nge Kloepfer zeichnet in Aufstand der Unterschicht das Bild einer tief gespaltenen Gesellschaft: Deutschland im Jahr 2020. Dem Staat ist das Geld für die Sozialsysteme ausgegangen, wenigen gut Ausgebildeten steht ein Heer von PISA-Versagern gegenüber, die Kluft zwischen Armen und Reichen ist riesengroß, insbesondere ein großer Teil der steigenden Zahl von Rentnern lebt in bitterer Armut und ganze Landstriche sind verwaist, weil die Bevölkerung stark altert und junge Menschen in die Städte ziehen.

Neben vielen Gewinnern wird die Wissensgesellschaft eine große Menge an Verlierern hervorbringen, die nicht imstande sein werden, ihren Lebensunterhalt mit eigener Arbeit zu verdienen. Inge Kloepfer sieht die Wurzeln dieser Entwicklung bereits in der Gegenwart: Jugendliche und Kinder, die ohne Förderung in bildungsfernen Haushalten am Rande der Gesellschaft aufwachsen. Die PISA-Tests haben die ganze Dramatik des deutschen Bildungssystems klar ans Licht gebracht: bei einem Fünftel aller Schüler ihrer Alterskohorte reichen Lese- und Rechenkünste nicht für das Erlernen eines einfachen Ausbildungsberufes. 2020 werden diese jungen Menschen junge Erwachsene sein und ihr ganzes Leben lang werden ihnen jegliche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten einer modernen Wissensgesellschaft versagt bleiben.

Diese jungen Menschen kommen aus sozial schwachen Familien, deren Angehörige durch den sozioökonomischen Wandel den Anschluss an das Wirtschaftsleben verloren haben und an den Rand gedrängt wurden. Sie machen eine Schicht aus, die wenig Geld, wenig Bildung und wenig Chancen hat und einen Großteil der Empfänger staatlicher Sozialtransfers versammelt. In jüngster Vergangenheit wurde für dieses Milieu die Bezeichnung »neue Unterschicht« geprägt. Auch wenn es viele Politiker nicht wahrhaben wollen: Es gibt sie, die Unterschicht; zwischen Arm und Reich hat sich in Deutschland ein tiefer Graben entwickelt. Und für jene, die auf der Verliererseite stehen werden die Chancen, dieser Schicht zu entkommen, immer geringer und sie wird weiter wachsen, weil sich die Unterschicht selbst reproduziert.

Am Beispiel von Jascha, einem 31-jährigen Obdachlosen, der sich in München im Jahr 2020 irgendwie durchschlägt, zeigt Inge Kloepfer, wie sich unsere Gesellschaft schleichend verändert. Jascha ist jedoch kein Einzelfall: Wir bekommen es mit einer Masse abgehängter Menschen zu tun. Die Aufspaltung der Gesellschaft gefährde letztendlich den sozialen Frieden. Zwar hält dieser bislang noch, aber die Ruhe ist teuer erkauft: Die Politik verschließt die Augen vor den schon lange vorhandenen Probleme und belastet die Sozialsysteme. Geeignete Strategien, um diesen Menschen eine Grundlage zu verschaffen, die sie fit macht für die Anforderungen der Wissensgesellschaft, sind nicht in Sicht.

Dass Bildung einen derart großen Teil der Bevölkerung nicht mehr erreicht, hält die Wirtschaftsjournalistin Inge Kloepfer nicht nur für moralisch verwerflich, sondern auch für ökonomisch unhaltbar. Die Fehler der Bildungspolitik gefährden die Innovationskraft des Landes, denn ein alterndes Deutschland kann sich nicht leisten, dass rund 20 Prozent der Schüler eines jeden Jahrganges ohne Abschluss bleiben.

Nicht umsonst wählt Inge Kloepfer einen provokativen Titel für ihr Buch; sie will aufrütteln, weil jede Menge sozialer Sprengstoff darin steckt, arme Kinder einfach sich selbst zu überlassen und sie abzuschreiben. Und dies, obwohl das Wissen über die deutschen Missstände offen liegt. Soziologen, Psychologen, Ökonomen haben eben diese Themen ausgiebig angesprochen, über Chancenungleichheit in Deutschland wurde immer wieder geschrieben und diskutiert. Es ist also nicht neu, was Inge Kloepfer schreibt. Da es sich jedoch um ein brennendes gesellschaftliches Thema handelt, eine Lösung dafür nach wie vor nicht erkennbar ist, kann nicht oft genug auf die Bildungsmisere und ihre Folgen hingewiesen werden. Und Inge Kloepfer tut dies kompetent und gut lesbar. Sie sprach mit einer Reihe betroffener Jugendlicher und beschreibt daher anschaulich und eindringlich, was auf uns zukommt.