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Miriam Meckel:
Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle

ISBN: 386774002X
Erscheinungsjahr: 2007
Murmann Verlag

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Ich maile, also bin ich
        


 
er erinnert sich nicht mehr: Mittags oder spätabends bei jemandem anzurufen, verbot früher die Höflichkeit. Doch lange vorbei sind diese Zeiten: der heutige Kommunikations-Junkie ist 24 Stunden und 7 Tage die Woche rund um den Erdball auf Empfang. Kaum jemals noch gönnen wir uns Kommunikationspausen. Ständig erreichbar zu sein heißt das Credo der modernen Gesellschaft. Die Kommunikationstechnik hat sich aufgeschwungen, das soziale Leben zu bestimmen – aber: sollte es nicht umgekehrt sein? Rar geworden sind diejenigen, die sich dem Drang entziehen können, eine eingehende E-Mail sofort zu lesen, eine SMS augenblicklich zu beantworten und das Mobiltelefon in jeder Lebenslage bei sich zu führen, um Anrufe bei jeder Gelegenheit anzunehmen. Die modernen Kommunikationstechnologien sollten ursprünglich Mittel zum Zweck der Verständigung sein, die kommunikative Vernetzung ist jedoch mittlerweile zu einem Wert an sich geworden.

Aber wird unser privates Glück und unsere berufliche Effizienz tatsächlich durch die ununterbrochene Erreichbarkeit gefördert? Mitnichten, meint die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel in ihrem neuen Buch Das Glück der Unerreichbarkeit und konstatiert: »Unsere Selbstbestimmung entsteht aus Freiheit. Und diese Freiheit ist nicht die Freiheit, immer erreichbar zu sein, auf alles immer zu reagieren und alles sofort zu machen. Freiheit ist die Freiheit, auch einmal nicht erreichbar zu sein, um etwas ganz Bestimmtes, etwas Besonderes wirklich zu machen.« Meckel bringt auf den Punkt, was wir alle kennen: Das Leben im Zustand der ständigen Erreichbarkeit zwingt uns zum Leben im Multitasking-Modus: tausend Dinge prasseln auf uns ein und wir sind immer bemüht, alles gleichzeitig zu erledigen. Aber dass der Mensch zum Multitasking fähig sei, ist ein Mythos und so sind wir niemals wirklich ganz bei einer Sache.

Und was noch schlimmer ist: Immer öfter finden wir, dass nicht eine E-Mail, ein Anruf oder eine SMS unsere Arbeit unterbricht, sondern umgekehrt. Und das ist auch nicht verwunderlich: Werden doch mittlerweile weltweit täglich 171 Milliarden E-Mails verschickt, wovon 70 Prozent Spam sind. Psychologen gehen davon aus, dass der Mensch nur zwei Prozent der bei ihm eintreffenden Informationen wahrnehmen und verarbeiten kann. Das hierdurch verursachte »Kommunikationsgrundrauschen« führt nicht nur zu Informationsüberlastung und Stress, sondern verursacht auch recht beachtliche volkswirtschaftliche Kosten: eine amerikanische Unternehmensberatung will errechnet haben, dass unnötige und ungewollte Unterbrechungen 28 Prozent der täglichen Arbeitszeit von Wissensarbeitern ausmachen. Allein in den USA summiert sich diese Zeit auf 28 Milliarden Arbeitsstunden.

Wie kommt es aber, dass wir uns dem Diktat der Technik unterwerfen und an unseren echten Bedürfnissen vorbei leben? Viele Menschen wissen natürlich, was Miriam Meckel beschreibt: dass sie wie im Hamsterrad laufen und ihnen die Kontrolle über ihre Kommunikation entglitten ist, dass sie nur noch reagieren statt die eigene Kommunikationslogik durchzusetzen. Trotzdem fällt es ihnen schwer, loszulassen. Miriam Meckel sieht den Grund dafür in der heute vorherrschenden Aufmerksamkeitsökonomie. In der modernen Gesellschaft ist für viele Menschen die Beachtung, die ihnen zuteil wird, Quelle für Legitimation und Selbstvergewisserung: »Ich simse, maile, chatte, also bin ich!« Abschalten bedeutet Prestigeverlust. Dies gilt für öffentliche Selbstinszenierungen auf Flughäfen und in anderen Wartehallen der modernen mobilen Gesellschaft bis hin zu Liebesbezeugungen via Web und SMS.

Der Weg aus der Kommunikationsfalle führt für die Autorin über eine recht einfach anmutende Einsicht: »Wer technisch angeschlossen ist, ist nicht zwangsläufig auch sozial angebunden.« Das heißt: Wollen Sie Ihr Leben nicht verpassen, dann schalten Sie Ihr Handy, Ihren BlackBerry und andere Wunderwerke der Technik, die für ständige Erreichbarkeit sorgen, einfach hin und wieder auch mal aus. Wir haben längst vergessen, dass diese Geräte eine Aus-Taste haben. Der Mut zur Sendepause eröffne uns neue Möglichkeiten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, Kontrolle über die Kommunikation wieder zu erlangen und einer Person oder Sache ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, so Meckel. Wir sind also nur einen Knopfdruck vom Glück entfernt. Denn: »Wer immer erreichbar ist, ist eigentlich für nichts und niemanden wirklich da.« So lautet die zweite grundsätzliche Einsicht, die uns von den Exzessen der technischen Vernetzung befreien und wieder zu den richtigen Prioritäten zurückführen soll.

Das Glück der Unerreichbarkeit ist ein Plädoyer für mehr kommunikative Qualität statt Quantität, für Kommunikationskultur statt Kommunikationskult und – nicht zuletzt – für mehr Müßiggang. Im 21. Jahrhundert werden Ideen und Kreativität zu den wichtigsten Wirtschaftsgütern zählen. Die Arbeit damit braucht Konzentration und Freiräume für das Denken. Die Möglichkeiten der umfassenden mobilen Kommunikation können die Produktivität von Menschen und Unternehmen steigern – Voraussetzung ist allerdings, dass wir zurückkehren von der schnellen, oberflächlichen Kommunikation von Stati (eine schnelle Instant Message, ein kurzer Anruf auf dem Handy, eine SMS ) zum Aufbau von Dialogen, die Zeit benötigen und Möglichkeiten zur Reflexion.

Meckel liegt es fern, die mobile Vernetzung gänzlich zu verteufeln, sie singt auch nicht lediglich ein Loblied auf den Offline-Modus. Die Kommunikationswissenschaftlerin tritt vielmehr für ein neues Verständnis dessen, was unter Kommunikationstalent zu verstehen ist, ein: nicht demjenigen, der Handy, BlackBerry und sein Gegenüber aus Fleisch und Blut geschickt gleichzeitig jonglieren kann, gehört die Zukunft. Die Herausforderung wird im Gegenteil darin bestehen, zwischen den Kommunikationsdimensionen – wirkliches Leben und virtuelles Leben – spielend zu wechseln. Diese Kommunikationsdimensionen ständig zu vermischen und alles gleichzeitig zu tun wird uns krank machen. Der Ausweg ist nun nicht, die virtuelle Kommunikation wieder über Bord zu werfen, da wir beide Dimensionen der Kommunikation brauchen, wir müssen sozial und technisch anschlussfähig sein. Miriam Meckel tritt für einen sinnvollen Umgang mit den neuen Technologien ein. Damit diese Werkzeuge ihren wahren Wert entfalten können, ist es notwendig, dass wir einmal bewusst auf Distanz zu diesen Errungenschaften gehen und nicht blind im Strom der ständigen Erreichbarkeit mitschwimmen.

Miriam Meckels Analyse der medialen Gegenwart ist kritisch, ohne kulturpessimistisch zu sein. Ihre Beobachtungen und Gedanken untermauert sie stets mit aktuellen Studien zur Mediennutzung und Wahrnehmung oder solchen aus der Glücksforschung.

Im Gegensatz zu großen Namen, die sie in ihrem Buch immer wieder einmal fallen lässt – Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas, Richard Sennett, Georg Franck –, die sich zuvor allesamt schon zu Fragen der Kultur- und Kommunikationsindustrie oder den Gegensatz von Be- und Entschleunigung geäußert hatten, bleibt Meckels Analyse pragmatischer, ihre Auswege aus der Kommunikationsfalle fallen weniger radikal aus. Ein bewusster und reflektierter Umgang mit der Kommunikationstechnik und der immer öfter mal getätigte Druck auf den Aus-Knopf seien der Weg zum Glück. Sich unerreichbar zu machen, gelingt aber offenbar nur wenigen und warum der Kommunikations-Junkie ständig E-Mails checken und ein Ohr am Mobiltelefon haben muss, dem entgegnet Meckel ganz lapidar: »Pawlow lässt grüßen«. Dies ist dann auch der einzige Makel, den das Buch hat: es bleibt teilweise an der Oberfläche. Die Frage, weshalb wir uns von der Technik unseren Rhythmus und unsere Gewohnheiten diktieren lassen, bleibt ebenso unbeantwortet wie jene nach dem Grund, warum das Abschalten so schwerfällt.

Miriam Meckel liefert mit Das Glück der Unerreichbarkeit eine populärwissenschaftliche Analyse der modernen Kommunikationsgepflogenheiten ab, ohne moralisierend den Zeigefinger zu heben. Weiterhin sympathisch an dem Buch ist, dass die Autorin viele Einblicke in ihr eigenes Kommunikationsverhalten und ihre Lernprozesse gewährt. So wie sie dabei über sich selbst lachen kann sowie der humorvolle und gelöste Ton des Buchs zeugen davon, dass ihre Ratschläge funktionieren können und sie zumindest für sich selbst einen Weg aus der Kommunikationsfalle gefunden hat.