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Auf dem Weg in die »gute Gesellschaft«
Der Kapitalismus wird totgesagt. Aber welches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell soll ihn ablösen? Die Modernisierung der sozialen Systeme und die Gestaltung sozialer Teilhabe werden mehr und mehr zur brennenden Frage. Dabei helfen die alten Spielregeln nicht mehr. Der neue Weg führt über soziale Innovationen.

 

        


 
Gibt es Alternativen zum Kapitalismus? Allerorten wird heute nach neuen Wegen abseits der kapitalistischen Pfade gesucht. Weit verbreitet sind heute Behauptungen, unsere Gesellschaft sei sozial kalt, egoistisch, vom »Neoliberalismus« zerfressen, kurz: der Kapitalismus sei am Ende. Man misstraut dem Unternehmertum und der sozialen Marktwirtschaft.

Die Finanzkrise hat die Schwächen des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells drastisch vor Augen geführt und die Suche nach neuen Modellen angefacht. Wo verorten wir uns zukünftig zwischen dem Staatskapitalismus Chinas und dem Turbokapitalismus der USA? Die Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden ja nicht gerade kleiner: demographischer Wandel, Energiewende, ausufernde Sozialtransfers, globale Marktkräfte. Wie kann angesichts solcher Aufgaben ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden?

Für Matthias Horx und Holm Friebe liegt die Lösung in der »Goodciety«.1 Darunter verstehen die Trendforscher eine radikale Umkehr, eine neue Lesart der »Sozialen Frage«. Nicht zwangsweise, so die Autoren, müssten »entfesselte« Marktgesellschaften soziale Desintegration nach sich ziehen, die in der Folge den eigenen Niedergang einleitet. Der Weg in die gute Gesellschaft führt über die zeitgemäße Interpretation der »Sozialen Frage«.

Als vor 150 Jahren Marx und Engels den Begriff der »Sozialen Frage« prägten, herrschten andere wirtschaftliche Rahmenbedingungen als heute. Hatte man damals mit materiellen Knappheiten zu kämpfen, so haben sich in unserer spätindustriellen Gesellschaft die Fragen von rein materiellen hin zu kulturell-mentalen verschoben. Der größte Mangel besteht heute in Selbstkompetenz, Kulturtechniken, Zugang zu Bildung und Sozialkapital.

Diese Verschiebung der Knappheiten stellt die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts vor ein riesiges Problem. Ließen sich Probleme in der Industriegesellschaft noch durch simple Umverteilung lösen, funktioniert dies in einer Welt mit nicht-materiellen Knappheiten nicht mehr so einfach. Die "Soziale Frage" war stets auch eine Frage der Verteilungslogik und daher ging es immer auch um das Abwägen zwischen »mehr Staat« und »weniger Staat«. Wo liegt die Wahrheit? Führen nur Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkung zum Wohl aller, weil der Staat verdorben ist? Oder sind die Märkte verdorben, weswegen nur der Staat uns retten kann? Jahrzehntelang tobte dieser Streit zwischen den politischen Fronten. Der Diskurs hat sich an der Frage »mehr oder weniger Staat« festgebissen – dabei ist diese Frage längst nicht mehr aktuell.

Umverteilung muss heute immer auch Empowerment miteinschließen. Auf die Systeme, in denen Menschen agieren, muss stärkeres Augenmerk gerichtet werden. Nachhaltige Wertschöpfung findet nur dort statt, wo »die allgemeine Wohlfahrt und das Gemeinwohl gesteigert werden«. Wichtig ist dabei die Rückkopplung, das Feedback, weil Wohlstand auf Vertrauenserfahrungen aufsetzt, was zu Sozialkompetenzen führt. Auch die großen Unternehmen müssen verstehen lernen, dass nachhaltiger Wohlstand nur entsteht, wo neben dem ökonomischen Kapital auch das soziale Kapital wächst.

Führt der Weg zu einer besseren Gesellschaft daher über soziale Innovationen? Soll die Veränderung bestehender sozialer Praktiken unser Gesellschaftsmodell an die neuen Herausforderungen anpassen? Technologische Innovationen verlieren mit dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft an Bedeutung. Nicht mehr eine Erfindung, eine Maschine oder ein Produkt etwa, macht den Unterschied, sondern vielmehr neue Handlungsweisen. Daher ist es auch kaum noch der einzelne Unternehmer, der Innovationen vorantreibt, sondern sie entstehen im Netzwerk: erfolgreiche Innovationen basieren auf einer Vielzahl von Akteuren und entsprechenden Rahmenbedingungen.

Daher setzt der Weg zur guten Gesellschaft über soziale Innovationen einen Paradigmenwechsel voraus. Alle Akteure müssen auf völlig neue Weise zusammenarbeiten. Es geht darum, sich nicht um die Verantwortung zu streiten, sondern Staat, Bürgergesellschaft, Individuen und Wirtschaft müssen an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Die gesellschaftlichen Spielregeln müssen gründlich angepasst werden.

Dabei mag der Vorwurf des »Greenwashing« und »Socialwashing«, also sich bloß durch geeignete PR-Maßnahhmen ein ökologisches und soziales Image zu verpassen, an vielen Stellen berechtigt sein. Dennoch gibt es viele Anzeichen für ein echtes Verantwortungsbewusstsein von Unternehmen: Es ist zu beobachten, dass »soziales und ökologisches Engagement immer stärker von der Marketingabteilung ins Zentrum der Wertschöpfung gerät«. Unterm Strich zählt nicht länger nur der ökonomische Gewinn, sondern treten ökologischer und sozialer Beitrag gleichberechtigt hinzu (»Triple Bottom Line«). So hat etwa der kallifornische Outdoor-Ausrüster Patagonia seine Kunden dazu aufgerufen, die eigenen Produkte länger zu nutzen, zu reparieren oder zu recyclen. General Electric lässt die Energietechnologien des Konzerns von Umweltschutz-Organisationen auf die Steigerung des Wirkungsgrades prüfen. Dies sind nur zwei Beispiele von Innovationen, die im direkten Zusammenhang mit der Suche nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen stehen. Aber die Auseinandersetzung mit sozialen Innovationen als Konzept zur Herbeiführung von gesellschaftlichem Nutzen gewinnt zunehmend an Bedeutung.  

 

1 Horx, Matthias; Friebe, Holm (2012): Goodciety. Wie soziale Innovationen die Welt verbessern (können), in: Trend Update 03/2012, hrsg. von Matthias Horx, Zukunftsinstitut GmbH