Home         Autoren         Newsletter         Kontakt         Impressum
Das Kaufverhalten der Deutschen und Strategien für Marken in der Krise
Die gegenwärtige Wirtschaftskrise beeinflusst das Verbraucherverhalten nachhaltig. Auch Nichtbetroffene haben in der Rezession ihr Verhalten geändert. Schnäppchenjäger und Discount-Fans haben Hochkonjunktur: Konsumenten verlassen sich auf den Preiskampf der Anbieter. Abseits von Sonderangeboten wirken komplexe Faktoren auf die Preisbereitschaft. Welche Wege der Markenführung sollen Unternehmen in dieser Situation einschlagen? Es zeigt sich, dass Marken mit Mehrwert Gewinner der Krise sind. Billig ist keine Lösung.

        


 
ie schwerste Wirtschaftskrise seit Generationen ist in der Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung angekommen und beeinflusst ihr Kaufverhalten nachhaltig. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sind der Meinung, dass wir momentan in einer starken bzw. sehr starken wirtschaftlichen Krise stecken; fast neun von zehn Befragten rechnen damit, dass diese ein Jahr oder länger anhalten wird. Bereits ein Viertel der Deutschen sieht sich direkt betroffen, gleichzeitig glaubt ein Drittel völlig unbeschadet durch die Krise zu kommen. Trotzdem ändern fast alle – ob betroffen oder nicht – in dieser Situation ihr Kaufverhalten. Energieanbieter sind die größten Verlierer – hier wollen 55 Prozent der Menschen ihren Verbrauch stark einschränken. Darüber hinaus wird der Rotstift vor allem bei digitalen Medien und Luxusmode bzw. -accessoires angesetzt.
Am wenigsten gespart wird an Dingen, die den Menschen und ihren Lieben nahe kommen – bei Körperpflege (20 Prozent), Nahrungsmittel (29 Prozent) und Tiernahrung (23 Prozent).
Die besten Chancen, die Krise gut zu überstehen, haben Marken, die den Wunsch nach einem echtem (Mehr-)Wert erfüllen – sei es in Form besonderer Qualität, niedriger Folge- bzw. Unterhaltskosten, Gesundheitsverträglichkeit oder Service und Beratung.1

Die Krise ist in den Köpfen der Menschen angekommen.
Die Lage ist ernst: 67 Prozent der deutschen Bevölkerung sind der Meinung, dass wir momentan in einer starken bzw. sehr starken wirtschaftlichen Krise stecken, bei den über 50-Jährigen sind es sogar fast 80 Prozent. Den Menschen ist zwar bewusst, dass die mediale Präsenz der Krise ihren Teil zur aktuellen Stimmung beiträgt, dennoch bestehen konkrete Ängste vor Armut, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Altersvorsorge.
Dabei wird die Rezession nicht als kurzfristiges Tief angesehen: 88 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Krise mindestens ein Jahr dauern wird.
Ein Viertel der Deutschen fühlt sich bereits direkt betroffen (»Betroffene«), während 41 Prozent erwarten, dass sie spätestens in den nächsten zwölf Monaten betroffen sein werden. Demgegenüber steht jedoch ein Drittel der Befragten, die damit rechnen, völlig unbeschadet aus der Krise zu kommen (»Unbeschadete«).

Konsumenten schalten den Auto-Piloten aus.
Ob betroffen oder nicht – die Mehrheit ändert ihr Kaufverhalten in der Krise. In allen Bevölkerungsgruppen ist eine deutliche Sensibilisierung beim Konsum festzustellen. Der Auto-Pilot beim Kaufen wird ausgeschaltet, stattdessen hinterfragen die Menschen sehr genau den Wert und den Sinn der Produkte: »Brauche ich das wirklich? Wofür zahle ich hier eigentlich?«.
Die Menschen vergleichen häufiger als noch vor einem Jahr die Preise unterschiedlicher Anbieter (74 Prozent) und achten öfter auf Sonderangebote (72 Prozent).

Schnäppchenjäger, Discount-Fans und Online-Shopper: Die Krise setzt den Handel unter Druck.
Die Menschen kaufen anders ein, aber nicht grundsätzlich andere Produkte. Als wichtigste Sparstrategie wollen die Menschen ihre gewohnten Produkte über Aktionen und Preisnachlässe erstehen. Dafür wechseln sie auch gerne den Anbieter oder Tarif. Dies ist nicht weiter erstaunlich, haben die Menschen doch über die letzten Jahre gelernt, sich auf heftige Preiskämpfe der Anbieter zu verlassen – eine Strategie, die für Anbieter durchaus nicht ungefährlich ist. Im Teufelskreis von »billig – billiger – am billigsten« führt die Konsumkrise schnell zum Umsatzverlust seitens der Anbieter. Erst im zweiten Schritt schränken sich die Menschen ein und kaufen weniger oder verschieben Käufe. Dies gilt vor allem für Unterhaltungselektronik.

Insgesamt gaben 60 Prozent der Deutschen an, jetzt häufiger bei Discountern einzukaufen, und 54 Prozent aller Befragten kaufen häufiger billiger über das Internet ein. Davon profitieren Versandhäuser wie Otto, Quelle oder Neckermann, bei denen die Bestellungen über das Internet seit Herbst 2008 zunehmen. Auch der Internethändler Amazon, der sich immer weiter zum Allrounder entwickelt, wächst gegen den Trend.

Abseits des Sonderangebots: Motivation und Situation beeinflussen Preisbereitschaft.
Differenziert man die Ergebnisse der Studie im Sinne von preispsychologischen Typen (GRIPS-Typologie der Vocatus AG), lassen sich jenseits stereotyper Preissenkungen völlig neue Ansätze erfolgreicher Preisstrategien finden. Eine Reihe von situativen und motivationalen Faktoren bestimmen die Kaufbereitschaft. Dies erfordert, insbesondere in Krisenzeiten, ein radikales Umdenken bei der Entwicklung intelligenter Preisstrategien: Während der »Schnäppchenjäger« tatsächlich gierig den nächsten Rabatt sucht, spielt dies für »Verlustaversive« keine Rolle. Sie werden von klaren und fairen Angebotsstrukturen angesprochen. Der »Dynamisch Preisbereite« wiederum hat zwar klare Preisvorstellungen, überschreitet seine selbst gesetzten Preisgrenzen letztlich aber regelmäßig. Der »Vergleichsscheue Gewohnheitskäufer« greift nach wie vor nach »seiner« Marke und beachtet den Preis kaum – Rabatte sind hier sinnlos verlorener Umsatz.

Mehrwert schafft mehr Wert: Die neue Konsum-Nachhaltigkeit.
»Geiz ist geil« ist tot, es lebe der Mehrwert: In der Krise erwarten die Menschen für das Geld, das sie ausgeben, einen echten Gegenwert in Form von hoher Qualität, niedrigeren Unterhalts-⁄Folgekosten oder hoher Gesundheitsverträglichkeit. Bei dieser neuen Form der Konsum-Nachhaltigkeit zählen Marken wieder, jedoch nicht als leere Image-Hülsen, sondern vielmehr als Bürgen für Werte und Nutzen.
Das zeigen die Aspekte, die bei der Kaufentscheidung wichtig sind: So wären beispielsweise 66 Prozent der Befragten bereit, für Produkte mit einer hohen Energieeffizienz mehr zu bezahlen, 64 Prozent geben mehr für »hohe Qualität« und 53 Prozent für »gesundheitsverträgliche⁄-förderliche« Produkte aus. Für die Befragten haben auch Service/Beratung (64 Prozent) und die Leistung (55 Prozent) eine hohe Bedeutung beim Kauf.

Den Trend zum ökologischen und verantwortungsvollen Konsum kann die Krise nicht brechen.
Die Wichtigkeit von ökologischer und sozialer Verantwortung von Herstellern bzw. Produkten ist von der Krise nicht wesentlich in den Hintergrund gedrängt worden, auch nicht bei den Betroffenen. So ist Umweltverträglichkeit für 41 Prozent der Befragten und soziale Verantwortung für 36 Prozent ein Grund, mehr Geld auszugeben.

Sparen ist nicht gleich Sparen: Wo und wie der Gürtel enger geschnallt wird.
Betrachtet man das Sparverhalten über verschiedene Produktkategorien hinweg, ergeben sich deutliche Unterschiede: Am meisten gespart wird bei Energie (Verbrauch reduzieren), digitalen Medien (weniger kaufen), Luxusmode und -accessoires (woanders kaufen) und Wohndekoration/kleineren Einrichtungsgegenständen (bewusster kaufen). Am wenigsten wird gespart bei Produkten, die den Menschen und ihren Lieben sehr nahe kommen: bei Körperpflege, Nahrungsmitteln und Tiernahrung. Hier zählt vor allem Qualität – für 76 Prozent der Befragten ist dies ein wichtiger Faktor. Die Menschen versuchen bei diesen Produkten eher den Gegenwert zu erhöhen als weniger Geld auszugeben.

Neue Wege der Markenführung: Strategien in der Krise
Die Menschen fragen sich angesichts der Rezession sehr genau, wofür sie Geld ausgeben und was sie dafür bekommen. Die Macht der Gewohnheit, der Auto-Pilot, wird beim Kaufen ausgeschaltet. Die Krise ist aber auch eine große Chance für Marken, auf sich aufmerksam zu machen und neue Marktanteile und Zielgruppen zu gewinnen.

:: Besonders gefragt sind in Krisenzeiten die Markenverantwortlichen der Unternehmen. Sie müssen an den Faktoren Positionierung, Pricing, Distribution und Kommunikation ansetzen.

:: Verbraucher beschäftigen sich sehr viel intensiver mit den einzelnen Angeboten einer Kategorie als üblich. Das in vielen Bereichen normalerweise weitgehend gewohnheitsmäßig ablaufende Kaufverhalten ist unterbrochen, der »Auto-Pilot« deaktiviert. Dadurch haben Marken, die etwas Relevantes zu bieten haben, eine neue Chance, auf ihre Leistungen aufmerksam zu machen. Die Bereitschaft zu wechseln ist am größten in Branchen, in denen es den Marken am wenigsten gelungen ist, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen. Ein Beispiel hierfür ist die Telekommunikation.

:: Unternehmen sollten auch Veränderungen bei der Einkaufsstättenwahl berücksichtigen. Insbesondere Discounter und das Internet profitieren als alternative Vertriebswege.

:: Grundsätzlich müssen Anbieter entscheiden, ob sie sich am Preiswettbewerb beteiligen oder in Richtung Mehrwert orientieren wollen und ihre Marken dann entsprechend stärker als Premium- oder Value-Brands erkennbar machen. Für die Mitte wird es in Krisenzeiten noch schwieriger als es ohnehin schon ist.

:: Preisstrategien sind dann sinnvoll, wenn das Markenerlebnis nicht darunter leidet. Denn nur billig allein zieht nicht beim Verbraucher. Und während in einer Kategorie immer nur ein Anbieter der günstigste sein kann, bieten sich in fast jeder Kategorie unterschiedliche Ansätze für relevante Mehrwertkonzepte. Diese können auch in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten Verbraucher motivieren, mehr als den günstigsten Preis zu bezahlen. Welcher Ansatz für einen Anbieter individuell der richtige ist, muss auf Basis der Positionierung, der Werte, der Stärken und Schwächen einer Marke sowie der Wettbewerbssituation entschieden werden.

:: Die gängige Budget-Empfehlung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten lautet: »Gerade in der Krise investieren, um Marktanteile zu gewinnen«. Diese Empfehlung ist zwar grundsätzlich richtig, aber für die meisten Unternehmen nicht realistisch. Sinnvoller ist eine Überprüfung der (medialen wie non-medialen) Budgetallokation. Unserer Erfahrung nach kann ein Drittel der meisten Budgets ohne Wirkungsverluste eingespart werden... oder, bei gleichem Budget, die Wirkung um ein Drittel erhöht werden!  

 

1 Die Ergebnisse sind ein Auszug aus der Studie Billig ist keine Lösung – Das Kaufverhalten der Deutschen und Strategien für Marken in der Krise. von MUSIOL MUNZINGER SASSERATH. Die Studie untersucht die Wahrnehmung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation und deren Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten in 17 Produktkategorien und leitet hieraus Implikationen für die strategische Markenführung ab. Auf Basis einer qualitativen Pilotphase wurden 1 011 Personen repräsentativ für die Bundesrepublik Deutschland in einer Online-Erhebung im März 2009 befragt.