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Berthold Vogel:
Wohlstandskonflikte. Soziale Fragen, die aus der Mitte kommen

ISBN: 3868542000
Erscheinungsjahr: 2009
Hamburger Edition

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Das Ende der Gemütlichkeit
        


 
er Begriff der Prekarität macht schon seit Jahren die Runde und richtet unseren Blick auf neue soziale Ungleichheiten. Insbesondere die Arbeitswelt ist aus dem Takt geraten: das Normalarbeitsverhältnis, also die tariflich gesicherte unbefristete Vollzeitbeschäftigung, wird von neuen, unsicheren Arbeitsformen abgelöst, Geringqualifizierte finden kaum noch Zugangswege zur Erwerbsarbeit. Dazu kommen noch technische Innovationen, politische Deregulierung und neue inhaltliche Ansprüche an die Erwerbsarbeit aufgrund eines höheren Bildungsniveaus.

Der Verlust der gewohnten Sicherheiten betrifft auch den öffentlichen Dienst. Während dieser einst als Hort beruflicher Stabilität galt, aus dem sich ein Großteil der Mittelklasse rekrutierte, ist der öffentliche Dienst heute durch Restrukturierung, die Einkehr betriebswirtschaftlicher Prinzipien und ein starkes Ansteigen »neuer Beschäftigungsformen« gekennzeichnet.

Immer öfter wird in dieser Situation der Blick auf die Lage und Zukunft der Mittelschicht in Deutschland gerichtet. So auch vom Hamburger Sozialforscher Berthold Vogel, der in seinem Buch Wohlstandskonflikte. Soziale Fragen, die aus der Mitte kommen die herrschende Abstiegsangst in der Mitte der Gesellschaft beleuchtet. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen stellt Vogel fest, dass die »Welt des sozialen Aufstiegs, der beruflichen Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstands [...] zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter wachsender Spannung« steht. Besonders in der gesellschaftlichen Mitte ruft dies Nervosität hervor: Fühlen sich doch gerade diejenigen von Abstiegen und Statusverlusten bedroht, die nach einer langen Phase der Sicherheit und Stabilität in der Mitte der Gesellschaft angekommen und etabliert sind.

Die zentrale These des Buches ist, dass diese Statusängste mit einer Veränderung der modernen Wohlfahrtsstaatlichkeit zusammenhängen. War das Entstehen einer breiten Mittelschicht in Deutschland das Ergebnis einer wohlfahrtsstaatlichen Aufstiegsmobilität, so muss die veränderte Struktur des Wohlfahrtsstaates auch die Mittelschicht verändern. Die verunsicherte gesellschaftliche Mitte hat nicht mehr Karriereplanung und Zugewinn auf ihrer Tagesordnung, sondern richtet alle Aufmerksamkeit auf Wohlstandssicherung und Klassenerhalt. Dahingegen streben die unteren gesellschaftlichen Schichten überhaupt nicht mehr nach Statusveränderung, Aufstieg und Wohlstandsmehrung.

Das war nicht immer so. Dass gesellschaftliche Schichten nach oben strebten, hat der Gesellschaft ihre Dynamik und ihren Wohlstand gebracht. Aufwärtsmobilität ist ein ganz wichtiges soziologisches Phänomen, da sie gesellschaftlichen Zusammenhalt befördert. Heute jedoch droht ein Auseinanderfallen der Gesellschaft, denn von der Mittelschicht geht eine ganz andere Dynamik aus – und diese integriert nicht, sondern spaltet: Der Kampf um den Statuserhalt wird vor allem über eine Abgrenzung nach unten geführt. Die Solidarität in der Gesellschaft sinkt und Wohlstandskonflikte sind programmiert.

Zusätzlich zu den neuen Risken durch die wirtschaftliche Entwicklung, denen sich die Mitte ausgesetzt sieht, hat sich die Politik drangemacht, den Wohlfahrtsstaat umzubauen. Immer weniger verspricht der Staat in punkto Arbeit, Rente und Gesundheit eine Sicherung des Status, sondern gewährt lediglich noch eine Grundsicherung. Die Verwandlung des sorgenden Staates in den gewährleistenden hat die Mitte aus ihrer Gemütlichkeit gerissen.

Berthold Vogel beleuchtet vor allem zwei ehemalige Aufsteigergruppen und zeigt, wie sie unter Druck geraten: die gewerkschaftlich organisierte industrielle Facharbeiterschaft und die Beschäftigten der öffentlichen Dienste. Beiden Gruppen ging durch den Abbau einer sorgenden Staatlichkeit sowie das Verschwinden einer korporativ organisierten Arbeitswelt die Grundlage für den sozialen Erfolg verloren. Stabile Beschäftigungswelten mussten prekären Arbeitsverhältnissen weichen.

All diese sozialen Fragen sind für Berthold Vogel Ausdruck von Wohlstandskonflikten. Das Besondere daran ist, dass diese Konflikte nicht von den Rändern der Gesellschaft herrühren, sondern aus einer verunsicherten, um ihren Status kämpfenden Mitte entspringen und in die Gesellschaft hineingetragen werden. Das Buch dramatisiert nicht die sozialen Unterschiede, sondern beschreibt lesenswert die Herausforderungen unserer Gesellschaft.