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Dirk von Gehlen:
Mashup. Lob der Kopie

ISBN: 3518126210
Erscheinungsjahr: 2011
Suhrkamp Verlag

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Kulturbeitrag oder Teufelszeug?
        


 
ie zuvor war es einfacher Informationen zu erhalten, zu tauschen, Dinge zu kopieren – mit einem Mausklick machen wir in unserer digitalisierten Welt aus einem Film, einem Musikstück, einem Foto eine Vielzahl solcher Werke. Was ist hierbei erlaubt und was ist Diebstahl? Was ist verdammenswertes Plagiat und was ist gefeierter Kulturbeitrag? Wann ist ein Objekt ein Original und wann eine Kopie?

Kopieren wird heute oftmals kriminalisiert und als Teufelszeug abgetan. Dass ein Urteil über das Kopieren aber nicht so einfach zu fällen ist – speziell in unserer digitalen Welt mit den sich verflüssigenden Grenzen zwischen Original und Kopie –, nimmt Dirk von Gehlen zum Anlass, in seinem Buch Mashup einen differenzierteren Blick auf die uralte Kulturtechnik des Kopierens zu werfen: Darin unternimmt er den Versuch, dem Kopieren seinen schlechten Ruf zu nehmen und eine Lanze zu brechen für die Remix-Kultur, die zunehmend gegen Urheberrechtsverschärfungen und technische Beschränkungen anzukämpfen hat. Der Kopie wird es schwer gemacht – sie wird abgewertet und zu verhindern gesucht – und dies, obgleich im digitalen Zeitalter eine Verdoppelung von Inhalten erfolgen kann, ohne dass das Original Schaden nimmt.

Da die Kopie heute allgegenwärtig ist, will Dirk von Gehlen sie aus der Schmuddelecke holen und mit seinem Buch dazu beitragen, sie zu akzeptieren lernen, damit in Zukunft besser mit dem Anfertigen von Kopien umgegangen werden kann. Dirk von Gehlen betont, dass er keinesfalls Urheberrechtsverletzungen rechtfertigen will, jedoch sei selbst kreatives Kopieren, um Neues entstehen zu lassen, in vielen Fällen ohne Bruch dieses Gesetzes nicht möglich. Dass die Kopie einen derart schlechten Ruf hat, ist nämlich zu einem Gutteil auf die grundlegende Idee unseres kontinentaleuropäischen Urheberrechts zurückzuführen: Dieses basiert auf der Vorstellung des singulären Schöpfers und geht davon aus, dass künstlerisches Schaffen im stillen Kämmerlein erfolgt, wo ein genialer Schöpfer einzig aus sich heraus neue Ideen entwickelt. Aber schon Goethe erkannte, dass sich kein Mensch von den kreativen Einflüssen anderer freimachen kann. Daher plädiert von Gehlen dafür, künstlerisches Schaffen als das anzuerkennen, was es ist: als ein ständig neues Zusammensetzen von bereits Bestehendem.

Ein Urheberrecht, das auf der Höhe der Zeit ist, muss diesen Umstand spiegeln und den neuen Herausforderungen der digitalen Welt begegnen. Da das Kopieren nicht aus der Welt zu schaffen ist, werden Repressionen und Abmahnungen auf den falschen Weg führen; vielmehr gilt es, neue Vergütungsmodelle zu entwickeln, die mit dem Kopieren funktionieren anstatt dieses zu verhindern. In diesem Zusammenhang verweist Dirk von Gehlen auf die von Lawrence Lessig entwickelte Idee der Read-Write-Society, in der passive Nutzung und aktive Verwendung untrennbar zusammengehören.

In Mashup wird aber nicht nur ein »Lob der Kopie« – so der Untertitel des Buches – angestimmt, sondern auch ein neuer Begriff des Originals entwickelt. Die Grenzen zwischen Original und Kopie sind fließend geworden, weswegen der Versuch einer scharfen Unterscheidung nicht länger hilfreich und ein Umdenken hinsichtlich des Verhältnisses von Original und Kopie angesagt ist. Die Entscheidung, ob etwas Original oder Kopie ist, wird nicht mehr, so von Gehlen, eine Entweder-Oder-Entscheidung sein, sondern auf einer Skala zu erfolgen haben. Man wird künftig bei der Beurteilung von Werken stärker prozessual denken müssen, vergleichbar mit den Versionsständen einer Software, bei der die Unterscheidung in Original und Kopie auch nicht weiterhilft.

Dirk von Gehlen arbeitet in seinem Buch selbst im Stile eines Mashups: Der Text ist eine gewaltige Sammlung von Zitaten, Anekdoten und sonstigen Fundstücken aus den unterschiedlichsten Bereichen – von Fußball bis Popmusik. Auch die äußerst aufschlussreichen Interviews machen das flüssig geschriebene Buch zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Mit David Dewaele von Soulwax unterhält sich der Autor etwa über das Kopieren in der Musik, Oliver Moldenhauer, Koordinator der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen, spricht darüber, wie unverzichtbar Generika etwa in der AIDS-Bekämpfung sind und Markus Beckedahl geht auf das Konzept von Creative Commons ein.

Dirk von Gehlen bietet mit Mashup einen interessanten Überblick über die verschiedenen Stränge des aktuellen Diskurses. Auch wenn das Buch ganz klar parteiisch geschrieben ist, woraus der Untertitel auch gar keinen Hehl macht, so bleibt doch genügend Raum für Denkanstöße und eigene Gedanken. Nie versucht der Autor seinen Standpunkt aufzuzwingen, er argumentiert überzeugend und bietet viele Blickwinkel, die dem einen oder anderen Leser vielleicht neu sind. Jedenfalls aber leistet Dirk von Gehlen einen wertvollen Beitrag zur Debatte rund ums Kopieren und bringt den teils festgefahrenen Diskurs wieder ins Rollen, indem er für mehr begriffliche Klarheit sorgt. Nicht zuletzt ein 50-seitiger Glossar – von A2K bis »Zweites Leben« – zeugt vom Bemühen, die Begriffe der Debatte auf einen gemeinsamen Boden zu stellen.