Wenn sich für Ziele nicht mehr einzusetzen lohnt, der Alltag immer schwerer wird oder das, was einem einst so wichtig war, plötzlich leer und substanzlos erscheint, dann wird es meist Zeit für eine genaue Analyse des Lebensfundamentes. Vielfach flüchten Menschen in allerlei Aktivitäten, die einen schnellen Lustgewinn, eine Balance von Arbeit und Leben oder einfach nur Abwechslung versprechen. Ist dieser Reiz verpufft, sind alle Reize reizlos, wird aus dem Problem eine handfeste Krise. Ein krisenhafter Erlebniszustand wird dabei oft fälschlich als ausweglos wahrgenommen. Coaching in der Sinnkrise vermittelt Wege aus dieser belastenden Situation.
ugegeben, unser Nachbar hat mich jüngst nachdenklicher gemacht als es je ein Nachbar zuvor verstand. Er hatte sich im Internet unsere Beiträge zum Logo-Coaching, der professionellen Begleitung von Führungskräften mit Anliegen im Themenfeld Werteentwicklung, Lebenskonflikt oder Zukunftsängsten, angeschaut und meinte, ich sei ja wohl ein »Kriseng´winnler«.
Als Rheinländer musste ich zuerst einmal meinen wertgeschätzten, schwäbischen Gesprächspartner nach seiner Bedeutung dieses leicht paradox anmutenden und zudem mit einem deftigen Dialekt ausgesprochenen Begriffes befragen. Seine Antwort kam prompt: »Den Leuten geht’s seelisch immer ärger, überall hört man von Stress und Sorgen und ich sehe in Eurem Trainingsraum täglich Menschen ein und aus gehen, die sich helfen lassen. Du scheinst also für Miseren etwas Gutes anzubieten und damit auch Gewinn zu machen.« Etwas in mir zuckte zusammen und ich dachte über seine Worte nach - irgendetwas störte mich...
Coaching als Krisenintervention
Wir verstehen Logo-Coaching als Auslösung und Begleitung einer gewollten Werteentwicklung und Sinnfindung. Kommt hinzu, dass ein Klient eine vor ihm liegende, existenzielle Herausforderung in ihren Auswirkungen nicht einschätzen kann, jedoch zu meistern hat und für diesen Prozess meint, keine geeigneten »Instrumente« zu besitzen und diesen Umstand als stark belastend erlebt, dann haben die Arbeitsprozesse im Coaching den Charakter einer Krisenintervention.
Ein Praxisbeispiel: Ein Vertriebsdirektor eines führenden Dienstleistungsunternehmens hat vor wenigen Jahren maßgeblich an der wirtschaftlichen Wende zugunsten seines Unternehmens mitgewirkt. Durch intelligente Veränderungs- und Entschlackungsprozesse konnte das Unternehmen die drohende Übernahme verhindern, dabei war nachweislich der größte, vom Klienten geleitete Vertriebsbereich der Garant für den positiven Wandel. Immer öfter wurde nun die Expertise des damaligen Vertriebsleiters abgerufen, er stieg auf, übernahm internationale Projekte und wurde schließlich zum Vertriebsdirektor Deutschland berufen. Mit Ende 40 schien alles im Reinen, der Wechsel in eine Vorstandstätigkeit war nur eine Frage der Zeit.
Es dauerte nicht lange und ihm wurde durch Vermittlung eines Personalberaters eine Geschäftsleitungsfunktion in einem seiner bisherigen Branche nahe stehenden Dienstleistungsunternehmen angeboten. Das Angebot war überragend, der Vorstandsvorsitz sollte in zwei Jahren wechseln und ein Mann seines Schlages wurde als Nachfolger gesucht. Sein Unternehmen ließ ihn nach fast zehn Jahren Erfolgsgeschichte aufgrund fehlender mittelfristig attraktiver Vakanzen nur ungern gehen.
Das erste Jahr verging wie im Flug. Seine Erfahrungen voll ausschöpfend konnte der mittlerweile 51 Jahre alte Manager eine Reihe wertvoller Beziehungen zu international renommierten Kunden aufbauen, den Innendienst auf Vordermann bringen und die strategische Weiterentwicklung des Geschäftsfeldes ausformen.
Dass der zwischenzeitlich verpflichtete neue Finanzvorstand und ein in dessen »Sturmgepäck« miteingereister neuer Mehrheitsaktionär zu einem massiven Problem werden würden, konnte der Klient erst bemerken als er von einer zweiwöchigen Asienreise ins Unternehmen zurückkehrte. Dann ging alles recht schnell - der Vorstandsvorsitzende nahm sich der Unterstützung des neuen Investors gerne an und entschloss sich zu einem profitablen Desinvestment genau des Bereiches, in dem der Klient seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellte.
Die asiatischen Kunden stellten ihm an seine Ehre gehende Fragen, das Vertrauen in den Vorstand war zerstört, es blieb nur der Rückzug - finanziell abgefedert zwar, aber dennoch teuer bezahlt. Die vielen Projekttermine hatten seine Familie gebeutelt, seine Frau hatte in eigener Sache Veränderungsmanagement betrieben, die Kinder studierten oder waren bereits im Beruf, die eigenen Interessen reduzierten sich auf etwas Ausgleichssport, der Freundeskreis war ohnehin recht eng und räumlich nicht greifbar. Die Frage nach dem »Wozu« kam schneller und plötzlicher als je erwartet, die Frage nach dem Sinn stand zur Beantwortung an.
Die Frage nach dem Sinn
Sinn entsteht in unserer Wahrnehmung dann, wenn ein Mensch seine Werte verwirklichen kann, wenn der Raum der Ermöglichung spürbar größer ist als der Raum des Wertezwangs. Das Wertespektrum eines Menschen ist dabei meist weitaus breiter als er es in einem Gespräch zu beschreiben in der Lage ist.
Vielfach benennen Menschen bei der Frage nach ihren Werten eine Reihe sozial anerkannter Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Einsatzfreude, Leistung oder Zuverlässigkeit. Diese Nennungen, so zutreffend sie auch sein mögen, spiegeln aus unserer Erfahrung jedoch oft nur einen sehr kleinen Teil des Wesenskerns einer Persönlichkeit wider. Betrachten wir einzelne Systeme, Kontexte und konkrete Personen, mit denen sich der Mensch verbunden fühlt, dann finden sich schnell Wertekategorien, die auch nur in diesen spezifischen Zusammenhängen relevant sind.
Wir haben hieraus gelernt, dass es nicht das Wertesystem eines Menschen gibt, sondern wir vielmehr vom »derzeitigen systemisch wesentlichen Werteraum« sprechen sollten. Diese Perspektive setzt Chancen frei: die Chance, Werte zu entwickeln und weiter zu entwickeln, ohne durch diesen Prozess die gesamte Persönlichkeit in Frage stellen zu müssen. Geschieht diese Werteentwicklung mit stetiger Überprüfung und dem Erhalt der Selbstbewusstheit, so wird das Risiko, die Werteentwicklung als Mittel zum Zweck anzusehen und damit von außen als opportunistisch wahrgenommen zu werden, gering sein.
In manchen Phasen des Lebens geschieht Werteentwicklung unwillkürlich und ungeplant, denken wir beispielsweise an die großen Lebensveränderungen, die wir zu gestalten haben, wenn wir aus der Ausbildung ins Berufsleben, aus dem Singledasein in eine Partnerschaft, in die Rolle von Vater oder Mutter kommen oder Trennungsprozesse erleben. Wird - wie bei unserem Klienten - die Sinnfrage gestellt, dann folgt aus ihr eine geplante Werteentwicklung.
Analyse des Wertesystems
Im Coaching ergibt sich dabei ein hilfreicher Moment, in dem der Klient zwischen eigenen und irgendwann im Leben als so genannte ideelle Werte von anderen Menschen oder Systemen übertragenen Werten unterscheiden lernt. Dieser Moment ist meist Ansporn dafür, das eigene Werterepertoire neu zu justieren und eine genaue Analyse des eigenen Wertesystems vorzunehmen.
Bei unserem Klienten war ein massiver Konflikt sowohl Grund als auch Motiv dafür, die Frage zu stellen, inwieweit er selbst noch zu anderen Menschen, einem anderen Umfeld oder einer anderen Aufgabe passt. Stimmt die Passung nicht mehr, hat man sich »auseinander gelebt« oder »liegt einem das Thema nicht mehr«, dann deutet manches darauf hin, dass die eigenen Werte zur derzeitig erlebten Situation im Widerspruch stehen.
Leitwerte unseres Klienten waren unter anderem Loyalität, Anstand, Souveränität, Respekt und Verantwortung, die aus seiner Sicht allesamt in der beruflichen Situation litten. Es galt, zur Stabilisierung des Klienten zu schauen, in welchen Lebensphasen und derzeitigen Lebensumfeldern er sein Wertesystem mit lebendigen Verhaltensweisen zeigen kann und konnte. Wie habe ich mich verändert, was waren früher Eigenschaften, die ich schätzte und die an mir geschätzt wurden und welche sind es heute? Und welche sollen es morgen sein? Auf welche Frage des Lebens bin ich mit meinem »So-Sein« eine Antwort?
In einem sanften, methodisch geleiteten Prozess fand der Klient seine Antworten, u.a. die, dass seine strenge Auslegung der Loyalität im Berufsleben dazu führte, dass er in anderen Lebensbereichen zuwenig Aufmerksamkeit den Menschen schenkte, die ihm ihrerseits mit Zuwendung begegneten.
Werte verwirklichen - besser heute als morgen
Sinnfindung wird erst durch Werteverwirklichung ermöglicht. Jeder Mensch ist eingebunden in einen Ausschnitt der Welt und steht in jedem Moment vor der Aufgabe, aus seiner Welt etwas zu machen. Unser Klient hatte sich zunehmend in eine eher enge Interpretation der wichtigen Dinge des Lebens manövriert und alle Begeisterung auf seinen Traum von Verantwortung und Einfluss gelegt. Das Ende des Traumes war jedoch nicht das Ende der Werte. Werte sind recht haltbar und belastungsfähig. Das, was einem Menschen wesentlich ist, wird nicht einfach durch Niederlagen oder Rückschläge weggeworfen.
So erkannte der Klient, dass er seine Werteverwirklichung nicht vertagen durfte - wer dies tut, wird im Heute keinen Sinn zu finden. Getreu dem Motto »werde jetzt, der du werden kannst«, erstellte der Klient ein umfassendes Persönlichkeitspanorama, reflektierte seine Glaubenssätze, sein Kompetenzspektrum und alle wichtigen Beziehungen zu Menschen in seinen verschiedenen Bezugssystemen.
Bei diesem Klienten wie bei vielen anderen Anliegen zeigt sich schnell »das Gute im Schlechten« eines massiv erlebten Werte- und Sinnkonflikts. Es zeigt sich darin, dass sich das individuelle Wertesystem in der vergleichenden Betrachtung mit jemand anderem als andersartig und unweigerlich individuell herausschält. Mit dieser wohltuenden Distanz zu arbeiten, hat sich im Coaching von Sinnkrisen als sehr lohnend herausgestellt.
Ist der Korb der eigenen Werte wieder aufgeräumt, besprechen wir im Logo-Coaching das, was Karl Jaspers so formuliert: »Was der Mensch ist, das ist er durch die Sache, die er zur seinen macht.« Unser Klient entwickelte mit unserer Begleitung eine neue Lebensvision mit aufeinander abgestimmten Einzelschritten. In anderen Fällen fand der Sinnfindungsprozess durch eine veränderte Prioritätensetzung statt oder es wurden mit Mediationen bisher als unlösbar eingestufte zwischenmenschliche Konflikte aktiv angegangen.
Das Coaching von Sinnkrisen - wir nennen es in Analogie zur sinnzentrierten Psychotherapie (Logotherapie) nach Viktor Frankl das »Logo-Coaching« - belässt in jedem Arbeitsschritt die Verantwortung für die Ergebnisse beim Klienten. Jede Form einer neuen Abhängigkeit wäre völlig kontraproduktiv. Es sind also die Kräfte, die der Klient bereits längst in sich hat und Lösungen, die er längst in sich trägt, die durch das Logo-Coaching zur Entfaltung kommen.
... und so wird aus dem anerkennenden wie zugleich verstörenden Satz aus Nachbars Mund: »Du scheinst also für Miseren etwas Gutes anzubieten« ein stimmigerer: »Es scheint, dass die Menschen, die zu Dir kommen, ihren Miseren trotzen und eigenständig das Gute entdecken, das ihnen hilft, den Sinn zu finden, der in jedem Moment per se für sie gegeben ist.«