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Im Spannungsfeld von Unternehmenskultur, Bildung und Gesundheit. Ein Interview
Unternehmen reagieren auf die neuen Unsicherheiten und Herausforderungen immer öfter mit Druck statt intelligenten Führungskonzepten. Und die meisten Mitarbeiter sind zu jeder Selbstausbeutung bereit. Berufsmüdigkeit und Krankheit sind allzu oft die Folge. Bernd Schmid und Thorsten Veith vom Institut für systemische Beratung diskutieren Auswege. Der Journalist Christian Deutsch führt durch das Gespräch.

Bernd Schmid, Thorsten Veith und Christian Deutsch

        


 
eutsch: Was macht Mitarbeiter krank?

Schmid: Sehr vereinfacht würde ich sagen: Für die meisten Leute haben Komplexität und Dynamik enorm zugenommen. Sie müssen sehr viel mehr Rollen wahrnehmen, sie haben mehr Kontexte, auf die sie sich beziehen müssen und mehr Beziehungen, die sie gestalten müssen. Jeder muss ein sehr komplexes Potpourri bedienen und muss für sich Prioritäten konfigurieren, die aus ganz unterschiedlichen Logiken kommen.

Selbst wenn in einem Unternehmen gesunde Verhältnisse bestehen, also kein übermäßiger Druck herrscht, ist allein diese Komplexität eine Herausforderung, auf die viele Menschen mit ihrer professionellen Qualifizierung nicht vorbereitet sind. Die meisten haben ja einfach einen Beruf gelernt oder sich in bestimmte Rollen in Organisationen eingearbeitet.

Es wäre also schon anspruchsvoll genug unter günstigen Verhältnissen! Aber wie wir alle wissen, sind die Verhältnisse für viele Menschen nicht günstig. Das heißt: Sie sind nicht mehr in festen Teams, Zugehörigkeiten und Beständigkeiten aller Art sind in Frage gestellt. Oft wissen sie nicht mehr, ob ihr Know-how trägt. Das Unternehmen sieht sich mit Unsicherheiten und erhöhten Anforderungen konfrontiert – und oft genug antwortet es dann mit Druck anstatt mit Intelligenz, guter Beziehungspflege und modernen Führungskonzepten. »Wir wollen von Ihnen folgende Zahlen sehen«, heißt das Motto. Und bei der Umsetzung werden die Leute dann von ihren Führungskräften alleine gelassen. Es trifft dann oft die, die das höchste Verantwortungsgefühl haben. Die tun ihr bestes, leisten enorm viel. Wenn aber Menschen zu beständig Stress haben oder die Zuversicht verlieren, dass sie die Ziele erreichen, dann haben sie irgendwann Land unter. Das zeigt sich dann in unterschiedlichem Ausweichverhalten, in Suchtverhalten – sie werden krank.

Veith: Ich habe das bei einem Freund erlebt. Dort findet keine Führung statt, sondern der Druck wird einfach weiter nach unten gegeben. Gerade die jüngeren Kollegen sind hoch motiviert und zunächst auch stressresistent. Dennoch bestehen unterschwellige Prozesse, die sie nicht wahrnehmen möchten, die dann dazu führen, dass diese Leute irgendwann aus der Bahn kippen. Formal existiert zwar eine Führungsstruktur, aber auch die Führungskräfte stehen unter einem so hohen Druck, dass sie keinen anderen Weg sehen, als den Druck nach unten zu delegieren. Dann verschiebt sich das nach unten – und die letzten, die die Aufgaben dann ausführen müssen, bekommen Land unter. Hinzu kommt, dass viele nicht gelernt haben, Prioritäten zu setzen. Sie haben keine professionelle Eigensteuerung erlernt, können nicht abwägen, was noch in ihr Raster passt. Damit verbunden ist immer auch die Befürchtung, wenn ich eine Aufgabe nicht übernehme, wirkt sich das negativ auf mein Standing aus. Das ist dann das Thema Kultur: Darf jemand eine Aufgabe ablehnen, wenn er ausgelastet ist?

Meta-Professionalität erwerben
Schmid: Viele versuchen dann, die Übersichtlichkeit herzustellen, indem sie ihren Horizont kleiner machen und dort dann ungemein gründlich arbeiten wollen. Manche Gründlichkeiten machen aber heute in den oft sehr leichtlebigen Prozessen, bei denen man ständig am Umorganisieren ist, gar keinen Sinn. Andere Dinge müssen dagegen von der Substanz her gründlich durchdacht werden, wenn auch von der Form her sehr flüssig bleiben. Notwendig sind daher ganz neue Qualifikationen. Die Menschen müssen eine Art von Professionalität erwerben, die sie in verschiedenen, auch schnell wechselnden Rollen ausleben können. Das ist das, was wir Meta-Professionalität nennen.

Deutsch: Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Schmid: Wir haben einen Arbeitskreis Demografie geplant. Bis dahin sind es noch drei Monate. Würden wir heute schon bis ins Detail eine Tagesordnung erstellen und alle Abläufe planen, wäre das viel zu früh. Denn noch steht nicht fest, wer zu- und absagt. Stattdessen müssen wir eine Vorstellung bilden, was wir im Wesentlichen machen wollen – worin der Geist der Sache, die Kultur liegt. Wenn es jemandem schwer fällt, diese eher abstrakten Dinge zu begreifen und stattdessen an einer perfekten Oberfläche arbeitet, kann er sich daran aufreiben und erbringt dennoch nur eine Minderleistung gemessen an dem, was heute gefordert ist.

Veith: Das ist eine Kompetenz, die man als junger Kollege in der Ausbildung kaum vermittelt bekommt. Sehr viele junge Nachwuchskräfte sind fachlich kompetent, diese Formen der Meta-Professionalität sind jedoch nicht Teil ihrer Ausbildung und ihres Studiums.

Schmid: Das ganze Bildungssystem hat sich darauf noch nicht eingestellt. Die Leute müssen lernen, bei sich zu sein, sich relativ geborgen zu fühlen, obwohl viele Dinge in der Schwebe bleiben.

Veith: Deshalb machen wir uns für Mentorenmodelle stark, um den Teil nachzuholen, der in der Ausbildung zu kurz gekommen ist. Die Idee dabei ist, ältere und erfahrene Kollegen mit jüngeren zusammenzubringen, um genau dieses Defizit durch deren Erfahrungswerte auszugleichen.

Schmid: Wobei wir hier feststellen: Wenn ältere Mitarbeiter die jungen Leute einfach nur betreuen, ohne selbst sich noch einmal auf den Lernweg zu begeben, ohne selbst noch einmal neu zu verflüssigen, was sie an Kompetenz und an Lebenserfahrung haben, dann funktioniert das oft nicht richtig. Deshalb haben wir für diese Mitarbeiter spezielle Curricula entwickelt.

Deutsch: Das ist ein interessantes eigenes Thema, das wir einmal getrennt aufgreifen sollten.

Schmid: Ja, aber das Problem ist: Das ist einerseits ein eigenes Thema, andererseits ist es eine Perspektive, die man mitdenken muss. Man kann die Themen eben nicht in unterschiedliche Kästchen tun, denn im Alltag kommen diese verschiedenen Themen ja immer ganz konkret zusammen.

Deutsch: Als Journalist denke ich eher in Einzelaspekten, die ich thematisch hochziehen kann.

Schmid: Da haben wir das gleiche Problem. Da haben Sie als Schreiber wie auch das lesende Publikum das gleiche Problem: Die wollen gerne die Dinge in separaten Kästchen haben. Daraus entsteht dann eine unübersichtliche Menge, die keiner mehr handhaben kann. Stattdessen müssen wir mental auf eine andere Ebene kommen. Wir müssen die konkreten Dinge konkret lassen, sie aber nach verschiedenen Gesichtspunkten sinnhaft konfigurieren. Das heißt, es muss nach ökonomischen Gesichtspunkten Sinn machen, es muss nach Bildungsgesichtspunkten Sinn machen, es muss nach Gesundheits- und pflegerischen Gesichtspunkten Sinn machen. Wir können nicht für jedes Thema eigene Bühnen und eigene Rollen schaffen. Dafür reichen die Ressourcen nicht. Es ist heute eine schöpferische Integration ganz verschiedener Steuerungsprinzipien in ganz konkreten Aktionen verlangt, für die wir in vielem noch nicht gerüstet sind. Es ist natürlich viel einfacher, zu jedem Thema ein eigenes Stück zu machen. Doch bei der Leistungsverdichtung, die heute von uns erwartet wird, kommen wir damit nirgends mehr hin.

Gesundheit als Perspektive begreifen
Schmid: Wir unterscheiden immer zwischen Perspektiven und Gegenständen. Auch wenn Sie das Thema als Gegenstand darstellen – eigentlich ist es eine Perspektive.

Deutsch: Das heißt?

Schmid: Ich versuche es immer an einem Beispiel aus dem Krankenhaus klar zu machen. Psychosomatik, dass man also die seelische Situation eines Menschen mit berücksichtigt, ist eine Perspektive jeder Medizin. Aber was machen die Krankenhäuser? Sie machen eine Abteilung für Psychosomatik auf. Das ist ein Widerspruch. Besser als gar nichts, aber Thema verfehlt! Und so ist es mit dem Gesundheitsthema, mit dem Sinnthema, mit dem Professionalitätsthema. Dass man sagt: Jetzt arbeiten wir erst einmal, und daneben entwickeln wir auch noch Professionalität, wenn wir mal Zeit haben. Das sollen ein paar Fachleute für uns machen, während wir normal weiterarbeiten. Das funktioniert halt nicht.

Deutsch: Zurück zum Thema Gesundheit. Die Probleme haben Sie geschildert...

Schmid: Eines möchte ich dazu sagen. Eines der Probleme mit der Gesundheit ist Folgendes: Junge Menschen haben immer, solange die Organismen jung sind, enormes kreatives Potenzial und enorme Selbstausbeutungs- und Leidensfähigkeiten – und auch, wenn man es positiv ausdrückt, enormes Engagement. Solange wir auch noch ein Überangebot an jungen Leuten haben – was nicht mehr lang so bleiben wird –, sind sie auch zu jeder Selbstausbeutung bereit. Viel zu wenig fordern sie von den Unternehmen, gesunde und vernünftige Bedingungen zu schaffen. Sie tun das auch deshalb nicht, weil die Spätfolgen dieser frühen Selbstausbeutung erst in 10 bis 15 Jahren auflaufen werden. Solange die Unternehmen noch glauben, dass sie diese Mitarbeiter dann einfach austauschen können, arbeiten die nach dem Vogel-friss-oder-stirb-Prinzip.

Deutsch: Hat dieser Zusammenhang zu den krankmachenden Strukturen in den Unternehmen geführt?

Schmid: Ich würde das nicht kausal so sagen. Aber es fehlt dadurch die Dringlichkeit, darüber nachzudenken. Wenn die Leute dann jenseits der Lebensmitte merken, die Kompensationen gelingen nicht mehr so leicht, wenn sich dann die ersten strukturellen Schäden, wenn sich Ermüdung und Berufsmüdigkeit zeigen, dann hat das eben eine lange Vorgeschichte. Die ersten 30 Jahre, in denen sie die Ursachen legen, spüren sie nicht die Notwendigkeit, etwas zu tun. Es bedarf daher einer kulturellen Vernunft aller Beteiligten, um frühzeitig zu verstehen, was dem Menschen gerechte Bedingungen sind. Aber zugegeben: Es ist schwer zu verlangen von einem Manager, der unter Druck ist, einem jungen Menschen zu sagen: »Ich bewahre dich vor deiner Selbstausbeutung.« Denn der muss ja für jeden, der sich krumm legt und ihm hilft, etwas wegzuschaffen, auch gottfroh sein.

Deutsch: Diese Grundhaltung lässt sich schwer verändern.

Schmid: Natürlich. Da sind ja keine Bösewichte am Werke. Da sind Leute, die versuchen, ihre Situation bestmöglich zu bewältigen. Doch die Logiken der heutigen Zeit verlangen oft sehr viel mehr kulturelle Vernunft als früher, um nicht Entwicklungen zu dulden oder mit zu fördern, die dann nachher erhebliche Auswirkungen auf Seele und Körper haben.

Ökonomische Notwendigkeit
Veith: Auf dem Forum des Helm Stierlin Instituts in Heidelberg zum Thema »Gesundheit und Arbeitswelten« (7. bis 9. März 2007) ist deutlich herausgekommen: Es werden im betrieblichen Gesundheitsmanagement oft viele Einzelmaßnahmen ergriffen, aber recht wenig wird in Bezug darauf getan, wie sich die Organisation weiterentwickelt und wie Abläufe und Strukturen geschaffen werden können, die nicht pathogen sind, sondern eher gesund machen. Da gibt es auf Organisationsseite noch einen wichtigen Part, der gestaltet werden muss, um diese neue Führungskultur zu schaffen. Dr. Franz Netta, Vice President Human Resources bei der Bertelsmann AG, hat das auf der Tagung ja ganz klar formuliert. Der hat es auf die Formel verkürzt: Wenn ihr gut führt, habt ihr gesunde Mitarbeiter und ein gutes Betriebsergebnis.

Schmid: Da hat sich die Welt ja auch verändert. In den vergangenen Wachstumszeiten konnte man alles, was an Fehlern gemacht wurde, mit Zuwächsen abdecken. Das läuft in vielen Bereichen nicht mehr so. Zudem bringt es der demografische Wandel mit sich, dass ein Unternehmen nicht mehr einfach junge Kräfte nachbekommt. Wenn die Unternehmen tatsächlich die Leute länger halten wollen, weil die Nachwuchskräfte fehlen, dann werden sie schon aus ökonomischer Notwendigkeit neu über die größeren Zusammenhänge der Gesunderhaltung, der Employability, nachdenken. Und das heißt: Nicht in den ersten zehn Jahren des Berufslebens alle Reserven und alle interessanten Möglichkeiten verpulvern! Die Firmen werden dann auch merken, dass es keinen Sinn hat, junge Leute zu früh ständig in zu große Schuhe zu stellen. Was will man so jemandem nachher dann auch noch bieten? Ein Unternehmen wird also mehr die längerfristige Pflege von Mitarbeitern im Blick haben, einfach weil es sonst zu viele kaputte Leute hat, die es nicht mehr richtig einsetzen kann.

Deutsch: Entscheidend ist also das ökonomische Argument?

Schmid: Nur wenn Sie die Zusammenhänge zwischen ökonomischer Kalkulation und menschlichem Schicksal klar machen können, werden diese Zusammenhänge in die Steuerung der Wirtschaft wirklich Eingang finden. Hier liegt auch die Rolle der Politik, die aus ihren politischen Maximen Gesetze macht, die für die Unternehmen dann eine kalkulatorische Größe sind. Wir können das nicht, weil wir keine Gesetzgeber sind. Wir können aber versuchen, die Zusammenhänge verständlich zu machen, so dass die, die sie berücksichtigen wollen, die richtigen Landkarten darüber im Kopf haben, was eigentlich menschengerecht ist. Mehr können wir nicht tun.

Veith: Den ökonomischen Zusammenhang hat ja Herr Netta von Bertelsmann mit seinem Vortrag klar vermittelt. Wenn er diesen Zusammenhang zwischen Gesundheitsvorsorge und betriebswirtschaftlichen Ergebnissen darstellt, leuchtet das jedem zahlengetriebenen Manager ein.

Deutsch: Dem steht das kurzfristige Denken in vielen Unternehmen entgegen. Wenn ein Manager nur für vier Jahre am Ruder ist, will er in dieser Zeit möglichst gute Ergebnisse erzielen.

Schmid: Vier Jahre laufen die Verträge. Tatsächlich sind es nur zweieinhalb. Aber wir dürfen uns da nicht zu sehr am alltäglichen Wahnsinn orientieren. Das ist in vieler Hinsicht eine verkehrte Situation. Daran können wir uns nicht ausrichten. Wir müssen uns auf das längerfristig Menschliche und Vernünftige ausrichten. Irgendwann werden die Investoren auch merken, dass man nicht endlos menschliche oder natürliche Ressourcen verbrauchen kann, ohne dass man dafür bezahlen muss.

Deutsch: Sie plädieren also für eine nachhaltige Unternehmensführung?

Schmid: Ja, natürlich – auch weil ich meine, dass das auch das ökonomisch Vernünftige ist. Wir verwenden einen ganz klassischen Ökonomiebegriff: Ökonomie ist die intelligente Kombination von Produktionsfaktoren zur Erzeugung eines Mehrwertes. Und der Mehrwert kann ja für Menschen letztlich nur menschliche Wohlfahrt sein. Alles andere, also Geld oder sonst etwas anzuhäufen, ist nicht wirklich ökonomisch. Oft ist es nicht einmal intelligent. Das ist unser Ökonomieverständnis. Wenn man den Menschen versteht und ernst nimmt, wenn man Wohlfahrt mehrt und gleichzeitig Wirtschaften so gestaltet, dass der Mensch darin sinnvoll leben und seine Kompetenzen voll zum Einsatz bringen kann: Dann hebt sich der Gegensatz zwischen Ökonomie und Menschenverständnis recht leicht auf.

Umdenken im Generationendialog
Schmid: Wir erleben viele junge Leute, gerade die begabtesten, die auch intelligent genug sind, dass sie mehr vom Leben wollen als nur zu funktionieren. Diese Leute werden auch Ansprüche stellen und danach fragen, welchen Sinn es für sie macht, in einer Organisation zu arbeiten und wie sie das mit ihren Lebenszielen kombinieren können. Da mit der demografischen Entwicklung junge kompetente Menschen zunehmend zur Mangelware werden, hoffe ich, dass die Unternehmen allein schon aufgrund des Konkurrenzdrucks menschengerechtere Bedingungen bieten werden.

Veith: Wobei ich die Erfahrung mache, dass die Guten von den Unternehmen so gut eingedeckt werden...

Schmid: ...dass sie ihnen durch viele Privilegien die Vernunft abkaufen!

Veith: Ja genau. Intelligente Leute verausgaben sich dermaßen, dass sie wie in eine Trance geraten. Und wenn du sie herausnimmst und mit ihnen sprichst, sagen sie: »Ja, es ist mir klar.« Aber sobald sie wieder im System drin sind...

Schmid: Deshalb brauchen wir den Generationendialog. Hier in diesem Raum sitzen ja manchmal 55jährige und 35jährige. Wenn der 35jährige seelisch begreift, wie es dem 55jährigen geht, der alles mitgemacht und erreicht hat, was er damit erreichen wollte – und dann dessen Lebensbilanz sieht, geht das manchmal schon zu Herzen.

Deutsch: Wie gelingt es, die Generationen ernsthaft zusammenzuführen?

Schmid: Dazu braucht man eine Bildungskultur, wo solche Dialoge auch wirklich stattfinden. Das haben wir hier.

Veith: Wobei ich schon den Eindruck habe, dass es Unternehmen gibt, die bereits verantwortungsvoll mit der Gesundheit ihrer Mitarbeiter umgehen. Dazu zählen zum Beispiel die Heidelberger Druckmaschinen AG. Es gibt in der Region einige Unternehmen, die sich dessen bewusst sind und Gesundheit eben nicht als Einzelthema begreifen, sondern erkennen, dass es mit vielen anderen Themen verflochten ist.

Schmid: Herr Dr. Hohr, Leiter Personal- und Organisationsentwicklung der Heidelberger Druckmaschinen AG im Werk Walldorf-Wiesloch, macht sich da viele Gedanken. Und er sieht natürlich, dass auch ein kapitalmarktgetriebenes Unternehmen die Leute in der Region pflegen muss – weil es die Fachleute eben nicht in Indien bekommt, die es braucht, um die Druckmaschinen zusammenzubauen.

Veith: Es handelt sich um ein technologisch hoch anspruchsvolles Produkt, das eine hohe Zahl an qualifizierten Mitarbeitern erfordert. Vieles wird hier vor Ort gemacht...

Schmid: ...über 80 Prozent Fertigungstiefe. Und die Druckmaschine – das ist auch eine schöne Metapher: Wenn irgendwo im gesamten Prozess geschludert wird, funktioniert das Ganze nicht. Eine Druckmaschine ist deshalb eine schöne Metapher, die uns klar macht: Wir müssen alle Aspekte versorgen, sonst funktioniert das Gesamtergebnis nicht. Es ist ein schönes Sinnbild für nachhaltiges Wirtschaften und für den Brückenschlag zwischen der Sorgfalt dem Einzelnen gegenüber und der globalen Orientierung.

Schmid: Das Thema ist Gesundheit. Dennoch möchte ich auf die Perspektive Bildung Wert legen. Diese Mentalitäten müssen in den Menschen erzeugt werden von Jugend auf. Deswegen ist die Frage des erfolgreichen und menschengerechten Wirtschaftens immer auch eine Frage der wirtschafts- und menschengerechten Bildung. Und da hängen wir sehr hinterher, auch wenn jetzt über PISA und demnächst zu erwartende schwindende Studentenzahlen, die zur Konkurrenz zwischen den Bildungseinrichtungen führen, einiges in Bewegung kommt.

Ganzheitliches Drei-Welten-Modell
Deutsch: Noch einmal zurück zum Unternehmer, der ja kurzfristiger agieren muss. Was würden Sie dem raten?

Schmid: So pauschale Ratschläge kann man nicht geben.

Deutsch: Dann spitzen wir die Frage zu: Kranke Mitarbeiter werden zum Betriebsarzt geschickt, Rückenschulen werden eingerichtet, Gesundheitschecks angeboten. Reicht das?

Schmid: Wir haben ein Drei-Welten-Modell der Persönlichkeit. Der Mensch ist eben ein Mensch in diesen drei verschiedenen Welten gleichzeitig – der Professionswelt, der Privatwelt und der Organisationswelt. Ein Unternehmen, das sagt: es geht mich nichts an, was du an deinem Wochenende machst, wieviel du säufst, ob du dich gesundheitlich ruinierst, sieht die Dinge zu kurz. Die Haltung: »Ich sehe deine Arbeitskraft, und solange ich die bekomme, kaufe ich dir sie ab – und wenn ich sie nicht mehr bekomme, wirst du in irgendein Sozialsystem abgeschoben« – diese Haltung wird so nicht mehr funktionieren. Nicht nur deshalb, weil die Sozialsysteme es nicht mehr tragen. Wenn diese Menschen aus dem finanziellen System herausfallen, bekommen wir zudem ein kulturelles Umweltproblem.

Das heißt, die Unternehmen müssen ganzheitlicher denken. Sie müssen überlegen, wie sind die Leute professionalisiert: Was ist ihr Berufs- und Lebensweg, was ist ihre Würde, ihr Selbstverständnis? Und damit sind wir wieder beim Thema der Bildung. Wir kommen aber auch zu dem Punkt, dass die Unternehmen Gesprächsformen finden müssen, um mit den Mitarbeitern darüber zu sprechen, wie sie in der Privatwelt mit sich umgehen: »Können wir miteinander reden, wenn du am Montag morgen sichtlich unter Spätfolgen von gesundheitsschädigendem Verhalten am Wochenende stehst?«

Hier müssen die Unternehmen ganz langsam ihre Perspektive erweitern. Das geht nicht einfach, denn wir haben keine Sprache dafür. Unser Verständnis ist auch, dass das Privatleben das Unternehmen nichts angeht. Wir haben eine relativ strikte Trennung zwischen Beruf und Privatem.

Deutsch: Was ich eigentlich richtig finde. Ich würde mir vom Unternehmen nicht vorschreiben lassen, ins Fitnessstudio zu gehen oder jeden Tag einen Lauf zu machen.

Schmid: Wir denken da viel zu schnell an normative Vorgaben. Da zeigt sich auch die Hilflosigkeit, dass man nicht weiß, wie man sonst darüber reden soll. Stattdessen müssen wir anfangen, miteinander verantwortlich zu reden: Wie gehst du mit dir um, wie gehe ich mit mir um? Nicht im Sinne von, »ich mache dir Vorgaben«, sondern »es liegt mir an dir«.

Deutsch: Ist das wirklich Aufgabe des Vorgesetzten?

Veith: Schon. Bei den Heidelberger Druckmaschinen etwa sieht man es auch so, dass ein großer Teil der gesundheitlichen Probleme durch den Lebensstil geprägt ist und nicht durch die Arbeit. Es ist dem Unternehmen schon ein Anliegen, einem 50jährigen nicht nur einen gesunden Arbeitsplatz zu geben, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass er sein Leben so führt, dass er dem Unternehmen nicht in wenigen Jahren verloren geht. Das ist natürlich schon eine Gratwanderung mit Blick darauf, wie stark sich ein Unternehmen einmischen darf. Aber aus Unternehmenssicht ist es jedenfalls ein relevanter Punkt, zu sehen: Der Arbeitsplatz an sich ist gar nicht unbedingt krankmachend, sondern es ist die Kombination aus verschiedenen Elementen – und der eigene Lebensstil gehört da eben mit dazu. Und da sagt dieses Unternehmen, es ist notwendig, diesen Teil mit einzubeziehen.

Schmid: Wir denken einfach immer zu schnell an Kontrolle. Die Uneinsichtigen durch Kontrolle zu kriegen, ist immer der schwerste Akt, der aber als erster herangezogen wird. Der einfachere Akt liegt darin, die Menschen anzusprechen, die selbst bereits aufgeschlossen sind. Denen fehlt das Gespräch oder ein Stück Aufklärung, denen fehlt eine kollegiale Beziehung, bei der man miteinander redet. Also: Viele Kulturmöglichkeiten schaffen, um diese Menschen zu gewinnen. Im Grunde will ja jeder gesund und glücklich sein. Aber er ist unaufgeklärt, erleidet so viel Frustration, blendet Dinge aus und denkt, es geht auch so. Er macht sich nicht klar, dass der ältere Arbeitnehmer, der jetzt geht, vom Arbeitsplatz wegmuss, weil er sich einen Gesundheitsschaden alkoholischer Art zugezogen hat. Das wird dann totgeschwiegen und weggedrückt. Da gibt es doch sehr viel mehr Möglichkeiten, das zum Gegenstand der wechselseitigen Fürsorge zu machen. Das sind alles Dinge, die nichts mit Kontrolle oder Vorgaben zu tun haben.

Veith: Aus meiner Sicht – und das ist auch ein Punkt meiner Arbeit – ist Gesundheit ein wichtiger Teil der Führungsarbeit. Dass also die Führungskräfte zunächst für sich selbst den richtigen Umgang finden: Wie gehe ich mit den Belastungen um, mit all den dynamischen Elementen um mich herum? Dann aber auch überlegen, welchen Einfluss und welche Gestaltungsmöglichkeiten habe ich für meine Mitarbeiter? Aus meiner Sicht ist es wichtig, die Führungskraft in das Thema Gesundheit stärker mit einzubeziehen. Denn es ist ein wichtiger Hebel.

Schmid: Man muss aufpassen, dass man die Führungskraft nicht nur in ihrer klassischen hierarchischen Funktion sieht. Führungskraft heißt ja heute auch Projektleiter, heißt Kooperationspartner, heißt Netzwerkbetreiber. In vieler Hinsicht sind wir einander Partner, führen einander. Die klassische hierarchische Führung ist nur eine Dimension, die natürlich eingebunden werden muss.

Führungskräfte haben Kulturverantwortung
Schmid: Neben dem, dass jeder ein Maß an persönlicher Steuerungskompetenz und Verantwortung für sein Leben übernehmen muss, sind die Menschen aber auch Sozialwesen. Das heißt die Mitarbeiter eines Unternehmens machen die Dinge halt so, wie man sie hier macht. Sie sind Gruppenwesen, orientieren sich an anderen. Deshalb muss ein Unternehmen auch überlegen, welche Rituale, welche Selbstverständlichkeiten, welche unterschwelligen Meinungen bestehen. Es kommen also strukturelle und kulturgestalterische Elemente hinzu. Da sind dann Kulturexperten gefragt – wobei diese Kulturgestalter natürlich keine Extraleute sein dürfen, sondern die sein müssen, die auch den Geschäftsprozess betreiben.

Deutsch: Die Führungskräfte haben da eine ganz zentrale Funktion?

Schmid: Kulturverantwortung!

Deutsch: Wodurch sie dann auch die Gesundheit der Mitarbeiter beeinflussen.

Schmid: Das muss man unter dem Aspekt einer ganzheitlichen Führung sehen. Ihre Frage war, was kann man dem Unternehmer raten. Er sollte mitdenken, ob das, was ein Mitarbeiter im Unternehmen tut, eine Wechselwirkung hat mit seinem Privatleben, mit seinem Selbstverständnis: Ist es eine gute Wechselwirkung? Was können wir dafür tun, damit der Einfluss auf das Privatleben positiv ist. Und auch umgekehrt: Wie können wir von der Wechselwirkung profitieren?

Deutsch: Da geht es also um die Dimension »Privatwelt«. Das andere ist die Professionswelt?

Schmid: Richtig. Für das Unternehmen hat das dann viel mit Weiterbildung zu tun. Kann jemand, während er bei mir arbeitet, sich gleichzeitig so entwickeln, dass er längerfristig einen zu ihm passenden Berufslebensweg gehen kann? Dass er Unternehmer in eigener Sache bleiben kann? Wenn er mir wertvoll ist, muss ich mich mit ihm auch ernsthaft auseinandersetzen: Was braucht er, damit es stimmt für ihn, und was brauchen wir, damit es für uns stimmt? Es geht also darum, dass die Menschen im Unternehmen und das Unternehmen mit seiner Kultur in einem ernsthaften Dialog sind: Wie passen wir zueinander? Was müssen wir tun, damit es für dich Sinn macht, hier zu arbeiten? Und was musst du tun, dass es für dich weiterhin Sinn macht, hier zu arbeiten? Was können wir beide tun, damit es auch für das Unternehmen weiter Sinn macht, dass Du hier arbeitest? Und wie können wir darüber sprechen? Nur wenn das gut zueinander passt, wird zusammen die höchste Wirksamkeit und die höchste Zufriedenheit erreicht.

Verantwortlich in Bezug für das Ganze
Deutsch: Die Mitarbeiter sollten also mitgestalten und mitbestimmen können?

Schmid: Klar. Aber nicht in dieser basisdemokratischen Weise. Es können nicht alle über alles diskutieren und bei allem mitreden. Es muss eine geschichtete Dialogkultur im Unternehmen geben – dass man mit der Zeit auch weiß, wer mit wem über was sinnvollerweise redet.

Deutsch: Die Gesamtzusammenhänge müssen alle verstehen?

Schmid: Wir haben hierzu ein Verantwortungsmodell: Man ist verantwortlich für etwas, aber man ist immer gleichzeitig verantwortlich in Bezug auf das Ganze. Man muss eine Vorstellung haben, wie die eigene Verantwortlichkeit mit den anderen zusammenspielt. Denn nur das Zusammenspiel macht den Erfolg des Unternehmens, der wiederum notwendig ist auf Dauer für meinen persönlichen Erfolg. Wenn ich da nur auf meinen Bereich sehe und mir da eine Nische herausarbeite, die nicht mit dem anderen zusammenspielt, wird es schwierig.

Deutsch: Ist das nicht genau das, was mancher Mitarbeiter gerne tut – sich eine Nische sichern und um alles andere nicht zu kümmern?

Schmid: Ich bin ein Mensch, der eher an gute Motivation denkt. Wenn aber jemand keine Chance sieht, die Vielfalt der Anforderungen zu verarbeiten, wenn es keine Kultur des Miteinanders gibt, wenn ihn niemand darauf anspricht, dann wird er eben versuchen, seinen Horizont kleiner zu machen und sein Aufgabenfeld innerhalb dieses Horizonts für sich zu optimieren – selbst wenn er spürt, da ist auch etwas Ausbeuterisches dabei. Ich glaube aber, das ist sekundär. Denn er spürt auch irgendwo, dass das an der Würde zehrt. Das mag man nur oft nicht wahrnehmen, sondern es wird in eigenartiger Verkehrung in Opferhaltungen und zusätzliche Ansprüche verkehrt.

In einen Passungsdialog einsteigen
Schmid: Was ich anhand eines Schemas verdeutliche: »Deine Person, dein Können und wie du es in deine Funktion einbringst, – das muss abgeglichen werden mit der Organisation und ihren wichtigsten Prozessen, die das Kerngeschäft ermöglichen. Das ist die andere Seite deiner Funktion.« An dieser Stelle muss man in einen Passungsdialog steigen. Ich glaube, dass die meisten Menschen, wenn ihnen ein guter Weg geboten wird, in diesen Dialog zu gehen, das lieber wollen als in einer Nische zu verharren.

Deutsch: Ist es Aufgabe der Führungskraft, in diesen Dialog einzusteigen und einen Mitarbeiter aus einer solchen Nische herauszuholen?

Schmid: Klar, natürlich.

Deutsch: Also muss man der Führungskraft Instrumente an die Hand geben, so etwas aufzubrechen.

Schmid: Ja, wobei wir einen anderen Ansatz haben. Wenn sich Fehlentwicklungen schon zu Gewohnheiten verfestigt haben, ist es immer schwerer. Wichtig ist deshalb dort, wo wir Neuanfänge machen, von vornherein mit einer ganz anderen Kultur anzufangen. Dann haben wir es viel leichter. Die Pädagogik der normalen Entwicklung ist viel einfacher, als die Pädagogik der schwer Erziehbaren. Das Problem ist nur, dass wir immer als erstes über die schwierigste Situation nachdenken. Und dann hat man leicht das Gefühl: Kann man das überhaupt schaffen? Dann denkt man schnell an Kontrolle und autoritäre Maßnahmen – und nimmt sich ein Stück Diskussion und Argumente weg, die gar nicht so kompliziert sind, wenn man sie frühzeitig in ganz normalen Entwicklungen berücksichtigt. Es sind kleine, einfach leistbare Dinge, die zusammen Kultur machen.

Deutsch: Das leuchtet ein. Aber angenommen, ein Unternehmen ist bereits in einer verfahrenen Situation und der Unternehmer oder Vorgesetzte möchte diesen Dialog schaffen. Wie kann er da vorgehen?

Schmid: Auch da habe ich wieder das gleiche Problem. Als erstes möchte er gerne dort aufräumen, wo seine Missstände am größten sind. Ich sage dann immer andersherum: Nein, fang dort an, wo die Missstände nicht so groß sind. Suche die zusammen, die das möchten, die eine gewisse Kompetenz haben und die auch eine Bedeutung im Unternehmen haben. Und fangt zusammen mit einer anderen Kultur an.

Deutsch: Also mit denen zusammenarbeiten, die diese neue Kultur ohnehin schon leben möchten?

Schmid: Ja. Und das strahlt dann auf die anderen und sorgt dafür, dass daraus langsam eine Kultur tragende Mehrheit wird. Und vor allem: Reibt euch nicht an den Problemfällen auf, denn die gewinnt ihr nicht so schnell. Die sind am schwersten zu überzeugen – und dann denkt ihr schnell in Disziplinierung, Kontrolle und Maßnahmen. Aus diesen Maßnahmen entstehen dann Kontrollsysteme, die dann die Gutwilligen knechten und mit Verwaltung überziehen, aber die, die man kriegen will, nicht erreichen. Das ist ein typisch deutscher Denkfehler...

Deutsch: ...der am Ende zum Gegenteil führt.

Schmid: Ja. Daher sind diese brachialen Vorstellungen, wie man so etwas lösen kann, oft kontraproduktiv und machen die Sache noch schlimmer.

Organisation und Gesundheit
Veith: Was mir mit Blick auf den Kongress des Helm Stierlin Instituts aufgefallen ist: Es fehlt meist noch eine Verbindung zwischen Individuum und Organisation, zwischen Gesundheitsmaßnahmen und Themen der Organisationsentwicklung. Das haben einige Referenten klar verneint, obwohl das schon ein wichtiger Punkt ist: Was bedeuten salutogene Aspekte auch für die Organisation, für die Art und Weise, wie wir Prozesse strukturieren, wie wir Abläufe organisieren? Darin liegt ein großes Potenzial – diese beiden Perspektiven, Individuum und Organisation, stärker miteinander zu verbinden, als es im Moment der Fall ist.

Deutsch: Gesundheitsmanagement in die Organisation einbinden. Das ist auch das Thema Ihrer Promotion?

Veith: Ja. Da geht es im Wesentlichen darum, die Führungskraft zum einen dafür zu sensibilisieren, einen anderen Umgang mit sich selbst in diesen anfordernden Kontexten zu schaffen – sich also persönlich dafür zu sensibilisieren und weiterzuqualifizieren. Zum anderen die Führungskraft auch dafür sensibel zu machen, dass sie eine Gestaltungsmöglichkeit mit Blick auf die Kultur und mit Blick auf die Ablauforganisation hat. Dass Führungskräfte also auch für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung und gesundheitsförderliche kulturelle Gestaltung zu sorgen haben...

Schmid: ...im Zusammenspiel mit den Leistungsprozessen! Dass da nicht wieder so eine Trennung hereinkommt, denn der Vorgesetzte ist ja kein Sozialarbeiter.

Veith: Das hat Herr Hohr von Heidelberger Druck bei unserem letzten Gespräch betont: Die Gestaltung des Gemeinwesens in der Organisation, Partizipation, Beteiligung am Wertschöpfungsprozess – das wird das zentrale Erfolgskriterium der nächsten Jahre sein. Also die Art und Weise, wie Leute miteinander umgehen und wie sie selbst Verantwortung übernehmen für bestimmte Aufgaben, wie sie aber auch im Zusammenspiel mit den anderen immer wieder dazu beitragen, diesen Wertschöpfungsprozess zu unterstützen.

Gesundheit als Steuerungsdimension
Deutsch: Alle Maßnahmen haben also immer den Bezug zum Wertschöpfungsprozess?

Schmid: Sonst hat es keine Chance – sonst ist es gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Das ist auch unser Anliegen, das unseres Instituts, der Doktorarbeit von Herrn Veith, auch der Zusammenarbeit mit der Medizinpsychologie in Heidelberg: dass wir da auch ein Stück Landkarten im Kopf verändern. Dass man nicht sagt: Der Vorgesetzte muss sich jetzt mal um die Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmern. Das ist nicht gemeint. Vielmehr muss er bei der Steuerung der Leistungsprozesse Gesundheit als eine Steuerungsdimension einbeziehen – und nicht auch da wieder eine Extrabühne aufmachen.

Deutsch: Darin liegt der ganzheitliche Ansatz?

Schmid: Ja. Wir neigen dazu, die Dinge zu trennen, die zusammengehören und dann getrennt zu bearbeiten – und dann merken wir, dass die Ressourcen nicht reichen.

Deutsch: Deshalb wird Gesundheit oft auch einfach an den Betriebsarzt abgedrückt.

Schmid: Ja, das ist wie bei dem Beispiel mit der Psychosomatik. Es gibt natürlich Dinge, die der Betriebsarzt auch machen muss. Aber der Betriebsarzt kann nicht für Gesundheit im Betrieb sorgen. Vielmehr braucht es eine Gesundheitsperspektive im Wirtschaften. Da sind wir dann wieder bei der Weiterbildung. Es ist wichtig, dass die Leute Ganzheitlichkeit lernen. Das muss sich dann ganz konkret in Steuerungskompetenz, im Aufsetzen von Strukturen und Prozessen, in Personalauswahl und Personalführung zeigen. Also eigentlich in Wirtschaftskultur – und die Gesundheitskultur ist ein Teil der Wirtschaftskultur.

Deutsch: Ähnlich wie beim Umweltschutz, der ja auch in diese Kultur eingebunden werden sollte.

Schmid: Natürlich. Wenn man daraus separate Abteilungen macht, dann sind das Feigenblätter.

Deutsch: Es reicht also nicht, dass eine Führungskraft das Thema Gesundheit nur erkennt und separate Maßnahmen ergreift?

Veith: Das wäre besser als nichts. Wenn sie das Thema Gesundheit aber dann wieder als eigene Schiene sieht, ist nicht so viel geholfen.

Deutsch: Also: keine zwei Bühnen, wie Sie sagen.

Schmid: Und da sind wir dann wieder bei der Personalentwicklung und bei der Frage: Wie entsteht die Professionsentwicklung, welches Selbstverständnis hat jemand, wenn er Manager ist? Diese Entwicklung findet häufig in jungen Jahren statt und ist prägend fürs ganze Leben.

Deutsch: Eine solche Nachwuchskraft sollte dann ja in ein Unternehmen kommen, dessen Kultur diese ganzheitliche Professionalisierung unterstützt. In anderen Unternehmen wird sie es schwer haben.

Schmid: Schwer ist es auch schon an der Hochschule, wo die Fakultäten total fragmentiert für irgendwelche Teilaspekte zuständig sind. Dort ist ja niemand in der Lage, die Gesamt- und Zusammenschau zu sehen. Das taucht dann immer erst hinten dran bei den Praktika auf. Denn im konkreten Vollzug kann man die Dinge dann nicht mehr separieren, da finden sie immer zusammen statt.

Deutsch: Wie begegnen Sie in Ihrem Institut dieser Gefahr, sich in Teilaspekten zu verlieren?

Schmid: Wir haben eine andere, ganzheitliche Ausbildungskultur. Von Anfang an setzen wir uns mit den Teilperspektiven, die für eine gute Steuerung wichtig sind, immer am konkreten Beispiel auseinander – so dass wir uns gar nicht erst erlauben, die Sachen als separate Mentalitäten zu leben. Der Lernprozess ist damit schon ein Bild dafür, dass man die Dinge im Konkreten zusammenbringen muss. Die Teilnehmer müssen dann lernen, die Dinge einfach zu lassen, nicht unnötig aufzublähen, sie konkretisierbar zu machen, sie mit dem eigenen Gefühl für sich selbst und die anderen zu verbinden, sie mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und mit dem Zeitbudget zu verbinden. So entsteht eine intelligente Kombination von Faktoren, die zusammen gute Führung, gute Steuerung ausmachen. Und das ist bei uns von vornherein das Hauptelement des Bildungsprozesses.

Die Fähigkeit, zu verdichten und zu integrieren
Veith: In vielen Organisationen ist es noch so, dass einzelne Bereiche nicht einmal miteinander kooperieren. Da gibt es dann das Gesundheitsmanagement oder den betriebsärztlichen Dienst – und es gibt die Personalentwicklung und davon getrennt eine Organisationsentwicklung. Die arbeiten nicht miteinander zusammen oder stehen sogar in Konkurrenz zueinander.

Schmid: Das ist oft auch eine Folge davon, dass verschiedene Berufsstände in diese verschiedenen Abteilungen kommen. Und da sind wir wieder bei der Professionsbildung. Diese Leute fühlen sich von ihrem Berufsselbstverständnis für die ergänzenden Belange auch gar nicht zuständig. Ein Beispiel ist die klassische Personalverwaltung und die Personalentwicklung. Obwohl beiden Abteilungen klar sein müsste, dass sie an einem Strang ziehen müssen, wenn auch mit verschiedenen Mitteln. Bei den einen herrschen oft die Juristen vor, bei den anderen eher die Pädagogen und Psychologen. Die Gruppen haben verschiedene Lebensverständnisse, haben aufgrund ihrer Professionen gewohnheitsmäßige Prioritäten. Sie haben nie gelernt, zum Beispiel aus pädagogischer Sicht mit den juristischen Belangen anzukoppeln. Oder zu fragen: Was muss ich vom Juristischen wissen, ohne ein Jurist werden zu müssen? Oder wie muss ich mich mit den Juristen verständigen, dass wir zusammen an einem Strang ziehen können?

Also: Ganzheitlichkeit in diesem modern verstandenen Sinne und Integrierbarkeit – also wirklich die Fähigkeit zu verdichten, zu integrieren – sind die geistigen Herausforderungen unserer Zeit.

Deutsch: haben wir noch einen Punkt im Zusammenhang mit unserem Thema »Gesundheit – Organisation – Führung« vergessen?

Schmid: Interessant ist vielleicht noch, bezogen auf die Region, dass bei dem Projekt der Heidelberger Druckmaschinen neben uns auch das Psychiatrische Zentrum Nordbaden und das Institut für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg einbezogen sind. In der Region gibt es heute eine zunehmende Zusammenarbeit, die man vor 20 Jahren so nicht hatte. Auch das ist ein interessantes Thema – dass eine Universität, ein Wirtschaftsunternehmen und ein privates Weiterbildungsinstitut auf Augenhöhe Hand in Hand arbeiten.

Die Metropolregion ist auf politischer Ebene ein Ausdruck der Erkenntnis, dass ich allein mit meinen wenigen Horizonten nicht mehr leistungsfähig genug sein kann: Ich muss mich qualitativ vernetzen. Dann lernen alle davon. Dass man sich nicht nur als Konkurrenten sieht, sondern gemeinsame Entwicklungen voranbringt, weil die Menschen einsehen, dass die eigenen Horizonte nicht mehr reichen – das scheint mir ein toller Trend.

Deutsch: Der Druck ist groß genug, dass ein Umdenken stattfindet?

Schmid: Die Zeiten einfacher Strickmuster, die einfach durch Wachstum die Probleme gelöst haben, sind vorbei. Die Krise ist immer Stresspunkt, aber auch Chance der Neubesinnung. Letztlich müssen wir vermutlich auch lernen, stationär zu wirtschaften.

Mittlerweile wird ja vermehrt von Burnouts, Depression und Suchtproblemen bei Studenten berichtet. Auch bei Schülern kommt es schon vor. Wobei das ja auch ein Glück ist, dass immer jüngere Menschen davon betroffen sind. Sie sind gesund genug, um krank werden zu können. Wenn sie erst mit 50 krank werden und ein ganzes Lebenskonzept daran hängt, sind die Schwierigkeiten viel größer. Vor allem aber: Diese Vorfälle wecken Aufmerksamkeit in der Gesellschaft – weil deutlich wird, dass es nicht nur ein Problem der Alten ist, die nicht mehr mitkönnen.

Veith: Wir machen die Erfahrung in den Gruppen hier: Die Teilnehmer brauchen einen halben Tag bis einen Tag, bis sie einigermaßen aus ihren Hamsterrädern rauskommen.

Schmid: Das ist auch mit ein Grund, warum sie herkommen. Manche, die schon länger kommen, sagen auch, ihnen ist das Thema zweitrangig – weil sie wissen: hier komme ich zu mir, hier bekomme ich Abstand, hier besinne ich mich. Hier habe ich eine Art von Gesprächen, die in mir Qualitäten wieder nahe bringen, meine Batterien wieder aufladen. Wir bilden nicht nur für bestimmte Fertigkeiten, sondern für ein lebenslanges Lernen und Professions-Dialog-Verständnis aus. Das behalten auch viele bei. Das ist für sie lebenslang eine Regenerations- und immer wieder Ausrichtungsmöglichkeit in einer Welt, die oft sehr zentrifugal ist.