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Ein Fall für den Change Management Berater
Ob veränderte Kundenwünsche, ein Wechsel im Management oder neue Wettbewerber: es gibt unzählige Gründe für Unternehmen, sich zu verändern. Der Wandel ist ständiger Begleiter eines jeden Unternehmens. Manchmal ist der Wandel geboren aus dem Kampf ums nackte überleben, ein anderes Mal wird er vorausschauend und aktiv betrieben. Einmal sind große Veränderungen auf einen Schlag notwendig und dann wieder erfolgt der Wandel in kleinen Schritten. In vielen dieser Fälle ertönt der Ruf nach dem Change Management Berater.

        


 
inladung zum Kontaktgespräch mit dem Personalchef. Dieser wurde vor einem halben Jahr in sein Unternehmen gerufen. Einerseits weil die Entwicklung der Ressource Personal als strategischer Erfolgsfaktor einen Quantensprung machen soll und man sich andererseits auf die Zuständigkeit des Personalbereichs für die Entwicklung von Mensch und Organisation besinnt. Endlich ist das angekommen, was wir schon immer gesagt haben. Dieses Ressort Personalbereich soll jetzt entscheidende Innovationsimpulse geben und sie der Steuerungsmannschaft des Unternehmens bereitstellen – Abgabetermin: 14 Tage!

Diesmal ist kein Jurist berufen worden, sondern jemand relativ Junges: agil, aufgeschlossen und beziehungsfähig. Auch der Vorstandsvorsitzende ist neu und begeistert von Leadership, systemischem Management usw. – endlich haben wir die richtigen Menschen da. Der Rest des Vorstands ist unverändert.
Die beiden wollen das Unternehmen als Holding und etwa zwei Dutzend Töchter gründlich neu erfinden, da das Unternehmen den Aufbruch in das 21. Jahrhundert zu verschlafen droht und in Richtung rote Zahlen rutscht.

Die üblichen Programme hat man in babylonischer Verwirrung bereits hinter sich gebracht: McKinsey, Total Quality Management u.ä. All dies blieb dann irgendwo hängen und kein Mensch konnte die Vielfalt der kreativen Ideen ordnen. Die Probleme sind nach wie vor ungelöst, wie auch die Übersetzung möglicher Lösungen in den Regelvollzug der Organisation.

Wer mit Projektmanagement zu tun hat weiß, dass ca. 80 Prozent dieser Initiativen dort, wo es eigentlich darauf ankommt, am Übergang in den Regelvollzug und in die Lebensweise der Organisation versanden und scheitern. Wenn 80 Prozent überhaupt ausreichen. Überall steht Verschlankung an, doch die ist unbequem, auch fühlt man sich sozialer Verantwortung geneigt. Neue Leitbilder sind erarbeitet und veröffentlicht. Die Botschaft hört man wohl, sie klang schon mal so ähnlich, aber der Vollzug fehlt. Im wirklichen Leben: business as usual.

Aufbruch ist angesagt!
Der Personalbereich soll so richtig den Anfang machen, die neue Musik vorspielen, in der Hoffnung, die anderen stimmen ein. Doch niemand weiß wirklich wie. Man hat auch, ehrlich gesagt, keine Zeit. Der Nachholbedarf an Umstrukturierung und handwerklichen Verbesserungen im klassischen Personalbereich und Bildungsgeschäft ist erheblich. Benchmarks haben Schreckliches ergeben.
Doch wenn schon Quantensprung, dann nicht nur Aufschließen an die Anderen, sondern in die Avantgarde der Bewegung.

Mein Klient, der Personalchef, muss auch gleich wieder weg. Ich habe einen guten Eindruck gemacht, soll Vorschläge vorlegen, kompetente Fachleute für anstehende Projekte bereitstellen und alles weitere mit der Dame aus der Bildungsabteilung besprechen, die ihm dann berichten soll. Sie sei jung und noch nicht so qualifiziert, aber dafür clever und einsatzbereit. Ihr Standing in der klassischen Abteilung, der sie vorsteht, sei ein Thema, welches auch einmal gelegentlich angesprochen werden müsste. Natürlich müsste die Sache mit der Organisationsabteilung abgesprochen werden, doch die sind noch aus einer anderen Welt und der Leiter ist nicht zu gewinnen, aber seine Frühpensionierung ist in zwei Jahren zu erwarten. Auch sonst gibt es mit der klassischen Personalabteilung Unverträglichkeiten, die nicht so schnell ausgeräumt werden könnten.

Dazu hat man jetzt auch keine Zeit, man muss jetzt den Quantensprung machen. Natürlich braucht Entwicklung und Qualität Zeit, doch das Ganze muss noch in diesem Jahr überzeugen. Ein Turnaround muss geschaffen werden. Die Pressekonferenz des Vorstandsvorsitzenden bezüglich dieser neuen Maßnahmen ist in sechs Wochen, daher kann er nicht zurück – es sind 600 Führungskräfte eingeladen. Das Papier dafür ist in drei Wochen noch zu liefern. Wahrscheinlich wird sein eigener Vorstand nichts davon halten, den müsse er auch noch überzeugen. Sie hatten sich aber vorgenommen, gemeinsam auf der Pressekonferenz aufzutreten. Wie es dazu kommen soll – unbekannt!

Jetzt erst mal langsam – es ist wirklich eilig
Schritt für Schritt: denn der Weg ist lang. Im Konkreten weiß keiner wohin, umso schneller will man starten. Der Personalchef hat seinen Mitarbeitern baldige Umstrukturierungen, Neugestaltung der Geschäftsprozesse und notwendige Qualifizierungen im eigenen Bereich in Aussicht gestellt. Mit den Geschäftsführern und Personalleitern der Tochtergesellschaften sind erste Kick-Offs bereits erledigt. Der Kontakt war gut – erfreulich, nachdem die Besetzung – seine eigene Besetzung – umstritten war. Aber jetzt muss etwas folgen. In vier Wochen ist das nächste Meeting. Das müssen wir dann nebenher auch noch machen. Alle wurden schon einmal um die Formulierungen ihrer Vorstellungen für die neue Welt gebeten. Ja, natürlich hätte man auch eigene Vorstellungen, wohin die Reise gehen soll, aber die will man niemandem überstülpen. Selbstorganisation ist ja heute angesagt.

Vorsichtige Zweifel, dass zunächst geprüft werden müsse, was überhaupt mit verfügbaren Ressourcen machbar ist und in welcher Zeit dies möglich ist, werden mit erhöhter Anspannung des Gegenüber beantwortet und wechseln von der »kann«- auf die »muss«-Ebene. Eine ganz wichtige Kommunikationsfigur, die dort völlig unbemerkt abläuft. Der Wechsel von Realismus zu Illusion. Wilhelm Busch lässt grüßen: »Und so schließt er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf«.

Ein Dilemma en gros für den Vorsitzenden, für den Personalchef, dessen Mitarbeiter, für mich als Berater und auch für mich als jemand, der seit einiger Zeit schreibt, dass das Personalressort das Fachressort für den Umgang mit Menschen und Innovationen ist.

Dieses Dilemma kann man darstellen als den Versuch, mit denselben Personen und Kräften – jetzt die Theatermetapher! – gleichzeitig verschiedene Stücke auf derselben Bühne zu inszenieren. Kurzfristige Lösungen und die Entwicklung kompetenter langfristiger Lösungen in ein und derselben Situation zu organisieren, obwohl sie eine ganz unterschiedliche Logik und Steuerung der Ressourcen haben. Jeder muss in mehreren Stücken gleichzeitig spielen. Dass dies nicht in 24 Stunden passt, muss vorübergehend vernachlässigt werden. Das Ganze ist, wie gesagt, für dieselbe Bühne geplant. Die Stücke sind noch nicht geschrieben, Regisseure sind noch nicht gefunden, angemessene Qualifikation ist nicht vorhanden, Premieren jedoch bereits angekündigt. Strategische Führung ist bisher auf dem Niveau, dass Zuschauerzahlen, die erreicht werden müssen, benannt werden. Alles andere bleibt uns überlassen. Doch die Schauspieler sind zur aktiven kreativen Mitarbeit aufgerufen. Natürlich neben der Weiterführung des Programmtheaters.

Die Dilemmata des Beraters
Und jetzt die Frage an mich: Soll ich dort jetzt Gastregisseur spielen? Soll ich die Hoffnung, dass die Aufführungen gelingen könnten, dulden? Soll ich die Wahrheit sagen und die Aussichtslosigkeit sichtbar machen? Wird nicht dem Boten der schlechten Nachricht der Kopf abgehackt?

Macht man als Berater die Aussichtslosigkeit des Unterfangens klar, riskiert man destruktive Resignation und Abbruch der Beziehung. Brauchen die Kunden aber nicht Zeit, um nach und nach die tatsächlichen Herausforderungen zu begreifen? Wenn man sie schockiert, ist auch nichts gewonnen. Raubt man ihnen nicht den Mut, wenn man realistisch ist? Braucht die Evolution nicht gerade diesen Mut, auch wenn er auf Illusion aufgebaut ist? Ist man nur bequem, hilft es auch nicht. Geht man mit Zuversicht heran, nährt man vielleicht die Illusionen, welche die Fortbewegung im Dilemmazirkel nach sich ziehen. Vertritt man eine angemessene Bescheidenheit, geht vielleicht wegen der vorschnellen Enttäuschung die Chance verloren. Die Konkurrenz verspricht mehr und es macht erstaunlicherweise nicht viel aus, dass sie es nicht halten können. Es machen ja alle so. Unhaltbare Versprechen haben kurze Beine, doch sie wachsen nach. Wer will da Spielverderber sein, obwohl langfristig mehr drin wäre, wenn wir aus dem Dilemmazirkel herauskämen.

Ein weiteres Dilemma: Hält man sorgfältig Distanz, fühlt sich der Mensch gegenüber allein gelassen. Ist man bereit, ihn zu retten, ist man im Dilemma oder zumindest mit im Hamsterrad und kann nicht helfen, die Dilemmata aufzudecken und kann nicht helfen, qualifiziert zu verzweifeln. Also auch auf dieser Ebene wieder ein Dilemma. Ein Dilemma auch in der Frage, wie sehr man das Gegenüber belasten darf. Gerade die Kompetentesten werden sowieso verschlissen, heute mehr als früher. Aber nur sie haben auf der anderen Seite im Moment das Standing und die Kompetenz, die entscheidende Arbeit nach innen weiterzugeben, wenn man mit ihnen aus dem Dilemmazirkel käme. Das heißt aber zunächst einmal eine Menge obendrauf, bevor eine Chance besteht, runter zu gehen. Aber das mit dem Obendrauf ist das Muster.

Gerade weil sie so kompetent sind, bekommen sie wöchentlich neue ungelöste strategische Probleme on top, ohne dass ihnen jemand hilft, diese in einer Lebenszeit unterzubringen und ohne dass Ihnen jemand den Rücken stärkt, Prioritäten zu setzen und auch zu vertreten. Ohne dass auch nur verstanden wird, mit welchen Problemen sie auf diese Weise belastet werden. Man hört nebenbei von kriselnder Ehe, von Schlafstörungen, hört aufstöhnendes Atmen in der Beratungssituation und sieht hilfesuchende Blicke zwischen den kraftvollen Gebärden. Gerade dieser Mensch müsste erst einmal entlastet werden. Doch der Berater kann das nicht übernehmen. Atlas stöhnt und braucht Hilfe, doch wenn Herkules die Weltkugel übernimmt, würde er vielleicht unter ihr zusammenbrechen und es ist fraglich, ob er sie wieder los wird. Man kann sie nicht bei Atlas lassen, doch wem soll der sie übergeben?

Jedoch kann man sie auch nicht fallen lassen, zu viele Schicksale und Chancen hängen daran. Wenn sich das Karussell weiterhin so dreht, bricht wahrscheinlich bald die Achse. Und sie ist bereits so dünn, dass sie vermutlich auch bricht, wenn man versucht, das Karussell anzuhalten. Man ist ja auch Psychotherapeut, der Gegenüber erkennt seine persönliche Not und die ökologischen Folgen für seine Lebensfülle und seinen Lebensvollzug nicht.

Es wäre zunächst Persönlichkeitsarbeit angesagt, um mit den Antreiberdynamiken und den Emotionen, die die Haltungen im Dilemmazirkel aufrechterhalten, umzugehen. Dies ist eine Voraussetzung, Dilemmata zu identifizieren und mit dem Berater dann von außen über ihre Architektur, über die Logik der Unlösbarkeiten, die notwendigen Verluste und die Chance der Lösbarkeiten zu sprechen. Doch dafür ist kein Auftrag und scheinbar keine Zeit. Vielleicht nachdem die dringendsten Dinge erledigt sind. Dieser Zeitpunkt wird umso weniger kommen können, je mehr man zunächst ankoppeln möchte, indem man bereit ist, sich dem Dilemmazirkel zu nähern.

Soweit, etwas verdichtet, eine authentische Ausgangssituation für mögliche Change-Management-Beratung.