu genug billiges Essen, werden »die Massen« ruhig gestellt. Das hat schon bei den alten Römern nur eine Zeit lang funktioniert.

Festzuhalten ist: Hohe Arbeitslosigkeit begleitet uns seit langem – und vermutlich wird sie eher weiter steigen als sinken. Allerdings gibt es in unserer Gesellschaft genug zu tun – wenn man Arbeit nicht nur als Erwerbsarbeit, sondern als gesellschaftlich notwendige Tätigkeit definiert. Dieser Begriff umfasst die Lohnarbeit genauso wie soziale Tätigkeiten im weitesten Sinn. Erst wenn wir Arbeit auf diese Weise neu bestimmen, erhält zum Beispiel die zumeist von Frauen geleistete so genannte »unbezahlte« Arbeit (die das Statistische Bundesamt 2001 auf jährlich ca. 820 Milliarden Euro in Deutschland bezifferte) ihren gesellschaftlich angemessenen Stellenwert. Ein Grundeinkommen könnte deshalb der Einstieg in eine würdige und wahrhaft zivilisierte Gesellschaft bedeuten, der die Menschen und nicht den Profit am Finanzmarkt in den Mittelpunkt politischen und wirtschaftlichen Handelns stellt.