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Evgeny Morozov:
Smarte neue Welt. Neue Technik und die Freiheit des Menschen

ISBN: 3896674765
Erscheinungsjahr: 2013
Karl Blessing Verlag

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Lösungen auf Mausklick
        


 
eute ist alles digital. Jedes Alltagsding trägt einen Sensor in sich. Und diese Technisierung unserer Lebenswelt ermöglicht gänzlich neue Verhaltensweisen. Wir werden überwacht und überwachen uns selbst. Neuen Formen des Gruppendrucks sind Tür und Tor geöffnet seit auf sozialen Netzwerken alles »geteilt« wird. An digitale Technologien werden hochfliegende Erwartungen geknüpft, kaum noch ein gesellschaftlicher Bereich, in dem nicht die neuen Technologien als Heilsbringer gefeiert werden und die großen Probleme unserer Zeit lösen helfen sollen. Wenn etwa Kameras auf der Innenseite von Mülleimerdeckeln fotografieren, was weggeworfen wird, um die Fotos sodann auf Facebook hochzuladen, wo dann ein Wettbewerb um das nachhaltigste Wegwerfverhalten entbrennt. Schlechtes Gewissen und das Streben nach Belohnungen soll Verhalten beeinflussen.

Evgeny Morozov wirft nun in Smarte neue Welt einen kritischen Blick auf solcherart Problemlösungen. Die Möglichkeit, jegliches Verhalten aufzuzeichnen ruft natürlich Politiker und Unternehmen auf den Plan. Aus der Vernetzung lassen sich Vorteile ziehen, indem Bürger und Konsumenten dazu gebracht werden, etwas zu tun, was sie andernfalls nicht getan hätten. Wer recycelt erhält Punkte, wer Lebensmittel wegwirft, blamiert sich vor der digitalen Gemeinde. In den verschiedensten Lebensbereichen sind solche Manipulationen heute zu beobachten: Du isst zu viel, Du bewegst Dich zu wenig, Du verbrauchst zu viel Energie. Morozov stellt die Frage, ob Menschen dabei immer verstehen, warum sie zu bestimmten Verhaltensweisen gedrängt werden. Welche Folgen hat es, wenn Menschen dazu gebracht werden, das »Richtige« zu tun, ohne dass sie selbst zu der Einsicht gelangen, dass ihr Verhalten das Richtige ist?

Morozov wendet sich nicht gegen das Internet, sondern die übertriebenen Zuschreibungen sind für ihn das Problem. Er widerspricht den technikbegeisterten selbsternannten Weltverbesserern aus dem Silicon Valley, die angeblich die Antworten auf alle drängenden Fragen kennen. Als »Solutionismus« bezeichnet er den Drang, alle Probleme technisch lösen zu wollen. Bevor ein Problem noch gründlich analysiert ist, steht schon eine vermeintlich effiziente technische Lösung fest. Doch für Morozov steht außer Frage, dass soziale Probleme nicht durch Technik gelöst werden können, indem Prozesse effizienter und transparenter gestaltet werden. Denn nicht immer ist es Effizienz, die die besten Lösungen zeitigt. Und Algorithmen liefern keine objektiven Wahrheiten.

Mit dem Solutionismus geht eine zweite Sichtweise einher, die Morozov ebenso ein Dorn im Auge ist: Der »Internetzentrismus« unterstellt, dass die Technologie und insbesondere das Internet vollkommen neue, außergewöhnliche Lösungen für gesellschaftliche Probleme bereithält. Den Technikbegeisterten gilt das Internetzeitalter als eine neue Epoche, in der die Daseinsberechtigung alles Althergebrachten infrage gestellt wird, in der alles nach den Regeln der neuen Technologien geformt werden müsse.

Die auf 600 Seiten ausgedehnt diskutierten Argumente des gebürtigen Weißrussen Morozov sind keineswegs falsch, aber um einiges zu emotional vorgetragen: Man kann sie förmlich spüren, die Wut des Evgeny Morozov und sein Unwohlsein mit der digitalen Revolution. Der Wahrheitsanspruch der von Morozov Kritisierten spricht auch aus jedem seiner Sätze, allerdings stets eine Spur zu selbstgefällig. Weil das Buch aber auch eine wahre Fundgrube interessanter Gedanken ist, ist Smarte neue Welt gleichermaßen großartig wie anstrengend. Mit etwas weniger Aufgebrachtheit vorgebracht, hätte Morozov einen durchaus beachtenswerten Beitrag zur Internetdebatte geleistet.