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Auf der Suche nach der verlorenen Würde.
Zur Ethik und Professionalität in Organisationen
Manager sind bestimmt nicht die schlechteren Menschen. Indem sie aber größere Hebel betätigen als andere, haben ihre Inkompetenz oder fehlende Skrupel drastischere Auswirkungen. Da Skrupellosigkeit auch aus dem Verlust von Würde erwächst, ist es wichtig, Mechanismen in Organisationen zu verstehen, die zu Entwürdigung führen. Dass Wirtschaft und Gesellschaft ein hohes Maß an Eigengesetzlichkeit geschaffen haben, führt häufig zu einem Verantwortungsvakuum. Es ist heute daher wichtiger denn je, zwischen privater Ethik und den Organisationswelten zu vermitteln.

        


 
rivate Ethik ist wichtig, doch nicht ausreichend, um in der Berufswelt ethische Fragestellungen angemessen zu formulieren. Die persönliche Bereitschaft Einzelner, anständig handeln zu wollen, reicht für das Erfassen zentraler Fragen der Ethik in größeren Organisationen nicht aus. Die Komplexität des heutigen Wirtschaftens und der heutigen Großorganisationen ist längst über ein für das private Gemüt fassbares Maß hinausgewachsen. Ansichten, Entscheidungen, Handlungen oder deren Unterlassung wirken oft über Mechanismen, die der Einzelne heute kaum noch überschauen kann.

Sicher gibt es genug Skrupellosigkeit und zynische Haltungen im Bereich des Managements und der Eigentümer-Verantwortung; Skrupellosigkeit, soweit sie aus Persönlichkeitsdeformation erwächst, soll hier nicht das Thema sein. Häufig ist Skrupellosigkeit die Folge von inkompetentem Wirtschaften und dem Mangel an komplexen und effektiven Management-Strategien. Skrupellosigkeit erwächst auch aus dem Verlust von Würde; es kommt dann nicht mehr darauf an. Die Würde des Managers ist antastbar. Daher ist es wichtig, Mechanismen in Organisationen zu untersuchen, die Menschen als Privatpersonen wie auch als Positionsinhaber entwürdigen. Psychologisch gesehen sind Täter häufig ehemals oder gleichzeitig Opfer. Dies rechtfertigt nicht ihre Taten, lässt jedoch nach den Mechanismen, die Opfer und Täter hervorbringen, forschen.

Insgesamt sind Manager sicher nicht besser oder schlechter als andere Menschen. Dadurch aber, dass sie in ihren beruflichen Rollen und gesellschaftlichen Positionen oft größere Hebel betätigen, haben ihre Nachlässigkeiten, ihre Inkompetenz und fehlende Skrupel größere Auswirkungen als die von Privatpersonen. Ihre Sünden werden daher in der Öffentlichkeit zu Recht angeprangert. Das Auffinden und Anklagen von Schuldigen stellt jedoch den anderen kein Unschuldszeugnis aus. Ethische Erwägungen werden erst anspruchsvoll, wo sie über das Identifizieren von Schurken hinausgehen und sich mit den systemischen Vernetzungen und der »Banalität des Bösen« (Hannah Arendt) auseinandersetzen.

Komplexität und das Dilemma der Zauberlehrlinge
Immer mehr Menschen empfinden die Komplexität der Zusammenhänge in unserer Gesellschaft als bedrückend. Schon in der privaten Umwelt wundern sich viele, dass sie sich trotz der vielen heute möglichen Vereinfachungen wie gestresste Jongleure des Alltags erleben. Die Vorstellung, dass das Privatleben einfach sein müsste, ist vielleicht eine bürgerlich-romantische Illusion, die insbesondere Männer gerne mit sich herumtragen. Erst in privaten Lebenskrisen wird oft deutlich, wie unaufmerksam und naiv man mit vielen Lebenszusammenhängen umgegangen ist.

Wirtschaft und Gesellschaft haben komplexe Eigengesetzlichkeiten selbst geschaffen, wie zum Beispiel Finanzmärkte, Verkehrssysteme, Marktregulierungs- und Subventionssysteme, die zunehmend ihre Eigendynamik entwickeln, und mit deren Unüberschaubarkeit und Unberechenbarkeit die Menschen heute – wie früher mit Naturgewalten – leben. Die Spielregeln für wirtschaftliches Verhalten können mit den in Jahrhunderten gewachsenen Erfahrungen handwerklicher oder kleinunternehmerischer Kunst oft nicht mehr verstanden werden.

Auch unter ethischen Gesichtspunkten scheint sich die Bewertung von Vorgängen und deren Folgen immer stärker einer Beurteilung durch persönliche Vernunft und persönliches Gewissen zu entziehen. Oft genug fühlt man sich vor der Schwierigkeit, es entweder den Fachleuten zu überlassen, oder sich auf den unsicheren Boden der emotionalen Begründungen von Entscheidungen über ethisch bedeutsame Fragen zu bewegen. Gleichzeitig besteht Beurteilungs- und Handlungsnotwendigkeit.

Immer mehr Menschen kommen zu dem Schluss, dass wir uns in unserer Zivilisation in gefährliche Bereiche verstiegen und destruktive Kräfte entfesselt haben. Wir können uns nicht erlauben, die Kompliziertheit und Bedrängnis unserer Situation nicht zu verantworten, etwa indem wir gerade jetzt unsere romantischen Neigungen zum einfachen Leben entdecken und lediglich nach entsprechenden Nischen suchen. Auch wenn wir uns nicht Schuld an der Situation fühlen oder sind, müssen wir sie dennoch verantworten. Sonst würden wir zu Erduldern und Verwaltern eines nicht mehr steuerbaren Zivilisationsereignisses werden.

Natürlich muss der Einzelne sich auch Muße und Regenerationsmöglichkeiten schaffen, da übermäßiger Stress Lernfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft mindert. Hierbei könnte häufig eine Verkleinerung der Macht- und Verantwortungsbereiche helfen. Dies würde Erleichterung, eine Verbesserung der Lebensqualität und mehr empfundene Würde, die aus dem Ausfüllen-können der übernommenen Rollen erwächst, bringen. Seltsamerweise werden solche Begrenzungen häufig als Verlust betrachtet, als könnte man Macht und Verantwortung als Besitzstände mit ins Grab nehmen. Das letzte Hemd hat auch bezüglich Macht keine Taschen.

Menschen neigen offenbar dazu, mehr Macht und Verantwortung anzustreben als sie mit Können und Kapazität ausfüllen können. Dadurch entsteht häufig tatsächlich ein Macht- und Verantwortungsvakuum. Sorgfältiges und maßvolles Einschätzen der Verantwortung, die man übernehmen kann, hätte vielleicht zur Folge, dass immer mehr Menschen bemerken, wie viel Verantwortung überhaupt nicht übernommen wird bzw. beim gegenwärtigen Können der verfügbaren Personen auch nicht übernommen werden kann. Dies könnte uns vorsichtig machen, organisatorische und professionelle Komplexität heraufzubeschwören.

Entmündigung durch Sachzwänge
Kritischen und ethisch verantwortlichen Argumenten werden oft so genannte Sachzwänge entgegengehalten. Dieses Wort steht in der Regel für den Glauben, dass Dinge nicht verändert werden können, sondern wir ihren Gesetzmäßigkeiten folgen müssen. Wenn nicht gerade Einfallslosigkeit, Trägheit oder Korruptheit dahinterstecken, spiegelt dieser Begriff häufig eine Entmündigung, die zusammen mit der erwähnten Entwürdigung wiederum den Boden für ethische Verantwortungslosigkeit bereitet. Die Schwierigkeit besteht darin, die Meinungs-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit wieder herzustellen.

Kürzlich hörte ich von einem Südtiroler Obstbauern mit 300 000 Obstbäumen, dem sich die Haare sträuben, wenn Freunde von seinen 21-mal gespritzten Äpfeln essen möchten. Er führt sie dann in seinen Privatgarten zu ungespritzten köstlichen Bauernsorten. Er bedauert, dass ihm der Markt den Spritzmittel-Einsatz diktiere. Wenn er diesen um zehn Prozent reduzieren würde, müsste er kleinere optische Veränderungen der Äpfel in Kauf nehmen, die ihm den Marktpreis unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze drücken würden. Achselzuckend passt er sich an. Er hat keine Idee, wie er seine private Werthaltung professionell realisieren könnte. Persönlich sichtlich unglücklich, sieht er nur die Alternativen, sich nicht an diesem Markt zu beteiligen, oder eben mitzumachen. Ob durch innovative unternehmerische Strategien hier weitere Alternativen zugänglich wären, ist ungewiss. Allerdings ist durch die Spaltung der Welten der Impuls, innovative Alternativen zu suchen, auch geschwächt.

Keine Zeit für schöpferische Strategien?
Positionsinhaber in Organisationen verlieren sich leicht in deren Logik und scheinbaren Sachzwängen. Sie funktionieren und erledigen das Tagesgeschäft. So erleben viele, auch mächtige, Positionsinhaber ihre Spielräume für Nachdenken und schöpferisches Beeinflussen der unternehmerischen Strategien der Organisationskultur als gering. Daher glauben sie, auch Vorgänge ertragen oder mitgestalten zu müssen, die sie aus ihren privaten Werthaltungen heraus ablehnen würden.

Je komplizierter Organisationen werden, desto schwerer sind die Zusammenhänge zu begreifen und zu managen. Gleichzeitig ist auch der Einfluss des Einzelnen kleiner, und umso weniger mag er diesen Einfluss für die ohnehin so schwierig integrierbaren ethischen Gesichtspunkte verwenden. Man hat häufig durchaus gute Absichten, verschiebt das Ganze aber wegen der Brisanz anderer Dinge in die Zukunft. Das Tagesgeschäft bietet immer Gründe für das Zurückstellen unternehmerischer Weitsicht und das ernsthafte Einbeziehen ethischer Gesichtspunkte. So verhalten sich viele Manager auch in ethischer Hinsicht wie die Holzfäller, die mit einer stumpfen Kettensäge arbeiten, und denen ein Betrachter von außen zuruft, sie sollen doch ihre Kette erst einmal schärfen, und die antworten, sie hätten dazu keine Zeit, da sie viel Holz fällen müssten.

Eine Schwierigkeit liegt auch darin, dass sich viele Manager mit dem strategischen Denken schwer tun, ohne sich dies einzugestehen. Sie glauben eher an das überwältigende Tagesgeschäft und daran, über zuwenig Zeit, Informationen, Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft anderer zu verfügen. Daran stimmt, dass man aus einem übermäßigen Tagesstress heraus auch nicht schöpferisch sein kann, es sei denn, man ist außergewöhnlich begabt und jahrelang in schöpferischem, strategischem Arbeiten geschult. Es ist verständlich, dass ein Manager die Verschnaufpausen, die sich ergeben, wenn er erstmal die Betriebsamkeit unterbricht, zur Erholung braucht. Es ist schwierig, sich die Anstrengung schöpferischen Denkens zuzumuten, wenn man sich ausgebrannt und auch zu wenig geschult erlebt und außerdem schnelle Früchte einer solchen Anstrengung nicht zu erwarten sind. Notwendigkeit, ja Dringlichkeit allein hilft dabei nicht, sondern vergrößert nur das Unbehagen.

Schwierigkeiten mit dem schöpferischen strategischen Denken sind im Gespräch zwischen Managern tabuisiert. Auch weil man viel Geld dafür bekommt, wird die Fiktion aufrechterhalten, dass es jeder könnte, wenn er nur dazu käme. Hierbei spielen vielleicht auch geringe Kenntnisse oder wenig ausgeprägte Maßstäbe über die Natur des schöpferischen Prozesses eine Rolle. Schöpferisches Denken bedarf der Übung und kann deshalb in qualifizierter professioneller Weiterbildung gelernt oder verbessert werden. Man muss es erlernen wie Klavierspielen. Auch hier ist viel Übung erforderlich, auch dann, wenn man Talent zur Musik hat. Niemand würde auf die Idee kommen, sich innerhalb eines gestressten Alltags irgendwann eine Stunde ans Klavier zu setzen und zu glauben, er könne – nur weil er jetzt Zeit dazu habe – Klavier spielen.

Spaltung der Lebenswelten
Der Zusammenhang zwischen sich verselbständigenden wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und persönlichen Lebenshaltungen scheint in vielen Lebensbereichen zerrissen zu sein. Die Menschen reagieren darauf – psychologisch verständlich – mit einer Spaltung ihrer inneren Lebenswelt. Es entstehen Risse in der Persönlichkeit, die als Verlust an Integrität erlebt werden. Die Scham darüber wird abgewehrt. Sie wird nicht als wichtiges Signal, das an die eigenen menschlichen Möglichkeiten und ethischen Bedürfnisse erinnert, erkannt. Diese Scham wird mit dem schmerzlichen Gefühl früher erlebter unangemessener Beschämungen verwechselt und daher nicht als ein möglicher Schlüssel zur Selbstfindung und Wiederinanspruchnahme von Würde erkannt.

Auch die äußere Welt wird gespalten. Dadurch dass die einflussreicheren Mitarbeiter in Unternehmen ihr Bedürfnis nach naturorientiertem Leben in privilegierten Wohngebieten und Fernurlauben befriedigen können, ist für sie weniger Not-Wendigkeit vorhanden, Arbeitsplätze, Arbeitsumgebungen und normale Wohnsiedlungen mit mehr Lebensqualität zu versehen. Man stelle sich vor, wie es anders wäre, wenn die Führungsschichten von Unternehmen und maßgebenden Organisationen in der unmittelbaren Nähe ihrer Produktionsstätten oder im Geschäfts- oder Verwaltungsbereich von Innenstädten in üblichen Wohnformen wohnen müssten. Dort, wo innere Spaltungen oder die Spaltungen der äußeren Lebenswelten möglich sind, geht auch für diejenigen, die die Macht hätten, Zusammenhänge wesentlich mitzubestimmen, die täglich erlebte Notwendigkeit, umgestaltend einzugreifen, verloren. Allerdings ist das Ende der Ausfluchtmöglichkeiten durch die zunehmenden ökologischen Schäden und die Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird, in Sicht.

Durch die zunehmende Beachtung ethischer und ökologischer Themen in den Medien entsteht Betroffenheit. Doch wird vermutlich entscheidend sein, ob die manchmal schwierigen Pfade von der privaten Betroffenheit zur Handlungsfähigkeit in beruflichen und öffentlichen Rollen gefunden werden. Private Betroffenheit muss mit Professionalität und dem Wirken in Organisationen vernetzt werden, damit aus gutem Willen Wirksamkeit werden kann. Sonst besteht die Gefahr, dass enttäuschter Idealismus in Frustration und Zynismus umschlägt und die Spaltung der Lebenswelten verstärkt.

Es ist problematisch, gute Vorsätze zu erzeugen und emotional hoch zu besetzen, wenn nicht gleichzeitig gangbare Wege gefunden werden, solche Maßstäbe in Lebenswirklichkeit umzusetzen. Es besteht sonst die Gefahr, dass Betroffenheit zeitweilig zu Kulturmode wird und dann wegen Überdruss völlig verschwindet. Beides würde der Abwehr der Problematik dienen. Kostbare Motivationen würden zu früh verpulvert, wenn eine Generation von Managern die Erfahrung macht, dass sie in Bezug auf ethische und ökologische Fragen nicht wirksam und schöpferisch befriedigend tätig sein kann. Ethische Gesichtspunkte müssen sorgfältig in Unternehmensstrategien integriert werden. Hochlodernde ethische und ökologische Feuer beleuchten die Szene, können aber auch das für längere Aufwärmung benötigte Heizmaterial verbrennen, ohne dass für Nachschub gesorgt ist.

Beruhigung durch unkonventionelle Nischen
Bei ethisch kritischen Themen findet man neben Ausblendungen – gerade bei geistig interessierteren Menschen – eine andere Form der psychischen Abwehr. Sie äußern in privaten Zirkeln fundamentale Kritik in einer Weise, dass der Eindruck entsteht, als würden sie sich eine mentale revolutionäre Nische schaffen, die eine aufrührerische Reaktion auf ihre Betroffenheit ermöglicht. Dies klingt oft so, als würden sie sich eine zweite irreale Identität mit ökologisch-fundamentalistischen und sozial-revolutionären Zügen schaffen. Das Engagement, Alternativen auszuprobieren, wird entweder überhaupt nur in der Phantasie oder aber in vergleichsweise unbedeutenden privaten Rollen ausgelebt. Dies liefert dann die psychische Rechtfertigung, sich in der professionellen und organisatorischen Umgebung in das scheinbar Unvermeidliche zu fügen. Manche tragen so die Absicht, eines Tages »auszusteigen« bis zur Pensionierung vor sich her.

Wie können Anliegen der persönlichen Ökologie und der professionellen Lebensqualität in Organisationen Gewicht bekommen? Neben einem Umdenken und Ändern von Lebenspraxis in vielen kleinen Schritten durch Einzelne werden hier vermutlich Marktmechanismen auf dem Arbeitsmarkt für Führungskräfte wirken. Man kann sich vorstellen, dass Unternehmen um Führungskräfte mit dem Angebot an Lebensqualität, familienorientierten Karrieremöglichkeiten und ähnlichem werben müssen, da neue Generationen von Führungskräften häufig schon durch Erbschaft und ähnliches materiell abgesättigt sind und ihre verbleibenden Bedürfnisse nach Einkommen ohnehin befriedigen können. Unternehmerische Konzepte zur persönlichen Ökologie der Führungskräfte werden vielleicht zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor.

Ethik als Thema in Unternehmen
In Unternehmen werden ethische Fragen immer mehr zum Gegenstand der Diskussion. Kritische Fragen, die vor zehn Jahren nur selten und hinter vorgehaltener Hand geäußert wurden, werden jetzt Inhalte von Veranstaltungen und Fortbildungen. Allerdings besteht auch hier die Gefahr, dass sich Großunternehmen Ethik-Veranstaltungen und Spezialisten für ethische Fragestellungen wie Konzerte und interessante Künstler leisten. Ein solcher Umgang mit ethischen Fragen kann als Aushängeschild und zur inneren Gewissensberuhigung gewagt werden, weil man bemerkt hat, dass Diskussionen dieser Art zumindest kurzfristig ohne beunruhigende Folgen bleiben.

Ethik ist erlaubt und interessant, solange sie nur genügend Abstand zu täglichen Entscheidungen hat. Sie darf das Bewusstsein anreichern, solange sie keine irritierenden Auswirkungen auf das professionelle Handeln und auf die Kultur der Wirtschaftsorganisationen hat. Dennoch können solche Ethik-Veranstaltungen zur Entwicklung einer neuen Mentalität beitragen. Doch bleibt im Einzelfall zu überprüfen, ob Mentalitäten Handlungsweisen beeinflussen, oder ob mit geschönter Mentalität alles beim Alten bleibt.

Es ist wichtig und hilfreich, wenn die besondere Beachtung von ethischen Fragestellungen über interne und externe Spezialisten an die Unternehmenskultur herangetragen wird. Jedoch ist darauf zu achten, dass auf diese Weise nicht eine Verantwortungsverschiebung vom Management weg zu Spezialfunktionen und externen Beratern stattfindet. Das enorme Wachstum des Beratungsmarktes hat auch mit solchen problematischen Verantwortungsverschiebungen zu tun. Unbequeme Dinge werden intern oder extern an Spezialisten delegiert und von diesen gegen entsprechendes Entgelt zum Teil in professionell unverantwortlicher Weise übernommen. Hier entsteht eine Reihe von speziellen ethischen Fragen ihrer Profession für externe Berater und interne Stabsfunktionen.

Es ist wichtig, dass Berater wissen, welche Verantwortung sie haben müssen, welche Aufgaben sie übernehmen können, und welche Macht sie nicht haben dürfen, damit sie nicht mithelfen, Manager aus ihrer Verantwortung zu entlassen oder zu verdrängen. Allerdings scheint es vielen Beratern schwerzufallen, selbst zu begreifen oder verständlich zu machen, welche ergänzenden Funktionen sie sinnvollerweise ausfüllen können, und wo sie sich aus Unkenntnis oder Taktik in Konkurrenz oder Alibi-Funktionen begeben. Spezialisten- und Beratungstätigkeiten geraten dann zu Bärendiensten, wenn sie die institutionell Verantwortlichen nicht zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren Verantwortlichkeiten herausfordern.

Vitale Interessen und erweiterte Horizonte
Bei der Frage, ob ethische Werte, wenn sie eigenen Vorteilen zu widersprechen scheinen, in unserer heutigen Gesellschaft bedeutungsvoll werden können, ist Skepsis angebracht. Stattdessen scheint es eher sinnvoll, ein neues Verständnis von vitalen Interessen zu wecken, das Konsequenzen im Sinne ethischer Werte hat. Die Frage, welche unsere vitalen Interessen sind und wie sie vernünftig verfolgt werden können, stellt sich neu. Während wir vielleicht vor 30 Jahren noch glauben konnten, dass es unserer Lebensqualität dienlich ist, pflegeleichte und haltbare Tropenhölzer bei unseren Bauten zu verwenden, erkennen wir heute, dass dies bei anhaltenden Raubbau-Methoden unserem vitalen Interesse an einem gesunden Klima widerspricht.

Durch geistige Vergegenwärtigung der Zusammenhänge werden ethisch wünschenswerte Entscheidungen zu Geboten der Vernunft. Ethische Gebote und vitale Interessen beim Wirtschaften fallen bei genügend komplexer Betrachtung häufig lange nicht so weit auseinander, wie dies oft angenommen wird. Die Erweiterung der Zusammenhänge ermöglicht es, ethisch Richtiges mit Argumenten der Vernunft und der langfristigen Ökonomie zu begründen, und verbessert damit die Chance, bei wirtschaftlich denkenden Menschen Beachtung zu finden.

Persönlichkeit und das Zusammenspiel dreier Welten
Neue Verständnisse von vitalen Interessen sind relativ schwer in Organisationswelten zu integrieren. Wichtige Voraussetzungen dafür sind neben organisationsstrukturellen Maßnahmen Selbstverständnisse und Integrationsfähigkeit der handelnden Persönlichkeiten. Der Begriff Persönlichkeit wird hier nicht wie ein erworbener Besitzstand behandelt, sondern als eine Fähigkeit, verschiedene Lebensbereiche immer wieder verantwortlich, kompetent und seelisch lebendig zu erfahren und zu gestalten. Die gelungene Lösung für den 30-Jährigen kann zur Fehlentwicklung werden, wenn der 50-Jährige sie immer nur fortgeschrieben hat. Persönlichkeit drückt die unverwechselbare Art und Weise aus, die einem Menschen wesensgemäß ist, und sie zeigt sich in der Art und Weise, wie er seine sozialen Rollen in den verschiedenen Lebensbereichen ausfüllt. Eine integrierte Persönlichkeit hat mit der Fähigkeit zur Integration, also mehr mit Vollständigkeit und dem Zusammenfügen verschiedener Lebenswelten zu tun als mit Versuchen, in bestimmten Lebensbereichen Vollkommenheit zu erlangen. Je älter ein Mensch wird, desto bedeutsamer wird auch die integrierende Funktion für seine Persönlichkeitsentwicklung.

Der Entwicklungspsychologe Erik Erikson (1990) hat darauf hingewiesen, dass Selbstfindung ab den mittleren Lebensjahren nur in dem Maße möglich ist, in dem man sich auf das Leben weiterer Generationen und Werte über die eigene Lebensspanne hinweg bezieht.

Hier soll darauf hingewiesen werden, dass es wichtig ist, die Privatwelt von der Berufs- und Organisationswelt gedanklich zu unterscheiden. Dies könnte für die obengenannten Horizonterweiterungen bezüglich vitaler Interesse in ethischer Hinsicht bedeutsam sein. Damit die Welten sich in einem Lebenszusammenhang angemessen begegnen können, ist wie bei jeder Begegnung statt unreflektierter Vermischung Trennung und bewusster Brückenschlag nötig. Die drei Welten, die zu integrieren sind, können wie folgt geschildert werden:

1. In der Privatwelt erfahren und gestalten wir menschliche Lebenszusammenhänge in unseren privaten Rollen. Sie besteht aus dem direkten persönlichen Umfeld mit Familie, Verwandten und Bekannten und reicht in den gesellschaftlichen Raum.
2. In der Organisationswelt existiert die eigene Funktion, meist unabhängig von der Person, die sie innehat. Der Positionsinhaber tritt in das Kraftfeld der Position ein, kann aber dieses Kraftfeld auch mitgestalten. Um sich zurechtzufinden und wirksam sein zu können, muss er sich an den Systemzusammenhängen der Organisation und deren Umwelt orientieren. Die Spielregeln der eigenen Position werden von vielen Faktoren, auf die man weder institutionell noch persönlich unmittelbar Einfluss hat, mitbestimmt. Sie können oft aus der Logik des Systems besser verstanden werden als aus der Mentalität des Positionsinhabers.
3. Die Welt der Organisation wird überlagert von der Welt der Professionen, da jeder Positionsinhaber gleichzeitig Angehöriger einer Profession ist und eine bestimmte Professionalität zeigt. Professionalität meint hier das Können und das Selbstverständnis, die Wirklichkeits- und Wertvorstellungen, die sich aus einer bestimmten beruflichen Fachrichtung ergeben. Neben den klassischen Berufen und beruflichen Rollen (wie etwa Handwerker, Kaufmann oder Ingenieur) entwickeln sich immer mehr neuartige Fachrichtungen und Rollenverständnisse. Auch der Manager, der nicht nur einfach leitender Ingenieur oder leitender Kaufmann ist, stellt im Grunde eine neue Profession dar, deren eigenständiges Selbstverständnis erst in Entwicklung begriffen ist. Weitere Beispiele für berufliche Funktionen, die sich zu eigenständigen Professionen auswachsen, sind Logistiker, Personalmarketing-Leute oder Organisationsentwickler.

Professionen als Gegengewicht zur Eigengesetzlichkeit von Organisationen
Die Frage nach dem professionellen Selbstverständnis lässt sich unabhängig von bestimmten Organisationen oder Positionen in Organisationen stellen. Man kann einmal versuchen, eine fiktive Bewerbung in ein Land, dessen Wirtschaftsorganisationen man nicht kennt, zu formulieren. Es gilt dabei zu beschreiben, aus welcher Perspektive man sich den Fragen des Wirtschaftens annähert und welche Arten von Antworten man selbst kompetent geben zu können glaubt. Hier könnte auch das Zusammenspiel mit anderen Professionen erläutert werden, die auf andere Fragen zur selben Sache andere Antworten geben, und mit denen man zusammenarbeiten muss, damit die eigene Profession die notwendige Ergänzung erfährt. Sich professioneller Kompetenz und professioneller Verantwortung bewusst zu werden, stellt ein wichtiges Gegengewicht zur Selbstdefinition und Verantwortung dar, die sich aus der Zugehörigkeit zu und aus bestimmten Positionen in Organisationen ergeben. Zur professionellen Kompetenz eines General Managers gehört die Fähigkeit zur Komplexitätssteuerung. Er muss Zusammenhänge begreifen und Komplexität sinnvoll erhöhen bzw. bewusst und spezifisch verringern.

Die eigene Professionalität kann auf niemanden verschoben werden, während sich die Fragestellungen einer bestimmten Organisations-Position oft erst aus dem System heraus verstehen und ver-antworten lassen. Hierbei können sich Spannungen zwischen dem Selbst- und Weltverständnis der Organisation als Ganzes und der einzelnen in ihnen wirkenden Professionen ergeben. Im Idealfall müssten die verschiedenen in einem Unternehmen wirkenden Professionen in einen effektiven und ausbalancierten Austausch darüber kommen, wie sich die Lebensphase und Spielregeln der Organisation verstehen und verantwortlich gestalten lassen.

Es entstehen oft anonyme Eigengesetzlichkeiten von Märkten und Entwicklungen, denen sich alle Professionen unterordnen. Manchmal findet sich in der Organisation keine Profession mehr, die den angeblichen Erfordernissen ein professionelles Selbstverständnis entgegenzusetzen hat. Die Wachstumsdynamik einer Organisation kann zum Beispiel einem Manager nahelegen, sich ganz unter das Diktat des möglichen Wachsens zu stellen und Überlegungen, die sich aus seiner Profession, aus seiner Professionsethik und -vernunft ergeben könnten, zurückzustellen.

Eine organisationsunabhängige Professionalität kann sich oft auch innerhalb der Managerpersönlichkeit nicht mehr kritisch-konstruktiv mit der Organisationsposition und ihrem Kraftfeld auseinandersetzen. Dies hat seine Ursache darin, dass professionelle Selbstverständnisse oft ausschließlich in bestimmten Organisationspositionen oder in bestimmten Unternehmenskulturen erworben wurden und daher noch gar nicht eigenständig geworden sind. Bildungssysteme und professionelle Verbände stecken diesbezüglich noch in den Kinderschuhen.

Professionen und Positionen prägen Organisationen oft einseitig
Unternehmen sind oft auch einseitig von bestimmten Professionen geprägt. Dies ist meist darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen aus der Weltsicht und der Leistungsfähigkeit einer Profession heraus entstanden ist und über eine Pionierphase hinweg in seiner Struktur, Organisation und Kultur gestaltet wurde. Wenn nach der Pionierzeit in der Organisationsphase die Ergänzung um die anderen in einem Unternehmen notwendigen Professionen stattfindet, entstehen wichtige zusätzliche Fragestellungen. Diese sind aus der Profession der Gründer heraus allein nicht mehr zu verstehen und zu beantworten.

Die Ingenieure in einem technisch orientierten Unternehmen müssen Gesichtspunkte der kaufmännischen Professionalität, des Personalmanagements, des Finanzmanagements und anderer Professionen immer mehr zur Geltung bringen. Die Gründungsprofessionen ringen häufig darum, die anderen Professionen als Anhängsel ihrer eigenen zu verstehen, was zu destruktiven Einseitigkeiten führen kann. Man sucht technische Lösungen für Führungsprobleme, was zu entsprechenden »Umsetzungsschwierigkeiten« beim Produktionsfaktor Mensch führt.

Vermischungen von Privat- und Berufswelt
Andere Verirrungen können zwischen den Bezügen der Privatwelt und der Organisations- oder Professions-Welt auftreten. Einerseits können wie oben beschrieben menschliche Bedürfnisse nach Lebensqualität, Ethik und Würde in den privaten Bereich allein verlagert werden; Menschsein wird im Privaten angesiedelt. Andererseits kann eine Überbetonung privater Bedürfnisse und Beziehungsvorstellungen, die nicht-private Art von Organisationsbeziehungen und professionellen Rollen verkennen und die Kompetenzen zur Steuerung durch kompetentes Handeln unnötig erscheinen lassen. Eine menschlich faire und freundliche Gestaltung von Rollen in der Profession und der Organisation wird auf ein freundschaftliches Miteinander reduziert. Mehrbelastungen ergeben sich dann aus oft enormem informellem Absicherungs-Aufwand.

Professionelle Gruppierungen und Ethik
Eine Professionalität, die den Anspruch erfüllt, Organisationswelten von einem relativ unabhängigen professionellen Standpunkt aus kompetenzmäßig wie ethisch zu durchdringen, könnte als Vermittler zwischen privater Ethik und Organisationswelten auftreten. Dies wäre eine ganz eigene Aufgabe der Professionalität und von professionellen Gruppierungen. Professionelle Verbände könnten hier auch als emotionale Rückenstütze eine wesentliche Rolle spielen. Die einzelne Persönlichkeit ist dann in ihrer Organisationswelt nicht nur auf ihre privatweltliche Rechtfertigung für ethische Maximen angewiesen. In professionellen Gruppierungen könnten wichtige Quellen für professionelle Zivilcourage erschlossen werden.  

 

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in ZOE 3⁄91, S. 47-54.