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Chancen- und Optionsmanagement: Wir müssen neu denken!
Je komplexer und unsicherer das Terrain scheint, umso mehr zieht man sich üblicherweise auf das Management von Risiken zurück. Komplexität und gefühlte Unsicherheit werden als Feinde empfunden. Falsch. Denn genau in diesem nicht bis ins Letzte plan- und kalkulierbaren Bereich liegen zahllose wertvolle Chancen, die erschlossen werden sollten. Wer besser sein will, muss lernen, Chancen zu erkennen und seine Optionen clever zu managen.

        


 
eitdem Peter F. Drucker1 der Wirtschaftswelt klar gemacht hatte, dass Management zwar nicht unmittelbar produktiv ist, aber gleichwohl zur Wertschöpfung einer Organisation beiträgt und seitdem dieses Verständnis Allgemeingut geworden war, hat sich konzeptionell in diesem Bereich nicht mehr viel getan. Management by Objectives war angesagt und die Controlling-Bürokratie wuchs und gedieh. Die konzeptionellen Grundfesten indes wurden über die Jahre nicht angetastet. Man setzt sich Ziele, oder etwas netter: man vereinbart Ziele, und dann werden diese Ziele angestrebt. Das Erreichen der Ziele sieht man als Erfolg – und für den Erfolg, sprich: für die Realisierung oder gar Überfüllung der Ziele werden ordentliche Boni bezahlt. Verständlicherweise werden die – im Allgemeinen: knappen – Ressourcen dann auf die Umsetzung dieser Ziele fokussiert. Und ob die Ziele im Laufe der Realisierung überhaupt noch relevant und sinnvoll sind, wird dann kaum noch hinterfragt. Man setzt um, was einem aufgetragen worden ist, teils auf Biegen und Brechen – notfalls mit der Brechstange – und, wenn es sein muss, mit dem Kopf durch die Wand. Im trivialsten Fall werden Ziele beibehalten, auch wenn man längst ahnt, dass sie nicht mehr das Gelbe vom Ei sind, damit der Zielsetzende sein Gesicht wahren kann.

Das Ziel, fest im Visier, verengt aber die Perspektive und man nimmt die rechts und links des Wegrands liegenden Chancen kaum noch wahr. In einem hochvernetzten und sehr dynamischen Umfeld ist das allerdings ein Verlust. In einer solchen Umgebung muss man hochsensibel und stets hellwach und geistesgegenwärtig bleiben. Man muss alle Antennen ausfahren. Man braucht eine hohe Agilität, will man in einem solchen Umfeld erfolgreich bestehen bleiben. Jede Einbuße an Flexibilität und Wendigkeit kann anderen einen Vorteil verschaffen und damit die eigene Existenz gefährden. Sich festzulegen auf was auch immer ist in einer derart turbulenten bis chaotischen Welt hochriskant.

Gegen Altbewährtes ankämpfen
Die leicht zweifelnde Frage, ob ein Management by Objectives in der heutigen komplexen und unsicheren Zeit überhaupt noch adäquat ist, wird regelmäßig mit dem Hinweis auf die zahllosen empirischen Befunde zur »Goal Setting Theory« aus den 80er⁄90er Jahren2 abgebügelt. Die Zielmethode gilt gemeinhin als eine der am besten empirisch bestätigten Theoriebereiche der Sozial- und Managementwissenschaften. Wer will schon gegen so viele Belege anstinken? Aber durch diese vermeintliche empirische Absicherung ist die Managementlehre in eine Denkfalle geraten.

Tückisch ist, dass die Methode sogar funktioniert, zumindest solange, wie einigermaßen statische Verhältnisse vorliegen. Verschärfend kommt hinzu, dass im Allgemeinen überlastete Manager dazu neigen, alle Schnörkel kurzerhand abzuschlagen und die Dinge einfach zu machen. Simplify your life.3 Man will Ergebnisse, möglichst noch gestern. Da ist für lange Abhandlungen keine Zeit, weshalb man gerne nach dem Prinzip der Komplexitätsreduktion4 verfährt. In der Praxis, aber auch in der Managementtheorie ist Komplexität etwas, das es offenbar zu bekämpfen gilt. Komplexität ist gemeinhin der ausgemachte Feind. Erst wenn man die Probleme auf ein beherrschbares Maß zurechtgestutzt hat, mag man damit umgehen.

Vor diesem ideologischen Hintergrund und gefördert durch die methodische Ignoranz wurde die Zielmethode – nicht nur in Großunternehmen – in der Folgezeit ritualisiert, nachgerade internalisiert und allenfalls in den Details verfeinert. Wenn man aber wirklich in der Praxis mit Zielplanung und Budgetsteuerung zu tun hat, kommen schon Zweifel am Grundsatz. Was nützen diese tollen, mit viel Gehirnschmalz und reichlich Herzblut generierten Ziele, wenn sich die Welt, in der man lebt bzw. in der man sein Business macht, sich ständig und kurzfristig und gelegentlich sogar grundlegend – bis hin zu Talebs »Schwarzen Schwänen«5 – ändert? Hat man nicht vielmehr chronisch das Problem, methodenbedingt hinter der Realität hinterher zu steuern?

Die Welt dreht sich weiter
Die Welt um uns herum richtet sich leider nicht nach unseren Zielen, sie dreht sich einfach weiter und nichts und niemand wartet auf uns, bis wir dann endlich mit unseren Zielen klargekommen sind. Wie viele grandios inaugurierte Visionen und Strategien sind schon ebenso grandios (oder auch klamm heimlich) gescheitert? Da die Welt, in der wir leben, immer komplexer und unsicherer, immer vernetzter und schnelllebiger wird, muss es schon gestattet sein, hierzu ein paar fundamentale Fragen zu stellen: Ist die Welt der Ziele in unserer Zeit noch adäquat? War diese Methode je adäquat? Wo führen uns in unserer vernetzten und schnelllebigen Welt unsere Ziele hin? Beziehungsweise: Wo führen wir mit dieser Methode unsere Unternehmen hin? Brauchen wir nicht, um erfolgreich zu sein, mehr Flexibilität? Bei geschäftlichen Entscheidungen wie auch bei unserer persönlichen Lebensgestaltung?

Weiter gefragt: Wo kommen überhaupt unsere Pläne und Ziele her? Was zeichnet eigentlich einen guten Plan, ein gutes Ziel aus? Wann lohnt sich wirklich, hinter einer Vision hinterher zu sein? Oder machen wir uns selbst und/oder uns gegenseitig nur etwas vor? Sind wir vielleicht gar in der Situation wie einst der Freiherr von Münchhausen, der sich samt Pferd schließlich am eigenen Haarschopf aus dem Morast gezogen hat?

Meine Erfahrung ist, dass trotz der vielen tüchtigen Controller keiner wirklich weiß, warum man in dem einen Jahr gut und in einem anderen Jahr weniger gut ist. Noch nicht einmal im Nachhinein gelingt eine zuverlässige Erfolgsanalyse – und ganz ehrlich: dieser »Schnee von gestern« interessiert auch keinen mehr. Natürlich hat man dem Aufsichtsrat und auch der Bilanzpressekonferenz etwas erzählt: Wenn es gut lief, waren es der Vorstand und die fleißigen Mitarbeiter und wenn es mal nicht so lief, waren der Dollarkurs, die Rohölpreise und die Lohnentwicklung oder ein Krieg, ein Vulkan oder ein plötzlich aufgetretener Wettbewerber schuld. Wie gesagt, schon ex post ist das Leben schwer zu verstehen. Zudem bleibt die Frage, inwiefern Zahlen, Daten und Erfahrungen aus der Vergangenheit überhaupt für eine turbulente Zukunft helfen?

Die Praxis bemüht sich beständig, größere Risiken und Fehler zu vermeiden und damit den Erfolg einigermaßen zu sichern, aber für eine Grundsatzdebatte hat eigentlich niemand Zeit. Die IT wird hochgefahren und die Datenbanken werden aufgeblasen, in der Annahme, dass Mehr auch mehr hilft. Lösungen 1. Ordnung6. Ich bin der Meinung, wir sollten dem ganz anders, viel grundsätzlicher begegnen: Wir sollten die zugrunde liegende Managementmethode und die dahinter stehenden Grundkonstrukte einmal kritisch und unvoreingenommen hinterfragen.

Nur der stete Wandel ist sicher
Mit der allseits obwaltenden Komplexität und Unsicherheit müssen wir anders umgehen. Manager müssen nolens volens, auch wenn sie das Wort vielleicht noch nie gehört haben, sich auf die sie umgebende Kontingenz einlassen. Dabei ist Kontingenz eine Ausprägung von Komplexität, die besagt, dass alles in letzter Konsequenz nicht wirklich absehbar ist und dass alles immer noch ganz anders kommen kann. Beim Management von Kontingenz sind Ziele weitgehend nutzlos und die Manager müssen dazu übergehen, vermehrt mit Möglichkeiten, Chancen und Optionen zu spielen.

Das Management by Objectives aus dem Jahr 19557 hat sich überholt. Eine solcherart grundlegende Änderung unserer Managementmethodik hin zu einem zeitgemäßen Chancen- und Optionsmanagement muss selbstverständlich klar begründet werden, denn die herkömmlichen Zielrituale sitzen tief. Viele Autoren haben sich bereits in der Vergangenheit mit dieser Problematik und mit diesem neuen Trend auseinandergesetzt.8 Die diversen Gedanken gilt es, zunächst in einer Art Gesamtschau und in einer verständlichen Sprache zu sichten. Auf dieser Basis kann man dann ein alternatives Konzept eines Management by Options9 dagegen stellen und (kontrovers) diskutieren.

Praktische Vorbilder für ein im Allgemeinen gelungenes Optionsmanagement geben regelmäßig die vielen mittelständischen Unternehmen (KMUs), die meist diese ganze (Ziel-)Planungs- und Steuerungsbürokratie nicht betreiben. Groteskerweise empfehlen nicht wenige Hochschulen den KMUs, meist im Verein mit den kreditgebenden Banken, gleichfalls ein Controlling auf- bzw. ihr gegebenenfalls rudimentär vorhandenes Controlling auszubauen. Meiner Ansicht nach wäre in diesem Fall weniger mehr. Kleinere Unternehmen sollten sich unbedingt ihre Wendigkeit und Geschmeidigkeit erhalten. Am Ende des Jahres geht es nicht darum, kunstvoll und »richtig« geplant, sondern genügend Aufträge hereingeholt und gute, d. h. einträgliche Geschäfte gemacht zu haben.

Die ganze Zahlenschiebe- und -deuterei ist für einen Unternehmer nachrangig. Unternehmer müssen ihre Produkte⁄Services sowie ihre Kunden⁄Märkte verstehen, sich empathisch in ihr Business einfühlen und ein Gespür für den Wind und die Wellen entwickeln, die sie umbrausen. Optionsmanager, in kleineren wie auch in großen Unternehmen, müssen im Meer ihrer Optionen surfen lernen, wenn sie der Komplexität und der Schnelllebigkeit ihrer relevanten Umwelt standhalten wollen. Schwerfällige Datenbürokratien helfen dabei nur wenig bzw. sind in der Regel gar kontraproduktiv.

Wer nach dem Erfolgskonzept von unserer Bundeskanzlerin fragt, sollte mal über das jüngste Statement von Ministerpräsident Torsten Albig5 nachdenken. Er bezeichnete Frau Merkel als die beste Polit-Surferin, die immer weiß, wo der Wellenkamm verläuft und auf dem sie sehr lange fährt. Sie hält sich lange alle Alternativen offen, legt sich nicht fest bzw. äußert sich nicht. Sie fährt auf Sicht. Aber plötzlich, wenn der »richtige« Zeitpunkt gekommen zu sein scheint, wird sie »alternativlos« – und das war's dann. In diesem Vorgehen liegt auch die Erklärung, weshalb so viele Menschen Probleme haben, den Erfolg von Frau Merkel nachvollziehen zu können. Auch sie agiert in einem hochkomplexen und unsicheren Umfeld – und das seit einigen Jahren nicht ohne einen gewissen Erfolg, was inzwischen auch politische Gegner neidvoll anerkennen müssen. Rückfrage: Hätte ein Bundeskanzler⁄eine Bundeskanzlerin heutzutage überhaupt eine Alternative? Was kann man als ManagerIn aus einem solchen Vorgehen lernen?  

 

1 Drucker, Peter F. (1955): The Practice of Management, London
2 vgl. Locke, Edwin A.; Latham, Gary P. (1990): A Theory of Goal Setting & Task Performance, Englewood Cliffs, NJ
3 vgl. Küstenmacher, Werner Tiki; Seiwert, Lothar J. (2006): Simplify your Life. Einfacher und glücklicher leben, Frankfurt am Main
4Luhmann, Niklas (2001): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie.
5Taleb, Nassim N. (2008): Der Schwarze Schwan. Die Macht höchstunwahrscheinlicher Ereignisse, München
6Watzlawick, Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard (1974): Lösungen, Bern⁄Stuttgart⁄Wien
7 Drucker, Peter F. (1955): The Practice of Management, London
8Vgl. z. B. Hommel, Ulrich; Scholich, Martin; Vollrath, Robert (Hrsg.) (2001): Realoptionen in der Unternehmenspraxis, Heidelberg⁄New York; Pfläging, Niels (2006): Führen mit flexiblen Zielen. Beyond Budgeting in der Praxis, Frankfurt⁄New York; Hilpisch, Yves (2006): Options Based Management. Vom Realoptionsansatz zur optionsbasierten Unternehmensführung, Wiesbaden
9Vieweg, Wolfgang (2003): Erfolg durch Management by Options. Eine Technik des Chancenmanagement, Bad Kreuznach; Vieweg, Wolfgang (2013): Free Odysseus. Management by Options. Eine Technik des Chancenmanagements, Berlin