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André Brodocz, Marcus Llanque, Gary Schaal (Hrsg.):
Bedrohungen der Demokratie

ISBN: 353114409X
Erscheinungsjahr: 2008
VS Verlag

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Die bedrohte Demokratie
        


 
emokratie fällt nicht vom Himmel. Sie ist eine zarte Pflanze, die gehegt und gepflegt werden will und permanent Gefahr läuft, zertrampelt zu werden oder verhungern zu müssen. Der Sammelband Bedrohungen der Demokratie nimmt sich dieser Thematik an und setzt sich zum Ziel, Bilder von den Bedrohungen der Demokratie zu schaffen, bevor man ihnen begegnet. Denn nur dann kann man in geeigneter Weise auf die Bedrohungen reagieren. Das von den Politikwissenschaftlern André Brodocz, Marcus Llanque und Gary S. Schaal herausgegebene Buch bietet einen breiten Überblick über ausgewählte Bedrohungen der Demokratie.

Die Analyse der Grundlagen, Begründungen und Leistungen der Demokratie zählt zum Kern der Politikwissenschaften. Neue Impulse erhielt diese Forschung durch den Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten. Nachdem der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das »Ende der Geschichte« ausgerufen hatte, gewann die demokratietheoretische Diskussion nach Beendigung des Ost-West-Konflikts sogar noch an Intensität. Nach dem Wegfall der Konkurrenz der Systeme konnten die politischen Systeme des Westens ihre Legitimation nur noch aus sich selbst heraus schöpfen – ein außerdemokratischer Bezugspunkt stand nicht mehr zur Verfügung. Gleichzeitig bestand die Herausforderung der Implementierung demokratischer Ordnungssysteme in den ehemals sozialistischen Staaten des Ostblocks. Die gleichzeitige Einrichtung kapitalistisch-marktförmiger Strukturen und demokratischer Institutionen ist historisch einmalig und sollte sich als überaus problematisch herausstellen.

Während die neuen Demokratien nach wie vor Defizite aufweisen, sind aber auch die etablierten Demokratien des Westens nicht über jeden Zweifel erhaben: demokratische Verfallserscheinungen sind nicht zu übersehen. Der Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme brachte eine paradoxe Situation hervor: Obwohl allgemein ein Sieg der Demokratie konstatiert wurde, ist gleichzeitig auch immer öfter von deren Krise die Rede. Es gibt aber auch noch andere Gründe, warum sich nach Ende des Ost-West-Konflikts die Probleme liberaler westlicher Demokratien grundlegend verändert haben: durch die verstärkten Supranationalisierungen politischer Ordnung, die wachsende Abhängigkeit von globalen Finanzmärkten und den sich ausdehnenden internationalen Terrorismus.

Durch die Ausweitung der territorialen Grenzen im Zuge der Globalisierung und die Tendenz hin zu supranationalen politischen Institutionen gerät der demokratische Rechtsstaat auf Ebene des Nationalstaats unter Druck. Staatliches Vorgehen auf der Grundlage territorialer Souveränität steht immer wieder im Widerspruch zu den grenzüberschreitenden Herausforderungen der heutigen Zeit. In der Frage der Demokratiefähigkeit der Europäischen Union kommt dieser Zwiespalt immer wieder zum Ausdruck.
Stabilität und innerer Frieden der demokratischen Sozialstaaten fußten bislang wesentlich auf den sich immer weiter ausdehnenden sozialen Rechten der Staatsbürger. Im Laufe der Jahre vergrößerte sich jedoch die Abhängigkeit der westlichen Demokratien von den globalen Kapital- und Finanzmärkten. Ihre Stabilität hängt somit immer mehr von Faktoren ab, die jenseits der Steuerungsfähigkeit demokratischer Nationalstaaten liegen.
Der demokratische Rechtsstaat gerät schließlich durch den weltweiten Terrorismus zunehmend unter Druck. Da der einzelne Bürger nicht individuell auf diese Gefahren reagieren kann, antizipiert der demokratische Staat Gefahren bevor sie real eintreten und erweitert auf diese Weise unter Beschneidung liberaler Grundrechte seine Handlungsmöglichkeiten exponentiell.

Aber auch von innen drohen der Demokratie Gefahren: Die einseitige Ausrichtung der Demokratie auf die Menschenrechte oder der Wohlstandsökonomismus und die damit zusammenhängenden Liberalisierungsbestrebungen führen zu Überreaktionen, wodurch die Demokratie letztlich zu ihrer eigenen Bedrohung wird. Auch Leistungsgrenzen, die mit ökonomischen Erwartungen, demographischen Entwicklungen und biotechnischen Innovationen zu tun haben, stellen Bedrohungspotenziale für Demokratien dar.

Nach Winston Churchill ist die Demokratie die schlechteste Regierungsform – abgesehen von allen anderen. Es scheint die besondere Fähigkeit der Demokratie zu sein, sich mit bestimmten Gesellschafts- und Wirtschaftsformen zu verbinden, die überlegene Ergebnisse bringen. Frieden oder Wohlstand werden oft mit demokratischen Systemen in Verbindung gebracht. Trotzdem ist eine zunehmende Skepsis in den Einstellungen der Bürger festzustellen. Der Politikwissenschaftler Claus Offe beschreibt das Phänomen der »Politikverdrossenheit« in seinem Beitrag. Trotz zahlloser Chancen für Beteiligung nehmen Entfremdung und Nichtpartizipation zu. Mit der Zivilgesellschaft entsteht eine Kluft zwischen der Gesellschaft und ihren politischen Eliten. Während letztere die Kluft noch durch ihr opportunistisches Verhalten vergrößern, verschärft sich das Desinteresse der Bürger durch die auf eine Wahlkontrolle reduzierte Möglichkeit der Elitenkontrolle.

Der Ökonom Birger Priddat geht der Frage nach der Zukunft der Demokratie nach, wenn man die demographische Entwicklung in Rechnung stellt, die die Generationenfrage neu aufwirft. Die steigende Zahl der Alten steigert die Neigung der Politik zum Opportunismus: auf Kosten der nächsten Generation wird um Mehrheiten gerungen. Wird allerdings die junge Generation als für das Staatswesen bedeutender betrachtet, dann stellt sich die Frage der Verteilung der Kosten für öffentliche Güter neu.

Felix Heidenreich geht in einem weiteren Beitrag der Frage nach, ob der zunehmende Ökonomismus eine Selbstgefährdung der Demokratie darstellt. Es ist zu beobachten, dass sich westliche Demokratien immer stärker über ökonomische Indikatoren wahrnehmen, sodass diese zur Veränderung politischer Präferenzen bevorzugt beachtet werden. Vor allem das eigene Wohlbefinden wird anhand ökonomischer Indikatoren ausgedrückt. Daher wird eine breite Diskussion darüber, ob und wie »Fortschritt« neu definiert werden muss, nicht ausbleiben können.

Der Sammelband bietet allen Lesern, die an der Zukunft unserer Demokratie interessiert sind eine spannende Lektüre. Die Essays bieten einen guten Überblick, vor welchen Bedrohungen die Demokratie heute steht und wie die Demokratietheorie darauf reagiert.