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Michael J. Sandel:
Was man für Geld nicht kaufen kann: Die moralischen Grenzen des Marktes

ISBN: 3550080263
Erscheinungsjahr: 2012
Ullstein

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Hat wirklich alles seinen Preis?
        


 
n einigen amerikanischen Gefängnissen können sich Strafgefangene bessere Haftbedingungen erkaufen, das Recht in die USA einzuwandern ist für 500.000 Dollar zu haben, auch bedrohte Tierarten können gegen ausreichend Bezahlung ganz legal geschossen werden und der Emissionshandel für Kohlenstoff macht das Recht zur Umweltverschmutzung zur käuflichen Ware. Geld fließt auch, wenn Menschen Körperteile zu Werbezwecken tätowieren lassen, sich bei Arzneimittelstudien als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen oder die Lebensversicherungspolice einer kranken oder älteren Person kaufen, die laufenden Prämien bezahlen und nach dem Todesfall die Versicherungssumme kassieren. Dies sind nur einige der Beispiele, die für Michael J. Sandel Beleg dafür sind, dass sich unsere Marktwirtschaft in eine Marktgesellschaft verwandelt hat. Während die Marktwirtschaft ein Werkzeug ist, um die produktiven Aktivitäten zu organisieren, ist die Marktgesellschaft eine Gesellschaft, in der alles zum Verkauf steht. Der Markt dringt in alle Lebensbereiche ein und alles wird mit einem Preis versehen.

Der an Harvard lehrende politische Philosoph Michael J. Sandel spürt in seinem neuen Buch Was man für Geld nicht kaufen kann die moralischen Grenzen des Marktes auf. Die Vorstellung, dass alles seinen Preis hat, ist derart mächtig geworden, dass gesellschaftliche Probleme zunehmend durch den Einsatz monetärer Anreize gelöst werden. Aber wenn alles zum Verkauf steht, wenn Geld alles regiert, wenn Güter (auch öffentliche) nur den Höchstbietenden offenstehen, dann schädigt das unsere gesellschaftlichen Werte. Für Sandel stellt die immer breitere Anwendung von Marktprinzipien sogar eine Gefährdung der Demokratie dar. Je mehr für Geld zu kaufen ist, desto größer ist die Tendenz, dass jene, die es sich leisten können, ein abgeschottetes Leben führen. Zwar benötige Demokratie keine absolute Gleichheit, kann aber nur funktionieren, wenn verschiedene Menschen zusammenkommen und eine gemeinsame Lebensgrundlage teilen.

Also geht Sandel in seinem Buch der Frage nach, wo die Anwendung von Marktprinzipien zu rechtfertigen ist und wo die Grenze überschritten wird und wir dadurch unsere Werte aufs Spiel setzen. Denn in unzähligen Fällen führt der Markt zwar zu befriedigenden Lösungen, die unter moralischen Gesichtspunkten doch zweifelhaft sind. Michael Sandel führt Beispiel um Beispiel auf, um zu zeigen, wie oft die Marktlogik ohne moralische Überlegungen unvollständig bleibt. So sollte man sich immer wieder fragen, ob man sich auf finanzielle Anreize verlassen will, die Einstellungen und Normen korrumpieren, die allgemein für schützenwert gehalten werden.

Michael Sandel ist nicht gegen Märkte per se; er erkennt deren positive Wirkungen in bestimmten Bereichen an: Kein anderer Mechanismus zur Organisation von Produktion und Verteilung von Gütern habe sich als derart erfolgreich erwiesen und einen derartigen Wohlstand erzeugt. Zweierlei spricht seiner Meinung nach jedoch gegen Märkte: Zum einen sind die Verhandlungsbedingungen nicht immer fair. Der Einwand der Fairness trifft etwa auf das Beispiel des Organhandels zu, weil viele Menschen aus einer Notlage heraus »gezwungen« sind, Organe zu verkaufen. Zum anderen werden bestimmte Güter durch die Bewertung und den Austausch auf Märkten herabgewürdigt. Sandel bringt das Beispiel der käuflichen Hochschulzulassung und gibt zu denken, dass die Werte, denen eine Hochschulausbildung dienen soll, durch den Verkauf von Studienplätzen beschädigt würden.

Sandel ist interessiert an dem folgenreichen Verlust unseres moralischen Kompasses und will klarmachen, dass Märkte einen moralischen Einfluss auf die Güter haben, die auf diesen Märkten gehandelt werden. So hat etwa ein israelischer Kindergarten in Reaktion darauf, dass Eltern ihre Kinder immer zu spät abholten, Strafzahlungen eingeführt. Was war das Ergebnis, kamen die Eltern pünktlicher? Keineswegs – die Zahl der unpünktlichen Abholungen stieg sogar an. Die Intention kehrte sich in ihr exaktes Gegenteil um: weil sich die Strafe in den Augen der Eltern in eine Gebühr verwandelte. Vor Einführung der Strafe fühlten die Eltern eine persönliche Verpflichtung, pünktlich zu kommen. Ihr Verhalten war also durch rein nicht-monetäre Werte gesteuert, was offenbar eine größere Macht ausübte als Geld. Auch nachdem der Kindergarten die Strafe wieder abschaffte, behielten die Eltern ihre Unpünktlichkeit bei. Die Einführung von Marktregeln hat das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung zerstört.

Was man für Geld nicht kaufen kann lenkt hervorragend den Blick auf ein brennendes gesellschaftliches Problem. Der Markt drängt sich derart schleichend in die verschiedensten Lebensbereiche, dass bislang eine Debatte über die Reichweite der Märkte in der Politik nie geführt wurde. Doch eine Entscheidung, welche Güter handelbar und welche durch Werte beherrscht werden und nicht dem Markt unterliegen sollten, ist höchst notwendig. Denn bleibt eine bewusste Grenzziehung aus, entscheidet der Markt für sich.

Die vielen Beispiele, mit denen Sandel die Problematik erklärt, sind gleichzeitig Stärke als auch Schwäche des Buches. Er drängt den Leser dazu, eigene Grenzen zu ziehen. Michael Sandel gibt keine Antworten; sein Werkzeug sind Fragen. Er bringt Beispiel über Beispiel und fragt und fragt und drängt zum eigenen Nachdenken. Dies lässt den Leser aber auch frustriert und unschlüssig zurück.