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Andreas Zeuch:
Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten

ISBN: 3867744750
Erscheinungsjahr: 2015
Murmann Verlag

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Unternehmen zum Mitreden
        


 
s ist kein Wunder, dass angesichts immer komplexerer und dynamischerer Wirtschaftsbedingungen und der daraus resultierenden Notwendigkeit umfassender Mitwirkungsbereitschaften der gesamten Belegschaft eine Debatte um demokratische Unternehmen aufkommt. Denn das traditionelle Managementsystem, wie es immer noch in den meisten Unternehmen vorherrscht, steckt voller Paradoxien und will nicht mehr so recht zu einer Zeit passen, in der nichts so beständig ist wie der Wandel. Von Mitarbeitern wird ständig unternehmerisches, selbstbestimmtes Handeln erwartet, weil nur dies die Antwort auf die kaum noch vorhersehbare Unternehmensumwelt sein kann. Gleichwohl wird ihnen aber der dazu notwendige Handlungs- und Entscheidungsraum nicht zugestanden. Oft fehlt es auch am nötigen Vertrauen, stattdessen herrscht ein Klima des Misstrauens, der Kontrolle und Bestrafung.

Es war wohl nicht zuletzt diese Diskrepanz, die Andreas Zeuch zu seinem Buch Alle Macht für niemand bewogen hat, in dem er für einen Aufbruch der Unternehmensdemokraten plädiert. Denn die Unternehmensdemokratie soll aufräumen mit dem traditionellen Managementverständnis, das auf hierarchischen Machtbefugnissen, rigiden Planungsprozessen sowie einer Reduktion des Unternehmenszwecks auf Gewinnmaximierung beruht, und Unternehmen sowohl mitarbeiterfreundlicher als auch zukunftsfitter gestalten.

Andreas Zeuch macht ein ganzes Bündel an Gründen dafür verantwortlich, dass sich immer mehr – allerdings immer noch verschwindend wenige – Unternehmen von der alten Denkweise abkehren. Zum einen ist da die digitale Transformation mit ihren neuen Kommunikationstechniken, die die Vernetzung der Menschen vorantreiben. Der vernetzte Mensch ist es gewöhnt, sich aktiv zu beteiligen. Zudem wohnt Menschen grundsätzlich der Wunsch nach einem Mindestmaß an Selbstbestimmung inne. Zum anderen stößt die zentrale Steuerung von Unternehmen zunehmend an ihre Grenzen, weil Dynamik und Komplexität ansteigen. Entscheidungen müssen heute direkt an den Berührungsflächen von Unternehmen und Markt getroffen werden, es bleibt keine Zeit für das Durchlaufen langer Befehlsketten. Je mehr Menschen an Entscheidungen beteiligt sind, desto mehr Perspektiven fließen ein, so Zeuch, und desto adaptiver wird das Unternehmen.

Tendenzen, mehr Mitbestimmung und Partizipation in Unternehmen umzusetzen, gab es freilich immer schon. Aber wann ist nun ein Unternehmen demokratisch? Für Andreas Zeuch bedeutet Unternehmensdemokratie, dass Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, mitbestimmen oder sogar selbst bestimmen können. Dabei geht es Andreas Zeuch um mehr als die Mitbestimmung bei der eigenen Arbeit, er sieht als Idealfall die Beteiligung von Mitarbeitern an taktischen und strategischen Entscheidungen. Demgemäß definiert Zeuch drei Ausprägungen von Unternehmensdemokratie: Schwach demokratisch sind jene Unternehmen, die operative Entscheidungen, also die jeweils eigene Arbeit durch die Belegschaft mitbestimmen lassen. Mäßig demokratische Unternehmen lassen auch taktische Entscheidungen mitbestimmen, also solche, die über den eigenen Arbeitsbereich hinausgehen und größere Reichweite haben, wie etwa Personaleinstellungen. Stark demokratisch sind Unternehmen dann, wenn zusätzlich zu operativen und taktischen auch strategische Entscheidungen, also die grundlegenden, existenziellen Fragen durch die Mitarbeiter mitbestimmt werden. Dabei muss Unternehmensdemokratie nicht automatisch das Ende von Führung und Hierarchien bedeuten. In demokratischen Unternehmen kann es sehr wohl Führungspersonen geben, die dann aber demokratisch legitimiert sind, das heißt sie werden gewählt und bleiben eine begrenzte Zeit – bis zur nächsten Wahl – auf ihrer Position.

Im Wesentlichen ist Unternehmensdemokratie für Andreas Zeuch ein Mittel gegen Fremdbestimmung, ein Weg hin zu Autonomie und Kontrolle über das eigene Leben. Es geht darum, Unternehmen menschlicher zu gestalten. Dabei sind dem Autor durchaus die üblichen Gegenargumente bewusst. Doch rechnet er ab mit der „Mär von der Dummheit, Faulheit und Eigennützigkeit der Mitarbeiter“ und argumentiert, dass Demokratie im Unternehmen diese nicht nur mitarbeiterfreundlicher gestaltet, sondern darüber hinaus auch einen wirtschaftlichen Mehrwert bringt, der sich in geringerer Fluktuation, geringerem Krankheitsstand, höherer Arbeitsqualität und letztlich Arbeitsleistung niederschlägt. Auch die Innovationskraft profitiert durch mehr Kreativität von der Ermächtigung der Mitarbeiter ebenso wie die Fähigkeit von Unternehmen, sich in einem dynamischen Umfeld anpassungsfähig und flexibel zu verhalten. Denn Entscheidungen werden schnell und unmittelbar getroffen. Neben dem wirtschaftlichen Bereich entfaltet die Unternehmensdemokratie auch im gesellschaftlichen Bereich einen Mehrwert. Denn empirisch nachgewiesen ist ein »Spill-over-Effekt«, das heißt Organisationen strahlen ihre Demokratisierung in die Gesellschaft hinein aus.

Den Kern des Buches bilden zwölf Fallbeispiele von demokratischen Unternehmen verschiedener Branchen. Während diese Einblicke in die Praxis ein lebhaftes Bild der Idee der Unternehmensdemokratie vermitteln, setzt hier auch der größte Kritikpunkt an: Kennzahlen bilden jeweils den Zustand vor und nach Demokratisierung ab und sollen den Erfolg der Maßnahme vor Augen führen, wobei aber ein Beleg der Kausalität schuldig bleibt. Es bleibt die Frage, inwieweit gerade die Demokratisierungsbemühungen ursächlich für den Erfolg der Unternehmen waren. Oder ob nicht ohnehin Unternehmen, die sich offen zeigen für solche (neuen) Ideen bereits einen Vorsprung haben? Und ob nicht die Idee der Unternehmensdemokratie bei Unternehmen, die von Haus aus ein positives Menschen- und Mitarbeiterbild haben und somit ein kreativeres Arbeitsumfeld bieten, eher auf fruchtbaren Boden fällt. Ein Unternehmen, das Mitarbeiter grundsätzlich für faul und anleitungsbedürftig hält und ein Führungsverständnis von Kontrolle und Bestrafung lebt, ist per se weit von demokratischen Gedanken entfernt. Ist es dann aber zwangsläufig, dass die Demokratisierung und nicht ein ohnehin fruchtbares Umfeld für den Erfolg ursächlich war?

Leider bleibt auch der Umstand völlig ausgeblendet, dass die moderne Unternehmenswelt heute an einer neuen Krankheit leidet, die von unternehmensdemokratischen Gedanken noch zusätzlich angefacht wird. In vielen Fällen ist es ja nicht mehr der Zwang zum Gehorsam, die Fremdausbeutung, sondern das exakte Gegenteil, das Lockern der Zügel, was zu einer neuen Last für die Mitarbeiterschaft wird. Die – oft nur vorgegaukelte – Selbständigkeit und unzählige neue Möglichkeiten führen zu Selbstausbeutung, weil das Leben als Unternehmer im Unternehmen ganz neue Zwänge mit sich bringt, die im Leben als passiver Angestellter unbekannt sind. Wenn die geforderte Selbstorganisation zur Überforderung wird und die gewonnene Selbstbestimmung die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischt, dann wird die neue Freiheit schnell zur Falle. Dass Unternehmen unter dem Deckmantel der Demokratisierung ganz bewusst auf Freiheit und die damit einhergehende Entgrenzung von Arbeit setzen – diese Diskussion bleibt im Buch leider aus.

Ebenso aber bleiben neue Einfallstore der Fremdausbeutung unbeleuchtet. Es ist fraglich, wo Unternehmensdemokratie ihren Platz findet in einer zunehmend technisierten und digitalisierten Wirtschaft, die sich unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« neu ausrichtet. Wie wird Mitbestimmung aussehen, wenn sich die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Technik neu formiert und Maschinen zunehmend »am Menschen vorbei« miteinander kommunizieren? Menschlicher Arbeit kommt gerade völlig neue Bedeutung zu. Wie kann ein demokratisches Unternehmen funktionieren, dessen Erfolg Zeuch nicht zuletzt davon abhängig macht, dass es dem Takt des Menschen folgt, wenn Mensch und intelligente Maschinen zunehmend verschmelzen?