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Nate Silver:
Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen

ISBN: 3453200489
Erscheinungsjahr: 2013
Heyne Verlag

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Zukunft mit Methode
        


 
ei der Wahl zum US-Präsidenten 2012 gelang dem Statistiker Nate Silver Unglaubliches: Auf seinem Blog FiveThirtyEight sagte er das Wahlergebnis in fünfzig von fünfzig Bundesstaaten korrekt voraus. Sein Buch Die Berechnung der Zukunft wurde daraufhin über Nacht zum Bestseller. Silver kann sich auf eine lange Liste treffsicherer Prognosen stützen: Auch schon bei der Wahl im Jahr 2008 lag er beinahe richtig, das von ihm entwickelte System PECOTA zur Vorhersage von Baseball-Ergebnissen ist äußerst erfolgreich und zudem hatte er als online Pokerspieler nicht nur häufig den richtigen Riecher, sondern verdiente dabei noch eine Menge Geld.

In seinem Buch dreht sich nun alles um das generelle Problem, die Zukunft vorherzusagen. Denn – bis auf ein paar Ausnahmen – beweisen die meisten Menschen kein gutes Händchen, wenn es darum geht, das vor uns Liegende richtig einzuschätzen. Silver geht den Herausforderungen und der Vorgehensweise von Prognosen auf den Grund und deckt dabei eine weite Bandbreite von Einsatzfeldern ab – von Sport über Politik und Wirtschaft bis hin zu Erdbeben und Wetter.

Eine große Stärke des Buches liegt in den tiefgehenden Einsichten, die der Autor zur Erklärung bietet, wann eine Vorhersage schiefgeht und wann sie erfolgreich ist. Dabei berücksichtigt Silver Eigenheiten des Systems, das prognostiziert werden soll, etwa ob es chaotisch ist oder nicht. Er bespricht die Eigenschaften von verfügbaren Daten und Hintergrundwissen. Außerdem kommt es darauf an, wer die Prognosen treffen soll: Welche Anreize haben die jeweiligen Prognostiker, gute Prognosen abzugeben? Sind sie sich möglicher kognitiver Voreingenommenheiten bewusst? Gute Prognostiker sind sorgfältig, aufgeschlossen, immer auf der Suche nach neuen Daten und prüfen immer und immer wieder ihre Ideen und Annahmen. Schließlich berücksichtigt der Autor auch die Art der Prognose (quantitativ oder qualitativ) und bespricht verschiedene Voraussagetechniken.

Dennoch gibt es kein Patentrezept für gute Vorhersagen. Sie setzen in jedem Fall gutes Urteilsvermögen voraus. Auch ein gutes mechanistisches Verständnis der zu untersuchenden Systeme sowie eine große Masse historischer Daten können nicht schaden. Und schließlich plädiert Silver noch dafür, ein offenes Auge für Unsicherheiten und Fehler zu haben. Stets nachteilig wirkt sich die menschliche Neigung aus, dort Muster zu sehen, wo gar keine sind und so voreilige Schlüsse zu ziehen. Bei anderen Faktoren wird es komplizierter; denn sie sind in manchen Fällen von Vorteil, in anderen jedoch wirken sie sich negativ auf das Vorhersageergebnis aus. So hat beispielsweise eine stärkere Rechenleistung zu besseren Wettervorhersagen geführt, weil in diesem Bereich schon lange ein gutes mechanistische Modell existiert, Simulationen aber schwierig durchzuführen waren. Hingegen hilft stärkere Rechenleistung bei der Vorhersage von Erdbeben überhaupt nicht, weil das Verständnis des Phänomens nicht ausreicht, um ein gutes mechanistisches Modell aufzustellen.

Daher warnt Nate Silver auch vor den großen Erwartungen, die heute an »Big Data« herangetragen werden. Denn zunächst bedeutet die wachsende Datenmasse ja bloß, dass der Heuhaufen größer wird, innerhalb dessen wir die Nadel finden müssen. Die schiere Datenmasse, ohne passendes Modell ist für Silver nutzlos. Denn Zahlen sprechen nicht für sich selbst. Sobald wir meinen, das menschliche Urteilsvermögen aus dem Prozess der Vorhersage heraushalten zu können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir falschliegen werden, meint Nate Silver.

Ein Schwachpunkt des Buches liegt darin, dass die ausgiebigen Abschweifungen – die manchmal amüsant, teils aber auch störend sind – von der Kernaussage Silvers ablenken: Dass uns nämlich die technologischen Raffinessen von heute mit ihren 95 Prozent-Konfidenzintervallen in Sicherheit wiegen, wo wir in Wahrheit schlicht falschen Signalen aufgesessen sind. Allzu oft werden zufällige Schwankungen überbewertet, daher braucht es immer eine Theorie, die den Vorhersagen zugrunde liegt. Somit liefert Die Berechnung der Zukunft nicht nur eine hilfreiche Anleitung auf dem Gebiet der Prognostik, sondern ist auch als Kritik am großen Big-Data-Versprechen zu lesen.