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Unternehmensgeschichte als Marketing-Instrument?
Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Und es sind nicht nur die großen Momente, sondern auch die kleinen Alltagsmomente, die sich lohnen, erzählt und niedergeschrieben zu werden. Denn der Blick zurück verleiht dem Unternehmen ein Gesicht. Als Instrument der Unternehmenskommunikation wirkt die Chronik imagefördernd: bei Kunden, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit. Doch Vorsicht: Wird die Firmengeschichte allzu stark geschönt und verlässt den Boden der Tatsachen, ist das gewonnene Vertrauen schnell wieder verspielt.

        


 
ie Geschichte bestimmt ganz wesentlich die Identität eines Unternehmens. Aus diesem Grund bietet die Unternehmenshistorie auch eine Vielzahl an Identifikations- und Orientierungspunkten für Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten ebenso wie für die Öffentlichkeit. Vertrauen und Glaubwürdigkeit in eine Marke, der gute Ruf eines Unternehmens, das Charisma eines Wirtschaftskapitäns oder Visionärs, all dies ist Ausdruck von Geschichte und Geschichten, die man sich teilweise über lange Zeit hinweg erzählt.

Mit dieser Identität verhält es sich wie mit Autorität – man muss sie sich erwerben oder man verfügt über keine. Und: Man kann sie auch wieder verlieren, dann hat man keine mehr. Die Erarbeitung unternehmenshistorischer Darstellungen beugt einem solchen Verlust vor. Doch kann sie auch mehr, lässt sie sich auch zu Marketing- und Werbezwecken einsetzen?

Strategen haben längst erkannt, wie wichtig die Geschichte eines Unternehmens für die Motivation der Mitarbeiter, für die Kundenbindung oder das Verhältnis zu seinen Lieferanten sein kann. »Wir arbeiten seit Jahren erfolgreich mit XYZ zusammen«, heißt es immer wieder in Referenzangaben. Doch nicht jedes Unternehmen gehört auch zu denen, auf die seine Kunden und Lieferanten immer wieder gerne hinweisen.

So manche Werbeabteilungen und PR-Berater haben sich deshalb der Aufgabe angenommen, Wirtschaftsakteure in ein möglichst positives Licht zu tauchen und mit Hilfe von Wort, Bild und medialen Effekten als individuell und einzigartig darzustellen.

Gefährlich wird dieses Vorgehen allerdings, wenn man der Idee einer »rewritten history« folgt und der Versuchung erliegt, das Unternehmen oder eine Unternehmerpersönlichkeit im Nachhinein mit deutlich mehr Glanz oder Glamour zu versehen, als dies zeitgeschichtlich gerechtfertigt ist. Solch eine »change history«, das Manipulieren einer Firmenhistorie, birgt große Gefahren. Weichen die Erinnerungen von Öffentlichkeit, Zeitzeugen oder Belegschaft zu sehr von der geschönten Version ab, wirkt das Ganze aufgesetzt, dann geht dies zu Lasten der Ausstrahlung des Unternehmens.

Keine gute Wahl sind 08⁄15-Legenden, die eine offensichtlich »geglättete« Erfolgsgeschichte zum Inhalt haben – etwa vom Tellerwäscher zum Hotelbesitzer oder vom Arbeiter zum Fabrikbesitzer, ein Stoff, aus dem Kinder- und Jugendbücher gestrickt sind. Abgesehen davon, dass solche Geschichten nur in den wenigsten Fällen der Realität entsprechen, machen Misserfolge, enttäuschte Hoffnungen, Rückschläge und die Bewältigung solcher Umstände eine Unternehmung viel persönlicher und sympathischer. »Wo Licht ist, ist auch Schatten«, sagt der Volksmund. Und er liegt damit auch meistens richtig.

Daher sollte eine Unternehmensgeschichte stets auf einer chronologischen Darstellung der tatsächlichen Ereignisse basieren. Das bedeutet nicht, die Erfolgsgeschichte eines Unternehmens, z.B. markante Persönlichkeiten, bahnbrechende Patente oder Erfindungen sowie die Geschichte von Marken, zu verleugnen, sondern sie in einen passenden zeithistorischen Kontext zu stellen, der auf Fakten und detaillierten Umfeldbeschreibungen basiert. Nur so schafft »Storytelling« das daraus erwachsende tief greifende Image, dem Werbe- und Marketingexperten auf der Spur sind.

Der »Wert« der Firmengeschichte
Der Firmengeschichte wird von verschiedenen Seiten ein hoher Wert beigemessen. Ob als Firmenchronik, als Unternehmerportrait oder als Dokumentation von außergewöhnlichen Erfindungen oder Experimenten – aus vergangenen Tagen lassen sich Kraft und Zuversicht ziehen für neue Visionen, neue Ziele, neue Lösungen. Und Hoffnung, Vergangenes in die Zukunft zu tragen, mit der Verantwortung gegenüber der Vorgeneration, aber auch mit Perspektiven für die Kinder.

Dies ist der eigentliche »Wert« der Unternehmensgeschichte als Motivator für die Beteiligten. Es ist das »kulturelle Kapital«, das den Wert der Unternehmensgeschichte ausmacht. Wirksam wird es in der Unternehmenskultur, in den Orientierungen, Gewohnheiten, Glaubenssätzen und Einstellungen, die sich daraus ableiten und im Rahmen einer »Corporate Identity« sichtbar gemacht werden, etwa als Leitbilder, Unternehmensgrundsätze oder in Form des Qualitätsmanagements.

Doch geht es bei der Historiographie von Unternehmen und Unternehmerpersönlichkeiten, von Tüftlern, von Wissenschaftlern und Pionieren auch darum, ein Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Und dies bringt zuweilen den Gedanken mit sich, es mit der bestehenden Akten- und Datenlage nicht so genau zu nehmen. Daher Vorsicht, wenn persönliche Eitelkeiten von wichtigen Figuren der Unternehmensgeschichte in den Vordergrund treten oder eine utilitaristische Vereinnahmung seitens der Werbe- und Marketingabteilung beabsichtigt wird. Wer das »Storymanagement« im Sinne beliebig modulierbarer Inhalte eines »freien« Storytelling ummünzt, verlässt den Boden der sozialhistorischen Redlichkeit. Dechiffriert der Adressat dies, kann die angestrebte Wirkung nicht mehr erzielt werden. Und nicht nur das: Auf lange Sicht dürfte dies auch Schäden am Ruf des Unternehmens mit sich bringen und den Wert des kulturellen Kapitals der Firmengeschichte mindern.

Kulturelles Kapital
Pioniere, Meilensteine der Technologie, Hoffnungen, Irrwege, Erfolge und Enttäuschungen liefern mit ihrer historischen Substanz nicht nur ein unverwechselbares Image, sondern auch die Plattform für neue Visionen. Durch das bewusste Anknüpfen an Traditionen, deren Kenntnis erst eine wirkliche Fortsetzung dieser Traditionen ermöglicht, lassen sich Visionen schaffen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpfen.

In diesem Sinne ist das kulturelle Kapital eines Unternehmens weit mehr als bloße Corporate Identity, als Design und Strategie. Es ist die gelebte Unternehmensphilosophie, um die es dabei geht, nicht um Hausfarben oder Logos und zeitgemäße Produktdesigns. All dies ist sicher auch wichtig für den Unternehmenserfolg, doch müssen sich diese Elemente erst in ihrer Zeitgeschichte bewähren, um dann ihrerseits zu einem Baustein der Unternehmensgeschichte werden zu können.

Unternehmensgeschichtsschreibung hat dies zu würdigen. Keine Chronik um der Chronik willen, sondern eine Erinnerung an das Prägende – so könnte man das Ziel einer »Geschichte zum Anfassen« bezeichnen. Damit kommt eine weitere Dimension hinzu, die Unternehmensgeschichte zu erfüllen hat. Sie muss nachvollziehbar sein, einfach gestaltet, gut gegliedert, mit Bildern und Illustrationen angereichert und auch für den einfachen Mitarbeiter verständlich. Nur so kann sie die Breitenwirkung erzielen – denn ohne interessierte Betrachter ist jede Geschichte nur existent im historischen Elfenbeinturm von Wissenschaft und Fachwelt.

Thematische Näherungsweise
Wer diesen Weg der Unternehmenshistoriografie sucht, für den bieten sich verschiedene praktische Optionen. Welche thematische Näherungsweise dabei in Frage kommt, ist im Wesentlichen abhängig von der Quellenlage und dem vorhandenen grafischen Material. Dabei lassen sich drei methodische Zugänge klar voneinander unterscheiden.

»Damals...«. Den ersten Ansatz liefert das so genannte »Storytelling«, das Erzählen von Geschichten zur Unternehmensgeschichte. Hier geht es um einzelne Episoden, Ereignisse oder Figuren, die jedes für sich ein Puzzleteilchen zum Gesamtbild der Unternehmensgeschichte beitragen. Solche Erzählungen eignen sich als regelmäßige Rubriken in Unternehmenszeitungen, als Textbausteine für die Internet-Rubrik »(Aus unserer) Unternehmensgeschichte« oder als gelegentliche Beiträge in der Lokalpresse. Gleichzeitig können Sie Rahmen und Struktur für eine größere Darstellung geben, z.B. ein Buch mit einführenden Texten, Bildern und Bildunterschriften, das über ausgewählte Kapitel der Unternehmensgeschichte berichtet und diese in Szene setzt.

»Zeitsprünge«. Eine andere Form der Monographie von Unternehmensgeschichten ist die Spiegelung von »einst« und »heute«, die als Zeitsprünge Entwicklungen nachbildet und festhält. Dies kann in zwei oder mehreren Stufen geschehen. Eine derartige Herangehensweise bietet sich an, wenn das historische Bildmaterial nicht ausreicht oder die Darstellung einer solchen Entwicklung spektakuläre Veränderungen dokumentiert.

Chroniken. Die umfassendste und anspruchvollste Firmengeschichte ist die vollständige Chronik des Unternehmens mit Jahresangabe, genauer Datierung einzelner Ereignisse und der historischen Rekonstruktion von Unternehmen und Unternehmensumfeld über die Zeit hinweg. Chroniken müssen nicht zwangsläufig stark textlastige Darstellungen sein. Auch sie können aus einer kurzen Gesamtschau und mehreren Kapiteln mit Einführungstexten bestehen, denen Bildmaterial und Grafiken mit Bildunterschriften folgen, um einen detaillierten visuellen Eindruck von den jeweiligen Verhältnissen vor Ort zu geben.

Mediale Orte für die Unternehmensgeschichte
Unternehmensgeschichte kann zum Gegenstand verschiedenster medialer Orte werden. So lassen sich bei der Gestaltung des Foyers oder Empfangs Exponate, Bilder und Info-Wände einbeziehen, unterstützt von vertonten Bildschirmpräsentationen. Und natürlich eignet sich auch das Buch als Träger für die Unternehmensgeschichte, das sich als Geschenk für die eigene Belegschaft, für Gäste oder für gute Kunden einsetzen lässt. Erscheint es offiziell auf dem Buchmarkt, steigert die Darstellung zugleich die Reputation des Unternehmens in der Öffentlichkeit.

Ein weiterer wichtiger Ort für die Unternehmensgeschichte ist das Internet, wobei es hier in der Regel um historische Visitenkarten in Form von Kurzchroniken geht, die das wichtigste aus der Unternehmensgeschichte in einen kurzen Überblick bringen und in den Internetauftritt einbinden. Denkbar ist dabei auch der Einbezug historischer Bildarchive als Kundenservice oder der Aufbau eines ganzen Online-Museums – das dann wiederum selbst als CD-⁄DVD-Präsentation eingesetzt werden kann und damit neben dem Buch eine weitere Möglichkeit für einen »Give away«-Artikel liefert.

Voraussetzung für eine gelungene Firmenchronik ist der Rückgriff auf ein Firmenarchiv, das die Grundlagen für die Unternehmensgeschichte bereithält. Dabei stellt sich die Frage, welche Dokumente dieses Archiv beinhalten sollte. Nicht jedes Schriftstück ist relevant für die Unternehmensgeschichte, nicht jedes Bild eignet sich für die Unternehmenshistoriographie. Ratsam ist es, eine durchdachte Anlagestruktur zu schaffen, in der neben Schriftstücken auch Bilder, Objekte und multimediale Produktionen enthalten sind. Oberstes Ziel des Archivs sollte es sein, das Wissen über das eigene Unternehmen festzuhalten.

Ob Familienbetrieb oder Großunternehmen, stets sollte das Bemühen dahin gehen, herausragende Persönlichkeiten, Krisenzeiten und ihre Bewältigung sowie die Entwicklung von Branchen und Märkten zu dokumentieren, in denen das betreffende Unternehmen ist. Daher sind Personalstatistiken, Gebäudepläne, Bilanzen sowie Unterlagen zu technischen Verfahrensweisen von Interesse, ebenso wie alte Fotografien von Personen, Gebäuden, Maschinen, Menschen bei der Arbeit, dem Fuhrpark eines Unternehmens, seinen Produkten, Messebesuchen usw. Es ist wichtig, dass all diese Dokumente gesammelt und ausgewertet werden, damit nichts verloren geht vom kulturellen Kapital des Unternehmens.