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Lawrence E. Harrison, Samuel P. Huntington (Hrsg.):
Streit um Werte. Wie Kulturen den Fortschritt prägen

ISBN: 3203780615
Erscheinungsjahr: 2002
Europa Verlag

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Kultur macht den Unterschied
        


 
arum finden sich Ghana und Südkorea, zwei Staaten, die Anfang der 1960er Jahre auf einem ähnlichen Entwicklungsniveau standen, zur Jahrtausendwende an entgegen gesetzten Enden der globalen Wohlstandsskala wieder? Mit dieser Frage leitet Samuel Huntington den Sammelband Streit um Werte ein und gibt eine scheinbar einfache Antwort: es sind die unterschiedlichen Kulturen der beiden Länder, die die Entwicklung entweder gefördert oder behindert haben. Es gibt also »bessere« Kulturen im Sinne von sozialer Gerechtigkeit, politischer Demokratie und liberaler Wirtschaft. Kultur macht den Unterschied oder: »Culture matters«, so der englische Originaltitel des Buches.

Dass die Frage nach den Gründen für die unterschiedlichen Entwicklungspfade doch nicht so problemlos beantwortet werden kann, wird bei Lektüre der in Streit um Werte versammelten Aufsätze jedoch schnell klar. So darf sich der Leser auch keine konkreten Antworten erwarten, was jedoch an der Eigenart des Diskussionsgegenstandes liegen mag: Wie kann man »Fortschritt« messen? Kann man überhaupt einen universalen, für die gesamte Menschheit geltenden Maßstab anlegen? Wie lässt sich Kultur überhaupt definieren? Und von wessen Kultur ist eigentlich die Rede? Die einer gesellschaftlichen Gruppe, einer Nation, einer Region, eines Kontinents?
Auch die Trennung von Ursache und Wirkung bereitet Probleme: Ist beispielsweise ein hoher Grad an Korruption in einem Land ein Teil der nationalen Kultur oder deren Folge? Verhindert Korruption den Fortschritt oder ist sie nicht an sich schon ein Anzeichen für fehlenden Fortschritt?

Um konkreter zu werden: Die Diskussion in den verschiedenen Beiträgen kreist um die Frage, ob Kapitalismus und Demokratie auf kulturellen Grunddispositionen beruhen, die nicht überall gleichermaßen angetroffen werden. Sind womöglich deswegen Armut und Reichtum in der Welt so ungleich verteilt? Die Konsequenzen dieser Sichtweise bringen politisch überaus »unkorrekte« Erklärungsmuster hervor: Sucht man den Grund für Armut nämlich in bestimmten Werten und den damit einhergehenden Einstellungen, dann sind diejenigen, die an diesen Werten festhalten, für ihre wirtschaftliche Lage selbst verantwortlich.

Praktische Relevanz erhält diese Erkenntnis für eine zielgerichtete Entwicklungspolitik. Eine solche müsste nämlich vor allem im Bereich von Sozialisation und Bildung ansetzen, um Einstellungen durchzusetzen, die entwicklungsfördernd sind. Dagegen zeigt sich, wie absurd die oftmals praktizierte Idee ist, nur genügend Geld in unterentwickelte Volkswirtschaften zu pumpen, um wirtschaftliche Entwicklung zu erzeugen. Es ist auffällig, dass besonders die Autoren aus Afrika und Lateinamerika dies unterstreichen während die Europäer und Nordamerikaner die nachdrücklichsten Zweifel hegen.

Zu einer gemeinsamen Antwort auf die Frage, ob Kultur Einfluss ausübt, kommen die Autoren nicht. Aber gerade dieser Umstand macht den Band so interessant. Die Vielzahl unterschiedlicher Autoren, die aus verschiedensten Disziplinen stammen, liefern in ihren Beiträgen vielseitige Meinungen. Obwohl der Untertitel des Bandes – »Wie Kulturen den Fortschritt prägen« – deutlich macht, welche Präferenz die Autoren haben, ist es angenehm, dass durchaus auch anders lautende Stimmen zu Wort kommen. So findet sich in dem Band auch die Ansicht, dass Kultur nicht zwangsläufig eine Rolle spielt bzw. ihre Zuordnung zu bestimmten menschlichen Verhaltensweisen ein fragwürdiges Unterfangen ist.

Das Buch beschäftigt sich mit fünf Aspekten und ihrem Zusammenhang mit Kultur: der Wirtschaft, der politischen Entwicklung, der Anthropologie, den Geschlechterproblematiken sowie den amerikanischen Minderheiten. Es handelt sich bei der vorliegenden Aufsatzsammlung um die Wiedergabe von Vorträgen, die im Rahmen eines Symposiums über »kulturelle Werte und menschlichen Fortschritt« im Jahre 1999 gehalten wurden.
Wer sich eine Fortsetzung von Samuel Huntington’s »Clash of Civilizations«, mit dem er die Debatte um Kultur und Werte ins Rollen gebracht hat, erhofft, wird enttäuscht. Huntington agiert zwar als Mitherausgeber, trägt aber lediglich das Vorwort zum Buch bei. Nichtsdestotrotz ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um die Bedeutung von Werten und Kultur.

Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften haben zu lange außerökonomische Faktoren wie Kultur vernachlässigt und sind davon ausgegangen, dass alle Völker europäische Wertvorstellungen teilen. Die Bedeutung von Streit um Werte besteht nun darin, dass hier radikale Fragen gestellt und Positionen formuliert werden, die helfen können, neue Perspektiven zu eröffnen und letztendlich zu einer realistischeren Einschätzung beitragen.