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Chris Anderson:
Free – Kostenlos. Geschäftsmodelle für die Herausforderungen des Internets

ISBN: 3593390884
Erscheinungsjahr: 2009
Campus Verlag

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ls Anfang des 20. Jahrhunderts der Erfinder King Gillette einen Rasierer mit auswechselbaren Wegwerf-Klingen entwickelte, fanden sich zunächst kaum Abnehmer für die Neuheit. Alle nur erdenklichen Marketingtricks kamen daraufhin zur Anwendung: Gillette ließ sein Konterfei auf die Verpackung drucken, verkaufte Unmengen der Rasierer mit hohem Preisnachlass an die US-Army, um die Soldaten auch über ihren Einsatz hinaus als Nutzer zu halten, die Rasierer wurden im Verbund mit allen möglichen Produkten verkauft – von Kaugummis über Kaffee und Tee bis hin zu Gewürzen. Und tatsächlich kurbelte die Gratis-Zugabe den Umsatz der jeweiligen Produkte an, mehr noch profitierte aber The Gillette Company: Durch das Verschenken der – an sich wertlosen – Rasierer schuf das Unternehmen Nachfrage nach den Rasierklingen.

Dieses Geschäftsmodell ist heute nicht mehr aus unserer Welt wegzudenken: Verschenke Mobiltelefone und verdiene an den Verträgen, verkaufe Tintenstrahldrucker zu Niedrigpreisen und mache Geld mit den Patronen, stelle Kaffeeautomaten gratis in Büros auf und verkaufe teuren Kaffee. Die Idee, Geld zu verdienen, indem Unternehmen etwas kostenlos oder extrem günstig ihren Kunden überlassen, ist heute weit verbreitet und nicht wirklich neu. Doch bis vor einiger Zeit bedeutete »kostenlos« immer das Ergebnis einer Quersubventionierung: Gratis gab es etwas nur, weil man auch ein anderes Produkt kauft und unter dem Strich bezahlt der Kunde letztlich auch das angeblich »kostenlose« Produkt.

Chris Anderson vertritt nun in seinem neuen Buch Free die Meinung, dass sich im letzten Jahrzehnt eine andere Form von »kostenlos« entwickelt hat, die dem Kunden tatsächlich Produkte und Leistungen ohne Bezahlung zukommen lässt. Das neue Modell basiert nicht darauf, Kosten von einem Produkt auf ein anderes zu verschieben, sondern auf der Tatsache, dass die Kosten vieler Produkte so drastisch gefallen sind. Die digitale Welt, so Anderson, wird vom Mooreschen Gesetz bestimmt, wonach sich alle eineinhalb Jahre die Bandbreite, die Speicherkapazität und die Prozessorenkapazität verdoppeln. Sind Güter erst einmal digitalisiert, so sinken die Kosten für ihre Speicherung und Distribution früher oder später zwangsläufig auf Null. Warum dann also nicht gleich Nachrichten, Musikstücke, Bücher oder Software verschenken?

Somit hat die digitale Ökonomie die herkömmliche Wirtschaftswissenschaft auf den Kopf gestellt: Preise wurden traditionell immer mit Knappheitsargumenten begründet. Im Netz gibt es jedoch keine Knappheit mehr, es herrscht Überfluss. Die Grenzkosten bei digitalen Gütern tendieren in Richtung Null. Bei den auf der Idee von »Free« basierenden Geschäftsmodellen geht es demnach nicht länger um das Management von Knappheiten, sondern um das Management von Überfluss. Im Internet gehe es immer um Reichweite, so Anderson: für eine Anwendung müsse immer die größtmögliche Anzahl von Nutzern gefunden werden, um so die Kosten auf eine hohe Zahl von Anwendern zu verteilen. Da die Hardware immer leistungsfähiger wird, gelingt es auf diese Art und Weise die Grenzkosten immer weiter Richtung Null zu bewegen.

Kritiker der Geschenkökonomie wenden ein, dass auf diese Weise ganze Industrien kaputtgemacht und immense Werte zerstört werden. Wie sollen Unternehmen denn zukünftig Gewinne erwirtschaften, wenn sie ihre Produkte verschenken? Chris Anderson sieht keineswegs das Ende des Geldverdienens gekommen, nur weil einige Produkte gratis zur Verfügung gestellt werden: Zum einen kommt Geld natürlich über Werbung in die Kasse, wie Google dies beispielhaft zeigt. Das Unternehmen bietet fast alle seine Dienste wie Internetsuche, E-Mail und Landkarten kostenlos an. Da diese Dienste jede Menge Abnehmer finden, wird Google immer attraktiver für Werbekunden, die enorme Summen für die Anzeigenplätze zahlen. Zum anderen wird Geld mit Komplementärprodukten verdient. So können etwa Medienunternehmen Basisangebote gratis zur Verfügung stellen, für Zusatzangebote muss bezahlt werden. In der Musikindustrie wird künftig weniger mit dem Verkauf der Musikstücke verdient, sondern ein immer größerer Anteil der Gewinne wird mit Konzerten oder dem Verkauf von Merchandising erwirtschaftet.

Um mit »Free« Geld zu machen, müsse man einfach von der herkömmlichen Sicht auf Märkte – das Zusammenführen von Käufer und Verkäufer – Abschied nehmen und Märkte breiter betrachten: als ein System mit vielen Teilnehmern, von denen nur einige Geld austauschen. Die Technologie gibt Unternehmen heute größere Flexibilität, wie breit sie ihre Märkte definieren und daher haben sie mehr Freiheiten, einer Kundengruppe Geschenke zu machen und einer anderen etwas gegen Bezahlung zu verkaufen. So hat etwa Ryanair die Flugindustrie umgekrempelt, indem sich die Firma weniger als Verkäufer von Flugtickets, sondern vielmehr als full-service Reiseagentur betrachtet.

Der Autor sieht fallende Preise bei allem, was durch Ideen entsteht. Und dies sei auch kein vorübergehender Trend, sondern ein ehernes Gesetz. Zwar könne versucht werden, »Free« für einige Zeit mit Gesetzen und Zwang einzudämmen, aber letztendlich gewinne die ökonomische Kraft. Der aussichtslos erscheinende Kampf der Musikindustrie gegen Produktpiraten ist ein Beleg dafür. Jedoch gibt es auch andere Beispiele, die daran zweifeln lassen, ob Chris Anderson mit seiner Meinung des ehernen Gesetzes Recht hat: Viele online-Medien suchen ihr Heil gerade wieder darin, ihre gratis Angebote stärker einzuschränken und kostenpflichtig zu machen.

Dennoch geht Chris Anderson mit bestem Beispiel voran und zeigt, dass sein Konzept funktioniert: Obwohl sein Buch im Internet als kostenloser Download erhältlich ist, verkauft sich die Printausgabe vorzüglich.