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Frauen der Wirtschaft, vereinigt euch!
Ein Aufruf
Ob Vorstandsvorsitzende oder Bundeskanzlerin – Frauen können heute alles werden. Doch das Geschlechterunbehagen bleibt. Positions- und Lohndifferenzen rufen nach einem geschlechtergerechten Wandel der ökonomischen Verhältnisse. Daher der Aufruf: Frauen der Wirtschaft, vereinigt euch!

        


 
ur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen!«, verkündet Clara Zetkin in ihrer großen Rede 1896 in Gotha. Zetkins Aussage scheint auf den ersten Blick antiquiert, einmal was die Einordnung von Frauen, dann aber vor allem, was den Sieg des Sozialismus betrifft.

Mit der »proletarischen Frau« meint Zetkin jedoch nicht einfach Frauen aus dem Arbeitermilieu. Für sie handelt es sich bei der »proletarischen Frau« um die weibliche sozialökonomische Position im sich komplementär organisierenden Paar, in dem der Mann die Position des Bourgeois und die Frau die des Proletariers einnimmt (eine Analyse, die sie von Marx und Engels übernimmt). Für Zetkin sind mit dieser sozialökonomischen Analyse zwei Punkte deutlich. Sie hält zum einen fest, dass es für Frauen und Männer keinen gemeinsamen Kampf zur Veränderung ökonomischer Verhältnisse geben kann. Zum anderen prognostiziert sie, dass Frauen, die sich als Bourgeois fühlen, nicht für eine geschlechtergerechte Veränderung der ökonomischen Verhältnisse einsetzen werden.

In unseren Tagen soll kaum mehr der Sozialismus siegen. Wir wünschen uns dennoch eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse. Allerdings scheint das kaum mehr in Denkformen, Ideen und Utopien entwickelt werden zu können, die einer -ismus-Logik folgen, das scheint sogar für den Feminismus zu gelten. Im Gegenteil, Frauen sollen sich nicht nur als Bourgeois fühlen, sie sollen sich als Vorstandsvorsitzende fühlen und endlich die entsprechenden Throne besteigen. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich habe nichts gegen Vorstandsvorsitzende und ich gehe davon aus, dass eine Menge Frauen für diese Posten geeignet ist. Dennoch, mir missfällt diese Programmatik, weil sie so isoliert dasteht, von keinen weiteren Perspektiven ergänzt wird bzw. weitere Perspektiven dieser einen Rahmen geben.

Proletarierinnen werden Vorstandsvorsitzende! Für euch gilt dann: Vorstandsvorsitzende aller Länder, vereinigt euch! Wie Weinköniginnen werden wir dann die mächtigsten Frauen der Welt bewundern.

Dennoch, das Geschlechterunbehagen wird bleiben. Frauen mit akademischen Ausbildungen in der Wirtschaft sind und bleiben das Proletariat im Vergleich zu Männern, das zeigen nicht nur die Positionsdifferenzen, das zeigen die Lohndifferenzen, ferner die Entwicklungen in Berufen wie im Bereich der Ärzteschaft, denn die medizinischen Bereiche, in denen vorwiegend Ärztinnen arbeiten, werden durch schlechtere Bezahlung abgewertet.

Proletarierinnen, das Wort ist heute kaum mehr benutzbar. Deshalb mein Vorschlag zur Variation »Frauen der Wirtschaft«. Der Aufruf bleibt. Aber es handelt sich auch nicht um einen Aufruf zum Sozialismus oder einem anderen sozialökonomischen »-ismus«.

»Frauen der Wirtschaft, vereinigt euch«: Hinter der Idee zu meinem Text steht meine jahrelange Erfahrung als Philosophin und Ethikerin, die mit Frauen und Männern in der Wirtschaft arbeitet und sie unter anderem für Führungsaufgaben qualifiziert. Warum ich mit meinem Aufruf nun geradewegs bei den Frauen bleiben werde, das wird im Folgenden genauer dargestellt werden.

Vereinigt euch!
Welche Weise, sich jenseits der -ismen zu verständigen, bleibt wirtschaftskritischen Frauen? »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«; »Alternativ-nachhaltig-humanes Wirtschaften«, »Subsistenzwirtschaft«, »Care-Ökonomie«, »Vereinbarkeit von Familie und Beruf«, »Frauen in Führungspositionen und Vorstandsetagen«: reichen diese Klassifizierungen für eine Wirtschaftsentwicklung, die Geschlechterfragen ernst nimmt?

Ein Bereich und Veränderungspotential fällt dabei systematisch heraus: der Wunsch nach Veränderung von Frauen, die akademisch naturwissenschaftlich, technisch oder auch geisteswissenschaftlich ausgebildet sind, ihren beruflichen Werdegang schon seit Jahrzehnten in der Wirtschaft machen und sich dort mit einem großen Unbehagen bewegen.

Allerdings, Ende vierzig, Anfang fünfzig, da ist karriere- ebenso wie familienmäßig für viele Frauen das meiste schon geklärt, Frau verfügt über einen unglaublichen beruflichen Erfahrungs- und Wissensschatz und hat darüber hinaus eine Menge Unbehagen angesammelt. Zugleich haben viele Frauen in dieser Position auch schon eine Menge »Aufarbeitung« hinter sich, sich berufliche Reflexionskultur und Handlungssicherheit in Form von Supervision, Coaching, Therapie, Formen der Selbsterfahrung erworben. Und eigentlich würden sie gerne die so erworbene Reflexionskultur nützen, um ihr Unbehagen in produktive Impulse und konstruktive Handlungen zu übersetzen, die über die unmittelbaren Situationen hinausgehen, die am Beispiel des eigenen Unternehmens regelrecht die Zukunft des Wirtschaftens in den Blick nehmen. Allerdings, damit, zu diesem letzten Schritt zu kommen, hapert es oftmals.

Nun, vom Bedarf eines solchen Settings zu sprechen ist keine Projektion meinerseits. Ich habe ihn konkret erlebt in Zusammenhängen von Global Players, in denen Frauen versuchten, eine Gruppe von Gleichgesinnten und ähnlich berufskulturell entwickelten Frauen zu bilden. Und sie waren sich einig: Es muss eine Frauengruppe sein, weil es da selbstverständlicher ist, dass Frauen die Kultur der Selbstbefragung und Beziehungsgestaltung gewöhnt sind und Nutzen daraus ziehen können.

Nun, es ist dennoch nicht gelungen, eine solche Gruppe von Sachbearbeiterinnen und Managerinnen zu etablieren. Dies gelang nicht, obgleich es Trägerschaften dafür gab, die Ressourcen dafür zur Verfügung stellten, ironischerweise von etablierten Arbeitervertretungen. Dass die Gruppenbildung nicht gelang, dafür gab es einen grundsätzlichen Hinderungsgrund. Es war nicht, dass die Frauen Angst um ihre Position hatten, dazu waren sie viel zu lange im Betrieb. Es war, weil sie als End-Vierzig-Anfang-Fünfzig-Jährige jenseits der Arbeitszeit voll damit zu tun hatten, sich um alte Eltern zu kümmern. Und in der Arbeitszeit wurden sie für ein solches Programm auch nicht freigestellt, allen betrieblichen Vereinbarungen zu Diversitiy-Management- und überbetrieblichen Aufgabenfeldern zum Trotz.

Dabei hätte ein solches betriebliches Setting einen unglaublichen betriebswirtschaftlichen Vorteil: Berufszufriedenheit, Handlungszufriedenheit, berufliche Sinnkompetenz in Verbindung damit, einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu leisten.

Der politische Gewinn lässt sich genauer so beschreiben: Frauen schätzen das Arbeiten als gemeinsames Tätigsein in der Welt. Es bringt ihnen Freude und Gewinn. Es soll sinnstiftend sein. Sie können sich zwar zunächst darauf fixieren, dass die Dinge grundsätzlich und insbesondere für sie als Frauen schief liegen, dass sie den betrieblichen Alltag als eine Quelle (andauernder) Frustration erleben, dass ihnen im beruflichen Miteinander nicht alles gelingt, so dass ihre Angst wächst, sich unangemessen anpassen zu müssen oder Lebensjahre sinnlos zu vergeuden, die innere Kündigung Form annehmen kann. Dennoch, sie wollen mehr Wohlbehagen erlangen, ihr Unbehagen in Wohlbehagen verwandeln. »Es gibt so viele Dinge, die wir mühsam antreiben müssen, weil sie nicht funktionieren, obwohl sie funktionieren sollten. Das macht man nur, wenn man getragen ist von der Freude am Bewegen, Handeln.«

Frauen der Wirtschaft, vereinigt euch!
Vereinigt euch, denn ihr habt ein unglaubliches Wissen, was Veränderungen hin zu einem humanen und geschlechtergerechten Wirtschaften betrifft. Und bitte schaut dabei genau darauf, was vereinigen meint!

Hierfür mit analytischen und politischen Größen wie Unbehagen, Wohlbehagen und Behagen zu arbeiten, darin steckt die Mischung aus Gefühl und Realität, als Indikator und Potenzial. Das ist mehr als Jammern und Motzen auf der Mikro- und Mesoebene, mehr als Kritisieren und Analysieren auf der Makroebene. Es beinhaltet vielmehr die Möglichkeit, kulturbildend zu wirken und zu verändern, indem einige, vielleicht sogar nur wenige in eine ähnliche – nicht dieselbe! – Richtung schreiten.

Jenseits eines »Das ist so, das kann ich nicht ändern; es sei denn ich verlasse die Firma« kann dabei die Frage ins Zentrum rücken: Wie gehen Frauen in der Wirtschaft mit ihrem betrieblichen Alltag als einer Quelle andauernder Frustration so um, dass sie die schwierige Balance zwischen Anpassung und Treue zu sich selbst finden?

Um berufliche Realität umfassend wahrzunehmen und anzuerkennen, braucht es Austausch. Sie ohne tendenziöse Erklärungsmuster benennen zu können, erhöht die eigenständige Urteilskraft. Auf diese Weise kann berufliche Handlungssicherheit mit Perspektive gewonnen werden. Basis hierfür ist die Liebe zur und Freude an der Arbeit, die die eigene Urteilskraft stärkt und die Motivation zur Veränderung erhöht. Verhindert ewiges Klagen, aber auch Schönreden-Müssen! Wenn ihr diese Ambivalenz zu durchschreiten lernt, erwachsen euch neue Erkenntnisse, wächst unser Sinn für die Kultur des Ökonomischen.

Jenseits des Managertrendsetting: sprecht!
Betriebskultur kann man nicht mit Hype-Worten lenken. Werden Wirtschaftsprozesse entlang von Hypes organisiert, geht jegliche Führungsautorität verloren. Das kann nur zur Katastrophe führen.

Mit hohlen Worten zu sprechen (und andere dazu zu zwingen, mit ihnen zu sprechen), führt zu einem Sprechen ohne Sinn und Gehalt. Denn kann man nur sprechen, wenn man ständig neu aufgestellte Programme und die entsprechenden Initiativen kennt und die eigenen Projekte darin einpassen muss, weil man sonst keine Chance hat, gehört zu werden und ergebnisorientiert und sinnstiftend zu wirken, wird man passiviert und zunehmend sprachlos. Bei einem solchen zynischen Umgang mit der Führungsautorität geht die Achtung vor den Vorgesetzten und Vorstandsvorsitzenden verloren. (Ständig neue) Ziele anzusetzen, bei denen die Beteiligten nur hinterher hecheln können, anstatt in Ruhe und Besonnenheit zur arbeiten, verhindert Qualität, von einem Hinausblicken über das unmittelbare Ziel ganz zu schweigen. Zugleich Selbstverantwortung zu verlangen, führt dazu, dass Führungskräfte nicht mehr adäquat zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Der Sinn für eine Arbeit als Hinwendung zu einem Sachverhalt wird durch Selbst-, Betriebs-, Wirtschaftshype-Inszenierungen ersetzt.

»Ich will handeln, viele andere aber wollen nur Geld verdienen«: Frauen der Wirtschaft, liebt eure Proletarierinnenposition und: vereinigt euch!