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Birgit Blättel-Mink, Kai-Uwe Hellmann (Hrsg.):
Prosumer Revisited. Zur Aktualität einer Debatte

ISBN: 3531169351
Erscheinungsjahr: 2009
Verlag für Sozialwissenschaften

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Arbeitende Kunden
        


 
eit das Schlagwort vom »Web 2.0« in aller Munde ist, scheint auch im Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunden ein neues Zeitalter angebrochen zu sein. Das »Mitmach-Web« hat eine neue Autonomie des Konsumenten hervorgebracht wie sie vorher nicht bekannt war: Vor allem jüngere Konsumenten zeigen mittels der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien enormes Engagement nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern nehmen auch an Geschäftsprozessen aktiv teil, wollen involviert werden und einen Beitrag leisten, um Einfluss zu üben auf die Erstellung von Produkten und Dienstleistungen. Vor allem im Internet ist ein stark anwachsender Wille zur Mitarbeit und Mitgestaltung zu beobachten, weshalb nicht verwundert, dass seit einigen Jahren eine Debatte rund um den »Prosumenten« – den produzierenden Konsumenten – kreist.

Doch die Debatte ist keineswegs neu und hat ihren Ursprung schon vor dem Internetzeitalter. Bereits 1980 hat sich der Futurist und Trendforscher Alvin Toffler in seinem Buch The Third Wave damit befasst, dass Konsumenten gelegentlich als Produzenten aktiv werden. Die Erscheinung des Prosumenten, wie sie von Toffler gezeichnet wurde, erregte damals jedoch kaum Aufmerksamkeit. Nach Alvin Tofflers Wellentheorie war Produktion ursprünglich immer auf Selbstversorgung gerichtet. Jeder Produzent war zugleich Konsument seiner Produkte. Die Industrielle Revolution trennte die beiden Tätigkeitsprofile: ein großes Feld tat sich auf, das nur noch mit der Produktion für einen Massenmarkt befasst war. Tofflers Prosument ist eine Erscheinung der neueren Entwicklung, in der Produzent und Konsument wieder enger zusammenrücken.

In Tofflers Konzept betätigt sich jemand immer dann als Prosument, wenn er etwas für sich selbst herstellt. Das Phänomen des Prosumenten drückt sich für Toffler im Aufkommen so verschiedenartiger Erscheinungen wie Selbstdiagnose, Selbstmedikation und Selbstbehandlung oder Selbstbedienung beim Tanken aus. Auch wenn Kunden technische Geräte nach Anweisung einer Hotline selbständig reparieren, zählen sie zu den Prosumern. Toffler räumt ein, dass es all diese Phänomene zwar schon lange gibt, Heimarbeit und Eigenarbeit sind nichts Neues, jedoch ist der tätig werdende Kunde immer weiter verbreitet.

Seit einigen Jahren ist der arbeitende Kunde nun stärker in den Fokus der Forschung gerückt, wenn sich auch der Begriff des Prosumenten im Vergleich zu Tofflers Verständnis erweiterte. Auch Formen der Kollaboration zwischen Kunde und Unternehmen etwa im Rahmen von Design und Produktion werden heute vom Prosumentenbegriff miterfasst. Dem verstärkten Forschungsinteresse Rechnung tragend fand im März 2009 an der Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt eine Konferenz zum Thema »Prosumer Revisited« statt, dessen Ergebnisse nun in einem gleichnamigen Band vorliegen. Ausgehend von der von Alvin Toffler ersonnenen Prosumentenfigur sollen darin der heutige Stand der Forschung zum Phänomen »Prosuming« aufgearbeitet sowie Perspektiven und Trends beleuchtet werden.

Welche Auswirkungen die Figur des Prosumenten auf Marketing und Marktforschung hat, wird von Philip Kotler, einem der führenden Marketing-Professoren der USA, diskutiert. Kotler betrachtet das Phänomen des Prosumenten als so gewichtig, dass er in seinem Beitrag dafür plädiert, den Prosumenten als eigenes Marktsegment zu begreifen. Auch in Innovationstätigkeiten ist der Prosument heute längst vorgestoßen. Doris Blutner beleuchtet in ihrem Beitrag die modernen Phänomene »Open Innovation« und »Open Source Innovation«. Ein weiterer Beitrag richtet das Augenmerk auf ein weiteres modernes Phänomen des Internets: die kollaborative Produktion. So wird heute etwa Software im Open-Source-Verfahren hergestellt, das sich durch einen hohen Grad an Arbeitsteilung und weitreichende Selbstorganisation durch Produzenten auszeichnet. Auch hierbei handelt es sich um Prosuming, da die Programmierer zugleich Anwender sind.

Gemäß Tofflers Konzept, das sich nicht nur auf Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem beschränkte, sondern auch die gesamte Gesellschaftsordnung im Blick hatte, befassen sich Beiträge etwa mit Nachhaltigkeitsaspekten oder mit der Arbeitsteilung zwischen Künstlern und Publikum. So wird zum Beispiel die Frage gestellt, ob Prosuming durch die Verlängerung der Nutzungsdauer von Gütern zu einem ökologisch bewussteren Konsum führen kann. Dies wird am Beispiel des Gebrauchtwarenhandels über eBay demonstriert, der in starkem Maße von Konsumenten betrieben wird, welche hierdurch zu Prosumenten werden.

Schließlich werden auch alternative Ansätze diskutiert. Axel Bruns bringt etwa den Begriff des »Produtzers« ein und setzt sich damit über die von Toffler nie angezweifelte Trennung von Unternehmen und Kunde hinweg. Axel Bruns weist darauf hin, dass das Internet Kooperationsformen möglich gemacht hat, welche diese Trennung überwinden. Nach Bruns kommt es im Internetzeitalter vermehrt zur kollektiven Produktion⁄Konsumtion durch Nutzer und er nennt als Beispiele den Open-Source-Programmierer, den Betatester, den Bürgerjournalisten oder Wikipedia-Autoren.

Man denke an Do-it-yourself, Selbstbedienung und IKEA: jeden Tag werden wir selbst zu Prosumenten. Und besonders im Internet ist der arbeitende Kunde allgegenwärtig. Der Band Prosumer Revisited. Zur Aktualität einer Debatte richtet den Blick auf eine Entwicklung, die sich immer stärker ausbreitet und bereits etablierte Märkte und Unternehmen erreicht hat. Kaum ein Unternehmen bezieht heute nicht seine Kunden in die Entwicklung und Produktion neuer Produkte und Dienstleistungen mit ein. Die Beiträge im Band Prosumer Revisited greifen Tofflers Konzept auf, entwickeln es weiter und bieten ein zeitgemäßes Bild des Phänomens »Prosuming«.