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Leistung lohnt sich nicht
Karl Marx war der Erfinder des Leistungsprinzips. Sein Ansatz: Leistung bestimmt den Wert von Arbeit. Jeder erhält gleiches Geld für vergleichbare Leistung. Egal, welchen Nutzen die Arbeit stiftet. Der Kapitalismus schrieb sich aber genau diesen auf seine Fahnen: Steigt der wirtschaftliche Nutzen von Arbeit, ist sie einfach mehr wert. Deshalb verdienen Dieter Bohlen und Franz Beckenbauer, obwohl sie weniger leisten, mehr als einfache Arbeiter. Die Uhren im Kapitalismus laufen anders: Leistung muss sich überhaupt nicht lohnen. Nichts leisten ist mitunter sogar mehr wert.

        


 
chon Aristoteles sagte: »Der redliche Mensch unterscheidet sich vom unredlichen Menschen dadurch, dass er sagen kann, worüber er spricht.« In diesem Sinne ist Tacheles reden eine redliche Tugend. Na, dann wollen wir mal. Jeder von uns kennt folgende Losungen:
»Leistung muss sich wieder lohnen!«
»Gleiches Geld für gleiche Arbeit!«

Ich behaupte: Diese Aussagen vernebeln unser Denken und führen zu aberwitzigen Vorurteilen und Forderungen. Denn sie sind in hohem Maße unredlich. Im Sinne von Aristoteles. Warum? Weil sie zeigen, dass uns zunehmend das Wissen fehlt, was bestimmte Begriffe in unserer Gesellschaft genau bedeuten. Beispiel: das Leistungsprinzip. Es ist eine Entlohnungsmethode, in welcher der Mitarbeiter nach Maßgabe seiner erbrachten Leistungen honoriert wird. Leistung ist entweder das Maß der Erfüllung von Zielvorgaben oder die Menge der Arbeit pro Zeiteinheit. So weit, so klar!

Ist aber Leistung tatsächlich die Grundlage unserer Entlohnung? Wofür bekommen wir eigentlich unseren Lohn, unser Gehalt, unsere Tantiemen? Wir werden gleich sehen, warum Leistung nicht der Maßstab für den Wert der Arbeit ist.

Mehr nutzen – mehr bekommen
Früher war es ganz einfach: Wer arbeiten wollte, bot seine Arbeit auf dem Arbeitsmarkt an. Arbeit bekam im Verhältnis zu den anderen Anbietern einen Marktwert. Diese Arbeit wurde nun von Unternehmern auf dem Arbeitsmarkt eingekauft. Sie taten dies, weil sie sich einen Nutzen von dieser Arbeit versprachen. Arbeit hatte einen Nutzwert. Stieg der Nutzen an, bekam der Arbeiter mehr Lohn, denn er konnte am gestiegenen Nutzen beteiligt werden. Sank der Nutzen, dann wollte der Unternehmer diese Arbeit nicht mehr haben, er entließ den Mitarbeiter. Das Entlohnungsprinzip war das Marktwert-Nutzwert-Prinzip. Auch heute noch ist der vom Unternehmer erwartete Nutzen die entscheidende Größe bei der Kalkulation des Gehaltes!

Es ist also der Nutzen, der über den Wert der Arbeit entscheidet. Und nicht die Leistung. Wie aber kommt das Leistungsprinzip in unsere Köpfe? Nun, es gab einen Menschen, der fand dieses Marktwert-Nutzwert-Prinzip unmenschlich. Er war der Ansicht, dass man menschliche Arbeit entwürdigen würde, wenn diese ihren Wert nur durch den Vergleich mit anderer Arbeit und dem Nutzen erhielt. Der Würde nach ist jede Arbeit gleich. Er war der Ansicht, dass menschliche Arbeit nicht wie eine Ware behandelt werden dürfe. Außerdem fand er diese Entlohnungsart ungerecht, da nicht die tatsächliche Anstrengung, der Einsatz, die Leistung des Mitarbeiters belohnt wurde, sondern die Arbeit des Mitarbeiters, die erst im Vergleich zu anderer Arbeit ihren Wert erhielt, und nicht aus sich selbst heraus ihren Wert bekam.

Und so schaute dieser Mann sich um und wurde in den preußischen Schulen fündig. Dort wurden Schüler nicht nach ihrem Nutzen benotet, sondern nach ihren Leistungen. Es sollte bei der Benotung keine Rolle spielen, ob der Vater des Schülers ein wichtiger Mann war, der vielleicht als Metzger dem Herrn Lehrer eine halbe Schweinehälfte schenkte. Dieses Leistungsprinzip übertrug dieser Mann damals auf die Wirtschaft. Der Name des Entdeckers: Karl Marx! Mit ihm begann der Siegeszug des Leistungsprinzips, es wurde später sogar zum Synonym für den gigantischen Wirtschaftsaufschwung in der Nachkriegszeit.

Mehr nutzen – weniger leisten
Es gibt nun drei Gegenargumente, die wir näher betrachtet wollen. Denn Leistung und Nutzen werden gerne miteinander vertauscht. Im Einzelnen:

»Wenn man Leistungsprinzip sagt, meint man das Marktwert-Nutzwert-Prinzip.«

Falsch. Denn das Leistungsprinzip ist eine idealtypische sozialistische Entlohnungsmethode, in welcher Markt und Nutzen überhaupt nicht vorkommen!

Falsch. Denn Leistung und Nutzen haben äußerst wenig miteinander zu tun. Es gibt Menschen, die nutzen ihrem Chef ausschließlich dadurch, dass sie nichts leisten! Denken Sie nur an das Peter-Prinzip (der Mensch steigt so lange auf, bis er die Stufe seiner Unfähigkeit erreicht hat). In der Werbung erleben wir nicht selten, dass Kreative sehr oft wenig leisten, jedoch enormen Nutzen stiften.

Falsch. Große Leistungen werden bisweilen schlechter bezahlt als geringe Leistungen. Nach dem Leistungsprinzip müsste ein Hilfsarbeiter, der seine Sollvorgabe zu 130 Prozent erfüllt, mehr Lohn bekommen als der Abteilungsleiter oder Geschäftsführer, der sein eigenes Plansoll nur zu 100 Prozent erfüllt.

»Wenn die Arbeit vergleichbar ist, dann gilt das Leistungsprinzip.«

Falsch. Selbst im Akkord oder im Außendienst wird ein Mitarbeiter nicht nach dem Leistungsprinzip bezahlt. Wenn ein Arbeiter zum Beispiel zehn Glühbirnen in einer Stunde herstellt, dann kann ein Unternehmer ihm nur so viel Geld geben, wie der Markt dafür hergibt. Sinken die Preise für Glühbirnen, dann muss entweder der Arbeiter mehr Glühbirnen in einer Stunde herstellen, damit er noch Anspruch auf seinen alten Lohn hat, oder er bekommt weniger Geld. Dabei hat er mehr geleistet!

Falsch. Wer von Leistung spricht, verschleiert den wahren Grund für das Gehalt: den Nutzen! Es ist völlig gleichgültig, ob ein Außendienstler 50 Kunden besucht hat, am Ende zählen immer die Vertragsabschlüsse, die er in der Zentrale abliefert. In der Versicherungsbranche etwa ist eine Lebensversicherung mehr wert als eine Hausratversicherung. Es spielt keine Rolle, wie viel Leistung in dem jeweiligen Vertragsabschluss steckt. Die Provision richtet sich ausschließlich nach dem Nutzen der abgeschlossenen Versicherung.

»Das Leistungsprinzip ist der Garant für den sozialen Frieden.«

Falsch. Das Leistungsprinzip sichert nicht den sozialen Frieden, es gefährdet den sozialen Frieden! Die Krönung des Leistungsprinzips: Mittlerweile sind wir so dumm, dass wir auf die verrückte Idee gekommen sind, Lohn dafür zu verlangen, dass wir in einem Unternehmen nur anwesend sind. Wir wollen unsere Arbeitszeit, nicht den Nutzen bezahlt haben.

Falsch. Wie soll man einem Arbeiter klar machen, dass er weniger leistet als ein Angestellter? Wie will man einem Hochofen-Arbeiter klar machen, dass er weniger leistet als Boris Becker? Ich denke, das können wir nicht. Der Hochofen-Arbeiter leistet viel mehr als Boris Becker! Aber wer ist schon daran interessiert, Tribünen um einen Hochofen aufzubauen, dort Fernsehkameras zu installieren, und das Ganze in der ARD zur besten Sendezeit zu übertragen? Die Tickets für den Tribünenplatz am Hochofen werden sich wahrscheinlich schlecht verkaufen lassen.

Falsch. Denn der Arbeiter wird wahrscheinlich leicht einsehen, dass er etwa 70 Prozent des Nutzens, den er stiftet, auch an mittelbarer oder unmittelbarer Entlohnung zurückbekommt, während ein Angestellter oder Geschäftsführer wahrscheinlich maximal 30 Prozent des Nutzens, den er stiftet, auf seinem Konto als Gehalt wieder findet.

Falsch. Man denke nur an den Streit um die Lohnanpassung der Gehälter im Osten Deutschlands. Dort wird sicher nicht weniger geleistet als im Westen. Nur waren die Unternehmer gezwungen, Löhne zu zahlen, die sie mit den Arbeitsergebnissen im Markt nicht erwirtschaften konnten.  

 

Dieser Artikel ist erstmals auf changeX erschienen.