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Theorie der nervösen Frösche: Auf und Ab am Aktienmarkt
Die Wirtschaftswissenschaften verabschieden sich vom Homo oeconomicus. Menschen können und wollen sich nicht so verhalten wie das traditionellen ökonomischen Modellen zugrunde liegende Extrembild des Menschen: eigennützig, gewinnmaximierend und rational. Neue ökonomische Modelle tragen dem wahren Verhalten von Menschen Rechnung.

        


 
ie viele Entscheidungen trifft der Mensch täglich? Was essen wir, welchen Fernsehkanal wählen wir, welche Billig-Telefonvorwahl verwenden wir für ein Auslandsgespräch, welche Aktien kaufen wir? Der Mensch sieht sich jeden Tag einer Vielzahl von Entscheidungen gegenüber und die moderne Wirtschaft bringt mit sich, dass es jeden Tag mehr werden. Die Wirtschaftswelt wird schneller, differenzierter und effizienter und bietet somit mehr und mehr Optionen in immer kürzeren Zeitabständen. Hatte man noch vor ein paar Jahren keinen Entscheidungsspielraum beim Telefonieren ins Ausland, so gilt es heute zu entscheiden, mit welchem Telefonanbieter man am meisten Geld sparen kann.

Jeder Marktteilnehmer ein Wirtschaftsnobelpreisträger?
Die traditionelle ökonomische Theorie geht davon aus, dass sich Menschen in Entscheidungssituationen rational und eigennützig verhalten. Der Mensch nimmt als sog. Homo oeconomicus am Wirtschaftsleben teil. Ökonomen setzen voraus, dass der Mensch sämtliche ihm offen stehende Handlungsoptionen kennt und darüber hinaus weiß, welche Folgen mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten, wenn er eine bestimmte Alternative wählt. Auf Basis dieses Wissens verhalte er sich dann streng rational und eigennützig bei Auswahl einer Option.

Mit seiner Theorie der rationalen Erwartungen brachte Robert Lucas 1979 noch eine zusätzliche Facette des Homo oeconomicus ins Spiel: Menschen entscheiden nicht bloß rational, sondern schätzen auch die Entwicklung volkswirtschaftlicher Größen wie Inflation oder Wechselkurse treffend ein. Demgemäß müsste jeder Marktteilnehmer über die richtigen Informationen verfügen, um diese dann nach dem richtigen volkswirtschaftlichen Modell zu verarbeiten und so zur richtigen Einschätzung über die Zukunft kommen.

Lehrbücher und die Wirklichkeit...
Entsprechen diese Modelle der Wirklichkeit? Wie ist unter Zugrundelegung von so viel Rationalität zu erklären, dass Tausende Menschen zur Entstehung der »Bubble« am Aktienmarkt beigetragen haben und Aktien von Unternehmen kauften, die keine Gewinne abgeworfen haben und dies aller Voraussicht nach auch in absehbarer Zeit nicht getan hätten? Wie ist gemäß dieser Theorien zu erklären, dass der Dollarkurs ungleich stärker schwankt als die wirtschaftlichen Aussichten in Euroland und Amerika dies erwarten ließen?

Daniel Kahneman und Amos Tversky haben experimentell bestätigt, dass es mit dem rationalen Verhalten des Menschen nicht so weit her ist. Existiert der Homo oeconomicus also nur in Lehrbüchern? Die beiden Psychologen haben in Laborexperimenten gezeigt, dass sich die Entscheidungen von Menschen unter Umständen deutlich davon abheben, was man unter Anwendung des ökonomischen Modells erwarten dürfte.

Kahneman und Tversky formulierten 1979 in ihrem Aufsatz »Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk«¹ eine Alternative zur herkömmlichen Theorie, die das beobachtete Verhalten besser beschreibt und Einsichten aus der psychologischen Forschung in die wirtschaftswissenschaftliche Analyse integriert. Der Homo biologicus macht dem Homo oeconomicus einen Strich durch die Rechnung. Jede Entscheidung bringt neben Hunderten von Handlungsoptionen auch Hunderte von Entscheidungsregeln mit sich, wovon Rationalität nur eine einzige darstellt. Manchmal also, werden Entscheidungen auf Basis der Ratio getroffen, andere Male aber geben andere Faktoren den Ausschlag.

Zudem, so Kahneman und Tversky, gleicht das Einschätzen der Wahrscheinlichkeiten, mit denen die Folgen der möglichen Alternativen eintreffen, dem Einschätzen von physikalischen Maßgrößen, wie beispielsweise Distanzen. Der Mensch legt sich einfache Regeln zurecht: Erscheint ein Gegenstand scharf, so wird daraus geschlossen, dass er näher ist als ein Gegenstand, der unschärfer sichtbar ist. Störfaktoren, wie unklare Sicht, führen zu Trugschlüssen, werden aber im Allgemeinen nicht berücksichtigt. Zu eben solchen Trugschlüssen kann es auch bei der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten von Handlungsfolgen kommen.

Nervöse Frösche regieren den Aktienmarkt
Der Mensch trifft seine Entscheidungen also nicht mit Hilfe komplizierter Berechnungen, sondern verlässt sich allzu oft auf sein Bauchgefühl und auf Daumenregeln. Auf eben dieser durch menschliche Gewohnheiten beeinflussten Entscheidungsfindung fußt die »Theorie der nervösen Frösche«, wenn sie etwa erklärt, warum der Dollar unverhältnismäßig stark zur wirtschaftlichen Entwicklung schwankt. Menschen messen neuen Informationen besondere Aufmerksamkeit zu und bewerten sie daher über: Mit diesem Verhaltensmuster kann der Mensch in der Natur schnellstmöglich auf Gefahren reagieren. Auf den Finanzmärkten führt diese Angewohnheit allerdings zu überdimensionalen Ausschlägen, weil jede Kleinigkeit, wenn sie nur neu ist, stärker in die Bewertung eingeht, als die tatsächliche Profiterwartung dies rechtfertigt. Börsianer benehmen sich folglich wie nervöse Frösche und sorgen für ein übertriebenes Auf und Ab auf den Märkten, das nach rationalen Gesichtspunkten nicht angemessen ist.

Die menschliche Psyche führt auch dazu, dass Sachverhalte je nach persönlicher Situation verschieden beurteilt werden. Arbeitslose etwa schätzen die Arbeitslosigkeit anders ein als jemand, der Arbeit hat. Wer Geld an der Börse verloren hat, sieht die Zukunft des Aktienmarktes weniger rosig als andere. Kahneman und Tversky postulieren auch, dass Menschen Verluste stärker gewichten als Gewinne, wodurch sie erklären, dass Aktienspekulanten sich im Verlustbereich risikofreudig und im Gewinnbereich risikoavers verhalten. Verliereraktien werden zu lange gehalten, weil Aktionäre keine Verluste realisieren wollen.

Kahneman und Tversky argumentieren, dass sich die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser erklären lassen, wenn psychologische Faktoren, die die Wahrnehmung der Menschen bestimmen, berücksichtigt werden. Der Mensch macht sich seine komplexe Umwelt handhabbar und verhält sich nicht immer rational. Demgegenüber setzen die traditionellen Modelle ein so großes Maß an Rationalität voraus, dem nur mit allumfassendem Wissen nachzukommen ist, das aufzubringen selbst verdiente Volkswirte ihre Probleme haben dürften.  

 

1 Kahneman, Daniel und Tversky, Amos: Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk, Econometrica, 47, 1979