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Serious Gaming: Aufbruch in die Möglichkeitswelten von morgen
Computerspiele werden »ernst«. Sie dienen nicht länger der reinen Unterhaltung, sondern werden Bestandteil unseres Alltags. Serious Games verbinden Spaß und Erkenntnis. Indem sie Simulation erlauben, trainieren sie unseren Umgang mit Möglichkeiten und erleichtern damit die Auseinandersetzung mit der Zukunft.

        


 
or mehr als vierzig Jahren tat die Menschheit den ersten Schritt auf den Mond, sie verließ ihre gewohnte Sphäre und begann die Erde von außen zu betrachten. Damit veränderte sich die Perspektive und ein ganzheitliches Verständnis der Welt war gewonnen. Ein größeres Ökologiebewusstsein war etwa Folge dieser neuen Mentalität. Heute brechen Millionen von Menschen auf, um den virtuellen Raum zu entdecken. Das Computerspiel erlebt einen wahren Triumphzug. Und was wir heute erleben, ist viel mehr als ein Boom der Unterhaltungsindustrie: »Spielen« ist nicht länger purer Zeitvertreib, es geht um die Simulation von Wirklichkeiten. Indem wir simulieren, erkennen wir Zusammenhänge, verstehen unsere Umwelt und auf welche Arten wir Teil derselben sind. Damit fördert »Spielen« ein anderes Mindset und eröffnet Blicke in die Zukunft.

Die Trendforscher des Zukunftsinstituts Kelkheim sagen in ihrem Trenddossier Game-o-lution1 Computerspielen eine große Zukunft voraus: PC-Spiele werden zur gesellschaftlichen Normalität und sogar Notwendigkeit avancieren. Spielen wird Teil des Alltags werden, ohne dass Spieler den Kontakt zur »realen« Welt verlieren. Als Belege für diese Entwicklung sieht der Trendforscher Matthias Horx, dass immer mehr Gamer immer häufiger mit oder gegen andere Gamer spielen, für viele sei die soziale Interaktion ausschlaggebend für das gemeinsame Spiel und auf LAN-Parties werde das offline Rahmenprogramm immer wichtiger.

Das Bild der Computerspieler, das jahrelang vorherrschte, lässt sich nicht länger aufrechterhalten; der Computerspieler der Zukunft ist in allen Gesellschafts- und Einkommensschichten zu finden, ohne Unterschied von Geschlecht und Herkunft. Der Stereotyp des männlichen Jugendlichen, Einzelgängers ohne Freunde und Kommunikationsfähigkeiten, der kaum das Haus verlässt und ein niedriges Bildungsniveau hat, aggressive Spiele bevorzugt und potentiell gewaltbereit ist, existiert nicht länger.

Das Computerspiel der Zukunft ist mehr als »Daddeln«
Abseits von reinem Entertainment hat sich eine Gattung von Spielen entwickelt, die nicht dem Spiel und Spaß des kommerziellen Mainstreams zuzurechnen sind, sondern – wie der Name schon sagt – ernsthafte Anwendungen darstellen: Serious Games. Eine exakte Definition für das Genre existiert bislang nicht. Vorsicht ist geboten, denn Serious Gaming ist ein weites Feld und umfasst bislang alle Spiele, »die nicht Unterhaltungszwecken dienen«, so die 2002 ins Leben gerufene amerikanische Serious Games Initiative. Im anglo-amerikanischen Raum ist das Thema seit diesem Zeitpunkt auf Konferenzen und als Forschungsschwerpunkt präsent. Aber auch in Deutschland sind Serious Games keine Randerscheinung mehr, sondern entwickeln sich zur reinsten Boom-Sparte. Nicht nur springen immer mehr Hersteller auf den Zug auf und bringen laufend weitere Spiele in die Händlerregale, auch investieren Lehrbuchverlage immer mehr in ihre »Serious Games«-Sparte. Es gibt Kongresse zum Thema und im Dezember 2007 verlieh zum Beispiel das hessische Wirtschaftsministerium einen Preis für das beste deutsche Spiel.

Dass in einigen Jahrzehnten Computerspiele ganz normale Bestandteile des täglichen Lebens sein werden, das meint auch Kurt Squire, Professor für Bildungskommunikation und Technologie an der Universität Wisconsin in Madison und Experte für Game Design. Der Bildungsbereich könnte zum Beispiel zu einem großen Einsatzfeld für Computerspiele werden. Kurt Squire plädiert dafür, Schüler spielerisch an Themen heranzuführen. Dass PC-Spiele die klassischen Medien nicht ersetzen können, das wissen aber auch die leidenschaftlichsten Verfechter der neuen Lehrtechniken: Würde erst einmal mit Hilfe der Computerspiele das Interesse von Schülern für gewisse Fächer geweckt worden sein, dann beginnen sie auch automatisch wieder mehr zu lesen. Was der Frontalunterricht nicht schafft, könnten Spiele leisten: eine Lernumwelt herstellen, in der die Motivation zum Selbstlernen entsteht. Genauso sind moderne Museen heute Erlebnisräume, in denen alle Sinne angesprochen werden. Schon heute bestimmt der Computer immer mehr Lebensbereiche und Computerspiele werden dieser Entwicklung folgen.

Spielend lernen
Besonders in der modernen Wissensgesellschaft gewinnen Serious Games an Bedeutung, denn Wissen lässt sich einfacher durch spielerische Handlungen vermitteln. Bei Computerspielen wird im Gegensatz zu anderen Medien die passive Konsumhaltung verlassen, der Spieler greift aktiv in das Geschehen ein. Dadurch entsteht eine höhere emotionale Bindung zum Inhalt, wodurch Lernen gefördert wird. Beim Computerspielen muss man immer wieder neue Informationen verarbeiten, komplexe Probleme lösen, Entscheidungen treffen, Hypothesen aufstellen, abwägen, verwerfen. All diese Schritte müssen jeweils in kürzester Zeit erfolgen. Wen erinnert dies nicht an so manchen stressigen Arbeitstag? Daher können Computerspiele etwa eingesetzt werden, um unternehmensorientiert Denken und Wissen zu vermitteln, bestimmte Abläufe zu trainieren, sich vorzubereiten oder Konsequenzen und Szenarien zu simulieren. In Zukunft werden sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Serious Games in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Training und Schulung ergeben.

Heute schon gibt es zahlreiche Spiele, deren vorrangiger Zweck die Vermittlung von Lerninhalten ist. So soll etwa Genius: Unternehmen Physik Kindern physikalisches Grundwissen vermitteln. Spieler schlüpfen in die Rolle des Teilhabers einer Fahrradfabrik und sollen durch Erfindungsreichtum und das Lösen physikalisch-technischer Probleme ein Industrieimperium aufbauen.
Im Better Business Game erfährt der Spieler typische Dilemmata einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Betriebsführung und soll dadurch die Grundlagen betriebswirtschaftlichen Handelns kennen lernen. Es müssen Entscheidungen mit ökologischem, finanziellem und sozialem Hintergrund getroffen werden, um die Aktionäre, Mitarbeiter, Kunden und andere Interessengruppen bei Laune zu halten.
Interactive Trauma Trainer dient der Weiterbildung von medizinischem Fachpersonal; mit diesem Spiel üben etwa britische Feldärzte Notoperationen.
In Global Conflicts: Palestine schlüpfen Spieler in die Rolle eines Journalisten und erleben den Nahost-Konflikt hautnah mit. Per Mausklick bewegt sich der Spieler durch Jerusalem und erlebt diverse Konfliktsituationen und sammelt für seine Geschichten Informationen und Meinungen von beiden beteiligten Parteien.

Eintauchen in die Zukunftswelten
Die Trendforscher des Zukunftsinstituts Kelkheim sehen eine große Zukunft für Computerspiele insbesondere im Zusammenhang mit einem neuen Wissensbegriff. Serious Gaming erschließt neue Wege, wie wir künftig zu Wissen gelangen. In der Wissensgesellschaft von morgen spielen Simulation, das Handeln auf Probe und das Arbeiten mit wahrscheinlichen Wissenswelten eine entscheidende Rolle. Gaming befördert uns über die Möglichkeiten des Web 2.0 einen ganz entscheidenden Schritt hinaus: nicht nur Interaktion, sondern simulierte Aktion, nicht nur Kommunikation, sondern Probehandeln werden durch Gaming möglich gemacht. In der Verschränkung von Realität und Virtualität liegt der Mehrwert von Serious Games: Anwendungen werden uns in Zukunft erlauben, in virtuelle Welten einzutauchen, wodurch die Entscheidungsfindung in der realen Welt wesentlich erleichtert werden soll. Die spielerische Simulation soll wesentliche Erkenntnisschübe in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts bringen.

Games sollen in Zukunft dazu eingesetzt werden, unseren Sinn für Möglichkeiten zu trainieren und uns auf diese Weise neue Mittel in die Hand geben, mit der Zukunft fertig zu werden. Simulation soll dem Lernen und Forschen dienen, der Trenderprobung und einem mutigen Denken über die Zukunft. Da es sich um ein Spiel handelt, könne man völlig unbefangen an die Sache herangehen, man müsse sich nicht von vornherein durch bestimmte Zwecke einengen lassen: das Denkbare kommt vor dem Plausiblen. Zudem könne sich in der elektronischen Spielewelt jeder ausprobieren. Nicht länger wird bloß Wissen aufgesogen, sondern Denken erfolgt in Problemlösungskategorien. Zukünfte können im Spiel antizipiert werden und stellen sie sich einmal doch nicht als vorteilhaft heraus, dann ist dies auch kein Beinbruch: auf Knopfdruck kann ein anderes Szenario erprobt werden.  

 

1 Quarterly. Das Trenddossier des Zukunftsinstituts, Oktober 2008