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Karlheinz A. Geißler:
Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine. Wege in eine neue Zeitkultur

ISBN: 3865812503
Erscheinungsjahr: 2011
Oekom Verlag

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Es lebe die Zeitverschwendung!
        


 
inen neuen Umgang mit der Zeit konstatiert der Zeitforscher Karlheinz A. Geißler in seinem neuen Buch Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine. Und die »heimlichen Herrscher« dieses neuen Zeitregimes am Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Simultanten. Mit ihrem Zeithandeln dominieren sie den Zeitgeist, sie sind in sämtlichen Lebensbereichen anzutreffen – von Schule über Arbeitswelt bis hin zum Privatbereich. Simultanten erkennt man an »ihrer unstillbaren Leidenschaft für Hochgeschwindigkeiten und Mehrfachaktivitäten«. Sie lieben das hohe Tempo, aber geben sich nicht damit zufrieden, alles einfach immer schneller und schneller zu machen, nein, sie streben nach Handlungsverdichtung, Vergleichzeitigung und Aktionsbündelung. Nicht mehr »eins-nach-dem-anderen« gilt ihnen als Anleitung zum Handeln, sondern Angelegenheiten werden zugleich erledigt, miteinander und nebeneinander.

»Alles-gleichzeitig-und-zwar-sofort« ist die Handlungsmaxime im Zeitalter der Zeitverdichtung, das Karlheinz A. Geißler als bislang letzte Stufe in der Entwicklung des Umgangs mit Zeit identifiziert. In Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine wird der Leser mitgenommen auf eine Reise durch die Geschichte der Zeit. Für die meisten Menschen ist Zeit wie das Wasser für die Fische: man schwimmt darin, ohne sich jemals Gedanken darüber zu machen. Fast jeder würde auf die Frage, was Zeit denn eigentlich sei, antworten, er wisse dies genau – auf eine schlüssige Erklärung wird man dann aber vergeblich warten. Und dazu kommt noch, dass jede Zeit ihre eigene Zeit hat. Zeitverständnis und Zeithandeln früherer Gesellschaften unterscheiden sich entschieden von demjenigen der heutigen Zeit. So sind die eingangs beschriebenen Simultanten durch und durch ein Phänomen unserer Zeit. Und dennoch enthält jede Zeit die ihr vorausgehenden Zeiten, sie gehören weiterhin zur Kultur und wirken als tiefer liegende Kräfte auf den Umgang mit Zeit.

Die Erfindung der mechanischen Uhr stellt eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte dar: Lebten die Menschen zuvor »zeitlos«, nur die natürliche Ordnung gab eine gewisse Struktur vor. Ein genaues Datum anzugeben war unbekannt und auch nicht möglich, man musste sich mit Zeitmarken wie etwa Naturereignissen abhelfen, um bestimmte Zeitpunkte zu benennen. Zeit war Gottessache, von der der Mensch besser seine Finger zu lassen habe. All dies änderte sich mit der Erfindung und Verbreitung der Uhr. Die Zeit wird zur Uhrzeit.
Denn durch die Uhr wurde das Leben der Menschen immer stärker strukturiert und in eine künstliche Ordnung gebracht. Zudem machte die Uhr Zeit messbar und daher mit Geld bewertbar (»Zeit ist Geld«). Was den Menschen bislang völlig unbekannt war, wurde mit einmal möglich: Zeit zu verlieren, zu gewinnen oder zu sparen. Geld und der erhoffte Gewinn begannen den Lebenstakt zu bestimmen und zu beschleunigen. Als Taktgeber wurde die Uhrzeit auch zu einem Herrschaftsmittel.

In der Postmoderne tritt der Simultant auf den Plan: Multitasking ist das Erfordernis der heutigen Zeit. Und was die Uhr für die Industriegesellschaft war, besorgt das Mobiltelefon für die postmoderne Gesellschaft: Das kleine Gerät macht den Mensch unabhängig von Zeit und Raum, man ist heute stets online, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt. Unterlag der Mensch des Industriezeitalters den durch die Uhr ausgeübten Fremdzwängen, so ist der Simultant ein Opfer von Selbstzwängen. Ehedem unbekannte Phänomene wie Zeitnot, Zeitdruck und Zeitmangel kennzeichnen das Leben des postmodernen Menschen.

Karlheinz A. Geißlers Buch ist auch ein Plädoyer für das Zeitlassen. Denn es »zählt zu den großen Irrtümern unserer Existenz, durch mehr Tempo mehr Leben ins Leben bringen zu können«. Mehr Qualität und weniger Quantität im Umgang mit Zeit mahnt der Autor an. »Wir sind nun mal auf der Welt, um Zeit zu leben, einfach zu leben, nicht auf der Welt sind wir, um uns Gedanken darüber zu machen, wie man die Zeit nützlich und gewinnbringend hinter sich bringe.« Bei der Formulierung seiner Gedanken geht Karlheinz A. Geißler nie mit dem erhobenen Zeigefinger vor, der Ton des Buches macht die Musik: Geißlers Stil ist geprägt von einer sanften Ironie, die für sich spricht und das Lesen zum Vergnügen macht.